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Kapitel 2 Der Fremde mit der Maske

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Außer dem alten Meister Ruprecht Buchner, seinem Sohn, dem Schmied Hermann, und dessen Weib Margret lebten noch vier weitere Personen im Haushalt Buchner: Der jüngere Sohn des Hauses, Niclas, war zehn Jahre alt, seine Schwester Antonia acht. Zwei ältere Töchter hatten das Elternhaus bereits verlassen und arbeiteten in anderen Handwerkerhaushalten in Würzburg, der älteste Sohn war als Geselle auf Wanderschaft. Dann gab es noch den Schmiedegesellen Claus Dürbach und die Magd Emma Zinck.

Jos wiederholte in Gedanken die Namen, während Niclas ihnen voran auf ein Haus zustrebte, das kaum ein paar Schritte entfernt auf der anderen Straßenseite lag. Er klopfte energisch. Kurz darauf öffnete sich die Tür und eine Frau in einem unscheinbaren Gewand fragte nach ihren Wünschen. Niclas stieß einen Schwall von Sätzen hervor, aus dem die Frau offensichtlich nicht schlau wurde. Fragend sah sie Jos an, der die Gelegenheit zu weiteren Erklärungen ergriff, sobald der Junge Luft holen musste.

»Daher bitten wir Euch, Sara wenigstens für ein paar Nächte ein Lager zu geben«, schloss er und sah die Frau flehend an. Sie war sicher noch nicht alt, wirkte aber erschöpft und bereits verblüht. Aber vielleicht lag das ja nur an dem unförmigen Gewand aus verwaschenem Stoff und dem eng anliegenden Schleiertuch.

Sie zögerte einige Augenblicke, dann lächelte sie Sara an. »Ja, ich denke, das wird gehen. Die Schwestern werden nichts dagegen einzuwenden haben. Platz gibt es genug, seit wir immer weniger werden. Wir sind eine sterbende Gemeinschaft.« Sie seufzte. »Allen Beginenhäusern geht es so, sagt unsere Mutter.«

»Ich will aber keine von ihnen werden!«, stieß Sara hervor.

Die Beginen waren zwar keine Nonnen, die sich hinter Klostermauern vor der Welt verschlossen, aber auch sie versprachen, keusch in Ehelosigkeit nur unter Frauen zu leben. Sie sahen ihre Aufgabe in der tätigen christlichen Nächstenliebe, betreuten Kranke, pflegten Alte und erarbeiteten sich ihren kargen Lebensunterhalt mit Handarbeiten. Das war es ganz bestimmt nicht, was Sara wollte.

Die Begine lächelte. »Aber nein, das musst du ja auch nicht. Wir freuen uns, wenn du uns hilfst, solange du bei uns bist. Und es ist dir freigestellt, unser Haus jederzeit wieder zu verlassen. Allerdings können wir nicht dulden, dass dich dein Begleiter hier in deiner Kammer besucht. Das wirst du sicher verstehen.« Sie warf Jos einen entschuldigenden Blick zu, und plötzlich fand er sie gar nicht mehr so farblos, wie er es zunächst geglaubt hatte.

Jos und Sara nahmen für diese Nacht voneinander Abschied. Jos wartete noch, bis die Tür sich hinter den Frauen geschlossen hatte, dann trat er mit Niclas auf die Gasse zurück.

Sara folgte der Begine ins Haus und sah sich neugierig um. Das Haus war so schmal, dass es in jedem Stockwerk nur zwei Räume gab. Hinter der Haustür erstreckte sich eine kleine Halle, in der Kisten und Säcke lagerten. Dahinter öffnete sich ein Durchgang zu einer Küche. Über eine steile Treppe stiegen sie nach oben. Hier befanden sich die Stube, die im Winter von einem Ofen gewärmt werden konnte, und eine Schlafkammer mit vier Strohmatratzen. Unter dem Dach lagen noch sechs weitere Schlafstätten, doch es lebten nur noch fünf Frauen in der Gemeinschaft des Beginenhauses.

