Читать книгу Und zwischendurch nach Hause - Urs V. Läuppi - Страница 10

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München

Meine Reise nach München war mein erster Auslandeinsatz für HVEE. Meinen holländischen Kollege Boy kannte ich schon von meiner Zeit in Zürich an der ETH. Er kam hin und wieder für Servicearbeiten am Beschleuniger nach Zürich und er war es auch, der mich aufforderte mich bei HVEE zu melden, da sie gerade Leute wie mich suchten. Boy war ein immer zu Spässen aufgelegter, fröhlicher Mensch. Die beiden US-Amerikaner waren wesentlich älter als ich, Jack war ein Senior T&I Engineer mit jahrelanger Erfahrung und Frank war ein jüngerer Kollege, spezialisiert für die Steuereinrichtungen des Beschleunigers. Da war noch alles analog, keine Spur von Digitalisierung. Anstelle von Transistoren und Halbleiter-Chips hatten wir Regeltrafos, Relais und Radio- oder Vakuumröhren in allen erdenklichen Formen und Ausführungen. Im Tandem Van de Graaff Beschleuniger, den wir in München installierten, sollten Protonen und Ionen durch eine sehr hohe Gleichspannung von maximal 15 Millionen Volt auf hohe Energien beschleunigt werden. Protonen und Ionen werden ausserhalb eines grossen Druckbehälters, auf der Niederenergieseite, in einer Ionen-quelle erzeugt, durch Hinzufügung von Elektronen negativ geladen, in die Beschleunigungsstrecke im Inneren des Druckbehälters eingeschossen und gegen das positiv geladene Terminal in der Mitte des Druckbehälters beschleunigt. Den Protonen und Ionen werden hier die zugefügten Elektronen beim Durchqueren eines Gaskanals abgestreift, wodurch sich die Polarität der Teilchen in eine positive Polarität ändert. Sie werden nun durch die positive Polarität der Hochspannung von maximal 15 Millionen Volt abgestossen und durchlaufen die zweite Beschleunigungsstrecke hin zur fest geerdeten Hochenergieseite des Beschleunigers. Wenn sie dort ankommen, haben Protonen und einfach geladene Ionen, die doppelte Energie der angelegten Hochspannung erreicht, also 30 MV, wenn 15 MV angelegt wurden. Wegen der zweifachen Beschleunigung nennt man diese Beschleuniger auch Tandem-Beschleuniger. In jedem Beschleuniger, ob Van de Graaff, Elektronenbeschleuniger, Zyklotrons, Betatrons oder auch Ionenbeschleuniger, müssen die zu beschleunigenden Teilchen zwingend in evakuierten, luftleeren Rohren und Behältern beschleunigt werden. In der Anwesenheit von Luft würden die zu beschleunigenden Teilchen mit den Molekülen der Luft kollidieren; sie könnten nicht beschleunigt werden. Das Vakuum in Beschleunigersystemen ist in der Regel ein Hochvakuum mit einem Druck von 10-3 bis 10-8 Hektapascal (hPa) oder Millibar (mbar). Das heisst, dass nur noch etwa 1013 bis 108 Moleküle (Gase, Luft) pro Kubikzentimeter Luft vorhanden sind. Bei normalem Luftdruck auf der Erde, das sind 1013.25 hPa oder 1000 mbar (= 1 Bar), sind in einem Kubikzentimeter Luft 2,7 x 1019 Moleküle vorhanden. Erzeugt und aufrechterhalten wird das Vakuum mit verschiedenen Pumpen und Pumpsystemen, die ununterbrochen in Betrieb sein müssen. Die zur Beschleunigung der Teilchen (Protonen, Ionen) benötigte, hohe elektrische Spannung wird durch ein horizontal laufendes elektrisch schwach isolierendes, endloses und schnell laufendes Ladeband zwischen der Mitte des Beschleunigers, dem Terminal, und der Hochenergieseite des Beschleu-nigers erzeugt. Auf das Ladeband wird an seiner geerdeten Seite eine elektrische Ladung von einigen tausend Volt aufgesprüht. Durch elektrostatische Aufladung des schnell laufenden Bandes erhöht sich die elektrische Ladung auf eine elektrische Spannung von mehreren Millionen Volt. Diese wird in der Mitte des Beschleunigers, beim Terminal, durch einen Metallkamm von der Ladebandoberfläche abgestreift. Grosse Linearbeschleuniger können mit mehrfach geladenen Ionen sehr hohe Teilchenenergien bis weit über 100 Millionen Volt erreichen.

