Читать книгу CGM- und Insulinpumpenfibel - Ulrike Thurm - Страница 11
Оглавление3.4 Therapie-Dokumentation
Die Insulinpumpenträger werden ein Protokollheft führen, das sich in einigen Punkten von dem bei einer ICT gewohnten unterscheidet. Mit diesem Heft sollen während der Insulinpumpenschulung und später im Alltag alle Einzelheiten der Therapie möglichst genau protokolliert werden. Von den Krankenkassen werden diese Hefte routinemäßig bei einer Insulinpumpenverordnung angefordert (siehe Kap. 1.9). Die Dokumentation der Pumpentherapie kann handschriftlich oder elektronisch erfolgen.
Zur gemeinsamen Analyse, Diskussion und Lösung von Therapieproblemen ist das Protokollheft ein unverzichtbares Hilfsmittel – und keineswegs ein ärztliches Kontrollinstrument. In der Einstellungsphase und in Phasen der Therapieoptimierung ist die ausführlichere handschriftliche Dokumentation vorzuziehen, da häufig Dosiskorrekturen vorgenommen werden müssen (siehe Kap. 3.4.1). In Phasen, „wenn es gut läuft“, und zur langfristigen Archivierung der Daten ist häufig eine elektronische Dokumentation ausreichend (weniger Aufwand, siehe Kap. 3.4.2). Wie die erforderliche Dokumentation durchgeführt wird, sollte von jedem Insulinpumpenträger mit seinem betreuenden Diabetesteam abgestimmt werden.
Nur anhand konkreter Anhaltspunkte ist das Diabetesteam in der Lage, sinnvolle Therapieänderungen zu empfehlen. Folgende Informationen sollten aus der täglichen Dokumentation hervorgehen (jeweils mit Datum und Uhrzeit):
Blutzuckerwerte bzw. Gewebezucker-/Sensorwerte
Bolusgaben und Art der genutzten alternativen Bolusformen
Menge aufgenommener Kohlenhydrate, eiweiß- oder fettreiche Mahlzeiten
Temporäre Veränderungen der Basalrate
Vermehrte oder verminderte körperliche Aktivität mit Angabe von Art und „Dosis“ der durchgeführten Tätigkeit
Wechsel von Insulinkatheter, Insulinampulle, Batterien
Außergewöhnliche Vorkommnisse oder sonstige Besonderheiten wie z. B. Krankheiten (fieberhafter Infekt …), verstopfter Insulinkatheter, Azetontest, Alkoholkonsum etc.
Folgende Informationen sollten separat dokumentiert werden:
Exakte Auflistung der stündlichen Basalraten und ggf. Umprogrammierungen
I.E./BE-Faktoren in Abhängigkeit von der Tageszeit
Korrekturfaktoren in Abhängigkeit von der Tageszeit
Ein Diabetestagebuch sollte permanent aktualisiert werden. Generell abzuraten ist vom „nachträglichen“ Protokollieren, z. B. vor dem Arztbesuch anhand des Speichers von Blutzuckermessgerät und Insulinpumpe, da hierbei wesentliche Informationen wie z. B. Art und Menge der Mahlzeiten und körperliche Aktivität nicht abgebildet werden. Bei dieser Gelegenheit soll nochmals eindringlich auf die absolute Notwendigkeit von mindestens vier Blutzuckerselbstmessungen vor den Mahlzeiten und am Abend (oder der Verwendung eines CGM-Systems) hingewiesen werden. Nur so ist es möglich, eine Stoffwechselentgleisung, die durch einen evtl. technischen Defekt der Insulinpumpe entstehen kann, rechtzeitig zu erkennen.
Gerade am Beispiel des Protokollheftes offenbart sich die Bedeutung eines stabilen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient. Eine Studie hat gezeigt, dass mehr als zwei Drittel der Münchner Patienten ihre Tagebücher „frisieren“ und unangenehm hohe oder niedrige Werte nicht notieren, um sich nicht der möglichen Missbilligung ihres Diabetesteams oder Hinweisen auf persönliche Versäumnisse auszusetzen. Partnerschaftliches und vertrauensvollen Zusammenarbeiten kann nur entstehen, wenn sich Diabetesteam und Patient als gleichberechtigte Partner begreifen. Nur auf der Basis gegenseitigen Vertrauens kann gemeinsam nach Problemlösungen gesucht werden. Vorwürfe oder autoritäres Verhalten sind hierbei in der Regel nicht hilfreich (gute „Fehlerkultur“).
3.4.1 Handschriftliche Dokumentation der Insulinpumpentherapie
Einige Hersteller bieten gedruckte Diabetestagebücher an, die für die Insulinpumpentherapie geeignet sind. Teilweise können die Blutzuckerwerte sogar in ein Diagramm eingetragen werden, was den schnellen Überblick erleichtert. Sehr viele Diabeteszentren, Praxen oder auch Patienten verwenden eigene Formblätter, die weitere Informationen enthalten oder speziellen Bedürfnissen gerecht werden.
Vorteile der handschriftlichen Dokumentation | Nachteile der handschriftlichen Dokumentation |
+sehr einfach durchzuführen, jederzeit verfügbar+kein technischer Aufwand+Sollten die vorgefertigten Tagebücher nicht alle notwendigen Kriterien enthalten, können sehr einfach klinik-, praxis- oder patientenspezifische Formblätter erstellt werden. | −Für Diabetesteams ist es schwierig, sich einen Überblick über die längerfristige Therapiequalität zu verschaffen.−Das Mitführen von Protokollheft bzw. Zettel und Stift bedeutet einen Mehraufwand.−Das „Frisieren“ der Daten ist verlockend einfach, jedoch hilft das niemandem.−Es ist keine statistische Analyse der Daten in Bezug auf Mittelwerte, mittlere Tagesprofile, täglich wiederkehrende Besonderheiten etc. möglich. |
3.4.2 Elektronische Dokumentation der Insulinpumpentherapie
Mittlerweile sind zahlreiche Systeme zur elektronischen Dokumentation der Diabetestherapie verfügbar. Die Dokumentation ist meist eine Zusatzfunktion von Insulinpumpe, Blutzuckermessgerät oder Glukosesensor. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Smartphone-Apps zur Dokumentation verbreitet.“
Dokumentation mit dem Blutzuckermessgerät
Alle aktuellen Blutzuckermessgeräte verfügen über einen Datenspeicher. Diese Daten können über ein herstellerspezifisches Kabel oder eine Funk-/Infrarotverbindung mit geeigneter Software auf einen PC übertragen werden (herstellerspezifisch oder unabhängig, z. B. Diabass® oder SiDiary®). Dies wird in vielen Schwerpunktpraxen routinemäßig durchgeführt. Damit sind zumindest alle Blutzuckerwerte mit Uhrzeit und Datum dokumentiert. Einige Blutzuckermessgeräte verfügen über erweiterte Möglichkeiten zur Dokumentation. Mehr oder weniger umständlich können dann z. B. Kohlenhydrat- und Insulinmengen oder besondere Ereignisse (Sport etc.) eingegeben werden; die Übertragung der zusätzlichen Daten in die Praxis-Software und die übersichtliche Darstellung bereitet jedoch häufig Schwierigkeiten.