Benigna hieß die Frau, die ihr geöffnet hatte. Sie war erst zwanzig Jahre alt, wirkte aber, als habe sie schon ein Dutzend Jahre mehr erlebt. Sie führte Sara die Stiege hinauf, reichte ihr eine dünne Wolldecke und deutete auf eine der Matratzen, die ihr als Lager dienen sollte. Sara legte Decke und Bündel auf das zerschlissene Leinentuch. Ein modriger Geruch stieg ihr in die Nase. Die Matratzen waren sicher schon lange nicht mehr mit frischem Stroh gefüllt worden. Da hatte es Jos im Haus des Hufschmiedes sicher besser. Sara unterdrückte einen Seufzer und folgte Benigna nach unten in die Stube.

Die anderen Beginen saßen um den schlichten Tisch herum und beteten gemeinsam einen Rosenkranz. Ein kleines Binsenlicht brannte auf dem Tisch und erhellte die Stube nur schwach.

Als Sara eintrat, erhob sich die älteste der Frauen. Benigna trat zu ihr und flüsterte ihr rasch etwas zu, dann trat sie in die Schatten zurück.

»Willkommen in unserem Haus, Sara. Möge Gott der Herr deine Wege behüten. Ich bin Ludmilla, von den Schwestern hier bestimmt, für sie zu sprechen. Ansonsten sind wir untereinander gleich, leben und beten zusammen und widmen unsere Kräfte den Armen und Kranken. Wie ich höre, bist du neu in der Stadt und hast kein Dach über dem Kopf? Ich sehe es in deinen Augen, dass du ein gottesfürchtiges Mädchen bist, daher bleibe bei uns, solange du möchtest.«

Sara knickste und nickte den anderen Beginen zu, die sie neugierig musterten.

»Vielen Dank für eure Güte. Ich werde versuchen, so schnell wie möglich Arbeit zu finden und euch nicht lange zur Last zu fallen.«

»Du fällst uns nicht zur Last«, sagte Ludmilla. »Du wirst mit uns beten und mit uns die Bedürftigen besuchen. Am Abend spinnen, nähen und sticken wir zusammen. Du gehörst zu uns, bis du beschließt, dich an einem anderen Ort niederzulassen. Und wenn du für immer bleibst, dann soll uns das eine Freude sein.«

Die Dankesworte blieben Sara im Hals stecken. Nur das nicht! Sie wollte nicht mit diesen dürren, farblosen Frauen ihr Dasein fristen, bis Gott beschloss, sie abzurufen. Sicher gefiel ihm so ein Leben, aber diese Aussichten konnten Sara nur einen eisigen Schauder über den Rücken jagen. Sie wollte lachen und tanzen, fröhlich plaudern und lieben. Und sie wollte heiraten und Kinder bekommen, mit einem Mann, der sie liebte und versorgte. Sie wollte mit Jos ihr Leben verbringen, nicht mit ein paar Beginen, die das Leben vergessen hatte!

Aus Furcht, sie könnten in ihren Gedanken lesen, ließ Sara den Blick zu Boden sinken. Sie nahm die Einladung zum Essen an, obwohl sie drüben im Haus des Schmieds üppig gegessen hatte und keinen Hunger verspürte. Vielleicht hätten die Beginen es unhöflich gefunden, wenn sie ihre Gabe ablehnte. Also nahm sich Sara ein klein wenig von dem geschmacklosen Mus.

Während des Essens schwiegen die Frauen und sahen nur auf die Schalen vor sich herab. Sara fiel es schwer, diese Stille zu ertragen. Sie hätte die Frauen gern nach ihrem Leben gefragt oder ein paar heitere Geschichten aus Hall erzählt. Von den dunklen Tagen dort hätte sie natürlich nicht berichtet. Und am wenigsten von Rebecca, der Tochter des Haller Henkers! An sie wollte Sara am liebsten nie mehr denken – zu tief fühlte sie den Stich der Eifersucht auf das hübsche, unantastbare Mädchen, das – wie sie wohl wusste – Jos nicht gleichgültig war. Zum Glück hatten ihre Pfade sich nun getrennt! Jos würde ihr nicht mehr begegnen und ihr Bild würde verblassen. Während sie selbst bei ihm war, lebendig, jung und warm. Alles würde gut werden!

