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Kapitel 1 Die Schmiede in der Hörrleingasse

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Das Pferd schnaubte nervös. Es war eine schöne Fuchsstute, hochgewachsen, mit schlanken Beinen und weißen Fesseln. Ihr Besitzer schlug mit der Gerte gegen ihre Hinterflanke.

»Nun stell dich nicht so an!«, schimpfte der Mann, der ein edles Gewand trug. »Steh still, du Teufelsvieh!« Doch die Stute rollte mit den Augen und wich zur Seite aus, sodass sie ihrem Herrn fast die Zügel aus der Hand riss.

Jos blieb stehen und sah von Reiter und Pferd zu dem Mann, der nun aus dem Halbdunkeln der Schmiede trat. Der war kaum mittelgroß. Unter seiner Lederschürze wölbte sich ein dicker Wanst. Seine Füße steckten in groben Holzschuhen. Seine nackten Arme waren muskulös und von dunklem Haar bedeckt, sein Gesicht glänzte schweißig und war stark gerötet.

Sara trat dicht zu Jos heran. »Er ist ein Hufschmied«, sagte sie leise, obwohl das jeder auf den ersten Blick sehen konnte. Sie schauderte leicht. »Was nun?«, flüsterte sie und sah fragend zu Jos hoch. Der schlaksige Siedersknecht aus der freien Reichsstadt Hall war gut einen Kopf größer als seine Begleiterin. Er war schmal und sehnig, hatte ein waches Gesicht, braunes Haar, das stets widerspenstig nach allen Seiten stand, und erste zögerliche Bartstoppeln an seinem Kinn.

»Tu was!«, drängte Sara. »Jetzt! Du hast gesagt, du willst bei einem Hufschmied in die Lehre gehen. Sind wir nicht deshalb nach Würzburg gekommen?«

Jos antwortete der hübschen blonden Magd an seiner Seite nicht, sondern hielt seinen Blick auf die beiden Männer und die Stute gerichtet. Dennoch konnte er es nicht verhindern, dass seine Gedanken kurz zu der aufregenden Zeit zurücksprangen, die hinter ihnen lag. Sie hatten ihre Heimatstadt Hall verlassen, ihre Familien und Freunde, um sich in Würzburg ein neues, ein besseres Leben zu schaffen. Die Zukunft war ungewiss – trugen sie doch nichts bei sich als ein wenig Geld und ein Empfehlungsschreiben an einen Meister, bei dem Jos lernen könnte. Aber Sara war freiwillig mit ihm in die Fremde gegangen, weil sie ihn liebte, daran zweifelte Jos nicht. Ihr war es gleich, ob sie in Hall oder hier in Würzburg als Magd arbeitete. Hauptsache, sie konnte in Jos’ Nähe bleiben.

Jetzt fuhr sich der Schmied mit der Hand durch das zipfelige Haar und den schon leicht ergrauten Bart und ließ einen Schmutzstriemen auf seiner Wange zurück. »Was kann ich für Euch tun, Herr?«, fragte er und beugte das Haupt. »Neue Eisen?«

Der Vornehme schüttelte den Kopf. »Sie wurde erst vor einer Woche beschlagen, aber jetzt lahmt sie.«

»Hm.« Der Schmied nahm ihm die Zügel aus der Hand, zog das Pferd auf die Gasse hinaus, ließ es ein paar Schritte gehen und führte es dann wieder auf den schmalen, gepflasterten Hof vor der Schmiede zurück. Jos und Sara sahen, dass die Stute sich scheute, den rechten Hinterhuf aufzusetzen.

Der Schmied zog das Halfter durch einen Eisenring und verknotete es. Er spuckte den Strohhalm aus, auf dem er bis dahin gekaut hatte. »Ja, da stimmt was nicht«, pflichtete er dem Edlen bei. »Das Eisen muss runter und dann mal sehen. Könnt Ihr mir aufhalten?«

Der Reiter wich zurück. »Ich? Habt Ihr denn keinen Gesellen oder Lehrling, der Euch hilft, Meister …?«

»Eßwurm, Cuntz Eßwurm, Herr«, stellte sich der Schmied vor und verbeugte sich noch einmal knapp. »Nun ja, für gewöhnlich schon, aber meinen Gesellen habe ich zu Besorgungen geschickt, und der Lehrjunge hat gestern von einem verrückten Gaul einen Tritt in die Rippen bekommen, dass er sich nicht mehr rühren kann. Heute Morgen ist er nicht von seinem Strohsack runtergekommen und hat gar verlangt, ihm einen Bader zu holen! Ich habe ihm zwar angedroht, ihn die Treppe runterzuprügeln, wenn er weiterhin so faul tut, doch nicht mal das hat ihn auf die Beine gebracht.« Der Schmied lachte und ließ eine Reihe fauliger Zähne sehen.

