Читать книгу Der Trauermantel - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 17
ОглавлениеDie Fahnder versammelten sich um den ovalen Tisch. Abteilungsleiterin Ingeborg Myklebust fehlte. Cato Isaksen stutzte, als er es bemerkte. Er würde sie nachher anrufen müssen.
»Jetzt bekommen sie bald ein anderes Thema«, sagte er und legte die Zeitung auf den Tisch. Noch immer füllte das Eisenbahnunglück bei Åsta die Titelseiten. Und noch immer erregte diese schlimme Geschichte aus Nordnorwegen die Gemüter. Der zuständige Behördenleiter sollte an einen anderen Ort versetzt werden, während die Internuntersuchungen liefen. Der Fall wies klare Parallelen zu dem von Ester Synnøve Lønn auf.
»Bewaffnete Aktion gegen Polizei«, stand jedoch weiter hinten in einer Zeitung über einem langen Artikel, der sich mit dem Fall Lønn beschäftigte. Das Bild von Roger Høibakk, der mit einem Pflaster über dem Auge aus dem Krankenhaus kam, leuchtete ihnen entgegen.
Preben Ulriksen legte einen Papierstapel auf den Tisch. Roger Høibakk kam wie immer zu spät und ließ sich mit viel Lärm zwischen Randi Johansen und Asle Tengs fallen. Neugierig zog er die Zeitung zu sich und öffnete sie.
»Bleiben wir noch ein wenig bei dem Fall dieser jungen Frau, die von ihrem Exfreund ermordet worden ist, nachdem sie ihn immer wieder wegen Körperverletzung und Morddrohungen angezeigt hatte«, sagte Cato Isaksen. »Besser, wir sind schon mal vorbereitet. Wahrscheinlich wird dasselbe Problem auf uns zukommen.«
»Aber wie gesagt, in Oslo werden deshalb keine Fackelzüge veranstaltet. Hier gibt es keine solchen Idealisten.« Roger Høibakk stöhnte und machte sich an dem Pflaster über seinem Auge zu schaffen.
»Sicher gibt es die.« Randi Johansen beugte sich empört vor.
»Machen wir, dass wir vorankommen. Preben, was kannst du uns erzählen?«
Preben Ulriksen legte seine schmalen Hände auf die Papiere, die er mitgebracht hatte. »Fest steht«, sagte er dann, »dass Ester Synnøve Lønn unmittelbar vor Weihnachten, nachdem sie ihren Mann wegen Morddrohungen angezeigt hatte, ohne dass etwas Erwähnenswertes passiert wäre, sich noch einmal um Hilfe an das Frauenhaus gewandt hat. Ich habe mit Sonja Pettersen gesprochen, sie kann sich übrigens noch von dem anderen Fall her an dich erinnern.« Er nickte kurz zu Cato Isaksen hinüber.
»Ja.« Cato bekam bei dieser Vorstellung eine Gänsehaut. »Das war 1996 dieser schlimme Fall mit den vier ermordeten Männern.« Die Tafelrunde nickte zustimmend. »Das war die Frau mit den tollen roten Haaren«, sagte Randi Johansen. »Ich sehe sie noch genau vor mir.«
Preben Ulriksen nahm einen Apfel aus der Schale auf dem Tisch und biss herzhaft hinein. Er kaute fieberhaft und schluckte, ehe er weiterredete. »Auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass derzeit fünfhundertundzehn Frauen unter geheimer Adresse wohnen. Siebenundneunzig sind kodiert, wie das so schön heißt, aus Angst vor ihren Exmännern oder Freunden. Das bedeutet, dass alle Informationen über sie aus allen Registern gelöscht worden sind. Nur durch den Code lässt sich ermitteln, wer sie sind.«
Randi Johansen schlug kurz mit der Faust auf den Tisch, um ihren Abscheu zu bekunden. »Und kein Mann, stelle ich mir vor.«
»Kein Mann?«
»Ja, kein Mann hat eine kodierte Adresse.«
Roger Høibakk grinste. »Ich kann dir gern meinen Code verraten«, sagte er und zwinkerte ihr zu.
Randi Johansen bedachte ihn mit einem eiskalten Blick.
»Hat Lønn auch unter Code gelebt?« Cato Isaksen blickte gereizt in die Runde.