Als Sara später im Dunkeln unter der kratzigen Decke lag, umhüllt vom Geruch des alten Strohs, träumte sie von Jos, wie er sie früher in Hall geküsst hatte, und von ihrer Reise nach Würzburg. Fünf Tage und vier Nächte hatten sie zusammen verbracht. Waren auf der Landstraße gewandert, hatten auf Bauernhöfen Milchsuppe und Brot bekommen und in Scheunen oder Ställen geschlafen. Dreimal wurden sie getrennt: Während Jos im Stall schlief, verbrachte Sara mit den Mägden des Hofes die Nacht in der Gesindekammer. Eine Nacht jedoch hatten sie gemeinsam im Heu gelegen, in einer einsamen Scheune am Wegesrand. Sara war fast ein wenig enttäuscht gewesen, dass sich Jos wie ein Edelmann benommen hatte. Er hatte ihr seinen Umhang gegeben und sie, als es kälter wurde, in seine Arme genommen, aber weiter war nichts passiert. Zumindest hätte er sie wieder küssen können, dachte sie, und die Sehnsucht schmerzte in ihrem Leib.

Sie sollte stolz auf ihn sein, dass er sie nicht in Schwierigkeiten brachte, sagte sie sich, doch die Sehnsucht blieb. Ach, wie wäre es schön, wenn sie als Magd ebenfalls bei dem Hufschmied arbeiten könnte, Jos am Tag bei der Arbeit sehen und nachts mit ihm eine Kammer teilen könnte. Sara wusste, dass das ein törichter Traum war. Dazu müsste er sie heiraten, und das war unmöglich, solange er als Lehrjunge arbeitete und kein Geld verdiente.

»Ach, Jos, ich vermisse dich«, flüsterte sie in die Dunkelheit. Dann betete sie zu Gott, der Heiligen Jungfrau und all den Heiligen, die ihr einfielen, dass alles gut werden würde, dass er sie lieben und sein Leben lang bei ihr bleiben möge.

Jos und Niclas warteten, bis sich die Tür des Beginenhauses hinter der Schwester und Sara geschlossen hatte, dann traten sie auf die Gasse zurück. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen und nur noch wenige Menschen waren in der Sandervorstadt von Würzburg unterwegs. Nur noch der Feuerschein der Essen drang aus den Werkstätten der zahlreichen Schmieden auf die Gasse hinaus und warf ein unruhiges rotes Licht auf die Häuserfronten und den Unrat am Boden. Jos und der Junge wollten gerade die Gasse überqueren, als drei Reiter in flottem Trab vom alten Graben her in die Gasse bogen. Sie trugen lange schwarze Mäntel und hatten die Kapuzen ihrer Umhänge tief in die Gesichter gezogen.

»Wir müssen anhalten«, rief der Letzte, dessen Pferd in einen ungleichmäßigen Schritt verfallen war. »Das Eisen ist weg!«

Der Mann vor ihm zügelte sein Pferd und drehte sich im Sattel um. »Was glaubt Ihr wohl, warum wir diese Gasse nehmen?«

Der erste Mann hielt nun ebenfalls an und ließ die beiden Begleiter aufschließen. »Führt keine langen Reden! Wir müssen sehen, dass wir unbemerkt aus der Stadt kommen und unseren Auftrag erledigen!«, hörte ihn Jos zischen. Er hatte Niclas am Hemd gepackt und in einen Hauseingang gezogen, um von den Männern nicht niedergeritten zu werden. Nun verbarg sie der Schatten des Tores anscheinend so gut, dass die seltsamen Reiter sie nicht bemerkten. Niclas machte Anstalten, seinen Platz zu verlassen und die Gasse zu überqueren, doch Jos hielt ihn am Arm fest und gebot ihm, still zu sein. Er spürte wieder dieses seltsame Flattern in der Magengrube, das ihn schon vor mancher Gefahr gewarnt hatte.

»Ohne Eisen kann er nicht mitkommen«, sagte der Zweite beschwichtigend. »Der Weg ist zu weit, das Tier wird lahmen. Macht Euch keine Sorgen, ich habe an alles gedacht. Wir werden keine Schwierigkeiten bekommen. Seht, dort vorn bei Meister Buchner scheint noch jemand in der Schmiede zu sein. Es wird nicht lange dauern.«

»Dann sputet euch«, brummte der erste Reiter und machte eine unwillige Kopfbewegung. Seine Kapuze rutschte ein Stück nach hinten. Statt eines Gesichts enthüllte sie jedoch etwas Schwarzes, in dem sich der ferne Feuerschein spiegelte.

