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ALKOHOL MITTEN AM TAG

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An einem Tisch auf der Terrasse des Mallijang saßen Vater Son und Dodari. April war dafür die ideale Jahreszeit: Die von den Japanern gepflanzten Kirschbäume standen in voller Blüte, und ihre zarten Blütenblätter wirbelten schon mit dem Wind davon. In der angenehm warmen Sonne konnte man das schöne Meer von Guam genießen, das zwischen den Bäumen durchschimmerte. Diese wunderbare Zeit vor dem überreifen Frühling und dem kämpferischen Sommer war jedes Mal viel zu kurz.

Huisu kam auf die Terrasse. Vater Son trank gerade seinen Ginsengtee, während Dodari wie jeden Nachmittag Wodka schlürfte. Er hatte schon die halbe Flasche intus, und sein Gesicht war gerötet. Es war nicht der Billigwodka, mit dem Yangdong den Markt von Busan überschwemmte, sondern eine der Flaschen, die Huisu in endlosen Verhandlungen den Russen am Hafen von Gamcheon hatte abluchsen können. Selbst in Russland war diese Marke sehr beliebt, mehr als ein paar Flaschen waren nicht drin gewesen. Und nun kippte dieser Drecksack Dodari, der keinen Tropfen Schweiß dafür vergossen hatte, das kostbare Gesöff mitten am Nachmittag in aller Seelenruhe in sich hinein.

Vater Son hatte früher eine kleine Schwester namens Son Sumi gehabt. Sie war groß gewachsen, schmal und so zart, als könnte jeder Windhauch sie wie trockenes Laub davontragen. Vater Son hatte sie über alles geliebt, zumal sie damals seine letzte noch lebende Verwandte war. Seit ihr gemeinsamer Vater in jungen Jahren in Gwangbok-dong von dem amerikanischen Soldaten erstochen worden war, hatte sich Vater Son um seine kleine Schwester gekümmert wie um eine Tochter. Sie hatte dann einen gewissen Chae geheiratet, einen Typen, der fünfzehn Jahre älter war als sie und ein leidenschaftlicher Tänzer. Aber eben auch ein krummer Hund, ein flatterhafter Kerl und Betrüger, der permanent in irgendwelche Skandale verwickelt war. In nüchternem Zustand trug er seine Frau auf Händen, doch kaum hatte er getrunken, fing er an, sie zu schlagen. Das tat er bei allen Frauen, mit denen er verkehrte, und trotzdem waren manche unsterblich in ihn verliebt, so eben auch seine Ehefrau Son Sumi. Den Männern von Guam war es ein Rätsel.

Unter normalen Bedingungen hätten Son Sumi und Chae gar nicht heiraten können. Vater Son hätte ein übles Subjekt wie ihn als Ehemann für seine einzige Schwester niemals akzeptiert. Aber Chae hatte Son Sumi, bevor er um ihre Hand anhielt, sicherheitshalber ein Kind gemacht. Und dieses Kind war Dodari. Dodari war der Grund, warum Vater Son nicht anders konnte, als dieser Ehe zuzustimmen. Son Sumi war immer zerbrechlich und anfällig gewesen, doch nach der Entbindung hatte sich ihr Zustand noch verschlechtert: Ihr Körper produzierte nicht einmal Milch. In einer verregneten Nacht lief Son Sumi dann vor den Schlägen ihres betrunkenen Mannes aus dem Haus. Sie holte sich eine Lungenentzündung, und als sie daran starb, waren ihre Handgelenke und ihre Brust noch übersät mit blauen Flecken.

Einen Monat nach Son Sumis Beerdigung verschwand Chae. Manche sagten, er sei vor Vater Sons Zorn nach Japan geflohen, andere meinten, er habe auf den Philippinen eine Tanzschule eröffnet. Aber das waren nur Gerüchte. Huisu glaubte, dass Vater Son damals seinen ersten nicht geschäftlich motivierten Mord in Auftrag gegeben hatte.

Huisu nahm an Vater Sons Tisch Platz.

»Was soll ich Ihnen bringen, Großer Bruder?«, fragte Mau, der ihm wie ein Schatten gefolgt war, und schaute dabei auf die Wodkaflasche.

»Alkohol mitten am Nachmittag? Für wie abgehalftert hältst du mich? Bring mir einen Kaffee. Aber einen starken.«

Mit dem Wodkaglas in der Hand starrte Dodari ihn böse an.

»Wie weit bist du mit Chef Og?«, fragte Vater Son.

