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DAS KUCKUCKSDEPOT

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In der Lagerhalle rotierten drei riesige Ventilatoren. Vietnamesische Arbeiter hatten begonnen, Säcke mit chinesischem Chilipulver von dem Laster abzuladen, der sich durch die engen Straßen der Stadt gequält hatte. Hinter den Vietnamesen fing ein gutes Dutzend mit Kehrschaufeln bewaffneter Frauen schon an, das Importpulver mit koreanischem Chili zu vermischen. Ein scharfer Geruch breitete sich in der Halle aus.

Das aus Ziegeln und Schiefer errichtete zweistöckige Gebäude war eigentlich nur als Speicher gedacht, Menschen sollten nicht darin arbeiten. Im Verhältnis zu seiner Größe gab es zu wenige und im Übrigen lächerlich kleine Fenster, und da weder eine Heizung noch eine Klimaanlage existierte, beschwerten sich die Arbeiter vor allem in den Winter- und Sommermonaten häufig. Doch der günstige Standort – in Hafennähe, aber abseits gelegen – hatte rasch dazu geführt, dass Vater Son das Lager für die Herstellung seines falschen Sesamöls und die Verwandlung von kalifornischen in koreanische Bohnen nutzte. Man nannte es das »Kuckucksdepot«.

Weil es zudem als Zwischenlager für Schmuggelware diente, tauchten dort manchmal auch Luxusprodukte auf, die über den Hafen eingeschleust worden waren: Wodka, europäischer Wein, Elektrogeräte von Sony oder Aiwa, russische Pelze, Inhaltsstoffe der chinesischen Medizin. Doch in erster Linie wurden dort banalere Waren gehortet, die weniger Gewinn brachten und einen höheren Einsatz von Arbeitskräften erforderten: Bohnen, Sesam, getrocknete Sardellen und eben Chilipulver.

Huisu war mit Vater Sons Geschäftsmodell nicht recht glücklich. Beim Schmuggeln galt eigentlich die Faustregel: je höher das Risiko, desto größer der Gewinn. Mut zahlte sich aus. Doch in Vater Sons Augen war Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Von Drogen und Waffen wollte er nichts wissen und mied grundsätzlich alle Produkte, die verstärkt vom Zoll kontrolliert wurden. Schon immer ein eher ängstlicher Mensch, war er seit dem Gefängnisaufenthalt vor einigen Jahren eine richtige Memme. Wenn man mit Chilipulver oder chinesischen Bohnen aufflog, konnte das seiner Meinung nach quasi als Mundraub durchgehen, und man kam mit ein paar Scherereien davon, die in wenigen Monaten ausgestanden waren; wer aber beispielsweise mit Waffen in Verbindung gebracht wurde, der konnte für immer einpacken.

Das Taschentuch vor der Nase, warf Huisu einen missmutigen Blick auf die Staub- und Chilischwaden. Was nicht durch die Fenster entweichen konnte, wirbelte bis zur Decke und sank dann langsam wieder zu Boden. Die mangelhafte Luftqualität schien Vater Son nicht im Mindesten zu stören. Zufrieden lächelnd betrachtete er die Berge von Chilipulver.

»Siehst du? Ich hab’s dir doch gesagt, Chilipulver läuft dieses Jahr. In letzter Zeit ist der Kurs ganz schön gestiegen. Ich denke, wir können den Großhandelspreis mindestens verfünffachen.« Aus seiner Stimme klang Stolz.

»Macht Ihnen das so große Freude, die armen Bauern übers Ohr zu hauen? Kein Funken schlechtes Gewissen?«, spottete Huisu.

»Ich gebe zu, ein bisschen unangenehm ist es mir schon. Deshalb mische ich ja wenigstens einen Teil koreanisches Chilipulver unter. Ganz ehrlich, manche nehmen nur zehn Prozent, das muss man sich mal vorstellen, wir dagegen mischen ganze zwanzig Prozent unter. Ich habe gehört, dass es in Masan manchmal sogar nur fünf Prozent sind. Das ist doch grausam. Fünf Prozent! Ich verstehe nicht, wie man so niederträchtig sein kann. Wie sollen unsere Bauern denn da überleben?«

Huisu reagierte mit einem sarkastischen Lachen. Fünf Prozent, zehn Prozent, was machte das für einen Unterschied? Außerdem ging es Vater Son doch nur um die Papiere. Denn um das gepanschte Pulver überhaupt in den Handel bringen zu dürfen, musste man beweisen, dass man es in Korea gekauft hatte. Vater Son vermischte also ein bisschen koreanisches Chilipulver mit großen Mengen geschmuggeltem Pulver, um es dann – auf der Grundlage gefälschter Rechnungen – an die Grossisten verkaufen zu können.

»Was gibt’s da zu lachen?«, sagte Vater Son in scharfem Ton; Huisus Grinsen hatte ihn offensichtlich gekränkt.