Niclas sog scharf die Luft ein. »Der Leibhaftige!«, keuchte der Junge.

»Unsinn!«, wehrte Jos ab, obwohl der Mann ihm auch unheimlich vorkam. Doch würde der Teufel persönlich hier durch Würzburg reiten? Er starrte auf den Stiefel im Steigbügel. Er kam ihm wie ein gewöhnlicher menschlicher Fuß vor.

Der Mann zog die Kapuze wieder an ihren Platz und ritt in den kleinen Hof der Hufschmiede. Als alle drei abgestiegen waren und ihren Blick von der Gasse abwandten, wagten die beiden Beobachter, sich wieder zu rühren. Sie huschten auf die andere Seite und schlenderten dann in den Hof der Schmiede.

»Ich weiß nicht, ob ich ein passendes Eisen habe«, hörten sie Meister Buchner gerade sagen, als sie auf den schmalen Vorplatz traten, der das weit gespannte Tor mit der Schmiede verband.

»Wir haben es eilig«, zischte der Mann mit dem unheimlich schwarzen Gesicht, der die Burschen so erschreckt hatte.

Dem Schmied allerdings schien er keine Angst einjagen zu können. »Eilig oder nicht, wenn das Eisen nicht passt, dann kommt Ihr nicht weit, und der Gaul wird bald keinen mehr tragen.« Gemächlich trat er in die Werkstatt, drehte eine Öllampe auf und durchsuchte den Inhalt des Regals neben der Esse. Kurz darauf kam er mit zwei vorgefertigten Eisen in der Hand zurück.

Niclas sprang vor. »Soll ich dir aufhalten, Vater?«, fragte er.

Der Schmied runzelte die Stirn. Er warf einen Blick auf die drei verhüllten Besucher. »Nein«, lehnte der Vater barsch ab. »Geh in deine Kammer, sofort! Keine Widerrede.«

Niclas verzog schmollend die Lippen, folgte aber dem väterlichen Befehl.

Der Kapuzenmann, der sich sehr gerade hielt und wie ein Edelmann sprach, sah dem Knaben nach. Wieder fiel der Feuerschein auf sein Gesicht, oder besser gesagt dorthin, wo ein Gesicht hätte sein sollen. Schwarz glänzte es dort. War er ein Mohr? Wie der eine der Heiligen Könige in der biblischen Geschichte? Jos hatte noch keinen solchen Mann gesehen, aber vielleicht gab es sie in fernen Ländern tatsächlich.

»Ist das auch einer deiner Söhne, der hier mit offenem Mund dasteht und uns anstarrt?«, fragte der Mann scharf.

Nun erst entdeckte Meister Buchner den neuen Lehrjungen. »Nein, ist er nicht. Komm her, Jos, du kannst mir aufhalten.«

Der Meister hob den Huf an und legte die Fessel in Jos’ Hände. Anders als die Stute am Nachmittag blieb das Pferd ruhig stehen. Der Schmied befreite die Sohle vom Schmutz der Gasse und hielt dann die beiden Eisen nacheinander an den Huf.

»Und?«

Er schüttelte den Kopf. »Zu groß.«

»Das macht nichts. Nagle das Eisen fest, damit wir endlich weiterkommen!«

Der Schmied ließ sich nicht einschüchtern. »Einen Teufel werde ich tun! Glaubt Ihr, ich riskiere, dass die Hufwand splittert, wenn ich die Nägel zu nah am Rand eintreibe? Und selbst wenn nicht, dann würde das Pferd leicht streifen und an den überstehenden Eisenrändern hängen bleiben. Euer Begleiter wird sich bedanken, wenn er im nächsten Graben landet!«

Der Kapuzenmann murmelte etwas, und Jos kam es vor, als schere es ihn nicht, was mit dem Begleiter passiere. Murrend ergab er sich in sein Schicksal. Er trat an den Tisch heran, der neben dem Tor stand, und ließ sich auf die Bank fallen. »Dann bring mir Wein und beeile dich mit dem Eisen.«

Der Schmied gebot Jos, den Fuß abzulassen und hinaufzueilen, um sich von der Meisterin einen Krug Wein einschenken zu lassen. »Sie soll einen guten Wein nehmen, aber nicht selbst herunterkommen«, schärfte er dem Burschen ein. Jos nickte und eilte davon.