Dokumentation mit der Insulinpumpe
Die aktuellen Insulinpumpen verfügen über einen umfangreichen Datenspeicher, in dem die letzten Ereignisse mit Datum und Uhrzeit hinterlegt sind (Bolusgaben, abgegebene Basalrate, Alarme etc.). Bei konsequenter Verwendung eines Boluskalkulators sind auch die Blutzuckerwerte und Kohlenhydratmengen erfasst. Zu einigen Insulinpumpen sind Blutzuckermessgeräte erhältlich, die per Funkverbindung alle Messwerte an die Pumpe übertragen, sodass sämtliche Blutzuckerwerte in der Pumpe gespeichert sind. Die meisten Insulinpumpen können über eine geeignete Schnittstelle ausgelesen werden, sodass auf diese Daten Zugriff besteht (siehe Kap. 3.4.3).
Dokumentation mit Smartphone-Apps
Fast jeder Mensch trägt heute ein Smartphone bzw. iPhone mit sich herum, sodass der Gedanke naheliegt, dies auch zur Dokumentation der Pumpentherapie zu verwenden. Zahllose Apps von verschiedensten Herstellern und Privatpersonen werden in den App-Stores zum Download angeboten, wobei die Seriosität der Programme oft nicht auf Anhieb beurteilt werden kann. Teils bieten die Hersteller von Blutzuckermessgeräten „passende“ Apps an, teils sind die Apps herstellerunabhängig (z. B. mySugr®, SiDiary®). Absolut vertrauenswürdig sind Apps, die vom Hersteller als Medizinprodukt zugelassen wurden. Fast ebenso seriös sind Apps mit TÜV-Zertifizierung oder dem „DiaDigital“-Siegel (www.diadigital.de).
Praxis-Tipp: Gute Diabetes-Apps finden mit „DiaDigital“
Das DiaDigital-Siegel ist eine Initiative verschiedener Diabetes-Organisationen (DDG, VDBD, diabetes.de, AGDT u. a.) und hat zum Ziel, im Dschungel der Diabetes-Apps für etwas mehr Durchblick zu sorgen. Hersteller von Diabetes-Apps können ihre App prüfen lassen. Falls die App die Kriterien erfüllt, erhält sie das „DiaDigital-Siegel“, und eine Selbstauskunft, das Ergebnis der technischen Überprüfung und das Fazit einer Gruppe von Anwendungstestern wird auf www.diadigital.de veröffentlicht.
DiaDigitalhttps://www.diadigital.de |
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Bisher haben sieben Diabetes-Apps das Siegel erhalten, darunter folgende Tagebuch-Apps:
SiDiary (von Sinovo GmbH & Co. KG):
„Gut funktionierende App zur Dokumentation der Stoffwechsellage und der Therapieführung. Einbindung von Daten aus Blutdruck-, Blutzuckermessgeräten (auch CGM/FGM), Körperwaagen und Fitnesstrackern. Gute Konnektivität zur PC- und Online-Version.“
MeinDiabetes (von Kirchheim & Co. GmbH):
„Das in ,MeinDiabetes‘ enthaltende Tagebuch verfolgt einen eigenen Gedankenansatz. Es macht den Spagat zwischen Kleinkindern (farbliche BZ-Wertzuordnung und Symbole wie Messer und Gabel) und der Erfassung therapierelevanter Daten für den Behandler/selbstmanagenden Diabetiker. Die App bietet schlanke Module, die nützlich/motivierend sind. So zum Beispiel eine Liste von Diabetes-Kliniken, ,mein Diabetes-Pass‘ oder ein Schätzspiel. Sie ist aufgebaut wie eine gute Lebensweise, von allem etwas, aber nicht zu viel, dies schafft den Anreiz, mehr erfahren zu wollen.“
Omnitest Diabetes Tagebuch (von B. Braun Melsungen AG):
„Unkomplizierte, intuitiv bedienbare App. Für Diabetiker deren Behandlung mit Diät, Tabletten, konventioneller oder intensivierter Insulintherapie erfolgt und nur ein reines Tagebuch gewünscht oder erforderlich ist. Gewicht, Blutdruck, Bewegung und Freitext-Bemerkungen können manuell erfasst werden. Tagebuchdaten können vom Nutzer als PDF weitergeleitet werden.“
MyTherapy (von smartpatient GmbH):
„Leicht zu bedienende App mit Erinnerungsfunktionen für die Einnahme von Medikamenten, auch bei wechselnden Dosierungen. Planung von Aktivitäten. Protokollierung von Symptomen und Messwerten. Intuitiv nutzbar und motivierend zur Lebensstiloptimierung.“
Dokumentation im Internet („Cloud Computing“)
Aktuell entstehen zeitgemäße Angebote der Diabetes-Dokumentation im Internet (z. B. Medtronic Carelink Personal, SiDiary Online inkl. WebApps für Smartphones). Mehrere Aspekte lassen diesen Ansatz sinnvoll erscheinen: Das betreuende Diabetesteam kann, das Einverständnis des Patienten vorausgesetzt, jederzeit und umfassend auf die aktuellen Werte zugreifen. Für den Pumpenträger hat die Dokumentation im Internet den Vorteil, dass sie an verschiedenen Computern parallel erfolgen kann. Problematisch ist dabei, dass der Anwender die Datensicherheit nicht mehr selbst in der Hand hat, sondern dass er sich auf die technischen Lösungen und die Seriosität des Anbieters verlassen muss.
Dokumentation in der Cloud am Beispiel Medtronic Carelink und SiDiary Online
Vorteile der elektronischen Dokumentation | Nachteile der elektronischen Dokumentation |
+Die Basisdokumentation erfolgt automatisch (Blutzuckerwerte, ggf. auch Bolusgaben, Kohlenhydrate und Basalrate)+schnelle statistische Analyse und optische Aufbereitung (Diagramme) der Daten, schneller Überblick über Therapiequalität und Problemfelder (je nach Software)+einfache und schnelle Übertragung der Daten zum Diabetesteam, übersichtliche Archivierung der Daten+Blutzuckerwerte können nicht manipuliert werden, kein „Selbstbetrug“ (bei Blutzuckermessgerät-basiertem System) | −Die elektronische Dokumentation ist in der Regel lückenhaft und berücksichtigt meist nicht alle notwendigen Punkte (siehe Kap. 3.4).−Die elektronischen Systeme sind weniger flexibel als Papierdokumentation, eine Erweiterung um zusätzliche Daten ist in der Regel nicht möglich.−Von den Krankenkassen wird eine elektronische Dokumentation meist nur anerkannt, wenn diese wirklich vollständig ist (z. B. mit Angaben zu Insulindosen, Kohlenhydratmengen und besonderen Umständen). |
3.4.3 Insulinpumpen-Management über einen PC
Fast alle aktuellen Insulinpumpen verfügen über eine Schnittstelle zum Datenaustausch mit dem PC. Mit der entsprechenden Hard- und Software können die gespeicherten Daten aus der Insulinpumpe übernommen und am PC dargestellt werden: Welche Basalrate wurde über welches Profil abgegeben? Wie hoch war der Bolus? Wann wurde der Insulinkatheter gewechselt? Welche Alarme sind aufgetreten? Umgekehrt können einige Insulinpumpen über den PC programmiert werden (alternativ zur manuellen Eingabe über die Tasten). Die notwendige Hard- und Software ist in der Regel herstellerspezifisch und nur für Insulinpumpen des jeweiligen Herstellers zu gebrauchen.