HVEE sandte mich auf diesen ersten Job, um meinen Kollegen beim Einbringen der schweren, empfindlichen und sehr teuren Stützkolonnen und der Beschleunigerrohre zu helfen. Diese Teile waren sehr gross, mehrere Meter lang und jedes wog einige hundert Kilogramm. Sie mussten millimetergenau im Inneren des Druckbehälters in die richtige Position gebracht und die Beschleunigerrohre hochvakuumdicht miteinander verbunden werden. Die Teile waren zu schwer, um sie von Hand zu heben, man verwendete dafür im Inneren des Druckbehälters montierte Krananlagen. Und da gab es dann auch babylonische oder eben bayrische Sprachverwirrungen die leicht zu Unglücken und grossen Sachschäden hätten führen können. „Up“ in englischer Sprache bedeutete für den bayrischen Kranführer „ab“ und anstatt das Beschleunigerrohr anzuheben liess er es absinken. Ich war das erste Mal in München, einer Stadt die, zusammen mit Hamburg, zu meinen Lieblingsstädten in Deutschland gehört und die ich auch in späteren Jahren noch sehr oft besuchte und dort auch über längere Zeit verweilte. Während meinem ersten Besuch besuchten mein amerikanischer Kollege Jack und ich das nur 20 km vor den Toren Münchens gelegene, älteste ehemalige Konzentrationslager Dachau. Frank wollte nicht mitkommen: «Das interessiert mich nicht!“ meinte er. Als wir aus dem Raum mit den Verbrennungsöfen traten, begegneten wir Frank. Er war überrascht und sehr verlegen. Später erzählte er uns, dass er Jude sei und Familienangehörige in Dachau verloren habe. „Ich wollte dies nicht an die grosse Glocke hängen,“ meinte er. Ein Erlebnis, welches mich nachdenklich machte und an das ich mich später bei meinen Besuchen in Israel, an die ich oft und gerne zurückdenke, oft erinnerte. Der andere amerikanische Arbeitskamerad, Jack, war auch zum ersten Mal in Germany. Er sprach kein Wort Deutsch und konnte deutsche Wörter auch überhaupt nicht aussprechen. Wenn er mit dem Taxi ins Hotel fuhr, den Bayrischen Hof, nannte er als Fahrziel: „Hotel Beroschki.“ Er kam immer an. Boy, der holländische Kollege war der Spassvogel. Aber als er am Freitagnachmittag auf dem Weg nach Hause am Münchner Flughafen Riem von der Grenzpolizei nach dem Inhalt seines kleinen Köfferchens, in dem er eine Bohrmaschine hatte, gefragt wurde und er leichthin sagte: „Eine Bombe,“ ist für ihn der Spass sehr schnell unangenehm geworden. Die deutschen Polizisten verstanden den Spass ganz und gar nicht. Es war die Anfangszeit der Flugzeugentführungen in den USA; die Kontrollen auf den Flughäfen wurden strenger. Boy musste nicht nur sein Köfferchen öffnen, nein, er durfte auch seine schöne Bohrmaschine zerlegen und sie danach eigenhändig wieder zusammenbauen. Mich schickte Boy auf den Flieger, er kam erst am Tag danach nach Hause.