»Ich habe ihn auf die Kastanieninsel gebracht. Der hier …«, Huisu deutete mit dem Kinn auf Dodari, »… hat ihn dermaßen demoliert, dass es mindestens einen Monat dauern wird, bis man die Spuren nicht mehr sieht.«

»Wer ist außer Daeseong noch auf der Insel?«

»Sein älterer Bruder Daeyeong.«

»Lassen sie immer noch Leichen verschwinden, diese beiden Bluthunde? Früher haben sie sie zerkleinert und damit ihre Heilbutte gefüttert.«

»Auf Anfrage würden sie nicht Nein sagen. Aber so etwas ist heutzutage nicht mehr üblich.«

»Stimmt. Heutzutage ist es üblich, jemandem auf offener Straße ein Messer in den Leib zu rammen und dann abzuhauen«, nickte Vater Son traurig. »Hoffentlich muss Chef Og bei diesen Brüdern nicht allzu viel einstecken.«

»Ein bisschen mit den Zähnen klappern wird er schon«, grinste Huisu.

»Ihr wollt ihn also hübsch am Leben lassen und warten, bis die blauen Flecken weg sind? Wenn wir einen Marionettenchef verschonen, der einen unserer Läden an Yongkang abgetreten hat, wie sollen die Leute dann noch die Ordnung respektieren?«, sagte Dodari mit vom Wodka gerötetem Gesicht.

»Wer redet hier von Ordnung? Meinst du, Ordnung macht dich satt, du Hammel? Wenn Ordnung dir so wichtig ist, solltest du deinen eigenen Schwanz mal ein bisschen im Zaum halten, damit er nicht in jede Schlampe reinrutscht!«, blaffte Vater Son ihn an.

»Also wirklich, Onkel, was fängst du bei so einem ernsten Thema mit meinem Schwanz an. Das gehört sich nicht, wenn man mit anderen Leuten redet«, murrte Dodari.

»Die Überraschung, ausgerechnet aus deinem Mund das Wort Ordnung zu hören, war einfach zu groß«, antwortete Vater Son spöttisch. Er nahm einen Schluck Ginsengtee. »Jedenfalls frage ich mich, was Yongkang sich plötzlich dabei gedacht hat, unsere Wäscherei zu schlucken.«

»Irgendwas ist da faul«, sagte Huisu.

»Hat dir Chef Og gesagt, für wie viel er sie Yongkang überlassen hat?«

»Angeblich für genau eine Milliarde fünfzig Millionen won

»Eine Milliarde? Der Arsch, wie kann man nur so viel Geld verspielen. Da muss er aber fleißig Karten umgedreht haben, wenn er eine ganze Milliarde verjubelt hat. Ich fasse es nicht. Hätte er genauso fleißig Servietten gefaltet, wäre es nicht so weit gekommen. Jedenfalls wird es jetzt schwer, mit Yongkang zu verhandeln.«

»Selbst wenn wir es schaffen, uns irgendwie mit ihm zu einigen – bar auf die Hand können wir ihm nichts geben. Er hat die Wäscherei ja nur durch Rückzahlung von Spielschulden bekommen, da können wir sie ihm nicht mit echten Scheinen wieder abkaufen. Von dem Geld sollten wir uns lieber Maschinen besorgen und eine neue Wäscherei aufmachen.«

»Was redest du da? Glaubst du, die gibt’s gratis? Sogar gebraucht kostest eine Profi-Waschmaschine dreißig Millionen won

»Oder wir sorgen dafür, dass Chef Og und ein paar andere, die Yongkang übers Ohr gehauen hat, ihn anzeigen. Spielschulden sind gesetzlich nicht anerkannt, wir könnten also Chef Gu bitten, ihn wegen Erpressung, illegaler Wettgeschäfte und Körperverletzung dranzukriegen. Dafür müsste er doch mindestens für ein Jahr eingelocht werden, oder?«

Vater Son dachte mit gesenktem Kopf nach. »Nein«, sagte er schließlich »wenn wir die Bullen reinziehen, haben wir außer Ärger nichts zu erwarten. Du weißt doch, was für Schlafmützen das sind. Bevor die eine Untersuchung anfangen, müssen sie tonnenweise Papierkram produzieren. Um das alles auszufüllen, kommen sie dann zu uns und stecken überall ihre Nase rein, dann brauchen wir Anwälte, es kommt vielleicht zu einem Prozess und was weiß ich. Und die ganze Zeit bleibt die Wäscherei geschlossen, sodass wir Geld verlieren. Ganz zu schweigen davon, dass Yongkang keiner ist, der einfach zulässt, dass er absäuft. Und selbst wenn wir es wirklich schaffen, ihn hinter Gitter zu bringen, kommt er nach ein paar Monaten ja doch wieder raus, und dann wird es richtig schwierig, ihn in den Griff zu kriegen.«