Als er mit Krug und Becher in den Händen zurückkam, hatte der Meister bereits die Glut in der Esse wieder angeheizt. Während er mit den Füßen abwechselnd die beiden Blasebälge trat, die von der Seite Luft in das Feuer bliesen, schob er mit einer Schaufel frische Holzkohle nach. In der anderen Hand hielt er mit der Zange ein bereits roh geformtes Hufeisen, das an der im Feuer liegenden Seite rot zu glühen begann.

Jos ging zu dem seltsamen Fremden an den Tisch und goss ihm Wein ein. Der nahm den Becher, ohne zu danken. Als er trank, sah Jos, dass er eine schwarze Maske trug, die sein Gesicht verbarg. Also nicht der Leibhaftige und auch kein Mann mit schwarzer Haut. Jos war erleichtert, obwohl er ihn immer noch ein wenig unheimlich fand. Als der Becher geleert war, griff der Fremde zum Krug, um sich nachzuschenken. Seine Hand steckte in einem Lederhandschuh, der auf seinem Stulpen ein Wappen trug. Was war das? Eine dunkle Gestalt durchquerte das golden schimmernde Feld, die Hand vorgestreckt. Sie trug etwas. Drei Striche kreuzten sich in der Hand, oben mit rot verdickten Enden.

Vielleicht hatte der Fremde seinen Blick gespürt. Hastig zog er die Hand in den Umhang zurück. »Was stehst du hier noch rum? Pack dich fort!«, fuhr er den Lehrjungen an.

Jos neigte kurz den Kopf und trat zu dem scheckigen Pferd zurück, das sein Eisen verloren hatte. Die Begleiter des Maskenmannes standen ein Stück abseits bei den anderen beiden Pferden. Das eine war ein etwas plumper Brauner mit einer dünnen Blesse, die sich oben nach links bog, und einem weißen Beinling am linken Vorderbein. Das andere Pferd war ein edler Rotschimmel. Hoch gebaut, mit kräftigen, wohlgeformten Beinen.

Anscheinend wurde Jos vom Pferdekörper verdeckt, sodass er nicht zu sehen war, denn die beiden Männer fuhren ungestört in ihrer Unterhaltung fort. Zwar hatten sie die Stimmen gesenkt, doch in der nächtlichen Ruhe, die über der Vorstadt lag, konnte Jos jedes Wort verstehen.

»Was willst du?«, sagte der, dessen Pferd das Eisen verloren hatte. »Du hast dich doch freiwillig gemeldet.«

»Ihr habt nur gesagt, dass Ihr einen treffsicheren Schützen sucht, nichts sonst«, erwiderte der andere. »Wie sollte ich ahnen, worum es geht?«

»Ach, und da dachtest du, du solltest für uns nur auf eine Scheibe schießen? Für so viel Geld? Das kannst du mir nicht einreden. Tu nicht dümmer, als du bist!«

»Ich kann auch mein Pferd nehmen und wieder nach Hause reiten!« Der Mann erhob seine Stimme. »Ich habe bisher ohne sein Geld gelebt, dann kann ich das auch weiterhin tun!«

»Nun reg dich nicht so auf und mäßige deinen Tonfall!«

»Ich soll mich nicht aufregen? Das ist Mord! Ganz gemeiner Mord, was er da plant«, flüsterte der andere.