Einige Jahre später lernte ich München besser kennen. Von November 1975 bis Januar 1976 verbrachte ich drei Monate in München für die Installation eines 2,5 Millionen Volt AN-2500 Van de Graaff Ionenbeschleunigers in München-Pasing beim Institut für Festkörpertechnologie der Fraunhofergesellschaft. Meine Frau und unsere Babytochter weilten während dieser Zeit bei unseren Eltern in Basel und ich flog jedes Wochenende von München-Riem über Zürich-Kloten nach Basel-Mülhouse. Während der Woche wohnte ich in einem für die Olympiade 1972 gebauten schicken Hotel an der Schleissheimerstrasse, nicht weit vom Olympia-Stadion. Das Hotel, es war ein Holiday Inn, gibt es nicht mehr. Am Abend war in dem Hotel immer viel los. Ich traf dort viele bekannte Leute. Einer von ihnen war ein bekannter deutscher Sänger, ein Fettwanst mit bürgerlichem Namen Hans-Rolf Ripper, besser bekannt als IVan Rebroff. Rebroff war nicht nur hochgradig schwul, er war eine Tunte und versuchte mich jeden Abend anzumachen mit so plumpen Anmachen wie: „Ach küss mich mein Bengel ich bin dein Darling!“. Ein anderer mit dem ich oft ein Bier trank war Willy Daume, der Präsident des nationalen Deutschen Olympischen Komitees. Er verkehrte im Holiday Inn mit einem Schweizer welcher die animierte Bandenwerbung mit bewegten Bildern und sich ändernden Texten in Fussballstadien erfunden hatte und sie mit seiner Firma weltweit vertrieb. Wir verbrachten viele gemütliche Stunden zusammen in der Hotelbar.

Während dieser Münchner Zeit bin ich 17-mal entweder von Basel über Zürich nach München oder von München über Zürich nach Basel geflogen. Oft mit vielen Verspätungen wegen Nebel in München oder Zürich. Basel war immer nebelfrei. Kurz vor Weihnachten war ich zur Berichterstattung bei HVEE in Amersfoort. Meine Frau und die gerade ein Jahr alt gewordene Tochter befanden sich immer noch in Basel bei meinen Eltern. Weihnachten wollte ich mit der Familie verbringen und reiste deshalb am 24. Dezember 1975 in einer Swissair DC-9-32 von Amsterdam nach Zürich. Es wäre beinahe mein letzter Flug geworden. Da der Flieger in der Touristenklasse ausgebucht war, flog ich 1. Klasse und hatte einen Fenstersitz in der zweiten Reihe links. Es war ein strahlender, wolkenloser Tag irgendwo über Deutschland, wir flogen auf einer Höhe über 10 000 Metern, bemerkte ich am Horizont einen dunklen Punkt, der schnell grösser wurde und sich innert Sekunden als ein direkt auf uns zufliegendes Flugzeug entpuppte. Das entgegenkommende Flugzeug, eine Boeing B-727 der Lufthansa schoss über uns hinweg, auf seinem Bug konnte ich «Stadt Würzburg» lesen und aus den drei Triebwerken kamen grosse schwarze Rauchwolken. Der Pilot hatte vollen Schub gegeben und sein Flugzeug hochgezogen. Das war knapp! Ich verlangte mit dem Captain des Swissair Fluges zu sprechen, was dieser nach der Landung auch tat. Er bestätigten den Vorfall als sogenannten «Near Miss» (heute Airprox genannt) oder «Beinahe Kollision» und teilte mir mit, dass er den zuständigen Behörden einen Bericht zukommen lassen würde. Ob der Vorfall tatsächlich gemeldet wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich jedenfalls habe nie etwas davon erfahren.