Sara knuffte Jos in die Seite. »Los, sag was! Das ist die Gelegenheit.«

Jos wusste, dass seine Begleiterin recht hatte, dennoch zögerte er, bis Sara ihn zum zweiten Mal in die Seite stieß.

»Worauf wartest du?«

Endlich trat Jos vor, räusperte sich und verbeugte sich vor den beiden Männern. »Ich kann den Huf halten, wenn Ihr es wünscht, Meister Eßwurm.« Er klang zuversichtlicher, als er sich fühlte. Jos hatte zwar schon fast sein sechzehntes Lebensjahr vollendet, und er war seit Jahren daran gewöhnt, hart zuzupacken, um Geld für die Mutter und die jüngeren Geschwister zu verdienen, bisher jedoch war seine Arbeit die eines Haalknechts gewesen. Er hatte das Feuer schüren, Holz hacken und die eisernen Sudpfannen auswaschen müssen, in denen das Salzwasser eingedampft und das Salz gewonnen wurde. Beim Beschlagen eines Pferdes hatte er noch nie geholfen.

Der Schmied betrachtete ihn mit zusammengeschobenen Augenbrauen. »Hast du so was schon mal gemacht?«

Jos schüttelte den Kopf und senkte betreten den Blick.

»Und wie kommst du dann auf den Gedanken, der Herr würde dich Hand an sein edles Ross legen lassen?«

»Ich möchte gerne Hufschmied werden«, sagte Jos und spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. »Es ist mein größter Wunsch! Ich will ordentlich für Euch arbeiten und bitte Euch, mich als Euren Lehrjungen anzunehmen. Ich habe auch ein Empfehlungsschreiben vom Rat der freien Reichsstadt Hall!«, fügte er hastig hinzu und begann, in seinem Bündel zu kramen.

Der Schmied winkte jedoch ab. »Ich habe einen Gesellen und einen Lehrbub, der hoffentlich bald wieder auf den Beinen ist, und was ein fremder Rat sagt, kümmert mich nicht. Was nützt mir ein Schreiben? Batzen will ich sehen, wenn ich mir die Mühe mache, einen solchen Burschen wie dich auszubilden. Außerdem scheinst du mir für einen Lehrjungen schon zu alt.« Wieder sah er ihn aus den wässrigen Augen an, die fast in dem speckigen Gesicht zu versinken schienen. »Aber gut, wenn du mir ein paar Tage zur Hand gehen willst, dann fang gleich an, dich nützlich zu machen, und halte den Huf hoch, damit ich sehen kann, woran das Ross krankt.«

Jos trat zaghaft hinter die Stute, beugte sich herab, umschloss die weiße Fessel mit beiden Händen und hob den Huf vom Boden. Einen Augenblick lang passierte nichts. Vielleicht war die Stute zu überrascht von dem dreisten Zugriff des Fremden. Dann aber riss sie ihr Bein mit einem Ruck los und trat Jos so hart gegen den Oberschenkel, dass er zwei Schritte nach hinten flog, mit dem Rücken gegen einen Stützbalken schlug und mit einem Schmerzensschrei zu Boden fiel. Die Stute schnaubte empört und warf den Kopf hin und her – soweit es der Riemen zuließ. Ihr Besitzer ließ die Gerte ein paarmal auf ihre Seite klatschen und fluchte unfein. Das Pferd schlug noch einmal aus, ehe es sich schnaubend gegen die Wand drückte.

»Tölpel!«, schimpfte der Schmied und zerrte Jos unsanft auf die Füße. »Wie kann man sich nur so dumm anstellen?«

Meister Eßwurm trat neben die Stute, sorgsam darauf bedacht, dass sie nicht nach ihm ausschlagen konnte. Er strich an der Flanke entlang, griff mit der einen Hand nach der Fessel und drückte mit der anderen gegen das Kniegelenk. Wieder wehrte sich das Tier und versuchte aufzusteigen, wurde aber von dem kurzen Zügel daran gehindert. Der Schmied ließ den Fuß los und trat rasch zwei Schritte zur Seite.

