Читать книгу Der Trauermantel - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 16
ОглавлениеPreben Ulriksen meldete, dass zwei Beamte im Dienst mit einer Waffe bedroht worden seien. Sofort wurde höchster Alarm ausgelöst und der gesamte Apparat in Gang gesetzt. Bjørn Tore Lønn wurde festgenommen und darauf aufmerksam gemacht, dass das Verschweigen von Informationen einer Ermittlungsbehinderung gleichkomme. Er legte keinen Widerspruch ein, sondern versprach, mit offenen Karten zu spielen.
Roger Høibakk hielt vor der Wohnungstür die Stellung, bis eine Streife eingetroffen war. Noch immer strömte das Blut aus der tiefen Wunde über seinem Auge.
Auf der Fahrt zur Wache bedauerte Bjørn Tore Lønn mehrere Male, was hier passiert war. Roger Høibakk wurde ins Krankenhaus gebracht, weil seine Wunde genäht werden musste, während Preben Ulriksen Ermittlungsleiter Cato Isaksen und Ellen Grue Bericht erstattete.
Cato Isaksen war soeben zu Hause in Asker angekommen, musste aber in der Tür kehrtmachen und nach Oslo zurückfahren. Als er die Wache erreichte, fand er zwei wütende und aufgewühlte Kollegen vor. Ellen Grue und ihr Stab sicherten schon die Spuren in Johnny Svendsens Wohnung in der Sofies Gate. Das gesamte Material würde anschließend mit den Funden aus Ester Synnøve Lønns Wohnung verglichen werden.
»Verdammtes Schwein«, murmelte Roger Høibakk und fasste sich an die Stirn. Dort saß ein großes Pflaster. Er war sofort behandelt worden und konnte berichten, dass zwei Fotografen zur Stelle gewesen waren, als er das Krankenhaus verlassen hatte. »Wer zum Teufel lässt im Moment alles an die Presse durchsickern?«
Bjørn Tore Lønn wurde in eine Verwahrungszelle im Untergeschoss gesteckt und in die Liste der Festgenommenen eingetragen. Sie konnten ihn für vierundzwanzig Stunden festhalten, aber am nächsten Morgen würde ein Polizeijurist um die Formalitäten für die Verhängung einer Untersuchungshaft in die Wege leiten.
»Deine Intuition hat dich immerhin nicht getrogen«, sagte Preben Ulriksen und sah seinen Chef an. Er war völlig aufgekratzt nach den Ereignissen dieses Abends.
Cato Isaksen ließ sich die Sache kurz erzählen und konnte nur feststellen, dass Johnny Svendsen aller Wahrscheinlichkeit nach Ester Synnøve Lønns Mörder war. Er bat Roger Høibakk und Preben Ulriksen, einen Bericht über die Vorkommnisse dieses Abends zu verfassen.
Der Klang des Autoradios störte die Bilder in seinem Kopf. Cato Isaksen hatte nur wenige Stunden geschlafen, als er gegen acht Uhr morgens am Freitag, dem 7. Januar, wieder zur Arbeit fuhr.
Die Unruhe hatte ihn schon erfasst und machte ihn reizbar. Alle Zeichen stimmten wieder. Die Flitterwochen waren einwandfrei zu Ende. Bente und Vetle, der zweitälteste Sohn, hatten geschlafen, als er gegen zwei Uhr nachts nach Hause gekommen war. Der Älteste wohnte nicht mehr zu Hause. Er war vor einem halben Jahr mit seiner Freundin Tone zusammengezogen.
Als Erstes ging Cato Isaksen zusammen mit der gerade erst examinierten Polizeijuristin Marie Sagen zu Bjørn Tore Lønn, um diesen mit den Ereignissen des vergangenen Tages zu konfrontieren. Sie fuhren mit dem Fahrstuhl nach unten und eilten durch die Rezeption. Marie Sagen strich sich mehrere Male ihre rötlichen Haare aus den Augen. Cato Isaksen zog seinen Dienstausweis durch ein Lesegerät und trat dann in den Bereitschaftsraum. Kurz nickte er einem Kollegen zu, der sich ihnen anschloss und die Türen für sie öffnete.
Bjørn Tore Lønn saß vornübergebeugt da und rang auf seinem Schoß mit den Händen. Sein Gesicht war blass, seine Augen leuchteten schwarz in dem weißen Neonlicht. Cato Isaksen und Marie Sagen nahmen zwei Hocker mit in die Zelle.
Bjørn Tore Lønn starrte Cato Isaksen verzweifelt an. »Ich habe letzte Nacht nicht eine Sekunde geschlafen. Tut mir Leid«, murmelte er. Am Vorabend hatten sie nichts aus ihm herausholen können.
»Sie müssen uns alles sagen«, mahnte der Kommissar eindringlich. »Das ist wichtig, damit wir Johnny Svendsen so schnell wie möglich festnehmen können.«
Bjørn Tore Lønn nickte. »In Ordnung«, sagte er.
»Sie sind also einverstanden?«
Wieder nickte der junge Mann. Dann strömten die Worte nur so aus ihm heraus. Er sagte, alles tue ihm aufrichtig Leid, er sei überzeugt davon, dass Johnny Svendsen seine Schwester ermordet habe. Und das habe seine Gedanken verwirrt. Er habe nur an Rache gedacht. Er sagte nichts davon, dass er Johnny Svendsen umbringen und den Leichnam irgendwo verstecken wollte. Er behauptete hingegen, er habe dessen Adresse später melden, ihn aber vorher ordentlich zusammenschlagen wollen. »Ich konnte an nichts anderes denken. In meinem Kopf saßen viele kleine Teufel und befahlen mir, das zu tun. Ich werde ihm den Mord an Ester Synnøve nie verzeihen. Verstehen Sie, man begeht Dummheiten, wenn man hasst. Ich hasse ihn, er soll in der Hölle schmoren.« Bjørn Tore Lønn sank schluchzend vornüber. Er legte die Stirn auf seine Arme, die auf seinen kräftigen Oberschenkeln ruhten.