»Nein.« Preben Ulriksen biss wieder in den Apfel. »So weit ist es nicht mehr gekommen«, sagte er dann mit vollem Mund. »Das Frauenhaus, besser gesagt, diese Sonja Pettersen, hat sich kurz vor Weihnachten an uns, also an die Kripo, gewandt und dann ist die Sache an die Ordnungsabteilung weitergereicht worden. Aber wir haben es nicht mehr geschafft, etwas zu unternehmen.«
Bisher war Johnny Svendsen noch nirgendwo gesichtet worden. Alle Polizeiwachen im Land, die Flughäfen und die Posten an den Grenzübergängen nach Schweden waren informiert. Aber während der Nacht war keine Meldung eingelaufen. Der Gesuchte war wie vom Erdboden verschluckt.
Randi Johansen und Anne Grethe Juvik wurden zur Straßenbahnverwaltung geschickt, um sich dort nach weiteren Informationen über Johnny Svendsen zu erkundigen. Ob er unter den Kollegen Freunde oder Bekannte hatte, ob jemand irgendeine wichtige Auskunft erteilen könnte.
Gegen halb zehn nach der Morgenbesprechung fuhr Cato Isaksen zu Rakel Mandal, um ihr ein Foto des Verdächtigen zu zeigen, eine Kopie des Hochzeitsbildes, das sie von den Eltern der Toten erhalten hatten.
Die alte Dame freute sich wirklich, als sie durch den Türspalt den Ermittler erblickte, allerdings konnte er ihr klarmachen, dass er diesmal keine Zeit für einen Kaffee hatte.
Er reichte ihr zwei Fotografien. Neben dem Bild von Johnny Svendsen hatte er auch noch eins von Bjørn Tore Lønn mitgenommen.
Rakel Mandel nahm die Fotos und ging mit leichten, eifrigen Schritten zum Fenster, wo sie mehr Licht hatte. Sie suchte in ihrer Schürzentasche nach ihrer Brille und setzte sie auf. Hob ein Bild nach dem anderen und musterte die Aufnahmen sorgfältig. »Nein«, sagte sie dann. »Keiner ist der Richtige.«
Cato Isaksen verspürte eine Mischung aus Überraschung und Verärgerung. »Sind Sie sich da ganz sicher? Schauen Sie bitte noch einmal nach. Das ist wirklich wichtig.«
Rakel Mandal bedachte ihn mit einem kurzen besorgten Blick. »Ich bin also eine Art Zeugin?«
»Sie sind auf jeden Fall wichtig für uns.«
»Ich habe gestern mit einer Freundin telefoniert und die sagt, das könne für mich gefährlich sein.«
Der Kommissar lächelte kurz. »Wir sind hier nicht in einem Fernsehkrimi, Frau Mandal. Ich bitte Sie nur, sich die Bilder noch einmal anzusehen, damit Sie ganz sicher sein können.«
Dann seufzte er und starrte die Fotos von Johnny Svendsen und Bjørn Tore Lønn an. »Sie haben ihn doch nur von hinten gesehen, oder?«
»Ja, durch den Türspion. Aber danach habe ich ja auch noch durch das Fenster geschaut, und er war nicht zum ersten Mal hier. Es war ein sehr viel hübscherer Mann, größer und irgendwie gebildeter.«
»Gebildeter?«
»Ja.«
»Woran sieht man denn, ob jemand gebildet ist?«
»Das sieht man eben«, erklärte die alte Dame energisch.
»Und Sie sind ganz sicher, dass das hier nicht der Mann von Mittwochabend ist?« Cato Isaksen nahm ihr vorsichtig das Bild von Johnny Svendsen ab.
»Ganz sicher«, sagte Rakel Mandal und richtete ihre scharfen Augen auf ihn. »Ihren Bruder kenne ich doch«, sagte sie und gab ihm auch das Bild von Bjørn Tore Lønn zurück. »Er hat sie ab und zu hier abgeholt. Hat für sie eingekauft. Einmal hat er meine Einkaufstasche hochgetragen. Ein wirklich netter Mann.«
»Gestern haben Sie gesagt, Sie glaubten ihren Exmann gesehen zu haben.«
»Ja?«
»Das hier ist der Exmann«, sagte Cato Isaksen und reichte ihr noch einmal das Bild von Johnny Svendsen.
»Das ist der Exmann?« Rakel Mandal schüttelte langsam den Kopf. »Ich dachte, das wäre der andere. Der junge Mann, der so oft hier war.«
Cato Isaksen schaute auf die Uhr. Er musste noch ein Gespräch führen, ehe er auf die Wache zurückkehren konnte.
»Das ist er auf keinen Fall«, schloss die alten Dame und nickte zu Johnny Svendsens Bild hinüber.