Dodari, der weiter Wodka kippte, wurde plötzlich wütend. »Mann, machst du’s kompliziert. Warum legen wir Chef Og und Yongkang nicht einfach um? Das kriegen wir doch sauber hin. Wir haben die Kohle, wir sind stark, wovor habt ihr also Angst? Wir haben jede Menge Männer, die nur auf einen kleinen Job warten, also bringen wir’s hinter uns!«

Vater Son schlug Dodari mit seinem Fächer drei Mal kurz, aber kräftig auf den Mund, tack, tack, tack. »Willst du wohl deinen frechen kleinen Schnabel halten?« Er hielt inne und ließ den Fächer wieder sinken; offenbar hatte er plötzlich doch so etwas wie Mitleid. »Was glaubst du eigentlich, in welcher Zeit wir leben? Meinst du, wenn wir Yongkang umlegen, kriegen wir die Besitzurkunde einfach so wieder zurück? Was bist du nur für ein Trottel, nicht mal als Sardellenköder würdest du was taugen.«

»He, was fällt dir ein, mir so auf den Mund zu hauen? Den brauche ich noch, um zu essen, verdammt!« Gekränkt durch Vater Sons Angriff, rotzte Dodari geräuschvoll auf den Boden.

»Und deshalb sollst du deinen verdammten Schnabel auch nur zum Essen aufmachen und ihn ansonsten schön geschlossen halten«, sagte Vater Son.

»Ich gehe jedenfalls erst mal zu Yongkang und fühle ein bisschen vor«, sagte Huisu.

Vater Son nickte zustimmend.

»Was denkst du, wann du hingehst?«

»Diese Woche. Wir sollten das Problem vor dem Sommer geregelt haben.«

»Da hast du recht. Auch wenn es heikel ist, du musst es schaffen, ihn zu besänftigen und eine Lösung zu finden. Sei nicht zu geizig, gib ihm, was wir geben können. Lieber so, als dass sich alles noch zuspitzt.«

»Gut, also dann, ich muss los.«

Als Huisu aufstand, um zu gehen, hielt Vater Son ihn am Arm zurück. »Bleib doch noch zum Mittagessen. Dalja hat ein Rind geschlachtet, und ich habe die besten Stücke kommen lassen. In der Küche werden sie gerade zubereitet, es wird nicht mehr lange dauern. Unser Küchenchef ist ein Meister des Steki.«

»Steak! Nicht Steki! Steak! Was redest du so antiquiert«, motzte Dodari.

Vater Son zog ihm wieder eins mit dem Fächer über. »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst deinen dummen Schnabel nur aufmachen, um zu essen?!«

Dodari war der größte Nichtstuer von Guam: Das Einzige, was er den lieben langen Tag machte, war kostenlos saufen, Geld verspielen, zu Nutten gehen und in seinem Mercedes die kleine Straße von Guam rauf- und runterfahren, eine Strecke, die so kurz war, dass man dafür zu Fuß eine knappe halbe Stunde brauchte. Mehr machte er im Leben nicht. Ein Glück für Huisu, dem es ständig zufiel, seine Dummheiten auszubügeln; denn je weniger Dodari machte, desto weniger Probleme gab es. Dieser Mistkerl hatte die Gabe, Leute mit schweren Spaten in Einsätze zu schicken, für die eine kleine Harke locker gereicht hätte, und obwohl er zwei Jahre studiert hatte, erwies sich alles, was er in Angriff nahm, als absoluter Schwachsinn. Mit einem Wort, aufs Denken verwendete er höchstens fünf Minuten pro Jahr; man hätte meinen können, ihm fehle ein Stück Hirn.

Als Neffe von Vater Son genoss Dodari Respekt, doch wirklich gefürchtet war er nicht. Genauso wie man es vermeidet, in Hundescheiße zu treten, gab man Dodari einfach, was er verlangte, ob Alkohol oder Geld. In Guam war Dodari also sicher aufgehoben, nur trieb er sich leider ständig in anderen Stadtteilen herum und suchte dort Ärger, provozierte, wo er konnte, ließ sich verprügeln oder machte die Frau eines Gangsterbosses an. Bei jeder neuen Dummheit seufzte Vater Son und sagte: »Diese schmutzige Seite kommt von der Familie Chae, das liegt denen im Blut. So eine vulgäre DNA hat unsere Familie nicht. Wenn sich schlechtes Blut in die Linie mischt, kann auch der Schäferhund nur eine Promenadenmischung zur Welt bringen.«

Dodaris Anwesenheit auf der Terrasse störte Huisu, und eigentlich wäre er lieber gegangen, doch die Aussicht auf Daljas Fleisch gab dann doch den Ausschlag: Er setzte sich wieder, tat allerdings so, als fühlte er sich mehr oder weniger dazu gezwungen. Fleisch von Dalja war einfach köstlich, besonders wenn Vater Son sich welches liefern ließ.