An der Verbesserung der Auswertungs- und Programmierungsmöglichkeiten wird laufend gearbeitet. Hier lohnt sich ein Blick auf die Internetseiten der einzelnen Hersteller.
Welche Insulinpumpen können ausgelesen werden? Kap. 1.7.2
Übersicht über einige geeignete Softwareprogramme: Kap. 16.1
3.5 Anfängliche Insulindosierung beim Umstieg auf die Insulinpumpentherapie
Die unter der ICT bewährte Insulindosierung kann nicht unmittelbar auf die Insulinpumpentherapie übertragen werden. Wie der anfängliche Insulinbedarf abgeschätzt werden kann und wie diese Insulinmenge über den Tag verteilt wird, ist im Folgenden beschrieben.
3.5.1 Neuer Gesamtinsulinbedarf
Zu Beginn der Insulinpumpentherapie muss zunächst die neue Gesamtinsulinmenge abgeschätzt werden, d. h. die Insulinmenge, die jeden Tag insgesamt benötigt wird. Sie unterscheidet sich von der Gesamtinsulinmenge unter einer Spritzentherapie, da die Insulinsubstitution mit der Pumpe physiologischer erfolgt, wodurch der Insulinbedarf deutlich geringer ist.
Der individuelle Maßstab bei der Festlegung der „Startdosis“ ist der tägliche Insulinbedarf während der zuletzt durchgeführten Spritzentherapie. Um wie viel diese Insulinmenge reduziert werden sollte, hängt von der bisherigen Qualität der Stoffwechseleinstellung ab und davon, ob die Einstellung auf die Insulinpumpe stationär oder ambulant erfolgt (Sicherheitsaspekt). Faustregeln für die Umstellungsphase sind in der Tabelle aufgeführt (nach Dr. Renner, München).
bisherige Güte der Stoffwechsel-einstellung (ICT) | Gesamtinsulinmenge unter der vorherigen Therapie (ICT) | Dosisempfehlung für die CSII bei stationärer Einstellung | Dosisempfehlung für die CSII bei ambulanter Einstellung |
gute BZ-Einstellung, wenige Hypoglykämien | 100 % | ca. 85 % | ca. 75 % |
häufige Hypoglykämien | 100 % | ca. 70 % | ca. 50 – 60 % |
BZ-Werte meist hoch, selten Hypoglykämien* | 100 % | ca. 100 % | ca. 80 – 90 % |
Tab. 6: Ermittlung des neuen Gesamtinsulinbedarfs bei der Umstellung von der ICT auf die Insulinpumpentherapie (CSII)
* Achtung: Unbemerkte Hypoglykämien können zu langphasigen Hyperglykämien führen und eine hypoarme Einstellung vortäuschen (Diagnosestellung nur mit CGM möglich). Bei der Umstellung auf die Insulinpumpentherapie gilt dann die Dosisempfehlung für häufige Hypoglykämien.
3.5.2 Festlegung der anfänglichen Basalrate
Nach Festlegung der neuen Gesamtinsulindosis (siehe Kap. 3.5.1) muss im nächsten Schritt eine provisorische Start-Basalrate programmiert werden. Während der ersten Tage der Insulinpumpentherapie muss sie durch Mahlzeiten-Auslassversuche individuell optimiert werden, und auch im weiteren Therapieverlauf wird dies immer wieder nötig sein (siehe Kap. 4.1).
Bei der Insulinpumpentherapie werden von Erwachsenen ca. 50 Prozent des Gesamtinsulinbedarfs als Basalrate abgegeben, die restlichen 50 Prozent als Mahlzeitenbolus (das prozentuale Verhältnis zwischen Basalrate und Bolusgaben ist nicht jeden Tag gleich, da Insulinpumpenträger die Kohlenhydratmenge und die Zeit der Mahlzeiten von Tag zu Tag variieren können). Bei Kindern ist der Anteil des Bolusinsulins in Abhängigkeit vom Alter höher (siehe Kap. 9.1).
Wie soll nun diese Insulinmenge (neue Gesamtinsulinmenge geteilt durch zwei) als Basalrate über den Tag verteilt werden? Verschiedene Insulinpumpenzentren verfolgen hierbei unterschiedliche Strategien. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten:
Start mit einer „physiologisch“ verteilten Basalrate
In der Regel beginnt man die Insulinpumpentherapie mit einer stündlich oder blockweise variierten Basalrate. Hierbei wird versucht, ein „durchschnittliches“, möglichst physiologisches (= natürliches) Basalratenprofil zu erstellen, das in der Summe der errechneten Insulinmenge entspricht. Hierbei empfehlen wir folgende Faustregeln:
Für Patienten mit kurzer Diabetesdauer von wenigen Jahren und ausgeprägtem Dawn-Phänomen (Insulinresistenz in den frühen Morgenstunden) passt in der Regel das von Dr. Renner und Mitarbeitern am Pumpenzentrum München-Bogenhausen entwickelte „Profil“ (siehe Kasten). Dieses Profil muss jedoch dem individuellen Schlaf-wach-Rhythmus angepasst, d. h. ggf. zeitlich verschoben werden.
Bei längerer Diabetesdauer wird das Basalratenprofil häufig flacher, da die tageszeitlichen hormonellen Schwankungen abnehmen.
Kinder und Jugendliche haben andere hormonelle Rhythmen und benötigen spezielle Basalratenprofile (siehe Kap. 9.1.3).
Start mit einer konstanten Basalrate
Gerne wird die Pumpentherapie auch mit einer über 24 Stunden gleichbleibenden Basalrate begonnen.
Besonders empfehlenswert ist dies bei Patienten mit langjährigem Schichtdienst, mit häufig wechselndem Schlaf-wach-Rhythmus oder mit sehr langer Diabetesdauer.
Wenn bereits im Vorfeld ein ausgeprägtes Dawn-Phänomen bekannt ist, wird dies bei der anfänglichen Basalrate in Form eines „Morgengipfels“ berücksichtigt (= erhöhte Basalrate in den Morgenstunden).