»Das Tier hat wirklich einen Dämon im Leib«, brummte er und spuckte aus. »Mal sehen, ob wir es mit der Bremse zähmen können!«

Er verschwand im Halbdunkel der Schmiedewerkstatt, die nur von der roten Glut in der Esse ein wenig erhellt wurde, und kam mit einem Gerät zurück, das aus zwei eisernen Stangen bestand, die man mit einem Seil und einer Querverbindung zusammendrehen konnte. Der Schmied schlang die Zügel noch kürzer um den Ring, sodass die Stute den Kopf kaum mehr bewegen konnte, dann stieß er die beiden Metallenden in ihre Nüstern und zog das Seil so fest, dass Oberlippe und Nase seltsam zusammengequetscht wurden. Die Stute schnaubte leise und verdrehte die Augen, blieb aber ruhig stehen. Die Ohren sanken herab. Ihr Kampfgeist schien erloschen.

»So, jetzt komm her!«, befahl der Schmied und hob den Huf auf.

Jos humpelte heran. Es musste ein Stöhnen unterdrücken, als das Pferdebein gegen seinen schmerzenden Oberschenkel drückte. Mit beiden Händen umklammerte er die Fessel, während Meister Eßwurm mit einer Zange die vernieteten Nagelspitzen abzwickte und das Eisen ein Stück vom Huf hebelte. Mit einem kräftigen Ruck zog er es vollends herunter. Er säuberte den Huf und feilte den seitlich ausgefransten Rand glatt. Jos gelang es kaum, das Bein zu halten, das schwer an seinen Armen hing. Auf den schmerzenden Schenkel wollte er es nicht ablegen.

Ein junger Bursche, kaum zwei Jahre älter als Jos, bog von der Hörrleingasse in den Hof der Schmiede ein. Er war schwer beladen, schleppte einen prall gefüllten Rucksack und trug ein kleines Fässchen in den Armen. Auf seiner Stirn glänzte der Schweiß. Mit einem Stöhnen ließ er das Fass zu Boden sinken.

Der Schmied trat zu ihm. »Hast du alles bekommen, Jacob?«

Der junge Mann nickte.

Meister Eßwurm hob seine fleischige rote Hand und schlug dem Gesellen ins Gesicht. »Und warum hat das so lang gedauert?«

Jacobs Wange glühte, seine Kiefermuskeln zuckten, aber er antwortete mit gesenktem Blick. »Der Kohlenhändler war nicht an seinem Stand, und dann musste ich noch warten, bis der Altreuß Eure Stiefel fertig hatte.«

»Und dann hast du dir noch den einen oder anderen Becher Wein gegönnt?«, fragte sein Meister.

Der Geselle verneinte, doch Jos sah, wie sich nun auch die andere Wange verräterisch rötete.

»Nun, wenigstens hast du den Wein bekommen.« Der Schmied leckte sich über die Lippen. »Ein vorzüglicher Tropfen von den besten Südhängen über Würzburg. Wollt Ihr ihn versuchen, Herr?«, fragte er den Edlen.

Der nickte und trat an den einfachen Holztisch auf der anderen Seite des Hofes, zu dem der Geselle das Fässchen jetzt trug. Jacob lief, zwei Becher zu holen, während der Meister sich daran machte, das Fass zu öffnen.

Jos stand noch immer mit dem Huf in den Händen da. Seine Arme schmerzten und brannten. Er sah Hilfe suchend zu Sara hinüber, die nach wie vor mit ihrem Bündel auf der Gasse stand, aber die zuckte mit den Schultern. Jos ließ den Pferdehuf langsam nach unten sinken.

»Das würde ich nicht machen, wenn ich du wäre«, sagte der Geselle und grinste ihn an.

»Aber warum denn nicht? Der Meister arbeitet doch gerade gar nicht am Eisen. Er trinkt bereits den zweiten Becher Wein!«

Der Geselle nickte. »Ja, das kann dauern.«

»Also dann«, sagte Jos und stellte den Huf auf dem Hofpflaster ab. »Warum sollte ich die ganze Zeit aufhalten, bis mir die Arme am Boden hängen?«

Der Bursche grinste nur noch breiter. »Es ist deine Haut.«

Jacob hatte den Mund noch nicht geschlossen, da stand Meister Eßwurm schon neben Jos. Seine Wangen glühten noch mehr als zuvor und seine Augen waren gerötet. Er hob die Pranke und schlug Jos so hart ins Gesicht, dass er noch einmal nach hinten fiel und mit dem Hinterkopf an die Wand stieß.