»Wie bitte?«

»Du machst dich doch gerade über mich lustig, oder?«

»Aber nein, ganz und gar nicht.«

»Von wegen. Gewöhn dir das gleich mal ab, dich wegen jeder Kleinigkeit über deinen Boss lustig zu machen. Sonst wirkt es zu despektierlich, und dann fangen die Jungs noch an, es dir nachzumachen.«

Vater Son bückte sich, nahm eine Handvoll Chilipulver und rieb es prüfend zwischen den Fingern. Dann nickte er zufrieden und stieg die Treppe hinauf ins obere Stockwerk. Huisu folgte ihm. Als Vater Son die Tür zu seinem Büro öffnete, fuhr der dicke Wächter, der gerade seine jjajang-Nudeln aß, vom Stuhl hoch.

»Seit wann sind Sie hier?«, fragte er und wischte sich mit dem Handrücken über den soßenverschmierten Mund.

»Was schaufelst du da alles in dich rein, dass du gar nicht mitbekommst, wer hier ein und aus geht? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst aufpassen, vor allem wenn Ware kommt?« Plötzlich war Vater Sons Zorn entfacht.

Der Dicke sammelte hastig die auf dem Tisch verteilten Gerichte ein: Eine doppelte Portion jjajang-Nudeln, ein Teller gebratenes Schweinefleisch, ein weiterer mit Maultaschen und noch einer mit gebratenem Gemüse, dazu eine Flasche chinesischer Schnaps. Bildschirme an der Wand zeigten die Aufnahmen der Überwachungskameras, die vor Kurzem am Hauptportal, an der Hintertür, am Parkplatz und am Eingang zur Lagerhalle installiert worden waren. »Tss«, machte Vater Son, während sein Blick wütend über die auf dem Tisch verstreuten Teller wanderte. Daran gewöhnt, auf jede Laune seines Chefs einzugehen, krümmte der Dicke den feisten Körper zu einer tiefen Verbeugung.

Der »Entleerte« nannten ihn alle. Warum man ausgerechnet ihm diesen seltsamen Spitznamen gegeben hatte, war angesichts seiner Körperfülle von annähernd 130 Kilogramm rätselhaft. Vielleicht hatten Frauen sich das ausgedacht, denn im Bett neigte er wohl tatsächlich dazu, sich allzu rasch zu entleeren. Der Entleerte war jedenfalls so dick, dass ihn jede Bewegung anstrengte und er literweise schwitzte. Bei dem gewaltigen Körper hätte es niemand vermutet, doch er hatte ein sanftmütiges, freundliches Wesen, war unendlich langsam und für Schlägereien eigentlich nicht zu gebrauchen. Kurzum: ein Koloss, aber fürs Gangsterleben völlig ungeeignet. Früher hatte er sich sein Furcht einflößendes Aussehen zunutze gemacht und als Türsteher in einer Bar gearbeitet, ein Job, in dem er sich darauf beschränkte, bedrohlich zu wirken. Doch seit einer Knieoperation konnte er nicht mehr so lange stehen. Da er früh im Gangstermilieu gelandet war, hätte er inzwischen eigentlich als einer der Altgedienten respektiert werden müssen, aber die Jüngeren verachteten ihn. Deshalb hatte Vater Son ihm die Bewachung des Lagers anvertraut. Jemand, der sich nicht gern bewegte, war bestimmt als aufmerksamer Wächter zu gebrauchen. Das hatte er jedenfalls gedacht.

»Verdammt noch mal, was bist du für ein Idiot! Jedes Hundebaby hätte das Lager besser bewacht als du«, schimpfte Vater Son.

»Er ist hier ganz allein zuständig, und essen oder mal aufs Klo darf er ja wohl, oder? Er kann doch nicht die ganze Zeit auf die Bildschirme starren. Ist gut jetzt. Los, du kannst zu Ende essen.« Huisu klopfte dem Entleerten beruhigend auf die Schulter, worauf der sich erneut tief verbeugte, diesmal vor ihm.

Vater Son warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Habe ich gesagt, dass er nicht essen soll? Wenn nichts los ist, kann er sich ja meinetwegen ein bisschen entspannen, aber doch nicht gerade dann, wenn Ware kommt. Da muss man auf Zack sein.«

»Entschuldigung«, sagte der Entleerte.

»Wann sind die hier fertig?«

»Im Prinzip heute.«

»Die sollen den Laster gleich heute Nacht wieder beladen. Ist besser, der Krempel liegt hier nicht lange rum.«

»In Ordnung.«

»Und du, bring mir einen ssanghwacha

Der Entleerte verließ das Büro, um ihm den Tee zu holen. Die Metalltreppe schepperte unter seinen schweren Schritten.

Vater Son schüttelte bekümmert den Kopf. »Nichts, aber auch gar nichts an diesem Jungen gefällt mir«, sagte er.

»Jetzt haben Sie sich nicht so. Er will doch nur wie alle das Leben in vollen Zügen genießen, nur dass sein Körper eben dabei nicht mitmacht.«

Vater Son deutet feixend auf die vielen Teller. »Wenn man so viel isst, wie soll der Körper da mitmachen? Ist das etwa eine Mahlzeit für eine Person? Davon kann man eine ganze Bürogemeinschaft ernähren.«

Während sich Huisu mit halbem Ohr Vater Sons Genörgel anhörte, schenkte er sich ein Glas Schnaps ein und leerte es in einem Zug. Dann brach er die Wegwerfstäbchen auseinander und nahm sich ein paar Stücke von dem Gemüse.