»Wer sagt denn so etwas?«, versuchte sein Begleiter abzuwiegeln. »Mach dir keine Gedanken. Das geht dich nichts an.«

Statt ihn zu beschwichtigen, schienen diese Worte den Mann eher noch mehr aufzuregen. »O nein, es hat mich nicht zu kümmern, was der Bolzen meiner Armbrust trifft. Hauptsache, er findet das Ziel, das er und seine Hintermänner sich ausgedacht haben.« Er nickte in die Richtung des Maskenmanns. »Und dass ich danach als Mörder am Galgen baumeln werde, das hat mich vermutlich auch nicht zu kümmern!«

»Ach, das ist deine Sorge! Nur keine Angst. Niemand wird dich erwischen. Wenn du deinen Auftrag ausführst, dann werden die Herren dafür sorgen, dass du deine Belohnung genießen kannst!«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«

Jos stand wie erstarrt da. Er traute seinen Ohren nicht. Da wurde im Hof des Schmieds ein Mordkomplott besprochen! Was sollte er nun tun? Was konnte er tun? Er wusste ja nicht einmal, wann der Anschlag stattfinden sollte, geschweige denn, auf wen der Armbrustschütze anlegen sollte. Die Männer würden sich kaum dazu überreden lassen, ihr Geheimnis preiszugeben. Nein, eher würden sie Jos und den Meister und vielleicht seine ganze Familie ermorden, um ihr finsteres Geheimnis zu wahren.

Ging seine Vorstellungskraft mit ihm durch? Jos sah zu dem Mann mit der Maske hinüber. In diesem Moment drehte der den Kopf in seine Richtung, als habe er den Blick gespürt. Jos lief ein kalter Schauder über den Rücken. Glänzte es dort nicht rot hinter den beiden Augenschlitzen? Oder war das nur der Widerschein des Feuers in der Schmiede? Vielleicht verbarg sich doch der Satan unter Umhang und Maske. Nein, versuchte Jos sich zu beruhigen, der Satan benötigte keinen Armbrustschützen, um einen Menschen zu töten. – Wenn er doch wenigstens wüsste, wen diese Männer zu ermorden planten!

Diese Frage ließ offensichtlich auch dem Schützen keine Ruhe, denn er drängte seinen Begleiter, ihm endlich das Ziel des Geschosses zu nennen. Jos hielt die Luft an, damit ihm ja nichts entging.

»Das wirst du erfahren, wenn es Zeit ist«, sagte der Reiter des Pferdes, das sein Eisen verloren hatte. »Wenn er beschließt, dass es Zeit ist!«

In diesem Moment sprang der Fremde mit der Maske auf. »Schmied! Wie lange dauert das denn noch?«, rief er erbost.

»So lange, bis das Eisen passt«, gab der Meister ungerührt zurück. Das neue Eisen, das noch in dunklem Rot glühte, mit einer Zange gefasst, trat er in den Hof.

Jos sprang hinzu und packte die Fessel des Pferdes. Es schnaubte unwillig, ließ es aber zu, dass er den Huf anhob. Der Schmied drückte das Eisen gegen den Hufrand. Es zischte leise, weißer Dampf stieg auf, und es stank durchdringend nach verbranntem Horn.

»Passt«, stellte der Schmied zufrieden fest. Er tauchte das Eisen in einen Wassereimer, holte Hammer und Nägel und trieb dann mit geschickten Schlägen acht Nägel ein, sodass ihre Spitzen zwei Zoll tiefer aus der Hufwand traten. Jos sah aufmerksam zu, wie er die Spitzen abkniff, die Reste mit Hammer und Zange zu Nieten schlug und diese dann im Horn in einer Kuhle versenkte, die er mit einer Raspel herausgefeilt hatte. Jos sah auf das braun und weiß gemusterte Bein des gescheckten Pferdes herab. Kurz über dem Huf musste es sich vor längerer Zeit eine Verletzung zugezogen haben. Bis zum Gelenk hinauf zog sich eine helle Linie.

»Ablassen!« Jos ließ den Huf zu Boden sinken.

»Das macht fünf Pfennige, Herr!«, sagte der Meister höflich, aber ohne Unterwürfigkeit zu dem Maskenmann, der zu seinem Rotschimmel getreten war und sich bereits in den Sattel schwang.

»War es mein Gaul, der sein Eisen verloren hat?«, zischte er und ritt auf die Gasse hinaus.

Meister Buchner griff nach dem Zügel des Schecken, den er beschlagen hatte. »Fünf Pfennige«, wiederholte er.

Der Reiter des Schecken brummte unwillig, griff aber in seinen Beutel am Gürtel und ließ die geforderten Münzen in die vorgestreckte Hand des Schmieds fallen.