»Ach, übrigens, ich habe gehört, Ju Ami ist entlassen worden. War er schon bei dir?«, fragte Vater Son und schnitt in das erste Stück Fleisch.

»Nein, das war ja gerade erst. Wenn er einen gehoben hat und bei den Frauen war, wird er kommen.«

»Soll er ruhig einen heben, ist ja kein Problem, aber seinen Gruß könnte er dir schon entbieten, das ist respektlos«, murmelte Vater Son mit vollem Mund.

»Ist Ju eigentlich Amis Familienname?«, fragte Dodari.

»Ja, er heißt Ju«, antwortete Vater Son.

»Ach so. Weil ihn alle mit dem Vornamen anreden. Ich kannte seinen Familiennamen gar nicht. Wenn er Ju heißt, wer ist dann sein Vater? In unserem Viertel gibt es doch gar keinen Ju, oder?«, redete Dodari weiter.

Eine Antwort bekam er nicht.

»Hat Ami Strafverkürzung bekommen?«, fragte Vater Son.

»Nein, er hat die ganzen vier Jahre verbüßt, keinen Tag weniger«, sagte Huisu.

»Bestimmt hat er einiges einstecken müssen, bei dem Temperament. Jetzt, wo er raus ist, wird er Geld brauchen. Kannst du ihm ein paar Millionen zustecken, Huisu? Nicht dass er ohne Geld gleich wieder Dummheiten macht.«

»Aus eigener Tasche? Ist das Ihr Ernst?«

»Na hör mal, du kleine Ratte, ich rede von Solidarität, und du kommst mir mit getrennten Kassen?«

»Ist ja nicht so, dass ich ihm nichts geben will. Aber Ami ist sehr sensibel, und es würde ihm viel bedeuten, dass sich Vater Son persönlich um ihn kümmerte.«

»Mann, du kannst vielleicht ein Phrasendrescher sein. Also gut, dann übernehme ich das. Du kannst dir das Geld bei mir im Büro abholen.«

»Sagt mal, stimmt es eigentlich, dass Ami ein echtes Riesenmonster ist, ein Meter neunzig groß und hundertzwanzig Kilo schwer, und dass er im Kampf trotzdem wie ein Schmetterling um seine Gegner herumflattert?«, schaltete sich Dodari plötzlich wieder ein.

»Er flattert nicht nur. Er ist auch so flink wie ein Eichhörnchen.«

»Also ein leichtfüßiges Riesenmonster?«

»Und ob! In den fünfzig Jahren seit der japanischen Herrschaft habe ich die irrsten Typen gesehen, aber keinen, der so gefährlich war wie Ami. Wer war das neulich noch, dieser Typ aus Wollong? Dieser Mistkerl von Zuhälter mit seinem Armeespaten mit diesem roten Band am Griff? Ich weiß nicht mehr, wie er heißt.«

»Hojung?«

»Ja, genau, Hojung. Also, dieser Hojung ist mit seiner Bande in der Bar von Amis Mutter aufgetaucht, und sie haben angefangen, den Laden auseinanderzunehmen. Na, die haben sich vielleicht massakrieren lassen, dreizehn von denen mussten ins Merinol-Krankenhaus in die Notaufnahme gebracht werden. Falls du irgendwann mal in der Nähe bist, wenn Ami wütend wird, hau sofort ab. Wenn er wütend wird, macht er alles, was ihm in die Quere kommt, zu Kleinholz – ganz egal, ob es ein Mensch oder ein Möbelstück ist.«

»Wenn du mit dem in Berührung kommst, bist du sofort tot. Und wenn du glaubst, es wäre noch mal gut gegangen, bist du sechs Wochen später tot«, fügte Huisu lächelnd hinzu.

Dodari drehte sich zu Gangcheol um. »Und wenn er sich mit dem da prügelt, was gibt das? Unser Gangcheol hat immerhin bis zur 10. Klasse geboxt. Bei den Nationalwettkämpfen hat er Bronze gewonnen.«

Vater Son und Huisu musterten Gangcheol und lachten.