Vater Son beobachtete ihn besorgt. »Hast du heute noch nichts gegessen?«

»Ich hatte die Augen noch nicht ganz auf, da haben Sie mich schon hergerufen, wann soll ich denn da gegessen haben?«

»Du solltest mehr schlafen. Jede Nacht versumpfst du im Kasino, und am nächsten Tag torkelst du durch die Gegend wie ein krankes Küken. Du warst doch wieder bei Jiho und hast die ganze Nacht Baccara gespielt, oder?«

»Ich habe nicht Baccara gespielt.«

»Du lügst. Deinetwegen stopft sich Jiho die Taschen immer voller.«

Schweigend schluckte Huisu ein paar Bissen Gemüse. Er schenkte sich noch ein Glas ein, trank es aus und verzog das Gesicht. Der Alkohol brannte ihm im Magen.

»Um wie viel Uhr triffst du heute Abend die Typen vom Zoll?«

»Um sechs.«

»Wenn ihr alles in trockenen Tüchern habt, gehst du aber sofort. Man sollte nie länger als nötig bei der angeheirateten Familie herumsitzen, es bringt nichts, und genauso wenig bringt es, länger als nötig mit Leuten herumzusitzen, die für den Staat arbeiten. Das ist schon seit Menschengedenken so.«

»Chef Gu scheint übrigens auch zu kommen. Wird sicher ein heißer Abend.«

»Was soll denn das heißen? Was will denn der Arsch von Bulle?«

»Na, es hieß doch, wir gehen in eine Go-go-Bar, da will er sicher die Gelegenheit nutzen und umsonst saufen. Und mit den Mädchen hat er’s ja auch immer noch, obwohl er keinen mehr hochkriegt.«

An dieser ebenso überraschenden wie wertvollen Information hatte Vater Son seine Freude. »Chef Gu kriegt keinen mehr hoch?«

»Schon länger nicht. Jede Nutte hasst es, wenn sie ihn abkriegt.«

»Wie kann es sein, dass ein Kerl, der aussieht wie ein Tiger, so ein Weichtier zwischen den Beinen hat?«

»Wenn bei den Kerlen nichts mehr geht, halten sie sich eigentlich von den Mädchen fern und suchen sich was anderes, Pferderennen, Golf oder was weiß ich. Aber Chef Gu ist ein komischer Typ, der kann’s einfach nicht lassen.«

»Da ist er bestimmt nicht der Erste. Genau genommen sind alle Menschen pervers.«

Huisu warf die Stäbchen auf den Tisch und erhob sich mit einem Blick auf die Uhr.

»Gehst du?«

»Muss mich fertig machen. Will mich noch waschen und umziehen.«

»Okay. Viel Spaß bei der Arbeit.«

Doch anstatt zu gehen, blieb Huisu vor Vater Son stehen und sah ihn durchdringend an.

Vater Son reagierte mit einem fragenden Blick. »Was?«

»Ich brauche noch das Geld.«

»Was für Geld? Wenn du das Geld meinst, das die Typen vom Zoll kriegen, das habe ich denen alles schon geschickt.«

»Um Leute in eine Go-go-Bar einzuladen, braucht man Bares. Wollen Sie, dass ich den Ladys Schecks ausstelle, oder was?«

»Also wirklich, wie kleinlich von dir – solche läppischen Ausgaben könntest du wirklich selbst übernehmen.«

Leise schimpfend entnahm Vater Son seiner Brieftasche zwei Geldscheine. Zwei Millionen won. Huisu zog die Mundwinkel herunter, worauf Vater Son noch einen dazulegte und ihm alles hinhielt. Drei Millionen. Missmutig nahm Huisu das Geld und stopfte es sich in die Gesäßtasche. Er deutete eine Verbeugung an und verließ das Büro. Auf der Treppe kam ihm der Entleerte entgegen, der sich, eine Tasse ssanghwacha in jeder Hand, mühsam an den Aufstieg machte. Seine Kleider waren schweißnass.

»Sie gehen schon, Herr Huisu?«

»Ja, ich habe zu tun.«

»Trinken Sie doch noch einen Tee, bevor Sie gehen. Er sieht vielleicht nicht so aus, aber er ist wirklich sehr gesund.«

»Ist schon gut. Trink du doch einfach meinen, wenn er so gesund ist.«

Um fünfzehn Uhr erreichte Huisu wieder den Parkplatz des Hotels Mallijang. Noch drei Stunden bis zu seinem Treffen. Sein Mund war wie ausgetrocknet, wahrscheinlich von den vielen zu kurzen Nächten in Folge. Außer den paar Bissen im Kuckucksdepot hatte er den ganzen Tag noch nichts gegessen. Sein Magen knurrte, und er war müde. In ein paar Stunden würde er den spendablen Gastgeber spielen müssen. Besser, er aß vorher noch was, duschte, zog sich frische Unterwäsche an und gönnte sich noch eine Mütze Schlaf, denn mit Typen wie Chef Gu drohte die Abendveranstaltung eine nervtötende Sache zu werden.

Huisu warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Nachdenklich trommelte er mit den Fingern auf das Lenkrad. Fürs Essen, Duschen und Schlafen war die Zeit zu knapp. Er ließ den Motor wieder an und fuhr Richtung Kasino.