»Ich habe dich gewarnt.« Jos hörte die Stimme des Gesellen durch das Rauschen in seinen Ohren.

»Was fällt dir ein?«, brüllte der Meister. »Bursche! Habe ich ›ablassen‹ gesagt? Hä? Hast du auch nur ein Wort aus meinem Mund vernommen, das dir erlaubt hätte, den Huf abzustellen?«

»Nein«, antwortete Jos kleinlaut. Er rappelte sich auf, klopfte sich den Staub vom Kittel und wischte sich das Blut ab, das aus seiner Nase rann. »Ich dachte nur, wenn Ihr mit dem edlen Herrn Wein trinkt, dann kann ich solange …«

»Du sollst nicht denken! Du sollst tun, was der Meister befiehlt. Wenn du jetzt schon aufbegehrst, dann kann ich dich nicht gebrauchen. Scher dich davon!«

»O bitte, nein«, rief Jos aus. »Ich möchte so gern die Arbeit des Hufschmieds erlernen. Ich werde mich anstrengen und gehorchen, ich schwöre es!«

Ein Kichern von der Gasse her ließ ihn den Kopf wenden. Nun stand ein alter Mann an Saras Seite, der die Szene anscheinend beobachtet hatte, schwer auf zwei Krücken gestützt.

»Die Arbeit des Hufschmieds erlernen?«, wiederholte er mit krächzender Stimme. »Bei dem dort?« Er lachte verächtlich und ließ seine wenigen Zahnstumpen sehen. »Der Pferdeschinder kann dir höchstens beibringen, wie man einen Gaul schnellstmöglich zugrunde richtet!«

Meister Eßwurm stürmte auf den Alten zu und packte ihn am Ärmel. »Mach dein Schandmaul zu und verschone uns mit deinem stinkenden Atem«, schimpfte er. »Geh zu deiner Sippe, wo du hingehörst!« Er stieß den alten Mann von sich, sodass der gestürzt wäre, hätte Sara ihn nicht rechtzeitig am Ellenbogen gepackt.

Der alte Mann nickte ihr zu. »Ich danke dir, schönes Kind.« Er ließ seinen Blick ungeniert an der jungen Magd herabwandern, und offensichtlich gefiel ihm, was er sah: Sara war für ein Mädchen groß gewachsen, hatte eine mit Sommersprossen besprenkelte Nase, weizenblonde Zöpfe und eine schlanke Taille.

»Meister Ruprecht Buchner«, stellte er sich vor, ehe er sich wieder an den Schmied wandte. Mit unsicheren Schritten tastete er sich auf den Hof vor und hob das abgezogene Hufeisen auf, das vom Schemel gefallen war, als der Schmied Jos geohrfeigt hatte. Der Alte wog das Eisen in der Hand und betrachtete es aufmerksam.

»Und, weißt du schon, warum die Stute lahmt?«

Meister Eßwurm zuckte mit den Schultern. »Vernagelt scheint sie nicht, was ich so gesehen habe. Muss was mit ihren Beinen sein. Vielleicht hat sie sich gezerrt.«

»Es ist der Huf!«, sagte der Alte bestimmt. »Das sieht man, wenn sie auch nur einen Schritt tut – ich meine natürlich, wenn man etwas von Pferden versteht!«

»Mach dich nicht so wichtig«, fuhr ihn Meister Eßwurm an. »Gar nichts siehst du. Der Huf ist völlig in Ordnung.«

»Ach, und nun nagelst du ihr das Eisen wieder drauf und wunderst dich, wenn sie in einem halben Jahr nur noch für den Schlachter taugt?«

»Was soll mit dem Eisen sein? Abgelaufen ist es noch nicht und der Stollen ist wie neu.«

»Ist es eines von deinen?«, höhnte der Alte und hob das Eisen hoch. »Dann muss man sich nicht wundern! Du bist nicht nur ein Pferdeschinder, sondern auch noch ein blinder Pfuscher!«

Meister Eßwurm riss ihm das Hufeisen aus der Hand. »Es ist nicht meins. Was soll denn damit sein?«, wiederholte er.