Beide Strategien funktionieren und können empfohlen werden. In jedem Fall ist die erste Basalrate als grobe Schätzung anzusehen, die in den folgenden Tagen durch Mahlzeiten-Auslassversuche individuell angepasst werden muss. Um möglichst zügig zu einer individuell stimmigen Basalrate zu kommen, hat es sich bewährt, nach Abklingen des noch wirkenden Basalinsulins am ersten Tag das Frühstück auszulassen, am folgenden Tag das Mittagessen und am dritten Tag das Abendessen (siehe Abb. 4).
Ausführliche Tipps zum Optimieren der Basalrate finden Sie in Kap. 4.1
Folgende Faktoren können zu Beginn der Pumpentherapie die Findung einer passenden Basalrate erschweren:
die Fähigkeit des über lange Zeit gespritzten Verzögerungsinsulins, noch mehrere Tage nachzuwirken (siehe Kap. 3.5.4),
die zeitliche Verzögerung, bis die physiologische Ein- und Umstellung auf die Pumpentherapie auch tatsächlich die kalkulierte Abnahme der Gesamtinsulinmenge zur Folge hat und
die unterschiedlichen Lebensrhythmen während der Einstellungsphase oder des stationären Aufenthaltes im Vergleich zum Alltag.
Abb. 4: Die kalkulierte Start-Basalrate muss durch Mahlzeiten-Auslassversuche auf ihre Funktionalität getestet werden. Die gesamte Basalrate (24 Std.) kann innerhalb von drei Tagen beurteilt werden (Tag 1: kein Frühstück, Tag 2: kein Mittagessen, Tag 3: kein Abendessen).
Praxis-Tipp: Ermittlung einer „physiologisch“ verteilten Basalrate zu Beginn der Insulinpumpentherapie
Folgende Hilfsmittel geben zu Beginn der Insulinpumpentherapie eine erste Orientierung über die Verteilung der Basalrate. Danach muss die Basalrate individuell ausgetestet und angepasst werden.
Basalratenschieber
Über die Firma Roche sind einfache „Basalratenschieber“ erhältlich, an denen der individuelle Insulinbedarf des Diabetikers eingestellt wird. Die stündlichen Basalraten können dann in 24 (Roche) oder 12 (Animas) Schritten unmittelbar abgelesen werden. Für die unterschiedlichen Altersgruppen sind von der Firma Roche entsprechende Basalratenschieber erhältlich (1. – 5. Lebensjahr, 6. – 11. Lebensjahr, 12. – 17. Lebensjahr, Erwachsene), die dem unterschiedlichen Insulinbedarf und dem für das Lebensalter charakteristischen Basalratenprofil gerecht werden. Als „Starthilfe“ ist im Anhang (Kap. 19.3) der Inhalt des Basalratenschiebers für Erwachsene in Tabellenform abgedruckt.
Basalraten-Software
Die Firma Medtronic verteilt eine einfache Computersoftware zur Basalratenerstellung. Die Software berücksichtigt dieselben Faktoren wie die genannten Basalratenschieber und erstellt ein altersabhängiges Profil. Als Ergebnis kann ein einseitiges Word-Dokument ausgedruckt werden, das den detaillierten Basalratenvorschlag in Tabellen- und Diagrammform enthält und das zudem Platz für die ersten Basalratenänderungen vorsieht.
Die Firma Roche bietet diese Möglichkeit ebenfalls, und zwar integriert in die Software Accu-Chek 360°. Diese Software errechnet die individuelle Basalrate nach den vorbeschriebenen Renner-Kriterien, alternativ können als Bestimmungsgrößen auch Körpergewicht und Insulinsensitivität (I.E. pro kg KG) eingegeben werden.
3.5.3 Festlegung der anfänglichen I.E./BE- und Korrekturfaktoren
Bei der Festlegung der anfänglichen Bolusdosis werden die früheren individuellen Erfahrungswerte zugrunde gelegt und im Einzelfall entsprechend der Tabelle in Kap. 3.5.1. reduziert. Übliche Größen für I.E./BE-Faktoren (zur Berechnung des Mahlzeitenbolus) und für Korrekturfaktoren (zur Berechnung der Insulinmenge zur Korrektur erhöhter Blutzuckerwerte) sind in Kap. 5.1. aufgeführt.
Diese Anfangsdosen sind natürlich nur vorläufig, die individuelle Feinabstimmung erfolgt durch Blutzuckermessungen nach den Mahlzeiten.
Detaillierte Informationen zu allen Aspekten der Bolusgabe finden Sie in Kap. 5.
3.5.4 Verzögerungsinsulin und Therapieumstellung
Bei der Umstellung von einer Spritzen-Therapie (ICT) auf eine Insulinpumpentherapie ist von entscheidender Bedeutung, die ausklingende Basalinsulin-Wirkung zu berücksichtigen, um Hypoglykämien in den ersten Tagen mit der neuen Insulinpumpe zu vermeiden.
Insulinart | Handelsname | Wirkdauer | Wirkprofil |
NPH-Insulin | Protaphane®, Insuman Basal® u. a. | 8 – 12 Std. (bis 20) | Wirkmaximum nach 4 – 6 Std. |
Insulin glargin U100 | Lantus®, Abasaglar® | 18 – 24 Std. | flach |
Insulin glargin U300 | Toujeo® | 20 – 30 Std. | flach |
Insulin detemir | Levemir® | 14 – 20 Std. | flach |
Insulin degludec | Tresiba® | mehr als 40 Std. | extrem flach |
Tab. 7: Die verfügbaren Basalinsuline unterscheiden sich vor allem in der Wirkdauer und in der Gleichmäßigkeit der Wirkung. Die Parameter sind dosisabhängig und individuell verschieden. Große Insulindosen können länger, sehr kleine Dosen können kürzer wirken als in der Tabelle genannt.
Die Insulinpumpentherapie wird in der Regel vormittags begonnen, da dann „bei Tageslicht“ die ersten Erfahrungen mit der neuen Therapieform gesammelt werden können. Das konkrete Vorgehen hängt von der Art des bisher verwendeten Basalinsulins (siehe Tab. 7), dem individuellen Wirkprofil und von den Erfahrungen und Vorlieben des Diabeteszentrums ab:
Die Insulinpumpentherapie wird am Vormittag begonnen. Letzte Basalinsulin-Injektion am Vorabend in der gewohnten Dosis.
NPH-Insulin, Levemir®: meist Beginn mit der einprogrammierten Start-Basalrate, engmaschige Blutzucker-/Sensorkontrollen und Dosisanpassungen.
Lantus®, Abasaglar®, Toujeo®: Aufgrund der überhängenden Basalinsulinwirkung sollte die Basalrate zu Beginn mithilfe der „Temporäre Basalrate“-Funktion prozentual reduziert werden. Je nach Blutzucker-Niveau sind Reduktionen um 20 – 50 Prozent üblich. Nach Abklingen der Basalinsulinwirkung, für gewöhnlich innerhalb der ersten 24 Stunden, wird die Basalrate schrittweise auf 100 Prozent erhöht.