Auf dem Stuhl neben dem Eingang saß dösend ein Trumm von einem Mann. Auch als Huisi sich direkt vor ihm aufbaute, wachte der Typ nicht auf. Da rüttelte er ihn kurzerhand an der Schulter.

Der Fettwanst schlug die Augen auf und begrüßte Huisu hastig. »Guten Tag, Großer Bruder Huisu.«

»Lass mich rein.«

Der Typ nuschelte etwas in die Sprechanlage; sofort schwang mit einem durchdringenden Piepen eine der schweren Eisentüren auf, die sich am oberen und am unteren Ende der Treppe befanden, die zum Kasino hinunterführten. Sie waren eingebaut worden, damit im Fall einer Polizeirazzia genügend Zeit blieb, das Kasino durch eine Geheimtür zu räumen. Diese Eisentüren waren so massiv, dass man selbst mit einem Schweißbrenner zwanzig Minuten gebraucht hätte, um nur eine von ihnen zu überwinden. Jedes Mal, wenn Huisu die dunkle, feuchte Treppe hinunterging, hatte er das Gefühl, in eine Katakombe hinabzusteigen. Am Fuß der Treppe angelangt, klingelte er. Durch den Spion checkte ein Mann sein Gesicht und machte auf.

Es war Nachmittag und das Kasino trotzdem brechend voll. Huisu ließ den Blick wandern. Alle Tische waren besetzt.

Jiho kam aus seinem Büro geschossen und verbeugte sich vor Huisu. »Großer Bruder Huisu, was verschafft mir zu dieser ungewöhnlichen Tageszeit die Ehre Ihres Besuchs?«

»Nichts, ich hatte gerade ein bisschen Zeit.«

»Soll ich Ihnen einen Tisch frei machen?« Mit forschendem Gesicht versuchte er, Huisus Wünsche am Gesicht abzulesen.

Wie gern wäre Huisu an einen der Tische gegangen, an denen mit hohem Einsatz gespielt wurde, aber dafür hatte er nicht genug Geld dabei. Also zeigte er auf einen, an dem bei einer Million Schluss war. Jiho ging hin und gab einem der dort sitzenden Männer einen leichten Klaps auf die Schulter. Der Typ drehte sich verärgert um. Als er Huisu sah, erhob er sich schicksalsergeben. Mit einer Hand wischte Jiho beflissen über die Sitzfläche des Stuhls, dann bot er ihn Huisu an.

Bei Jiho gab es nur ein einziges Spiel. Kein Poker, kein Roulette, kein Blackjack, bei Jiho wurde ausschließlich Baccara gespielt. Die Regeln dieses einfachen Spiels kapierte jeder Mensch, der nicht den IQ eines Hundes hatte, im Handumdrehen. Da es außerdem ein sehr schnelles Spiel war, das mehr als hundert Einsätze pro Stunde ermöglichte, hatte es einen hohen Suchtfaktor. Theoretisch hatten die Gäste und das Kasino eine nahezu gleiche Gewinnquote: 49 zu 51. Trotzdem gewann am Ende immer das Kasino. Und weil sich die minimale prozentuale Differenz unendlich oft wiederholte und sich zudem die Provisionen summierten, verließen die Leute das Kasino am Ende des Tages mit leeren Taschen. Bei ihren Versuchen, tiefer in die Geheimnisse des Baccara einzudringen, übersahen sie, dass sie nicht verloren, weil sie keine Ahnung von dem Spiel hatten, sondern nur deshalb, weil sie immer weiterspielten.

Jiho war ein guter Geschäftsmann. Er war gastfreundlich und feierte gern. Kein Wunder also, dass schon so viele Idioten in seinem Kasino ihr Leben verpfuscht hatten. Die alten Leute von Guam mochten ihn. Hatten sie die Wahl, waren ihnen Ganoven, die etwas von Kundenbindung verstanden und liebenswürdig und auf intelligentem Weg Profit machten, lieber als ordinäre Gangster; eben Leute wie Jiho.

Huisu nahm die drei Millionen, die er von Vater Son bekommen hatte, legte aus eigener Tasche zwei Millionen dazu und tauschte sie gegen Spielmünzen ein. Auf der anderen Seite des Tischs wurde er argwöhnisch von Obligation Hong beobachtet. Auch dessen chinesischer Leibwächter Changdo fixierte Huisu wie immer mit kaltem Blick. Huisu dagegen tat so, als sähe er die beiden nicht.

Er schuldete Obligation Hong einiges Geld. Im Laufe der Zeit war es immer mehr geworden, sodass seine Schulden sich inzwischen auf dreihundert Millionen won beliefen. Und in letzter Zeit schaffte es Huisu nicht einmal mehr, die Zinsen zu bezahlen. Obligation Hong war ein gewerbsmäßiger Wucherer, der in Guam von Vater Son geduldet wurde, weil die jungen Kerle, die für ihn arbeiteten, alle von außerhalb kamen. Obligation Hongs ursprünglicher Plan, für die abscheuliche Arbeit des Geldeintreibens Gangster aus dem eigenen Viertel zu engagieren – dessen Bewohner ja alle mehr oder weniger direkt miteinander verwandt waren –, hatte sich offenbar nicht so leicht umsetzen lassen. Nun hatten sie es so geregelt, dass Obligation Hong jeden Monat Vater Son eine hübsche Summe zukommen ließ und dafür in den Kasinos, auf den Märkten und in den Bars sein Geld verleihen konnte. Vater Son stellte sich blind, was die Methoden betraf, mit denen Obligation Hong den verschuldeten Gangstern von Guam auf den Fersen war. Er hatte sich, was das betraf, klar ausgedrückt: »Geldgeschichten sind nicht mein Problem.« Eine Allianz wie die zwischen Krokodilwärter und Krokodil.