»Was für eine Waffe hat Johnny Svendsen in seinem Besitz?«
Das Schluchzen verstummte. »Eine neun Millimeter Walther P 88.«
»Woher hat er die?«
Bjørn Tore Lønn schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung«, sagte er. »Von irgendwem auf der Straße.«
Cato Isaksen musterte den Mann eine Weile wortlos, dann erhob er sich schwerfällig und wanderte in der kleinen Zelle hin und her. Nach einer Weile sagte er: »Ich glaube Ihnen und glaube Ihnen auch wieder nicht.«
Bjørn Tore Lønn setzte sich sofort aufrecht hin. »Sie glauben mir nicht?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, ich glaube Ihnen und glaube Ihnen auch wieder nicht.« Cato Isaksen zeigte in einem bissigen Lächeln seine Zähne. »Sie sagen nicht alles.«
Der Bruder der Toten schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich begreife nicht, was Sie meinen«, erwiderte er.
»Ich glaube Ihnen, wenn Sie sagen, dass Sie Johnny Svendsen hassen«, erklärte der Ermittler. »Vielleicht glaube ich Ihnen auch, wenn Sie sagen, dass er Ihre Schwester ermordet hat. Vielleicht wird sich das ja als Wahrheit herausstellen.«
»Er war es.« Bjørn Tore Lønn erhob sich halb von seiner Bank. »Wenn Sie mir nicht glauben, dann sind Sie ein Idiot! Sie müssen versuchen, ihn festzunehmen.«
»Wenn Sie von Anfang an offen gewesen wären, dann hätten wir ihn jetzt.«
Bjørn Tore Lønns Gesicht verdüsterte sich.
»Vielleicht haben Sie eine Vorstellung, wo er stecken kann, wissen, wie seine Freunde heißen?«
Der Mann seufzte, dann schüttelte er resigniert den Kopf und setzte sich wieder. »Er ist nicht so blöd, sich an einem auf der Hand liegenden Ort zu verstecken. Und er hat keine Freunde. Nicht einen einzigen.«
»Das können Sie garantieren?«
»Ja.«
Marie Sagen musterte die beiden Männer wortlos. Ab und zu notierte sie etwas auf einem kleinen Block, ansonsten saß sie ganz still da.
»Ich glaube, Sie verschweigen uns etwas und das ist dumm von Ihnen. Wir werden sowieso alles herausfinden. Es wird nur etwas länger dauern«, sagte Cato Isaksen.
Bjørn Tore Lønn gab keine Antwort, sondern wandte sich nur demonstrativ von ihm ab. »Das hat dann aber nichts mit dem Fall zu tun«, sagte er.
»Spielt keine Rolle, in einem Mordfall ist jede Auskunft wichtig. Was haben Sie zum Beispiel in der Hütte oben bei Bogstad gemacht?«
Der junge Mann blickte ihn verwundert hat. »Sie sind mir also die ganze Zeit ...«
»Ja.« Cato Isaksen nickte.
Bjørn Tore Lønn ließ sich müde auf die Bank sinken. Die Gedanken wirbelten nur so hinter seiner Stirn umher. Doch plötzlich ging ihm das Hoffnungslose an der ganzen Situation auf. Das tote Gesicht seiner Schwester tanzte vor seinem inneren Auge auf und ab. Die weiße Haut, die geschlossenen Augen, die stillen Hände. Was sollte das alles?
Er erzählte alles, abgesehen von dem geplanten Mord an seinem Exschwager. Er erzählte, dass er vorübergehend in die Hütte bei Bogstad gezogen war, weil er die Miete nicht bezahlen konnte. Er erzählte von der Pistole, die er für Johnny aufbewahrt hatte. »Ich wollte ihm nur Angst einjagen, damit er sich stellt.«
Esters Bruder starrte seine Hände an, während er von dem fingierten Raub der Versicherungsunterlagen und von seinen erfolglosen Pferdewetten berichtete. Johnny und er, sie hatten das zusammen durchgezogen. »Aber es war Johnnys Idee. Er meinte, ich könnte so tun, als wäre ich überfallen worden. Er hat es gemacht, hat mich angehalten und mir sozusagen den Postsack weggenommen. Sie haben mir nicht geglaubt, konnten aber nichts beweisen. Trotzdem habe ich meinen Job verloren. Ich saß am Ende mit dem ganzen Dreck da«, sagte Bjørn Tore Lønn empört. »Und jetzt komme ich sicher ins Gefängnis«, fügte er hinzu. »Oder?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Cato Isaksen. »Die Sache mit dem Postüberfall ist natürlich auch ein Verbrechen und wir werden Ihr Geständnis weiterreichen, aber mit dem Mord hat das nichts zu tun.«
»Es hat uns auch fast gar nichts eingebracht. Wir konnten nur in einigen Ämtern die Summen mit Hilfe von falschen Vollmachten abheben. Es war eine Menge Arbeit und fast keine Kohle.«
»Nur noch eine Frage zum Schluss.« Cato Isaksen erwiderte Bjørn Tore Lønns traurigen Blick. »War die Pistole geladen?«
»Ja«, sagte der junge Mann und schüttelte resigniert den Kopf. »Es tut mir verdammt Leid«, sagte er dann.