Tresiba®: am Vortag der Umstellung keine Tresiba-Injektion mehr. Aufgrund der sehr langen Wirkdauer wird die Pumpentherapie mit drastisch reduzierter temporärer Basalrate begonnen (Reduktion um 80 – 100 Prozent). Je nach Glukoseverlauf wird die Basalrate schrittweise erhöht. Es kann mehrere Tage dauern, bis die Basalrate auf 100 Prozent gesteigert werden kann.
3.5.5 Beispiele zum Umstieg auf die Insulinpumpentherapie
Beispiel A
Christina hat seit 5 Jahren Typ-1-Diabetes, ist 28 Jahre alt, normalgewichtig, HbA1c-Wert 7,2 %, sehr motiviert, möchte schwanger werden, misst 4 – 7-mal/Tag ihren Blutzucker, dokumentiert sehr ausführlich. Sie hat ein ausgeprägtes Dawn-Phänomen, das auch durch die Gabe von Levemir® nicht gut therapierbar war.
Christina behandelt sich seit über 4 Jahren mit der ICT, ist sehr gut geschult und informiert. Sie ist engagiert in einer Selbsthilfegruppe, liest aktuelle Diabetesliteratur. Will sehr gerne auf die Insulinpumpe umgestellt werden, hat sich auf einem Diabetikertag schon ausführlich mit allem Informationsmaterial eingedeckt.
Christina hat keinerlei diabetische Folgeerkrankungen.
Sie hatte in den letzten 12 Monaten eine schwere Unterzuckerung, Werte unter 50 mg/dl treten fast täglich auf, Werte unter 40 mg/dl ca. 2 – 4-mal die Woche. Sie hat noch eine recht gute Hypoglykämiewahrnehmung (ab 50 mg/dl), war aber durch die geplante Schwangerschaft etwas überehrgeizig, um schneller in den angestrebten HbA1c-Zielbereich zu gelangen.
Aktuelle Insulintherapie
Fragen
Welche Schwerpunkte müssen beim Erstgespräch gesetzt werden?
Mit welcher Basalrate und mit welchem I.E./BE-Verhältnis sollte gestartet werden?
Was macht man mit einem Analoginsulin bei einer Schwangerschaftsplanung?
Erstgespräch
1.Gezielt die strengen Zielwerte ansprechen, die während einer Schwangerschaft empfohlen werden, und sich diesem niedrigen Blutzucker-Niveau schon in der Planungsphase annähern (siehe Kap. 9.2.1).
2.Sensibilisierung für Hypoglykämien. Trotz niedriger Blutzucker-Einstellung müssen schwere Hypoglykämien vermieden werden. Intensive Beratung über Hypoglykämieprävention, -wahrnehmung, -therapie etc.
3.Information über die Gründe, warum Analoginsuline lange Zeit während einer Schwangerschaft nicht zugelassen waren und dass sich die Datenlage geändert hat (mit Diabetologen, Gynäkologen). Inzwischen raten die Fachgesellschaften vom Einsatz der schnell wirksamen Analoginsuline während der Schwangerschaft oder Stillzeit nicht mehr ab.
Einstellungsziele
Der HbA1c-Wert sollte bereits in der Vorbereitungsphase (präkonzeptionell) in einen Bereich um die 6 % abgesenkt werden. Die Blutzuckerwerte sollten schon in der Planungsphase im Bereich der genannten Schwangerschaftsrichtlinien liegen. Gleichzeitig müssen häufige, vor allem aber schwere Unterzuckerungen vermieden werden. Häufige Blutzuckermessungen (6 – 8/tgl.) sind unumgänglich.
Therapieumstellung
1.Christina hat sich für die Weiterbehandlung mit NovoRapid® entschieden.
2.Es findet noch eine spezielle Ernährungsberatung entsprechend den Schwangerschaftsrichtlinien statt, inkl. ausreichender KH-Zufuhr, allmorgendlicher Azetonmessung, Spritz-Ess-Abstand, Notwendigkeit von Zwischenmahlzeiten etc.
3.Gesamtinsulinmenge unter ICT: 41 – 50 I.E. Davon mindestens 20 % abziehen, da bei der guten Grundeinstellung und den vielen niedrigen Blutzuckerwerten eine Insulineinsparung bei der Umstellung auf die CSII von mindestens 20 % zu erwarten ist.
4.Berechnung: 41 – 50 I.E. – 20 % = 33 – 40 I.E. (Beginn mit 33 I.E.) Die 33 I.E. werden zu 50 % auf die Basalrate und zu 50 % auf die Bolusgaben verteilt: 50 % von 33 I.E. = 16,5 I.E.
5.Da die Diabetesdauer bei Christina recht kurz ist und sie über ein ausgeprägtes Dawn-Phänomen berichtet, wird mit einer physiologisch modulierten „Standard-Basalrate“ (siehe Kap. 3.5.2) in einer Höhe von 16 I.E. pro Tag begonnen.
6.Die Start-Basalrate wird ab dem nächsten Tag durch Mahlzeiten-Auslassversuche getestet und angepasst.
7.Die I.E./BE-Verhältnisse werden bei der Ersteinstellung leicht abgesenkt und dann durch postprandiale Blutzuckermessungen angepasst. Christina kann die BE-Mengen weiterhin flexibel gestalten. Sie wird darauf hingewiesen, dass sie die Mahlzeiten in Haupt- und Zwischenmahlzeiten aufteilen sollte, um die strengen Blutzucker-Zielwerte zu erreichen. Dies sollte sie bereits in der Planungsphase austesten und entsprechend anpassen.
8.Es ergibt sich folgendes Start-Therapieschema:
Beispiel B
Kerstin, 38 Jahre, Diabetesdauer 12 Jahre, normalgewichtig, letzter HbA1c-Wert 5,2 %, sehr ängstlich bezüglich diabetischer Folgeerkrankungen. Kerstin führt seit über 9 Jahren eine ICT durch und ist sehr gut geschult. Sie misst 3 – 5-mal täglich den Blutzucker, dokumentiert lückenhaft und hat einen extrem niedrigen Blutzuckerdurchschnitt. Werte über 140 mg/dl werden sofort mit Analoginsulin korrigiert.
Kerstins Mutter hatte ebenfalls Diabetes, war sehr schlecht eingestellt und ist im vergangenen Jahr an diabetischen Folgeerkrankungen verstorben. Im Vorfeld war ihr ein Bein amputiert worden und sie war mehrere Jahre dialysepflichtig. Kerstin hat die Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt.
Kerstin hatte in den letzten 12 Monaten 8 schwere nächtliche Unterzuckerungen, Werte unter 50 mg/dl treten mehrfach täglich auf, Werte unter 40 mg/dl mindestens jeden zweiten Tag. Sie nimmt ihre Hypoglykämien kaum mehr wahr, sieht niedrige Werte absolut nicht als Problem. Die schweren Unterzuckerungen ängstigen sie jedoch massiv. Sie verspricht sich von der Umstellung auf die Insulinpumpentherapie einen konstanten HbA1c-Wert von 5 % ohne schwere Hypoglykämien.