Anklagend zeigte der Alte auf das Eisen. »Es ist so hohl geschmiedet, dass es ins Feuer gehört und nicht auf einen Pferdehuf! Kein Wunder leidet das Tier Schmerzen und scheut sich, hart aufzutreten.« Er packte seine beiden Stöcke und humpelte auf die Gasse zurück.

Jos eilte an seine Seite. »Meister, Ihr scheint viel von Pferden und Eisen zu verstehen. Seid Ihr auch Schmied?« Ein wenig zweifelnd betrachtete er die magere Gestalt des Alten, der sich nur mühsam auf den Beinen halten konnte.

Meister Ruprecht verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Musst mich nicht so ansehen, Bursche. Ich weiß auch, dass es mit meinem Körper nicht mehr zum Besten steht, aber vom Schmieden verstehe ich noch allerlei, das kann ich dir versichern, auch wenn ich den Hammer nicht mehr selbst schwinge.«

»Betreibt Ihr trotzdem noch eine Schmiede?«, wagte Sara sich einzumischen, die sich an Jos’ Seite drängte.

Für einen Moment richtete sich der Alte auf und straffte stolz die Schultern. »Eine? Meine Familie betreibt drei Schmieden hier in der Gasse! Mein Ältester, Hermann, hat die Hufschmiede übernommen, Hannes, mein Zweiter, ist der Messerbuchner und meinen Jüngsten, Georg, nennen sie den Nagelbuchner.«

»Und braucht Ihr einen Lehrjungen?«, drängte Sara weiter. »Jos ist tüchtig und weiß zuzupacken, auch wenn man das bei seinen dünnen Armen nicht vermuten würde. Ich weiß es! Er hat in Hall auf dem Haal gearbeitet und im Frühling den Flößern beim Ausziehen der Stämme und beim Holzmachen geholfen. Keine leichte Arbeit, sage ich Euch! Aber Jos hat immer zugepackt, wo ein Mann gebraucht wurde, und von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unermüdlich Hand angelegt. Schließlich musste er für seine Mutter und die Geschwister sorgen, wo doch der Vater so früh starb.«

Jos stieg bei diesem Geplapper die Schamesröte ins Gesicht. Der Alte aber lachte vergnügt.

»Ah, ich sehe, du reist statt mit Empfehlungsschreiben mit einem Herold – und noch dazu mit einem recht hübschen.« Er zwinkerte Sara zu, wandte sich dann aber wieder ernst an Jos. »Du bist also der Siedersknecht Jos aus Hall?«

»Jodokus Andreas Zeuner«, vervollständigte Jos und verbeugte sich höflich. »Und das ist Sara Stricker, zuletzt Magd bei den Nonnen im Kloster Gnadental und zuvor auf der Limpurg bei Schenk Friedrich und seiner Frau Gräfin Susanna von Tierstein.«

»Aha, du warst bei der holden Verwandtschaft unseres fürstlichen Bischofs in Dienst«, stellte der Alte fest, wirkte aber unbeeindruckt. Eher schien er sogar ein wenig verärgert zu sein. Als er sich wieder an Jos wandte, lächelte er allerdings. »Nun gut, dann kommt mit mir. Ich denke, Hermann kann sich deiner annehmen und prüfen, ob du so tüchtig bist, wie die kleine Magd verspricht.«

Jos und Sara folgten dem alten Schmied, der mit kleinen Schritten vor ihnen herhinkte, die Gasse entlang. Jos mit verlegener Miene, Sara voll zuversichtlichem Stolz. Hinter ihnen begann es, vom Turm des Klosters St. Stephan zu läuten. Die Vorstadtkirche St. Peter fiel mit ihren Glocken ein, um zur Abendmesse zu rufen. Den Alten schien das nicht zu kümmern. Er strebte auf eines der Häuser zu, durch deren weite Toreinfahrt Jos ein Schmiedefeuer in der Esse glühen sehen konnte.

»Vater, was bringst du uns mit?«, fragte die Frau unwirsch, die am Herd gestanden hatte und sich nun zu den Neuankömmlingen umdrehte.

Der Alte, dem die steilen Treppen sichtlich die letzten Kräfte geraubt hatten, ließ sich auf einen Hocker sinken. Die Krücken fielen polternd zu Boden.