»Hast du mir nicht gesagt, er wäre ein bisschen einfältig, weil er als Kind Typhus hatte?«, fragte Huisu und fügte nach einem weiteren Blick auf Gangcheol hinzu: »Nicht mal eine Truppe von hundert Kerlen wie er könnte Ami etwas anhaben.«

»Natürlich nicht! Wie soll ein Mensch einem Riesenmonster auch etwas anhaben? So ein Kampf verstößt gegen die Menschenrechte«, sagte Vater Son.

»He, Gangcheol, beweg dich mal her«, sagte Dodari.

In unterwürfiger Haltung kam Gangcheol an den Tisch.

»Wie groß bist du?«, fragte Dodari.

»Ein Meter siebenundachtzig.«

»Und wie viel wiegst du?«

»Neunundsechzig Kilo.«

»Okay, das Gewicht kannst du vergessen, aber die Größe ist ungefähr gleich. Hast du Ami schon mal gesehen?«

»Noch nie persönlich, aber ich habe von ihm gehört.«

»Der ist ’ne echte Legende, der ist für uns ins Gefängnis gegangen, da warst du noch gar nicht hier. Er wird ein oder zwei Jahre jünger sein als du, wiegt aber doppelt so viel, hundertzwanzig Kilo oder so. Was glaubst du? Meinst du, du könntest gewinnen, wenn ihr gegeneinander kämpft? Wenn du’s irgendwann schaffst, Ami mit bloßen Händen zu besiegen, bist du an der Reihe und wirst in Guam zur Legende. Reizt dich das nicht?«

Gangcheol lächelte artig. »Meine Mutter hat mir immer gesagt, ich soll die Fäuste stillhalten und nicht mit so was angeben, und bis jetzt habe ich mich auch wirklich zurückgehalten, aber …«

»Dann halt dich weiter zurück«, schnitt Huisu ihm das Wort ab.

»… bei Schlägereien war ich immer der Beste«, brachte Gangcheol seinen Satz beleidigt zu Ende.

»Sogar gegen den Hundertzwanzig-Kilo-Brocken Ami, meinst du?«, fragte Dodari mit aufgerissenen Augen.

»Wenn man schwer ist, wird man langsam und schlaff, dann ist man kein guter Kämpfer. Nur Idioten lassen sich mästen. Echte Kämpfer haben einen leichten, beweglichen Körper, so wie ich.«

»Willst du damit sagen, dass du Ami besiegen kannst?«

»Wenn ich an meine eigenen Erfahrungen denke und die wissenschaftlichen Statistiken berücksichtige, dann würde ich sagen, ja, theoretisch, wenn nichts Überraschendes passiert, müsste eher ich gewinnen. Glauben Sie nicht?«

»Ah, so ein Früchtchen, er ist wirklich sehr lustig!«

Vor lauter Gelächter über Gangcheols Selbstbewusstsein wäre Vater Son fast das halb zerkaute Fleisch aus dem Mund gefallen. Auch Huisu und Dodari lachten. Gangcheol, der mit rotem Gesicht vor ihnen stand, konnte den Grund für ihre Heiterkeit nicht verstehen.

Endlich wandte sich Vater Son wieder zu ihm und fragte: »Gangcheol, wie geht es deiner Mama?«

»Gut, ihr geht es gut.«

»Du willst doch viel Geld verdienen und dich gut um sie kümmern, oder?«

»Ja, ich will ein guter Sohn sein.«

»Ich gebe dir jetzt einen Rat. Dieser Rat ist zu deinem Besten, behalt ihn immer im Hinterkopf. Wenn du weiterhin ein guter Sohn sein willst, der seiner Mama treu ergeben ist, dann lass dich auf keinen Fall bei Ami blicken. Denn um dich weiter um deine Mama zu kümmern, ist es ja vor allem wichtig, dass du am Leben bleibst, habe ich nicht recht?«

Gangcheol nickte schweigend.

»Lass dich also niemals, hörst du, niemals bei Ami blicken. Hast du verstanden? Ja?«, insistierte Vater Son, als brauchte er unbedingt Gangcheols Bestätigung.

»Verstanden«, murmelte Gangcheol.

»Willst du ein bisschen Fleisch?«, fragte Vater Son.