Aktuelle Insulintherapie
Fragen
Welche Schwerpunkte müssen beim Erstgespräch gesetzt werden?
Wie sollte die erste Basalrate und das I.E./BE-Verhältnis angesetzt werden?
Wie kann man der Patientin in Bezug auf die angespannte psychische Situation helfen?
Erstgespräch
1.Kerstin muss dazu gebracht werden, auch dreistellige Blutzuckerwerte zu akzeptieren, um die Hypoglykämiesymptome zurückzuerlangen und um schwerwiegende hypoglykämische Folgeerkrankungen zu vermeiden (siehe Kap. 8). Ihre Blutzuckerwerte sollten in den ersten Wochen nach Umstellung auf die Insulinpumpe nicht unter 100 mg/dl liegen.
2.Kerstin sollte umgehend aufgrund ihrer unrealistischen und übertriebenen Ängste vor diabetischen Folgeerkrankungen psychologische Hilfe in Anspruch nehmen (Adressen speziell geschulter Therapeuten aus dem Arbeitskreis Diabetes und Psychologie der DDG anbieten, z. B. über https://www.diabetes-psychologie.de/Psychotherapeutensuche).
3.Kerstin sollte selbst über den Zeitpunkt der Therapieumstellung auf die Pumpe entscheiden, da dies wieder eine intensive Auseinandersetzung mit ihrem Diabetes bedeutet. Bis dahin muss sie allerdings kompromisslos an der Vermeidung schwerer Hypoglykämien arbeiten.
Einstellungsziel:
Die Vermeidung von Hypoglykämien ist absolut oberstes Therapieziel. Dies kann aber erst erreicht werden, wenn Kerstins mentale Situation halbwegs stabil ist. Eine intensive Kooperation zwischen Diabetesteam (Diabetesberaterin/Diabetologe) und dem Psychologen sind dafür eine unverzichtbare Voraussetzung.
Therapieumstellung
1.Kerstin hat sich auf eine Therapieumstellung inklusive Vermeidung aller zweistelligen Blutzuckerwerte eingelassen. Sie hat mehrere Wochen vor der Umstellung auf die Insulinpumpentherapie mit einer Psychotherapie bei einem speziell geschulten (DDG) Therapeuten begonnen.
2.Ihre mentale Situation ist noch nicht stabil, die Themen Folgeerkrankungen und Hypoglykämie müssen vom Diabetesteam sensibel angesprochen werden.
3.Gesamtinsulinmenge unter ICT: 30 – 35 I.E., davon mindestens 30 % abziehen, da das oberste Therapieziel ja die absolute Vermeidung von Hypoglykämien ist.
4.Berechnung: 30 – 35 I.E. – 30 % = 21 – 23,5 I.E. (Beginn mit 21 I.E.). Die 21 I.E. werden zu 50 % auf die Basalrate und zu 50 % auf die Bolusgaben verteilt: 50 % von 21 I.E. = 10,5 I.E.
5.Da Kerstin nur ein leichtes Dawn-Phänomen und den Diabetes bereits 12 Jahre lang hat, beginnt man mit einer Zwei-Blöcke-Basalrate: 3 Uhr – 8 Uhr = 0.5 I.E./h (2,5 I.E. in 5 Stunden) und 8 – 3 Uhr = 0.4 I.E./h (7,6 I.E. in 19 Stunden), ergibt eine Gesamt-Basalrate von 10,1 I.E./24 h.
6.Die Start-Basalrate wird ab dem nächsten Tag durch Mahlzeiten-Auslassversuche getestet und angepasst.
7.Die I.E./BE-Verhältnisse sollten vorsichtshalber reduziert werden, um das oberste Therapieziel, die zuverlässige Vermeidung von Unterzuckerungen, nicht zu gefährden.
8.Bei Kerstin müssen ganz strikte Korrekturregeln festgesetzt werden, d. h. Blutzuckerwerte bis 180 mg/dl werden NICHT korrigiert, der Korrekturfaktor wird großzügig gewählt (1 I.E. senkt den Blutzucker um 60 mg/dl), erneute Blutzuckerkorrektur frühestens nach 3 Stunden.
9.Es ergibt sich folgendes Start-Therapieschema:
Beispiel C
Manfred, langjähriger Typ-1-Diabetiker, Diabetesdauer 35 Jahre, HbA1c-Wert 10,2 %, Sehfähigkeit des rechten Auges bei 5 %, das linke Auge muss aufgrund einer fortgeschrittenen Retinopathie gelasert werden.
Der Augenarzt hat vor dem Lasertermin dringend eine Stabilisierung und Neueinstellung des Diabetes empfohlen.
Manfred ist Frührentner, war Polizist, hat sich in den letzten 5 Jahren mit einer ICT behandelt und ist gut geschult. Die Motivation, sich um seinen Diabetes zu kümmern, nahm jedoch aufgrund der massiven Retinopathie und der Frühberentung vor 3 Jahren deutlich ab.
Seit er aus dem Polizeidienst austreten musste, hat er deutlich zugenommen, gibt an, öfter etwas zu trinken, ist bei einer Körpergröße von 1,85 m mit 125 kg deutlich übergewichtig (BMI 36,5 kg/m²), hat schlechte Blutfettwerte und grenzwertig erhöhte Blutdruckwerte.
Er hatte in den letzten 12 Monaten keine schweren Unterzuckerungen, misst ca. 2 – 4-mal täglich seinen Blutzucker. Er dokumentiert den Blutzucker nicht, Werte unter 50 mg/dl maximal 1/Woche, Werte unter 40 mg/dl sind nicht in seinem Messgerätspeicher zu finden. Er hat eine gute Hypoglykämiewahrnehmung bei Werten um 60 mg/dl.
Aktuelle Insulintherapie
Fragen
Welche Schwerpunkte müssen beim Erstgespräch gesetzt werden?
Wie sollten die erste Basalrate und das I.E./BE-Verhältnis angesetzt werden?
Wie geht man bei der Umstellung mit dem lang wirkenden Analoginsulin Lantus um?
Erstgespräch
1.Besteht ausreichend Motivation, sich auf eine Umstellung einzulassen, Bereitschaft, sich mit der Insulinpumpe auseinanderzusetzen, die Werte zu dokumentieren, enge Kooperation mit dem Diabeteszentrum, Wunsch zur Verbesserung der Gesamtstoffwechselsituation?
2.Zur Verbesserung der gesamten Stoffwechselsituation ist noch mehr erforderlich: Ernährungsumstellung/-beratung mit deutlicher Reduktion der BE, dadurch langsame aber kontinuierliche Gewichtsreduktion (Ziel: ca. 1 kg/Monat), Blutdruckschulung inkl. Selbstmessung und Dokumentation, deutliche Reduktion des Alkoholkonsums, ganz besonders in der Umstellungsphase.