Nebel war bis in die späten achtziger Jahre hinein die Krux der Verkehrsfliegerei. Bereits leichter Nebel genügte, um die Sicht so weit zu beschränken, dass eine Landung nicht möglich war. Und da beim Abflug normalerweise die Wetterlage am Zielort nicht bekannt war, mussten die Piloten eine alternative Landemöglichkeit suchen. Meistens war das ein Flughafen in der Nähe, wobei Nähe auch eine Entfernung von 300 km bedeuten konnte. Viele grosse Flughäfen waren besonders nebelempfindlich. Man baute sie dort, wo viel ebenes Land vorhanden war, am besten Land welches landwirtschaftlich nicht bedeutend war und sich für Bebauungen nicht gut eignete. Land, das diesen Anforderungen entsprach, war oft Rietland oder es waren Moore oder Land in der Nähe von Flüssen. Berüchtigte Nebelflughäfen waren Zürich-Kloten, Amsterdam Schiphol, München-Riem, Mailand-Malpensa, Paris-Orly und London-Heathrow. Ein Flughafen der bekannt dafür war sehr wenig von Nebel geplagt zu sein, war Basel-Mulhouse, heute EuroAirport genannt. Wenn Zürich und Paris geschlossen waren, kamen die Flieger schwarmweise nach Basel. Als ich in den 80er Jahren selbst als Passagier unterwegs war und in der Nähe Genfs wohnte, kam es oft vor, dass Genf-Cointrin geschlossen war und das Flugzeug in Zürich landen musste. Swissair hatte bei solchen Gelegenheiten immer einen langen Extrazug mit 1. Klassewagen am Flughafen in Zürich bereitstehen. Der Zug wartete die Landung des letzten Flugzeugs so um 22 Uhr ab, um danach ohne Halt bis Bern zu fahren. Von Bern ging es ohne Halt, bis Fribourg und ab Fribourg hielt der Zug an jedem gewünschten Ort. So kam ich oft weit nach Mitternacht zu Hause in Nyon am Genfersee an. Mein Auto war jedoch am Flughafen in Genf, wo ich es am nächsten Tag auf dem Weg zur Arbeit in Genf am Flughafen abholte. Semiautomatische Landungen mit Hilfe des ILS, dem Instrumenten-Lande-System kamen so richtig erst um 1975 auf. Flughäfen und Flugzeuge mussten dafür eingerichtet sein. Eine der ersten semi-automatischen Landungen ist mir gut in Erinnerung geblieben. Es war eine Landung am 14. Dezember 1977 mit einer Alitalia Douglas DC-9-30 am Frankfurt Rhein-Main-Flughafen von Mailand kommend. Ich war mit Don Gantt, dem Verkaufchef unserer Mutterfirma aus den USA unterwegs. Don war F86-Kampfpilot im Korea-Krieg gewesen, dort zwei Mal abgeschossen worden und zwei Mal in Gefangenschaft geraten und zwei Mal erfolgreich geflüchtet. Nach dem Korea-Krieg flog er noch einige Jahre DC-4 Truppen- und Frachtflugzeuge der US Air Force. Don sass bei der Landung in Frankfurt neben mir und machte sich vor Angst beinahe in die Hosen. Sein Vertrauen in die italienischen Piloten war beschränkt. Die Sicht nach aussen war null, nur grau in grau, kein Boden zu sehen bis zwei Sekunden bevor der Flieger in Frankfurt sanft auf der Landebahn aufsetzte. Der italienische Capitano beherrschte sein Flugzeug! Meine erste automatische oder semi-automatische Landung erlebte ich am 27. Juni 1967 auf einem Flug mit der ehemaligen englischen Fluggesellschaft BEA (British European Airways) auf einem Flug von Basel nach London-Heathrow in einer Vickers Viscount V814 mit vier Turboprop Triebwerken. BEA war die erste Fluggesellschaft, welche echte automatische Landungen durchführte. Den Passagieren teilte der Pilot kurz vor der Landung mit, dass dies eine automatische Landung sein würde und man sich wegen eigenartigen Triebwerkgeräuschen keine Sorgen mache müsse. Die Triebwerke würden auf die Befehle des Lande-systems reagieren und das sei anders als bei manuellen Landungen durch die Piloten. Ob besser oder schlechter überliess der Pilot dem Urteil seiner Passagiere.