Ob Auftragskiller oder Clan-Mitglied – wer sich bei Obligation Hong Geld lieh, hatte keine Chance, ihm zu entkommen. Wie alle Wucherer war er ein Scheusal, dem es gelang, noch aus dem ausgedörrtesten Tintenfisch Saft zu pressen. Das für Gangster eigentlich charakteristische Ehrgefühl hatte er mit seinem Eintritt ins Verbrechermilieu über Bord geworfen. Im Wesentlichen lieh er Spielern und Callgirls Geld, aber seine eigentliche Spezialität war etwas anderes: Er kaufte Gläubigern Schulden ab, die schwer einzutreiben waren. Dafür zahlte er Spottpreise von allenfalls zehn oder zwanzig Prozent der geschuldeten Summe und setzte dann die betroffene Familie, manchmal sogar entfernte Verwandte so unter Druck, dass er nicht nur den kompletten Betrag, sondern auch sämtliche Zinsen bis auf den letzten Heller eintrieb. Und auf seine Methoden hätte selbst der widerlichste Wucherer dankend verzichtet. Er war so pedantisch, so niederträchtig, so hartnäckig, so durchtrieben und gleichzeitig so intelligent, dass jeder, der es einmal mit ihm zu tun bekommen hatte, beim bloßen Gedanken daran vor Angst zitterte. Die Grausamkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Wer am Ende mit allen bei der Geburt vorhandenen Körperteilen im Sarg liegen wollte, durfte nicht eine Sekunde darüber nachdenken, die Zahlung einer Schuld bei Obligation Hong aufzuschieben, und sei sie noch so klein.

Huisu schuldete ihm allerdings inzwischen dreihundert Millionen, die Zinsen nicht eingerechnet. Trotzdem ging er im Kasino ein und aus und wechselte vor den Augen seines Gläubigers Bargeld in Spielmünzen, als wollte er ihn bewusst provozieren: Tja, ich habe Geld, aber nicht für dich, da staunst du, was?

In Wirklichkeit hatte Huisu nicht die geringste Absicht, ihn auf die Palme zu bringen. Die widerwärtigen Methoden, die nun einmal die Geschäftsbasis von Obligation Hong waren, sein Brotverdienst sozusagen, waren ihm vollkommen egal. Huisu hatte einfach Lust zu spielen. Und mal ehrlich, dreihundert Millionen, so viel war mit Arbeit, auch mit harter Arbeit, nicht zu verdienen. Hier jedoch hatte er vor ein paar Monaten sogar dreihundertzwanzig Millionen gewonnen. Er war wie in Trance gewesen, jede Karte, die er umdrehte, war die richtige. Das Glück war ihm so hold, als hätte sich der Spielteufel auf seine Schulter gesetzt. Dreihundertzwanzig Millionen. Wenn er nach dieser Glückssträhne aufgehört hätte, wären seine gesamten Schulden beglichen gewesen. Es war zwar nicht genug Geld, um sein Hundeleben zu beenden und ein neues, sauberes Leben anzufangen, aber doch genug, um wieder Ordnung hineinzubringen und es ihm leicht zu machen. Selbstverständlich hatte Huisu es nicht geschafft, aus dem Spiel auszusteigen. An jenem Tag hatte das Glück seinen Gewinn auf dreihundertzwanzig Millionen hochgetrieben, um ihn anschließend ins Bodenlose fallen zu lassen. Er verlor alles, was er gewonnen hatte, und als sei das nicht schon genug, verschärfte Huisu seine Lage noch, indem er weitere hundert Millionen verspielte, die er sich bei Jiho lieh. So hatte er nun insgesamt, allein in diesem Kasino, bei Obligation Hong dreihundert und bei Jiho hundert Millionen won Schulden. Letztere würde Obligation Hong bald zum Freundschaftspreis von Jiho übernehmen, womit Huisu ihm dann vierhundert Millionen schuldete. Jeder andere Gangster hätte für so eine Summe bereits zehn Mal seine Arme und Beine verloren.

Das Spiel war in vollem Gang. Um einen kühlen Kopf zu bewahren, versuchte Huisu, langsam und bewusst zu atmen. Fünf Sekunden einatmen, fünf Sekunden ausatmen, fünf Sekunden einatmen, fünf Sekunden ausatmen … Mit dem Baccara war es genauso wie mit jedem anderen Spiel: Sobald man in Aufregung geriet, verlor man. Der Erregungspegel musste niedrig bleiben – sowohl wenn sich das Glück einstellte als auch wenn es sich davonmachte. Man musste auf seinen Emotionen reiten wie auf einer Welle. Ruhig machte Huisu seine Einsätze. Einatmen, ausatmen, einatmen …

Nach einer knappen Stunde hatte er fünf Millionen won verloren, mit anderen Worten alles, was er bei sich gehabt hatte. Er zögerte kurz, ob er sich noch mehr Geld bei Jiho leihen sollte, doch als er die Uhrzeit sah, stand er auf.