3.Die körperliche Aktivität im Alltag sollte parallel erhöht werden, jedoch muss Manfred intensive Belastungen mit deutlichen Blutdruckanstiegen vermeiden, bis das Auge stabil gelasert ist und der Augenarzt keine Bedenken mehr äußert. Bis dahin Spaziergänge, Radtouren etc.
Einstellungsziele
Die Absenkung des HbA1c muss langsam (1 – 2 % pro Quartal) erfolgen. Unterzuckerungen muss Manfred komplett verhindern, um akuten Schädigungen des Augenhintergrundes vorzubeugen. In den ersten Wochen sollten Blutzuckerwerte zwischen 150 – 200 mg/dl angestrebt werden.
Therapieumstellung
1.Der Grundumsatz wird errechnet und die BE werden entsprechend auf 23 pro Tag reduziert (bisheriger Gesamtenergieumsatz nach D-A-CH-Referenzwerten: ca. 2.380 kcal/Tag; Reduktion der täglichen Energieaufnahme auf ca. 2.200 kcal, davon gemäß den aktuellen Leitlinien 50 % in Form von Kohlenhydraten = 1.100 kcal; das entspricht 23 BE). Eine Reduktion der Kalorienaufnahme um ca. 180 kcal/Tag führt zu ca. 1 kg Gewichtsverlust im Monat, das entspricht in 12 Monaten einer nach den Leitlinien der DDG/DGE maximal anzustrebenden Gewichtsabnahme von 10 % des bisherigen Gewichtes. Während der Schulung sollte Manfred auf Alkoholkonsum verzichten.
2.Demzufolge ist es erforderlich, bei der Berechnung der Gesamtinsulindosis die Menge des Bolusinsulins zu kürzen: Bei 30 BE entsprach die benötigte Summe an Insuman® Rapid 76 I.E., bei 23 BE wäre diese Summe proportional mit 58 I.E. anzusetzen. Dadurch ergibt sich dann eine Gesamtinsulinmenge von 104 I.E.
3.Korrigierte Gesamtinsulinmenge unter ICT: 104 I.E., davon mindestens 30 % abziehen, da bei der Umstellung inkl. Ernährungsumstellung und Erhöhung der körperlichen Aktivität an mehreren Stellen auf den Gesamtstoffwechsel Einfluss genommen wird.
4.Berechnung der Basalraten-Tagessumme: 104 I.E. – 30 % = 73 I.E. Die 73 I.E. werden zu 50 % auf die Basalrate und zu 50 % auf die Bolusgaben verteilt: 50 % von 73 I.E. = 36,5 I.E.
5.Da Manfred bereits seit 35 Jahren Diabetes hat und ein sehr gleichmäßiger basaler Insulinbedarf zu erwarten ist, wird mit einer konstanten Basalrate von 1,5 I.E./Std. = 36 I.E./Tag begonnen. Da Manfred bisher als Basalinsulin Lantus® verwendet hat, wird mit einer temporär auf 70 Prozent reduzierten Basalrate begonnen. Je nach Blutzuckerverlauf wird diese schrittweise nach ca. 12 – 24 Stunden auf 100 Prozent gesteigert.
6.6. Die Start-Basalrate wird mithilfe von Mahlzeiten-Auslassversuchen ab dem nächsten Tag getestet und schrittweise angepasst / leicht moduliert.
7.Auch die I.E./BE-Verhältnisse werden gekürzt. Es ergibt sich folgendes Start-Therapieschema:
3.6 Verhaltensregeln für die Schulungstage
Mit den in der Kapitelüberschrift genannten „Verhaltensregeln“ ist nicht gemeint, dass die angehenden Insulinpumpenträger einen „Knigge der Diabetologie“ erlernen sollen. Vielmehr sollen einige Faktoren, die die Stoffwechseleinstellung unnötig erschweren, während der Umstellung auf die Insulinpumpentherapie ausgeschaltet werden. Der Lebensrhythmus weicht während der Schulungsphase vom „Normalen“ ab (z. B. weniger körperliche Aktivität, andere Essenszeiten), sodass Diabetesteam und Pumpenträger ohnehin vor einer anspruchsvollen Aufgabe stehen.
3.6.1 Mahlzeiten
Für die Dauer des stationären Aufenthaltes sollten keine Zwischenmahlzeiten eingenommen werden. Nach 19 Uhr sollten weder Kohlenhydrate, Fette oder Eiweiße konsumiert werden, denn deren nachfolgende Resorption aus dem Darm macht die Findung des nächtlichen Basalratenprofils unmöglich. Diese Regeln gelten selbstverständlich nur für die Dauer der Dosisfindung; nach Bestimmung einer passenden Basalrate und der Insulinfaktoren steht der völligen Flexibilität im Alltag nichts mehr im Wege.
Zur Optimierung der auf Verdacht kalkulierten Start-Basalrate wird pro Tag jeweils eine andere Mahlzeit ausgelassen. Nur so ist eine klare Aussage über die reine Wirkung der Basalrate möglich (diese deckt ja den mahlzeitenunabhängigen Insulinbedarf). Ein „Fastentag“ mit gänzlichem Verzicht auf jegliche Nahrungsaufnahme an einem Tag ist nicht erforderlich und auch nicht sinnvoll, da sich der Stoffwechsel dann allmählich auf „Fettverbrennung“ umstellen würde. In der Folge nähme die Insulinempfindlichkeit ab und der Basalratentest wäre unbrauchbar.
Ausführliche Informationen zu Startbasalrate und Basalratentest siehe Kap. 3.5.2 und Kap. 4.1
3.6.2 Glukosemonitoring: Blutzucker-, Sensor- und Laborzuckerwerte
Während der Umstellungsphase und in Phasen der Therapieoptimierung muss der Blutzucker häufiger gemessen werden (siehe Tab. 9). Nur auf diese Art ist es möglich, ein halbwegs vollständiges Bild von den täglichen Blutzuckerschwankungen zu erhalten, um die Therapie gezielt zu verbessern.
Die kontinuierliche Glukosemessung ist eine große Hilfe bei der Pumpeneinstellung. Die Stoffwechsellage kann objektiv und vollständig beurteilt werden. So kann z. B. die zurückliegende Nacht oder der Mahlzeitenverlauf optimal analysiert werden. Durch Verwendung eines CGM-Systems mit Alarmen können Hypoglykämien, welche die Einstellung erschweren, frühzeitig identifiziert und vermieden werden. Ein weiterer Vorteil der CGM ist die anschauliche Dokumentation der Glukosekurven, die für das Antragsverfahren bei den Krankenkassen verwendet werden können (dazu sollte eine CGM-Phase vor und eine Phase nach der Umstellung auf die Insulinpumpentherapie dokumentiert sein).
