Читать книгу Der Trauermantel - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 14
ОглавлениеEs war kalt. Der Wind wehte in kleinen, harten Stößen. Der Januar war bisher arm an Schnee, grau und bitterkalt gewesen.
Roger Høibakk und Preben Ulriksen fuhren langsam in Richtung Bislett. »Wir müssen irgendwo etwas essen«, sagte Roger und zog sich den Kamm durch die Haare. »Irgendeinen Mist«, sagte er. »Das kann eine lange Nacht werden. Gleich um die Ecke steht eine Kebab-Bude.«
»Nein, verdammt, kein Kebab«, sagte Preben Ulriksen. »Egal was, aber nicht das.«
»Was passt dir denn daran nicht?«
»Jede Menge Bakterien. Ich hab in einer Zeitung einen Test gelesen. Absolut mieses Ergebnis. Und mir ist ohnehin schon einmal davon schlecht geworden.«
Sie hielten an einer Tankstelle und kauften sich zwei Hotdogs mit Zwiebeln. Beim Essen konnten sie die anklagenden und reißerischen Schlagzeilen der Boulevardpresse nicht übersehen. Die Rede war von dem schrecklichen Zugunglück bei Åsta, das neunzehn Menschen das Leben gekostet hatte.
»Gut, dass die noch andere Themen haben«, sagte Roger Høibakk mit vollem Mund. »Dann haben wir vielleicht noch zwei Tage Ruhe, ehe die Hölle losbricht.«
»Warte nur, bis die Presse rauskriegt, dass die Frau ihren schlagenden Exmann angezeigt hatte. Herrgott, das wird vielleicht ein Fest für die Medien! Denk doch bloß an das ganze Theater oben in Bodø, als dieser Typ seine sechzehnjährige Exfreundin umgebracht hat. Fackelzug aus Protest gegen die Passivität der Behörden und überhaupt.«
»Die Leute in Oslo nehmen das nicht so persönlich«, sagte Preben Ulriksen, zerkaute das letzte Stück Wurst und spülte es mit einem großen Schluck Traubenlimonade hinunter. »Hier unten in der Tigerstadt werden keine Solidaritätsfackelzüge veranstaltet.«
Roger Høibakk schüttelte den Kopf. »Sie hat ihn wegen Morddrohungen angezeigt«, sagte er. »Warte nur.«
Sie fuhren vorbei am Martinus-Lørdahls-Plass und weiter die Louises Gate hoch. Die ganze Zeit hatten sie Kontakt mit Thorsen und Billington, die ihnen mitteilen konnten, dass Bjørn Tore Lønn verschiedene Lokale aufgesucht hatte und jetzt vor einem Mietshaus in der Vallegate im Wagen saß und zu warten schien.
Høibakk und Ulriksen sahen das Auto der beiden Kollegen und meldeten, dass sie jetzt die Schicht übernehmen würden. Sie hielten halb auf dem Bürgersteig hinter vielen anderen Wagen und entdeckten sogleich den alten Volvo, der an die fünfundsiebzig Meter weiter vorn stand und die Scheinwerfer eingeschaltet hatte.
Nach zwanzig Minuten des Wartens schaltete Bjørn Tore Lønn den Motor aus und stieg aus dem Wagen. Er lief über die Straße und schaute sich dabei um. Dann öffnete er eine Tür und war verschwunden.
Preben Ulriksen lief hinter ihm her und fand auf dem Klingelbrett Bjørn Tore Lønns Namen. Er nickte Roger Høibakk kurz zu, der vom Auto aus alles im Auge behielt und die Hände weiterhin auf dem Lenkrad liegen hatte. Preben Ulriksen ging durch die unverschlossene Tür und hatte die Wohnung im ersten Stock bald gefunden. Er legte sein Ohr an den Türspalt, konnte aber nur den Lärm des Fernsehers in der Wohnung gegenüber hören.
Preben Ulriksen lief wieder nach unten, stieg in den Opel Corsa und zeigte auf die Fenster, die er für Bjørn Tore Lønns hielt. Dahinter brannte noch immer kein Licht. »Schon seltsam, dass er seine eigene Wohnung überwacht hat, ehe er ins Haus gegangen ist.« Nach einer halben Stunde musste Roger Høibakk gähnen. »Das wird eine öde Kiste. Cato und seine Intuition! Bjørn Tore Lønn hat keine Ahnung, wo Johnny Svendsen steckt.« Er ließ sich zurücksinken und schloss die Augen. »Er ist doch verdammt noch mal ihr Bruder, er hätte es gesagt, wenn er es wüsste.«
»Andererseits wäre es doch eher natürlich, wenn er jetzt zu seinen Eltern und seinem Neffen nach Østfold fahren würde.« Preben Ulriksen trank den letzten Schluck Traubenlimonade und schlug die Zeitung auf. »Die Wirtschaftsnachrichten.« Er grinste. »Das sind die Einzigen, die ich heute noch nicht gelesen habe.«
»Wann hattest du denn Zeit zum Zeitunglesen?«
»Im Auto.«
»Verdammt viel Scheiß mit Verheirateten«, gähnte Roger Høibakk und fuhr sich durch die glatten schwarzen Haare. Dann öffnete er die Augen wieder. »Ich bin ein eingefleischter Junggeselle, werde mich niemals binden.«
»Warte nur«, sagte Preben Ulriksen, »bis du die Richtige triffst, dann rettet dich nichts mehr.«
»Die muss dann aber verdammt reich sein.« Sein Kollege grinste. »Reich und sanft. Ich habe morgen sogar eine Verabredung, aber die werde ich wohl absagen müssen.«
»Sieht ganz so aus. Aber ich kann dich ja verstehen«, meinte Preben Ulriksen. »Denk an Cato, den ganzen Mist, Kinder überall, Exfrauen und ... ja und jetzt hat er ja wieder geheiratet.« Er schüttelte den Kopf.