Aber kehren wir zurück nach Deutschland. Eine andere Stadt, in der ich oft und gerne war und auch lange Zeit verbrachte, ist Hamburg. Vom März bis in den September 1971 installierte ich beim Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg-Bahrenfeld einen 500 kV Elektroneninjektor. Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY war ein grosser ringförmiger Elektronenbeschleuniger und zu dieser Zeit die weltweit grösste Anlage ihrer Art und konnte Elektronen auf 7,4 GV (Gigavolt, 1 Gigavolt = 1000000000 Volt oder eine Milliarde Volt) beschleunigen. Die Anlage diente der Forschung in der Teilchenphysik und der Erzeugung von Synchrotronstrahlung. Der Beschleuniger, den ich installierte, konnte Elektronen mit einer Strahlenergie von 500000 Volt erzeugen und diese Elektronen in einem Strahl von nur wenigen Millimetern Durchmesser in das bestehende Synchrotron einspeisen. Der Elektronenstrahl musste über eine Strecke von rund 500 mm absolut parallel sein, was Dank verschiedenen Einrichtungen zur elektrostatischen und elektromagnetischen Fokussierung nach langwierigen Arbeiten auch gelang. In Hamburg wohnte ich im Europäischen Hof beim Hauptbahnhof. Das Hotel hatte eine wunderbare klassische Bar mit einem klassischen Barkeeper, mit dem ich mich auch bald anfreundete und der mir die Liebe für Cocktails beibrachte. In einem Hamburger Lokal mit Live-Musik erlebte ich auch den jungen deutschen Liedermacher Reinhard Mey, lange bevor dieser mit seinem bekannten Evergreen «Über den Wolken» bekannt wurde. Die Wochenenden verbrachte ich in der Regel zu Hause in Amersfoort. Hamburg war eine Destination, von der man wöchentlich nach Hause reiste. Interessant war die Reise mit Douglas DC-9-30 der KLM von Amsterdam nach Hamburg. Sie führte am Morgen immer mit einem Zwischen-halt in Bremen nach Hamburg. In Bremen kam der deutsche Zoll an Bord und kontrollierte das Handgepäck der Passagiere. Das war schon speziell, da man in Hamburg noch einmal den Zoll passieren musste. Aber es war die Zeit der ersten Attentate der Baader-Meinhof Bande und ihrer Roten Armee Fraktion und die Deutschen Grenzbeamten und Polizisten kontrollieren mit deutscher Gründlichkeit alles was in ihren bürgerlichen Augen unkonventionell aussah. Und dazu gehörten lange Haare wie ich sie der damaligen Mode entsprechen trug. Auf den Flughäfen hingen überall Fahndungsplakate mit den Konterfeis der Gesuchten Damen und Herren Terroristen. Mehr als einmal wurde ich kompletten Leibesvisitationen unterzogen, in der Regel bei der Ausreise aus Deutschland.

Der 500 kV Beschleuniger für DESY war auf einem ICT basierende Elektronenstrahlanlage, die für industrielle Anwendungen eingesetzt wurde. Zu der Zeit war das die Vernetzung von Kunststofffolien für Schrumpfverpackungen, von Kunststoffschrumpfschläuchen sowie von Draht- und Kabelisolationen. Anwendungen der Elektronenstrahltechnik die viel später zu einer meiner Haupttätigkeiten werden sollten. Hier in Hamburg arbeitete ich erstmals mit einem Elektronenbeschleuniger mit ICT, dem Isolier-Kern-Transformator, einer genialen Erfindung von John Trump. Dieses Gerät erzeugte die für die Beschleunigung der Elektronen benötigte Hochspannung. Im Gegensatz zum Van de Graaff Generator, konnten damit verhältnismässig hohe Strahlströme im Milli-Ampère-Bereich erzeugt und Leistungen bis 100 kW erzielt werden. Der Van de Graaff konnte hohe Spannungen erzeugen aber nur sehr geringe Strahlströme in MicroAmpère-Bereich. Vor meiner Abreise nach Hamburg hatte ich das Gerät, wie das bei HVEE üblich war, im Werk aufgebaut und getestet. In der Firma galt ich nun als Spezialist für ICT-Anlagen, denn mit diesen Geräten hatte man sich in Amersfoort bisher nur wenig beschäftigt. Aber die EB-Technologie war im Kommen und in Amersfoort installierte man sogar eine Pilot- und Testanlage auf