»Einen Lehrling aus Hall«, erklärte er. »Das ist die Meisterin Margret Buchner, Jos.«

Einige Augenblicke musterten sie sich schweigend. Die Schwiegertochter des Alten musste um die vierzig sein. Ihr Gesicht wirkte müde, die Strähnen, die unter der Haube hervorquollen, waren mehr grau als blond. Sie war von vierschrötiger Gestalt, und beinahe war es nur der schlaffe Busen – kaum sichtbar unter dem Hemd –, der ihren Körper als den eines Weibes auswies. Der harte Zug um ihren Mund verriet, dass man sich besser davor hütete, sie zu verärgern. Selbst Sara sagte kein Wort und zog unter ihrem Blick ein wenig den Kopf ein.

»So, ein neuer Lehrling. Und seit wann ist das deine Sache, uns einen zu suchen, Vater?«

Der Alte ließ sich von ihrem Tonfall nicht einschüchtern. »Ach, er fiel mir sozusagen in den Schoß. Ich habe mich meiner christlichen Nächstenliebe entsonnen und ihn vor dem alten Eßwurm gerettet. Es wäre eine Schande gewesen!«

»Du sprichst in Rätseln, Vater.« Eine Stimme ertönte vom Treppenabsatz her.

Jos und Sara erschraken so, dass sie ein Stück zur Seite sprangen. Rasch gaben sie die Türöffnung frei, um den Sprecher in die Küche treten zu lassen. Das war also der Schmied Hermann Buchner: Er war groß und kräftig, mit sehr kurzem braunem Haar und ebensolchen Bartstoppeln. Seine leuchtend blauen Augen musterten Jos aufmerksam. Die Miene war ernst. Sicher lachte er nicht häufig und war ein gestrenger Meister, doch Jos mochte ihn auf den ersten Blick. Der Alte erzählte die Geschichte von dem anderen Schmied und der lahmenden Fuchsstute und kicherte vergnügt.

»Hast du ein Empfehlungsschreiben?«, fragte Hermann Buchner, als sein Vater geendet hatte.

Jos beeilte sich, es ihm zu reichen.

Der Schmied las es mit gerunzelter Stirn. »Ungewöhnlich, aber ich denke, es ist in Ordnung.«

»Was nützt mir ein Wisch Papier?«, rief da die Meisterin. »Frag ihn lieber, ob er sein Lehrgeld bezahlen kann!«

Mit fahrigen Bewegungen schnürte Jos den Geldbeutel auf und ließ die üblichen Batzenstücke für das erste Jahr in seine Handfläche fallen. Er zögerte kurz, dann streckte er die Münzen dem Meister entgegen.

»Ist er ehelich geboren? Kann er das beweisen?«, mischte sich die Buchnerin wieder ein. »Die Bruderschaft wird ihn nicht annehmen, wenn er nicht aus ordentlichen Verhältnissen stammt.«

»Ich versichere Euch, meine Eltern waren verheiratet und mein Vater ein ehrlicher Haalknecht«, rief Jos ein wenig gekränkt.

»Steht auch in dem Schreiben, Margret«, bestätigte der Schmied. »Du kannst dich also wieder mit deinem Mus beschäftigen und den Jungen mir überlassen.«

Sie maßen sich mit Blicken, und Jos schien es so, als habe der Schmied in seinem Weib einen ebenbürtigen Gegner gefunden, der sich nicht so leicht niederringen ließ.

»Und was ist mit der dort?« Die Meisterin lenkte die Aufmerksamkeit auf Sara.

»Sara Stricker«, stellte Jos sie vor und verstummte dann.

»Ja und?«

Er sah in Saras Blick, dass sie mehr von ihm erwartete. Hatte sie ihm nicht schon in Hall stets zur Seite gestanden, auch in schwierigen Tagen? War sie ihm nicht freiwillig in die neue Stadt gefolgt? Hatte er ihr nicht versprochen, von nun an sein Leben mit ihr zu teilen? Er war Sara voll und ganz zugetan. Aber dennoch wollte das Wort »Braut« nicht über seine Lippen kommen.

»Meine – meine Reisegefährtin«, sagte er lahm und schlug die Lider nieder, um die Tränen der Enttäuschung in ihren Augen nicht zu sehen.