»Ich bin fast sicher, dass er was mit Ellen Grue hat«, sagte Roger Høibakk.
Preben Ulriksen riss die Augen von der Haustür und wandte sich ihm zu. »Machst du Witze?«
»Nein, aber sicher weiß ich es nicht.«
Preben Ulriksen schien ihm nicht zu glauben. »Ellen ist doch eine tolle Frau«, murmelte er.
Roger Høibakk warf noch einen Blick auf das Bild, das Preben Ulriksen von den Eltern der Ermordeten bekommen hatte. Ein sehr junges Brautpaar. Johnny Svendsen in einem etwas zu engen dunklen Anzug, ein gut aussehender dunkler Typ, wie Rakel Mandal ihn beschrieben hatte. Neben ihm die Braut. Die ermordete Ester Synnøve Lønn in Tracht. Sehr jung, sehr dünn und offenbar sehr glücklich. Roger Høibakk verstaute das Bild wieder im Handschuhfach, lehnte den Kopf an die Nackenstütze und schloss die Augen.
Plötzlich passierte etwas. Eine Bewegung nur, ein vager Schatten hinter dem Buckelglasfenster in der Haustür.
»Pass jetzt gut auf.« Preben Ulriksen versetzte seinem Kollegen einen Rippenstoß. Roger Høibakk knüllte sein Schokoladenpapier zusammen und warf es auf den Boden. In einem Mundwinkel hingen noch Krümel von dem Mandelhörnchen, das er vorhin verzehrt hatte.
Es war jetzt fast zehn. Langsam wurde die Haustür geöffnet und Bjørn Tore Lønn kam zum Vorschein. Er hatte sich umgezogen. Die Daunenjacke hatte er gegen eine dunkle Windjacke eingetauscht. Er schaute sich nicht um, bohrte nur die Hände in die Taschen, zog die Schultern hoch, wie um sich vor der Kälte zu schützen, lief zu seinem alten Volvo, öffnete die unverschlossene Tür und stieg ein.
Roger Høibakk ließ den Motor des zivilen Streifenwagens an.
»Das wird nicht leicht«, sagte Preben. »Weit und breit kein anderes Auto zu sehen. Da muss er uns doch entdecken.«
»Wir geben ihm einen kleinen Vorsprung«, sagte Roger Høibakk.
Der Volvo fuhr los und bog nach links in die Pavelsgate ab.
»Jetzt verlieren wir ihn«, sagte Preben und rieb die Handflächen aneinander. Sein Atem stieg in kleinen Wolken auf, wenn er redete. »Fahr los«, sagte er. »Jetzt!« Der Opel Corsa glitt auf die Fahrbahn und bog dann ebenfalls links ab.
»Jetzt wirds schwieriger«, sagte Preben und starrte die beiden roten Hecklichter an, die in eine Nebenstraße fuhren und hinter einem Gebäude verschwanden. »Da ist er!«, rief er. »Gib Gas!«
»Reg dich ab«, sagte Roger Høibakk und gehorchte. »Wir haben ihn noch nicht verloren.«
Zwei andere Autos lagen jetzt hinter dem Volvo. Alle drei fuhren eine Zeit lang hintereinander her. Plötzlich bog Bjørn Tore Lønn in eine weitere Seitenstraße ab und war verschwunden.
»Verdammt.« Preben Ulriksen schlug mit der Faust gegen das Armaturenbrett. » Schneller!«
Roger Høibakk trat aufs Gaspedal, musste aber halten, als eine Frau mit einem Hund an der Leine den Ullevålsvei überquerte. Als er endlich dem Volvo nach rechts folgte, sah er dessen Hecklichter links in einer anderen Straße verschwinden.
»Er hat uns gesehen«, sagte Roger Høibakk wütend. »Da bin ich mir ganz sicher.«
Der Opel Corsa folgte dem Volvo in die enge Seitenstraße. Bjørn Tore Lønn fuhr an den Bordstein heran. Er hielt und schaltete sofort die Lichter aus. Roger Høibakk legte eilig den Rückwärtsgang ein. Er fuhr ein Stück auf den Bürgersteig und drehte den Motor aus. »Er hat uns nicht gesehen«, stellte er fest.
Preben Ulriksen befreite sich vom Sicherheitsgurt. »Das wäre wirklich unglaublich«, murmelte er. »Wo sind wir eigentlich?«
»In der Sofies Gate«, sagte Roger Høibakk.
»Er muss uns gesehen haben.« Preben Ulriksen rieb sich nervös die Oberschenkel.
Roger Høibakk schüttelte den Kopf. »Er kommt gar nicht auf die Idee, dass er beschattet werden könnte. Er schaut sich ja nicht mal um.«