der interessierte Kunden Versuche durchführen konnten. Mein Kollege Loek, der 1974 sehr jung bereits an Herzversagen starb, und ich betreuten die Anlage und lernten eine komplett neue Beschleunigertechnologie und neue Anwendungen für industrielle Produktionen kennen. Als Spezialist für ICT-EB-Anlagen, sandte HVEE mich im Januar 1975 zu einem Kunden mit einer ICT-Anlage nach Israel. Der Yom-Kippur-Krieg war im 25. Oktober 1973 zu Ende gegangen und noch frisch in den Köpfen der Menschen. Eine dieser ICT-Anlagen stand in Nahal Sorek, dem Israelischen Kernforschungszentrum, etwa eine Autostunde westlich von Tel Aviv in der Wüste. Das Forschungszentrum war umgeben von einem soliden Stahlzaun und einem drei Meter hohen Elektrozaun. Ausserhalb des Elektrozauns verlief ein mehrere Meter breiter, ununterbrochen überwachter Streifen Sand mit sehr feiner Oberfläche. Dieser Sandstreifen liess sich nicht überqueren ohne Spuren zu hinterlassen. „Meine“ Anlage stand innerhalb des Forschungskomplexes fast im Freien, nur von einem Dach geschützt. Die See war nicht weit weg und es herrschte eine konstant hohe Luftfeuchtigkeit. Und die bereitete mir grosse Sorgen, denn sie drang in alle Poren des geöffneten Hochspannungstrafos ein und vergifte das Isoliergas in diesem Trafo. War er in Betrieb erwärmte sich das Innenleben des Trafos und Feuchtigkeit entwich ins Isoliergas. Das Resultat waren Funkenüberschläge die grosse Schäden im Trafo verursachten. Ein Gastrockner verschaffte Abhilfe, nach langen Auseinandersetzungen mit der Leitung des Instituts wegen den Kosten. Wer sollte das bezahlen? Ich war der Meinung: das Institut, denn sie hätten ja diese Lokalität nahe der See und im Freien stehend gewählt. Das Institut sagte: „Eine so teure Anlage muss auch bei hoher Luftfeuchtigkeit funktionieren und es hat uns niemand gesagt, dass wir das ICT nicht im Freien aufstellen dürfen.“ Ich gewann den Disput und konnte nach einigen Wochen das Gerät wieder voll funktionsfähig dem Kunden übergeben. Arbeiten mit und Bearbeiten und Konditionieren des Kunden gehörte zu den Aufgaben eines T&Iers. In Nahal Sorek gab es auch einen Linearbeschleuniger und eine Gamma-Bestrahlungsanlage. Als Strahlenquelle in der Gammaanlage diente das radioaktive Isotop Kobalt-60 (60Co). Die Gamma-Bestrahlungsanlage setzte man zur Sterilisation medizinischer und pharmazeutischer Artikel und zur gelegentlichen Bestrahlung anderer Waren ein. Ein und wieder sah ich, wie die Angestellten Kisten mit den typischen israelischen Kaffeetassen aus klarem Glas in den Bestrahlungs-raum brachten und sie dort einige Tage lang stehen liessen. Durch die intensive Bestrahlung mit Gamma-strahlen verfärbte sich das Glas schwarz. Es blieb durchsichtig, war aber schwarz. Ich wusste nun, wo die attraktiven Kaffeegläser, die man in israelischen Restaurants und Bars verwendete, herkamen. Dumm war nur, dass die Verfärbung nicht stabil war und das Glas nach einigen Monaten wieder hell wurde. In einem anderen Gebäude im Komplex von Nahal Sorek zeigte man mir auch eine sehr grosse Laseranlage die einen viele Meter langen, parallelen Laserstrahl erzeugen konnte. Der circa fingerdicke Laserstrahl wurde auf eine von der Decke hängende Stahlplatte gerichtet und unglaublich, die Stahlplatte begann sich durch die Einwirkung des Lichtstrahls zu bewegen! Laser ist optisch verstärktes Licht, das Wort Laser steht für «light amplification by stimulated emission of radiation». Faszinierend! Die hatten was drauf in diesem Forschungszentrum und es erklärte auch die enormen Sicherheitseinrichtungen! Aber über Israel und meine Erlebnisse dort werde ich in einem gesonderten Abschnitt be-richten. Dasselbe gilt für meine Erfahrungen mit Elektronen-beschleunigern und deren Anwendungen.

Und zwischendurch nach Hause

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