»Sie gehen schon?«, fragte Jiho.

»Ja, ich habe zu tun.«

Jiho sah sich kurz um, dann zog er ein Bündel Geldscheine aus der Innentasche seiner Jacke; über den Daumen gepeilt ungefähr eine Million won in Zehntausendern.

»Was soll das?«

»Ein Geschenk des Hauses, kleine Unterstützung. Jeder weiß, dass Sie in Guam der Meister aller Klassen sind, Großer Bruder Huisu. Ihre Brieftasche darf nicht leer sein.«

»Ist schon okay.«

»Bitte, nehmen Sie das.« Jiho stopfte ihm die Scheine in die Tasche, was Huisu mit gespielter Verlegenheit hinnahm. »Ich wünsche Ihnen einen guten Heimweg.«

»Danke.«

Als Huisu den Ausgang erreichte, versperrte ihm Obligation Hongs Leibwächter Changdo den Weg. Außer dass er Chinese war, wusste Huisu nichts über ihn. Weder, woher er kam, noch, was er früher gemacht hatte. Es gab keine Gerüchte über ihn. Dass aber ein Angsthase wie Obligation Hong nachts nur in Begleitung dieses Typen vor die Tür ging, ließ die Brutalität des Mannes erahnen. »Mein Boss will mit dir reden«, sagte Changdo in gebrochenem Koreanisch.

Mit einem Blick auf die Uhr ging Huisu zu Obligation Hong, der Whisky schlürfend an seinem Tisch saß. Huisu nahm einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber.

»Willst du ein Glas?« Obligation Hongs Hand wanderte schon zur Flasche.

Huisu winkte ab. »Was ist los?«, fragte er.

»Du fragst mich, was los ist? Was soll zwischen uns schon sein, wenn nicht Geld?«

Huisu sah ihn gleichgültig an. Zu diesem Thema hatte er ganz offensichtlich wenig zu sagen. Er wirkte so desinteressiert wie jemand, der zum x-ten Mal denselben Film sieht.

»Bist verschuldet bis über die Ohren und willst hier den Klugscheißer spielen?«, fragte Obligation Hong mit einem irritierten Lachen.

»Soll ich lieber heulen?«

»Wenn man geliehenes Kapital nicht zurückzahlen kann, muss man wenigstens die Zinsen zahlen, bevor man sich wieder an den Spieltisch setzt, das ist ja wohl das Mindeste. Und bei dir habe ich nicht mal eine Hypothek verlangt. Aber wenn du jetzt auch noch anfängst, respektlos zu sein, Huisu, habe ich bei aller Geduld keine andere Wahl, als sehr, sehr böse zu werden.«

»Auch unsereins muss essen. Und wenn ich Ihnen die Zinsen zahle, habe ich kein Geld mehr für Zigaretten.«

»Hör auf mit dem Scheiß. Du hast dir gerade fünf Millionen abzapfen lassen.«

Zum x-ten Mal sah Huisu auf die Uhr, dann gähnte er gelangweilt. »Wenn ich irgendwann den großen Coup lande, gebe ich Ihnen alles zurück. So eine Riesensumme kann man nicht abstottern, wie soll das gehen?«

»Das war doch in Holland, oder? Wo dieser Junge mit einem Arm das Loch im Deich zugestopft hat? Kennst du die Moral von der Geschichte?«

Huisu warf ihm einen blasierten Blick zu.

»Wenn du ein noch so kleines Loch im Deich nicht schnellstens reparierst, stürzt am Ende der ganze Deich ein. Denn wenn er erst mal angefangen hat zu bröckeln, kann ihn nichts mehr halten, nicht mal ein Bulldozer.«

»Wenn Sie predigen wollen, tun Sie das woanders«, entgegnete Huisu, genervt von dem dummen Gerede. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit! Und hören Sie endlich auf mit dem Gejammer, ich werde Ihr Geld schon nicht auffressen.«

Obligation Hong lief puterrot an. »Wie bitte? Gejammer? Wie redest du mit einem Älteren?«

»Verehrter Älterer, ich danke Ihnen für Ihre wertvollen Belehrungen, erlaube mir nun aber, Sie zu verlassen, weil ich zu tun habe. Bei nächster Gelegenheit werde ich Ihren klugen Ratschlägen lauschen in der Hoffnung, dass ich dadurch ein dickeres Fell bekomme.« Mit diesen Worten stand Huisu auf.

Obligation Hong, immer noch knallrot, funkelte ihn an. »Hör zu, Freundchen, ich rate dir, Vater Son weiterhin schön am Arsch zu kleben. Denn an dem Tag, an dem du das Mallijang verlässt, zahlst du brav alle Zinsen mit deinen Nieren und deinen Augen.«

Huisu lachte angewidert. »Dreckskerl!«

Und damit ging er ohne jede Eile zur Tür, auch wenn er die ganze Zeit spürte, wie sich Obligation Hongs hasserfüllter Blick in seinen Hinterkopf bohrte.