»Nein, nein.«

»Gut, kannst du dich dann ein bisschen entfernen? Wir haben was unter Erwachsenen zu besprechen.«

Während Gangcheol sich in eine Ecke zurückzog, sagte Vater Son zu Dodari: »He, was sollte das gerade, was stachelst du den Jungen so an?«

»Ach, nur so … War doch lustig, oder?«

Eigentlich hatte Huisu nicht schon mitten am Nachmittag mit dem Trinken anfangen wollen, aber das viele Fleisch weckte seine Lust auf Alkohol. Er leerte ein paar Gläser Wodka und bestellte, da die Lust immer größer wurde, noch eine Flasche. Vater Son, der eigentlich schon seit Langem keinen Alkohol mehr anrührte, schloss sich ihm an. Nach ein paar Gläsern fing er an, sich über die goldenen Zeiten von Guam auszulassen, damals, als das Geld nur so sprudelte, ihm aus allen Taschen quoll und die Frauen so verrückt nach ihm waren, dass er keine Nacht ausließ und sein Schwanz irgendwann vor Erschöpfung nicht mal mehr pissen konnte – Geschichten über Geschichten, alle frei erfunden. Wenn man ihn so munter trinken sah, hätte man ihm problemlos weitere fünfzig Lebensjahre zugetraut und nicht geglaubt, was Yangdong behauptete, dass er nämlich wegen eines schweren Leberschadens mit einem Fuß im Grab stand. Ausgelassen bestellte Vater Son die dritte Flasche Wodka. Die Sonne stand noch hoch über ihren Köpfen. Als die vierte Flasche kam, waren Vater Son und Huisu betrunken und Dodari kurz vorm Alkoholkoma.

»Ist es nicht herrlich, bei einem guten Glas zusammenzusitzen und dieses köstliche Fleisch zu essen«, sagte Vater Son.

»Ja, es ist wirklich köstlich«, antwortete Huisu.

»Wir sollten das häufiger machen. Immerhin seid ihr beide, du und der Schwachkopf Dodari, die einzige Familie, die ich noch habe«, fügte Vater Son hinzu.

Huisu sah ihn an. Was wollte er damit sagen? Das vom Alkohol gerötete Gesicht des Alten strahlte heute eine seltsame Ruhe aus. Schon seit Langem hätte Huisu gern gewusst, was Vater Son in Bezug auf das Hotel Mallijang vorhatte. Die Vorstellung, dem Idioten Dodari das Hotel zu vererben, machte Vater Son zu schaffen, denn er fürchtete – zu Recht, wie Huisu fand –, dass sein Neffe sich austricksen lassen würde. Man brauchte Grips, um bei einer so komplexen Angelegenheit wie diesem Haus, in dem etliche Fäden zusammenliefen und das permanent von der Polizei überwacht wurde, das Heft in der Hand zu halten. Hier in Guam gab es viele schlagbereite Typen, es gab die Gangster aus den anderen Vierteln, die ausländischen Gangs – Russen, Chinesen, Japaner, Südostasiaten –, die Schmuggler, Drogendealer, Hehler, Betrüger, Spieler, Söldner und pensionierten Polizisten. Hinter jedem lukrativen Geschäft lauerte eine Falle. Kurzum, eine Pfeife wie Dodari hatte in diesem Dschungel keine Überlebenschance.

Für Vater Son wäre es ideal gewesen, wenn Huisu sich bereit erklärt hätte, nach seinem Tod unter dem neuen Eigentümer Dodari als treu ergebener Manager im Hotel weiterzuarbeiten. Aber welcher Trottel hätte akzeptiert, unter so einem Chef zu arbeiten? Vater Son kannte Huisus Antwort. Oft sagte er: »Huisu, wenn es mich nicht mehr gibt, geh davon aus, dass die Hälfte des Hotels dir gehört. Gemeinsam werdet ihr das schaffen, du und Dodari.« Für Huisu waren solche Worte nichts als heiße Luft. Vater Son hatte kein Interesse daran, ihm das Hotel zu vererben. Wahrscheinlich hatte Yangdong recht: Das Mallijang gehörte seit achtzig Jahren dem Son-Clan, und er, Huisu, hatte vom Blut dieses Clans nicht einen einzigen Tropfen in sich. Für Vater Son war er nur ein treuer, zuverlässiger Angestellter. Der Gedanke machte ihn traurig. Nicht weil sein Name nicht in Vater Sons Testament stehen würde, sondern weil er in Guam für alle Zeiten ein Gangster unter vielen bleiben würde – im Gegensatz zu Dodari, diesem Versager, der vom gleichen Blut war wie der Alte.

Huisu zündete sich eine Zigarette an und betrachtete den schönen weißen Sandstrand, der in der Aprilsonne glitzerte. Es war die angenehmste und zugleich vergänglichste Jahreszeit, die einzige Zeit, in der man das Meer in Ruhe und ohne jeden Blutgeruch genießen konnte.

Genau in diesem Moment sagte Dodari, sturzbetrunken und mit verwaschener Stimme: »Hör mal, Großer Bruder, ist Ami nicht der Sohn von Insuk?«

Als Huisu den Namen hörte, erstarrte er. Schweigend, mit versteinertem Gesicht griff er nach seinem Wodkaglas und leerte es in einem Zug.