Es wäre ungeschickt, sie als Braut vorzustellen, redete er sich ein. Was sollten der Meister und sein Weib denken? Ein Lehrjunge mit einem dünnen Beutel, der die nächsten Jahre kein Geld verdienen würde und dennoch mit einer Braut daherkäme, die er nicht ernähren konnte? Das war nicht möglich. Es gelang ihm fast, sich selbst davon zu überzeugen, dass es kluge Vorsicht war, die ihn zurückhielt, das schwerwiegende Wort auszusprechen. Jos würde die nächsten Jahre in fremden Häusern leben und mit anderen Männern eine Kammer teilen. Er würde unter der Gewalt eines Meisters stehen, der frei über ihn verfügen konnte. Das war sein Recht. Für eine Braut gab es in diesem Leben noch keinen Platz.

Aber was sollte dann aus Sara werden? Vertrauensvoll war sie ihm gefolgt. War fünf Tage lang mit ihm über die Landstraße gewandert, bis sie die bischöfliche Stadt Würzburg endlich erreicht hatten. Er war für sie verantwortlich.

»Kann sie nicht auch bei Euch bleiben?«, fügte er schnell hinzu und sah abwechselnd den Meister und sein Weib bittend an. »Sie ist eine tüchtige Magd, die Euch willig zur Hand gehen wird.«

Der Schmied wiegte den Kopf hin und her, aber die Meisterin schüttelte den ihren mit Nachdruck. »Wir haben eine Magd. Noch mehr Mäuler müssen wir hier wirklich nicht um den Tisch haben. Sie kann nicht bleiben!«

Sara sah Jos vorwurfsvoll an.

»Wisst Ihr nicht jemanden in Würzburg, bei dem sie Arbeit finden kann?«

»Ohne Empfehlungsschreiben?«, fragte die Meisterin. »Nein, ganz bestimmt nicht!«

Nun blickten beide erschrocken drein. Daran hatten sie gar nicht gedacht, als sie sich zusammen aus Hall aufgemacht hatten. Der Rat von Hall wusste sich Jos verpflichtet und daher hatte der ehemalige Siedersknecht Geld und ein Empfehlungsschreiben erhalten. Doch Sara konnte solche Verbindungen nicht einbringen – sie hatte nichts zur Unterstützung, sollte sie von Jos getrennt werden.

»Aber was sollen wir denn nun machen?«, stieß Jos entsetzt aus.

»Zuallererst wird zu Abend gegessen«, sagte der Alte und rückte seinen Hocker näher an den Tisch. Er nestelte sich sein Messer vom Gürtel und sah erwartungsvoll zu der Meisterin hinüber. »Was gibt es heute? Hört, die Messe ist zu Ende. Die anderen müssten gleich zurück sein. Los, setzt euch«, forderte er Sara und Jos auf und deutete einladend auf die Eckbank, die sich von der Tür bis an die Wand und dann unter dem Fenster entlangzog.

Die Meisterin verzog ablehnend das Gesicht und öffnete den Mund, um zu protestieren, aber der Schmied fiel ihr ins Wort. »Das ist eine gute Idee. Ich denke, ein paar Nächte könnte sie bei den Beginen drüben unterkommen. Mein Sohn Niclas kann euch nachher hinüberbegleiten. Aber zuerst lasst uns essen.«

Damit war das Thema erledigt. Die Meisterin fügte sich, auch wenn sie die Lippen ärgerlich aufeinanderpresste. Sara knickste höflich und fragte, ob sie ihr zur Hand gehen könne. Margret Buchner nickte knapp und zeigte ihr das Bord mit den Tellern und Bechern.

Kurz darauf stürmten die Kinder des Schmieds in die Küche, gefolgt vom Gesellen und der Magd. Alle setzten sich zu Tisch, sprachen das Gebet und langten dann reichlich bei frischem Brot, Käse und Würsten und einem Mus aus Zwiebeln, Lauch und Kohl zu. Unauffällig drückte Jos unter dem Tisch Saras Hand.

»Alles wird gut, ich verspreche es dir«, flüsterte er ihr zu.

»Ich hoffe, du hast recht«, sagte sie seufzend und nahm sich noch ein Stück Brot. »Ich frage mich nur, ob wir das Gleiche darunter verstehen.«

Jos tat so, als habe er den letzten Satz nicht gehört. Er wusste genau, was sie damit meinte, doch ihm fiel nichts ein, was er darauf erwidern könnte, ohne Sara zu kränken. Schweigend schob er sich einen Löffel Mus nach dem anderen in den Mund und starrte beschämt in seine Schale hinab.

Die Maske der Verräter

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