Es war 17 Uhr 30, als Huisu den Wagen am Strand abstellte. Er ging zum Grillrestaurant und warf einen Blick in den Raum, den er reserviert hatte. Chef Gu und die Typen vom Zoll waren noch nicht da. Der Wirt begrüßte ihn und plapperte gleich los: Das Fleisch sei heute wirklich exzellent, er habe aber auch eine Sashimi-Platte vorbereitet, falls der eine oder andere Gast vielleicht doch lieber Fisch essen wolle. Huisu bedankte sich. Abwartend rieb der Mann wie eine Fliege die Handrücken aneinander. Schließlich gab er sich einen Ruck und fragte Huisu in diskretem Ton, ob er vielleicht wisse, wo man zu einem guten Preis einen Naturholzschrank kaufen könne, es gehe um die Hochzeit seiner Tochter. Zerstreut antwortete Huisu, er könne ihm da nicht weiterhelfen. Der Mann schien enttäuscht und versuchte es mit einer anderen Frage: Nachdem er vor ein paar Tagen Elektrogeräte für den Haushalt gesehen habe, unter der Hand importiert, wolle er gern wissen, ob es möglich sei, fünf japanische Reiskocher der Marke Elephant zu bekommen. Huisu sah ihn kalt an. Etwas verlegen erging sich der Wirt in Erklärungen, murmelte etwas davon, dass seine Tochter den Sohn einer Arztfamilie heirate, dass er befürchte, nicht genug Geld für die Aussteuer zu haben, dass die Reiskocher von Elephant die besten auf dem Markt seien und die Verwandten seines zukünftigen Schwiegersohns sich sicher sehr über einen davon freuen würden. Wieder blickte der Mann forschend in Huisus stummes Gesicht. Dann wagte er es, mit leiser Stimme anzumerken, sein künftiger Schwiegersohn komme aus einer erstklassigen Familie, und dass er fürchte, seine Tochter könne sich unterlegen fühlen. Heute verdienten er und seine Frau recht ordentlich, fuhr er fort, doch als seine Tochter klein gewesen sei, da sei das noch anders gewesen, und deshalb habe sie eine schwere Kindheit gehabt. Sie sei eine gute Schülerin gewesen, doch aufgrund der finanziellen Situation habe sie schließlich nur eine Berufsfachschule besuchen können, was er heute sehr bedauere.

Huisu wurde langsam ungeduldig. Mit einem langen Seufzer antwortete er, dass er sich wegen der Elephant-Reiskocher erkundigen werde. Sofort hellte sich die Miene des Mannes auf. Huisu schaute auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. Wahrscheinlich eher mehr, denn Pünktlichkeit war nicht Chef Gus Sache. Auf einmal hatte Huisu einen fürchterlichen Durchhänger. Gern hätte er sich irgendwo hingelegt und kurz die Augen zugemacht. Aber wenn er blieb, würde er weiter das Geschwätz des Wirtes ertragen müssen, über seine ach so nette Tochter und den ach so vornehmen künftigen Schwiegersohn. Womöglich fragte er noch, ob auf der amerikanischen Militärbasis nicht ein Kühlschrank von General Electric aufzutreiben sei. Huisu stand auf und ging.

Es war April und der Strand so gut wie leer. Huisu zündete sich eine Zigarette an. Automatisch begann er, die Spaziergänger zu zählen, es waren sieben. Ein mittelaltes Paar – wahrscheinlich unverheiratet –, zwei die Schule schwänzende Gymnasiasten und drei japanische Touristinnen gesetzten Alters. Allein an diesem Strandabschnitt gab es mehrere Dutzend Sashimi-Restaurants, über hundert Bars und Cafés und tausendvierhundert leere Hotelzimmer. Und am Strand waren sieben Menschen. Man benötigte keinen Taschenrechner, um zu erkennen, was das bedeutete. Voll war es nur im Kasino. Huisu warf seine Zigarette in den Sand und klemmte sich sofort eine neue zwischen die Lippen.

In diesem Moment kam eine Gruppe von Jungen aus Gyeongtaes Boxverein am Meer entlanggelaufen. Gyeongtae, der neben ihnen herrannte, spornte sie laut an. Huisu steckte die Zigarette, die er gerade anzünden wollte, wieder in die Schachtel. Auch Gyeongtae hatte ihn gesehen und winkte. Huisu erwiderte den Gruß. Auf seiner Höhe angelangt, blieb Gyeongtae stehen und die Gruppe mit ihm.

»Nicht stehen bleiben! Gwangho vertritt mich!«, befahl Gyeongtae mit fester Stimme. Während die Gruppe weiterlief, holte er schnaufend Luft. »Mann, ich kann nicht mehr. Kann mit diesen Bürschchen einfach nicht mehr mithalten.«

»Seid ihr auf dem Hügel von Hyeolcheongso gestartet?«

Gyeongtae nickte, den Oberkörper vorgebeugt, die Hände auf die Knie gestützt.