»Woher kennst du Insuk? Sie ist doch älter als du, oder?«, antwortete Vater Son an Huisus Stelle.

»Also, außer den nordkoreanischen Geheimagenten kennt die in Guam ja wohl jeder. War die Schlampe nicht ’ne berühmte kinzaku?«

»So ein Quatsch«, schimpfte Vater Son. »Weißt du überhaupt, was das heißt, kinzaku?«

»Was? Aber klar doch. Eine kinzaku ist doch ’ne Edelnutte, oder? So was wie Kleopatra, Yang Guifei, Xi Shi … Die haben tolle Lippen, aber untenrum sind die Lippen noch toller, super stramm. Ich hab schon ein paar von diesen kinzakus gevögelt.«

Huisu runzelte die Stirn.

Vater Son sah es und versuchte, Dodari zu bremsen. »Halt den Mund. Ami kommt gerade aus dem Gefängnis. Stell dir mal vor, wie er reagieren würde, wenn er wüsste, dass der Name seiner eigenen Mutter hinter seinem Rücken in den Schmutz gezogen wird.«

»Na und? Soweit ich weiß, ist er aber gerade nicht hier und kann uns nicht hören. Und man kann auch den König in den Schmutz ziehen, wenn er’s nicht hört, oder etwa nicht? Und außerdem, beim Trinken braucht man fünf Sachen, mit denen man angeben kann, und fünf Sachen, mit denen man Leute runtermacht, das gibt dem Alkohol erst den richtigen Geschmack«, lallte Dodari.

Huisu schenkte sich nach, trank das Glas wieder aus, ohne abzusetzen, und schenkte sich abermals nach. Vater Son sah schweigend zu, während Dodari weiterschwadronierte.

»Wobei, als ich Insuk gefickt habe, war die gar nicht so ’ne tolle kinzaku, wie’s immer heißt. Das Gesicht ist ziemlich hübsch, stimmt schon, aber untenrum war’s lascher, als ich dachte. Vielleicht ein bisschen strammer als der Durchschnitt, okay, aber nix, weshalb man sagen könnte, die ist ’ne megacoole kinzaku. Also, ’ne echte kinzaku ist auch nicht unbedingt stramm, das ist eher so ein Gefühl, als ob du von ’nem schwarzen Loch verschluckt wirst. Und bei Insuk hast du das Gefühl halt nicht.«

Wieder füllte Huisu sein Glas und leerte es in einem Zug.

»Schnauze, habe ich gesagt.« Vater Sons Stimme klang eisig.

»Was denn? Mann, Onkel, immer geht’s gegen mich. Insuk ist doch kackegal, die ist doch nur ’ne Nutte. Und Männer reden halt über Frauen, wenn sie trinken, ist doch so, oder? … Oh … Ach ja … Scheiße, stimmt ja, stimmt ja … Hab total vergessen, dass Insuk deine erste große Liebe war, Großer Bruder, als du noch klein warst. Ah, die erste Liebe, so kostbar, so süß! Okay, ich hör schon auf. Sorry, Großer Bruder. Die erste Liebe ist wirklich was Kostbares, und das muss man respektieren.«

Huisu stand auf, packte die Wodkaflasche und holte weit aus, als wollte er sie auf Dodaris Schädel niedergehen lassen. Fast im selben Moment sprang Vater Son auf und hielt mit für einen Siebzigjährigen erstaunlicher Kraft Huisus Arm fest.

»Lass es, Huisu, schlag unseren Dodari nicht! Unser Dodari hatte eine schwere Kindheit, hat so früh seine Mama und seinen Papa verloren! Bitte, schlag unseren Dodari nicht!«, rief er, den Tränen nahe.

Sturzbetrunken zog Dodari weiter vom Leder und hielt Huisu dabei seinen besoffenen Kopf hin: »Los, komm schon, mach mich fertig! Nicht mal dafür hast du Eier, Mann, hinter ’ner abgehalfterten Schlampe herlaufen, das kannst du, aber sonst auch nichts. Du beschissenes kleines Arschloch machst doch eh immer nur einen auf dicke Hose. Wer bist du eigentlich, dass du mich so verachtest?«

Dodari hörte und hörte nicht auf. Speichel lief ihm aus dem Mund. Die Flasche in Huisus Hand zitterte. Plötzlich, wie aus dem Nichts, stand Gangcheol hinter ihm, schnappte sich seinen Arm, riss ihn herunter und verdrehte ihn auf Huisus Rücken. Mit der anderen Hand packte er ihn am Genick. Mühsam konnte der verblüffte Huisu den Kopf zu ihm hindrehen. Gangcheol starrte ihn mit Drohmiene an. Doch schon hatte sich Huisu mit einer schnellen Drehbewegung befreit und trat Gangcheol mit voller Wucht in die Kniekehle. Man hörte Knochen knacken, und Gangcheol brach zusammen, worauf Huisu die Flasche, die er immer noch in der Hand hielt, auf seinem Schädel zertrümmerte. Gangcheols armer Kopf und Huisus Hand bluteten los.