»Danke Euch und eine gesegnete Nacht«, rief ihm Hermann Buchner nach und schüttelte langsam den Kopf.

»Meister, was glaubt Ihr, wer diese Männer waren und was sie hier wollten?«, fragte Jos, der neben den Schmied getreten war und mit ihm den dunklen Gestalten nachsah, die von der Hörrleingasse nun auf den Platz zwischen dem Kloster und St. Peter hinausritten.

»Vergiss, dass sie hier waren, ja, dass es sie überhaupt gibt!«, sagte der Schmied scharf. Sanfter fügte er hinzu: »Oder tu zumindest so, wenn du noch ein paar Jahre in Frieden auf Gottes Erde leben möchtest. Hier geht es um Dinge, bei denen ein einfacher Mann zu leicht den Kopf verliert.«

»Wisst Ihr etwas darüber?«, drängte Jos.

»Nein, und ich will auch nichts darüber wissen. Aber uns beiden ist wohl klar, dass sie nichts Gutes im Sinn haben, oder?« Der Meister wartete die Antwort des Lehrjungen nicht ab. »Und nun marsch hinauf in dein Bett. Schlafe! Das ist alles, was nun noch für dich wichtig ist. Bei Morgengrauen will ich dich in der Werkstatt sehen – mit wachen Augen und wachem Geist! Ich kenne keine Nachsicht bei Fehlern und Schlamperei!«

Das glaubte Jos ihm aufs Wort, und so verabschiedete er sich hastig und stieg die drei Treppen bis zu der winzigen Dachkammer hinauf, die er sich mit dem Gesellen Claus Dürbach teilte. Der lag schon auf der Strohmatratze und schnarchte mit offenem Mund. Jos dagegen konnte lange keinen Schlaf finden, und das lag nicht an den Geräuschen, die sein Kammernachbar von sich gab.

Ein Mord wurde geplant. Sollte er mit dem Meister darüber sprechen? Ihm sagen, was er gehört hatte? Nur, was sollte das helfen? Er konnte ja weder den Ort benennen noch die Person, der der Anschlag galt. Vielleicht hatten sie gar jemanden im Blick, der sich außerhalb der Landesgrenzen aufhielt. Der Maskenmann hatte mit einem Akzent gesprochen, der sich von dem der Menschen hier in Würzburg deutlich unterschied. Außerdem war es die Sprache der Reichen und Vornehmen gewesen. Die anderen beiden konnten wohl von hier stammen und ihre Sprechweise unterschied sich nicht von den Handwerkern und Händlern der Stadt.

Vielleicht hatte der Meister gar – trotz der Umhänge und der Kapuzen – einen von ihnen erkannt? Jos musste ihn fragen! Aber er ahnte, dass der Schmied nicht erfreut reagieren würde. Hatte er ihm nicht sogar verboten, sich weiter mit diesen Männern zu befassen? Sollte er das Ganze nicht vergessen?

Ein schrecklicher Gedanke kam Jos in den Sinn. Vielleicht kannte der Schmied die Männer nicht nur, vielleicht wusste er sehr genau, worüber sie gesprochen hatten und was für eine Teufelei sie planten. Hatte er deshalb seinen Sohn sogleich in seine Kammer geschickt, weil er wusste, dass diese Männer gefährlich waren?

»Hier geht es um Dinge, bei denen ein einfacher Mann zu leicht den Kopf verliert.« Das waren seine Worte gewesen. Zuerst hatte Jos sie nur als Ahnung eines Mannes aufgefasst, der schon viele Jahre länger auf dieser Erde weilte und dessen Erfahrung weit größer war als die seine. Nun war sich Jos nicht mehr sicher, ob die Lösung so einfach war … Nein, er durfte den Meister nicht fragen. Hatte der nicht angedeutet, zu viel Neugier könnte Jos in Gefahr bringen? Oder war es nicht nur eine Andeutung, sondern eine ernsthafte Drohung gewesen?

Jos zog sich das Kissen über den Kopf und stöhnte leise. Er würde den Meister nicht fragen, doch er würde ihn genau beobachten, das schwor er sich.

Die Maske der Verräter

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