»Hey, ich bin wirklich beeindruckt: Kim Gyeongtae, Asien-Champion! Dass du so eine Strecke immer noch schaffst! Den Hügel komme ich sogar im Schritttempo kaum noch hoch.«

»Beeindruckt? Da muss ich aber lachen. Früher bin ich die Strecke drei Mal hintereinander gerannt. Inzwischen muss ich richtig die Zähne zusammenbeißen, damit mir diese Früchtchen nicht weglaufen.«

»Wenn es zu anstrengend ist, kauf dir einen Motorroller.«

»Nein, die Jungs würden einen Trainer verachten, der mit dem Roller hinter ihnen herfährt. Die würden mich nicht mehr respektieren.«

Gyeongtaes ernster Ton brachte Huisu zum Lachen. »Ach ja? Pater Martino hatte uns aber auch vom Fahrrad aus gut im Griff.«

»Du kannst mich doch nicht mit Pater Martino vergleichen. Der hatte ein wahnsinniges Charisma, das weißt du selbst. Habe ich kein bisschen. Deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, ich muss mitlaufen.«

Wieder lachte Huisu, nicht weil er lustig fand, was sein Freund gesagt hatte, sondern weil es ihm gefiel, dass er so in Form war. Auch Gyeongtae musste lachen, ohne genau zu wissen, warum. Alle Jungen aus dem Wohlfahrtsheim Mojawon, in dem Huisu aufgewachsen war, hatten damals bei Pater Martino boxen gelernt. Pater Martino war ein italienischer Pfarrer, ein willensstarker Typ und ehemaliger Profiboxer. Nach der Schule liefen die Jungen den Weg, der vom Hyeolcheongso-Hügel bis zum Leuchtturm am Ende der Mole führte, einmal hin und zurück, insgesamt zwölf Kilometer. Das Boxtraining fand in einer kleinen, baufälligen Halle hinter der Kirche von Guam statt. Sie sprangen Seil, machten Beinarbeit und boxten gegen Sandsäcke oder Punchingbälle, die ihnen als Sparringpartner dienten. In dieser Zeit war Huisu glücklich. Er liebte den salzigen Geruch des Windes, der vom Meer kam, das Schnaufen seiner Kameraden und die harten, trommelnden Schläge seines Herzens. Er liebte das Quietschen der Ketten, an denen die Sandsäcke hingen, das peitschende Geräusch der Springseile, wenn sie auf den Boden schlugen, und das monotone Stampfen der Füße vor den Punchingbällen. Wenn es in seinem Leben rückblickend etwas gab, dem sich Huisu mit Leib und Seele verschrieben hatte, dann war es das Boxen.

Während die Jungs damals fröhlich auf die Sandsäcke eindroschen, sprach Pater Martino mit gütigem Gesicht von Liebe. Das Universum sei voller Liebe, sagte er, die Bäume und der Wind voller Liebe, und dass es Gottes einziger Wunsch sei, dass sie einander liebten. Bei jedem Boxtraining sagte Pater Martino das. Eigentlich konnte man mit solchen Worten nicht falschliegen … Doch entgegen seinem Wunsch waren die Kinder aus Mojawon, die bei ihm das Boxen gelernt hatten, zwar gesund an Leib, aber nicht gesund an Seele aufgewachsen, denn alle waren kriminell geworden. Manche waren schon tot – erstochen –, andere saßen im Gefängnis. Huisu hatte das Boxen mit achtzehn aufgegeben, als er Junior-Gangster wurde. Gyeongtae dagegen hatte weitergemacht. Für kurze Zeit war er sogar Profiboxer gewesen, hatte es bis zu den Olympischen Spielen geschafft – auch wenn er dort keine Medaille errang – und an der Asien-Boxmeisterschaft teilgenommen, wo er in seiner Kategorie Champion wurde.

»Wie geht es Pater Martino?«, fragte Huisu.

»Nicht sehr gut. Er würde dich sehr gern sehen. Sollen wir ihn nicht mal zusammen besuchen, Huisu?«

»Nein, lass mal. Welchen Sinn hat es, ihm einen Kriminellen zu präsentieren? Wer weiß, wie er reagieren würde.«

Gyeongtae nickte, und Huisu fragte sich, ob sein Nicken »verstehe« oder »dann eben nicht« bedeutete. Die Jungen waren bis zum Ende der Mole gelaufen, einmal um den Leuchtturm herum, und kamen nun wieder näher.

»Ich muss los.«

»Okay. Geh ruhig.«

»Arbeitest du heute?«

»Wenn du es Arbeit nennen willst: Ich muss ein paar Betrüger ausführen und ihnen einen ausgeben.«

Gyeongtae zog sich die Kappe tief ins Gesicht, lächelte Huisu an und setzte seinen Trainingslauf fort, den steilen Hyeolcheongso-Hügel hinauf. Huisu klemmte sich die Zigarette wieder zwischen die Lippen. Er blickte Gyeongtae nach, wie er geschmeidig aufs Meer zulief. In jungen Jahren konnte er schneller laufen als Gyeongtae und hatte länger durchgehalten. Er war damals auch derjenige, den Pater Martino beim Boxen mit dem größten Enthusiasmus begleitete. Wäre Huisu heute mit Gyeongtae gelaufen, er hätte nach hundert Metern den gesamten Inhalt seines Magens ausgekotzt. Die Zigarette im Mund, wanderte sein Blick zu den jungen Boxern, die auf Gyeongtae zuliefen, und dann weiter zum roten Leuchtturm und den wenigen Möwen, die ihn träge umkreisten. Schließlich warf er die Zigarette unangezündet in den weißen Sand und ging langsam zum Grillrestaurant zurück, um dort Chef Gu und die Typen vom Zoll zu begrüßen.

Heißes Blut

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