Währenddessen hatte Vater Son seine Arme um Dodari geschlungen, der so betrunken war, dass er den Ernst der Lage immer noch nicht erfasste und weiterlalllte: »Warum krieg ich eigentlich immer alles ab? Scheiße aber auch, ich bin doch nicht der Einzige, der mit ihr geschlafen hat! Alle in Guam haben mit der geschlafen, Manga, Cheolki, Danka und sogar mein eigener Onkel, verdammt! Die ist ’ne richtige Nutte!«

Vater Son gab ihm eine schallende Ohrfeige. »Was redest du da? Ich habe nie mit Insuk geschlafen, ich doch nicht!«

Blut tropfte von Huisus Hand auf den Terrassenboden, wo sich eine rote Lache um Gangcheol gebildet hatte. Das Flimmern des Meeres in der Aprilsonne wurde von der Markise der Hotelterrasse reflektiert. Beim Anblick der Landschaft überkam Huisu eine abgrundtiefe Traurigkeit. Er starrte auf seine Hand, zog eine Glasscherbe aus der Wunde und warf sie auf den Boden. Durch den Tumult alarmiert, kam Mau aus dem Hotelfoyer herbeigelaufen.

»Großer Bruder Huisu, Sie bluten ja wie verrückt, wir müssen sofort die Blutung stoppen!«, rief er aufgeregt.

»Schon gut, schon gut. Kümmer dich lieber um den Saustall hier und ruf das Krankenhaus an«, erwiderte Huisu mit einem Blick auf den am Boden liegenden Gangcheol.

»Du solltest wirklich ins Krankenhaus gehen, Huisu«, sagte Vater Son.

»Es tut mir leid, Chef, ich habe zu viel getrunken.« Respektvoll beugte Huisu den Kopf vor Vater Son.

»Egal, ist nicht schlimm. Wenn man betrunken ist, macht man Dummheiten, und man prügelt sich … so ist das Leben. Mach dir nichts draus«, winkte Vater Son ab.

»Ich gehe mal ein bisschen frische Luft schnappen.«

»Bevor du irgendwo hingehst, fährst du ins Krankenhaus. Wenn du in diesem Zustand noch mehr trinkst, ruinierst du wirklich deine Gesundheit.«

Huisu nickte noch einmal, als wollte er sagen: Ich habe verstanden.

Als er sich umdrehte, legte ihm Vater Son sachte eine Hand auf die Schulter. »Noch etwas, Huisu. Auch wenn es vielleicht unpassend ist, jetzt wieder damit anzufangen, aber ich möchte, dass es in dieser Sache keinen Zweifel gibt.«

»Wovon reden Sie?«

Vater Son sah Huisu mit ernster Miene an. »Ich schwöre dir, dass ich nie mit Insuk geschlafen habe.«

Huisu lachte auf, dann nickte er zerstreut. Trotz dieser Klarstellung wirkte Vater Son besorgt.

Huisu verließ das Mallijang und überquerte den weißen Sandstrand; erst am Meer blieb er stehen. Ein verrostetes Sprungbrett knarrte im Wind. Gedankenverloren betrachtete er die Wellen, die über seine Schuhe schwappten. Er bückte sich und wusch sich mit Meerwasser das Blut von den Händen und aus dem Gesicht. Das Salz ließ den Schmerz in seiner Wunde auflodern.

Wahrscheinlich hatte Dodari recht. Alle Männer aus Guam, die Huisu kannte, hatten wohl mit Insuk geschlafen. Sie war immer unnahbar gewesen, und als sie dann Nutte wurde, hatten vermutlich alle außer ihm vor Begeisterung gejohlt und sich auf die Schenkel geklopft.

Dabei hatte er sie geliebt, diese Frau, die mit allen Männern von Guam geschlafen hatte, den jungen und alten, den Idioten und Arschgesichtern. Manchmal, wenn Huisu betrunken war, fragte er sich, ob er sie immer noch liebte. Ach was, nein, das ist doch absurd, wer würde so eine ausgelaugte Nutte lieben?, hörte er dann eine leise Stimme in seinem Kopf.

Heißes Blut

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