Wann sollten die Blutzucker-Messungen erfolgen? | ||
Einstellungsphase | im Alltag | |
nach dem Aufstehen / vor dem Frühstück | × | × |
1 – 2 Stunden nach dem Frühstück | × | 1 x pro Woche |
vor dem Mittagessen | × | × |
1 – 2 Stunden nach dem Mittagessen | × | 1 x pro Woche |
vor dem Abendessen | × | × |
1 – 2 Stunden nach dem Abendessen | × | 1 x pro Woche |
vor dem Schlafengehen | × | × |
nachts um ca. 2 – 3 Uhr | × | alle 2 – 4 Wochen |
X = tägliche Messung zum angegebenen Zeitpunkt. |
Tab. 9: Minimalzahl der Blutzuckermessungen während der Einstellungsphase und im Alltag. Zusätzlich muss bei Verdacht auf eine Unterzuckerung jederzeit sofort der Blutzucker gemessen werden. Im Zusammenhang mit körperlicher Aktivität bzw. Sport sind weitere Blutzuckermessungen erforderlich (siehe Kap. 9.4). Bei Blutzuckerwerten über 250 mg/dl oder bei Symptomen einer Ketoazidose muss zusätzlich ein Ketontest durchgeführt werden (siehe Kap. 7.2).
Trägt der Pumpenneuling einen Sensor zum kontinuierlichen Glukosemonitoring, sollte (nicht nur) während der Umstellungsphase sichergestellt werde, dass dieser auch präzise misst. Blutzuckermessungen zum Kalibrieren sollten zu stabilen Zeiten durchgeführt werden. Auch kalibrierfreie Sensoren müssen gelegentlich durch Kontroll-Blutzuckermessungen überprüft werden. Während der Umstellungsphase empfehlen wir mindestens 2 – 3 x tägliche Parallelmessungen. Die Messgenauigkeit gilt als ausreichend, wenn die Blutzuckerwerte im Mittel nicht mehr als 10 Prozent vom angezeigten Sensorglukosewert abweichen, insbesondere bei konstantem Trend.
Weitere Informationen zu Glukosesensoren (CGM und FGM) siehe Kap. 11 – 17
Laborzucker
Im Rahmen einer stationären Insulinpumpenschulung wird in der Regel mehrmals täglich der Blutzucker mit einem Laborgerät gemessen. Auch in diabetologischen Schwerpunktpraxen sollten während einer Schulung zumindest punktuell Vergleichsmessungen mit einem Laborgerät durchgeführt werden (nicht mit einem anderen Patienten-Blutzuckermessgerät!). Eine Vergleichsmessung ist nur dann gültig, wenn beide Messungen mit Blut aus demselben Blutstropfen durchgeführt werden und wenn beide Messgeräte identisch kalibriert sind (vollblut- oder plasmakalibriert). Bei Abweichungen von mehr als 15 bis 20 Prozent muss die Genauigkeit der Messung bezweifelt werden (liegt selten am Gerät, eher an Anwendungsfehlern oder an der Teststreifencharge). Durch Aufdeckung grober Messungenauigkeiten konnten schon einige unerklärliche Stoffwechselschwankungen und Einstellungsprobleme gelöst werden. Die Kontrolle der Blutzuckermessgeräte sollte auch Bestandteil der ambulanten Nachbetreuung sein.
3.6.3 Bed-Time-Regel
Die „Bed-Time-Regel“ legt nicht fest, wann, sondern mit welchem ungefähren Blutzuckerwert der Pumpenträger zu Bett gehen sollte, um ungefährdet durch die Nacht zu kommen. Um Unterzuckerungen oder Stoffwechselentgleisungen während dieser Zeit zu vermeiden, sollten Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden:
Vor dem Schlafen Glukosewert und -tendenz prüfen und ggf. Blutzucker kontrollieren!
Bei einem hohen Blutzuckerwert muss der Insulinpumpenträger die Ursache suchen und beheben (z. B. nach der Checkliste in Kap. 6). Als Zielbereich für eine Blutzuckerkorrektur vor dem Schlafen sollten nicht 100 mg/dl, sondern ca. 120 – 140 mg/dl angestrebt werden.
Bei einem zu niedrigem Glukosewert muss der Insulinpumpenträger zusätzlich schnell wirkende Kohlenhydrate trinken bzw. essen, insbesondere bei weiter fallender Tendenz, und außerdem die Ursache für die Hypoglykämie herausfinden (s. Kap. 8).
Blutzucker 80 – 100 mg/dl mindestens 1 – 2 BE
Blutzucker unter 80 mg/dl mindestens 2 – 3 BE
Diese BE-Angaben sind nur als Richtwerte zu verstehen, die den individuellen Bedürfnissen angepasst werden müssen. Wichtig ist dabei, dass das Sicherheitspolster für die Nacht eher „dicker“ ausfallen sollte als tagsüber.
Alle Pumpenzentren legen ihren Pumpenträgern, die keinen kontinuierlichen Glukosesensor tragen, nahe, gelegentlich auch nachts den Wecker zu stellen, um den Blutzucker zu testen. Auch bei guter Stoffwechselsituation sollte dies zumindest ca. ein- bis zweimal pro Monat durchgeführt werden, bei morgendlichen Nüchternwerten außerhalb des Zielbereichs oder bei nächtlichen Unterzuckerungen sofort in der darauffolgenden Nacht!
3.7 Anlegen der Insulinpumpe
Im Rahmen einer Insulinpumpenschulung ist es notwendig, dass jeder einzelne Diabetiker die bereits besprochenen Bedienungsschritte (siehe Kap. 3.1) vor dem Anlegen der Pumpe wiederholt und der Diabetesberaterin bzw. dem Diabetologen praktisch vorführt. Alle Fragen und Unsicherheiten müssen erkannt und in aller Ausführlichkeit geklärt werden, bevor der Insulinkatheter mit Insulinpumpe jetzt endlich „scharf“ gelegt wird.
Der frischgebackene Pumpenträger führt dann nacheinander folgende Schritte durch, wobei die Diabetesberaterin jeden Handgriff genauestens verfolgen sollte und individuelle Tipps geben kann:
1.Kontrolle, ob die Insulinpumpe korrekt eingestellt ist (Uhrzeit, Basalrate)
2.Befüllen der Insulinampulle (falls keine Fertigampulle vorhanden)
3.Vorbereitung des Insulinkatheters
4.Einlegen der Ampulle in die Insulinpumpe und Anschließen des Insulinkatheters
5.Luftfreie Füllung des Insulinkatheters, bis Insulin am Kanülenende austritt
6.Desinfektion der Haut, steriles Einführen der Kanüle und ggf. Fixierung mit zusätzlichem Klebematerial
7.Kontrolle, ob die Insulinpumpe tatsächlich Insulin abgibt (Betriebsmodus)
Aller Anfang ist schwer! Nach kurzer Zeit werden sich Routine und Sicherheit im Umgang mit der Insulinpumpe einstellen wie beim Spritzen oder beim Blutzuckermessen.