Читать книгу Und zwischendurch nach Hause - Urs V. Läuppi - Страница 5
ОглавлениеNur Fliegen ist schöner
Mein Schulfreund Charlie und ich waren beide begeisterte Velofahrer und Flugzeugfans. Ich wollte Pilot werden und Charlie im Büro arbeiten oder Velofahrer bleiben. An schulfreien Mittwochnachmittagen besuchten wir bei schönem Wetter immer den Basler Flugplatz bei Blotzheim im Elsass. Offiziell hiess der Flugplatz, ein Flughafen war das damals nicht, Basel-Mülhausen. Er lag in Frankreich, war aber aus der Schweiz auf einer 5 km langen, eingezäunten Zollfreistrasse erreichbar. Feste Gebäude gab es keine auf diesem Flugplatz, nur provisorische Baracken. Sogar der Kontrollturm war eine barackenähnliche Holzkonstruktion, einfach fünf Meter höher als die umliegenden Gebäude. Das grösste Gebäude war der Lucky-Hangar, ein grosser hölzerner Hangar. Damit auch die Douglas DC-4 der damaligen lokalen Basler Fluggesellschaft Balair in den Hangar passte, wurde der obere Teil der Hangar-Frontseite mit einem vertikalen Schlitz versehen durch den das Seitenleitwerk der DC-4 in den Hangar passte. Lucky hiess der Hangar wegen einer grossen Lucky-Strike Zigarettenwerbung auf dem Hangar. Der Hangar steht heute noch auf dem Flughafen Basel-Mulhouse, der inzwischen zum EuroAirport mutierte. Stünde der Lucky-Hangar nicht auf französischem Staatsgebiete hätte ihn die Basler Denkmalpflege schon längst unter Denkmalschutz gestellt. Auf dem alten Flugplatz in Basel standen die Zuschauer vor dem Abfertigungsgebäude und nur ein niedriger, hölzerner Zaun trennte sie von den in 20 Metern Entfernung geparkten Flugzeugen. Das Rollfeld bestand aus gelochten Stahlplatten, welche die US-Truppen nach dem 2. Weltkrieg in Europa zurückgelassen hatten und ihnen im Krieg für den Bau von Behelfsflugplätzen gedient hatten. Stiegen Passagiere in die Flugzeuge, mussten sie sich eine Gasse durch die Zuschauer bahnen. An Wochentagen waren Charlie und ich fast die einzigen Besucher und wir hatten viel Gelegenheit die vielen Aktivitäten rund um die Flugzeuge bei ihren Zwischenlandungen in Basel zu beobachten. Dabei standen wir immer am Zaun und bestaunten Propellerflugzeuge wie die Douglas DC-3 und DC-4 und vor allem die Lockheed Constellations L-749 und Super Constellations L-1049 mit ihren gewaltigen Wright Doppelsternmotoren mit 18 Zylindern. Wenn in Paris Nebel herrschte kamen die «Connies» nach Basel. TWA, Air France, KLM alle waren da. Air France besuchte Basel regelmässig auch mit der dickbauchigen, 2-stöckigen Bréguet 763 Deux-Ponts. Die Bréguet 763 war ein 1953 in Dienst gestelltes, sehr charakteristisches, viermotoriges Flugzeug mit einem Doppelleitwerk für 107 Passagiere. Aus England kam um 1962 die eigenartig aussehende, viermotorige ATL-98 A Carvair der Channel Air Bridge. Das von der englischen Firma Aviation Trades gebaute Flugzeug mit dem riesigen Ballonbug transportierte Autos von und nach Southend-on-Sea. Das Anlassen der grossen Sternmotoren war immer ein Spektakel mit viel Rauch und langen Feuerschweifen aus den Motoren, hinter denen immer Männer mit Feuerlöschern bereitstanden. Der Geruch des Flugbenzins, vermischt mit dem Rauch, während dem Anlassen der Motoren, heute würde man Triebwerke sagen, war ein Geruch, den ich liebte und immer noch gern rieche. Im Rahmen der Einweihung des Bi-Nationalen Flughafen Basel-Mulhouse fand im Sommer 1958 während zwei Tagen ein internationales Flugmeeting statt. Im Gras entlang der Startbahn liegend genossen Charlie und ich die Vorführungen der vielen Sport-, Militär- und Verkehrsflugzeugen aller Welt am damals grössten und längsten Schweizer Flugmeeting. Nebst vielen Flugzeugen der US Air Force und der französischen Luftwaffe, sahen wir auch die erste Caravelle SE 210 von Sud-Aviation. Später war auch das erste kommerziell gebaute Düsen-Verkehrsflugzeug, die vierstrahlige de Havilland DH106 Comet oft in Basel zu Besuch. Ein Vorfall, der im Zusammenhang mit Triebwerkgeräuschen von Strahlflugzeugen steht, ist mir speziell in Erinnerung geblieben. Auf dem Flughafen in Basel war einen DC-4 einer ausländischen Gesellschaft wegen nicht bezahlten Rechnungen an die Kette gelegt worden. Eines Tages erschienen Wartungsleute der DC-4 Eigentümer und ersuchten um Bewilligung, das Flugzeug warten zu dürfen und einen Triebwerktestlauf durchzuführen. Das wurde bewilligt. Später, in derselben Nacht, kamen die Wartungstechniker zurück, schlichen sich zum Flieger und benützten die aufeinander folgenden Starts einer sehr lauten Comet und einer Caravelle, um sich in ihrem Lärmschutz auf der abseits gelegenen Westpiste auf- und davon zu machen. Die DC-4 wurde später in Brüssel übermalt wieder gefunden.
Aber Zuschauen alleine machte uns nicht glücklich! Und so kam es, dass wir an einem verregneten Ferientag, anstatt mit dem Velo auf eine Tour nach Zürich zu fahren, uns zum Swissair-Büro beim Bahnhof in Basel begaben und Flugbillette von Basel nach Zürich und zurück für den Flug am nächsten Tag kauften. Charlie und ich waren noch keine 16 und Schüler und bezahlten jeder für unser erstes Flugticket 22 Schweizer Franken. Jeder hatte 30 Franken für die Velotour gespart, das Geld reichte auch noch für ein Getränk in Zürich. Als Stammzuschauer am Flugplatz hatten wir den Flugplan im Kopf und wussten, dass jeden Morgen eine Swissair Douglas DC-3 von Amsterdam kommend nach Zürich abflog und am Abend wieder zurückflog. Zürich-Basel-Amsterdam-Basel-Zürich war einer der ältesten Postflüge Europas. Die Douglas Commercial DC-3 ist heute ein legendäres Flugzeug. Konstruiert auf Wunsch von American Airlines als Schlafflugzeug mit Betten für 14 Passagiere für inneramerikanische Flüge von Kalifornien nach New York, flog das Flugzeug als DCT (Douglas Transport Sleeper) 1935 zum ersten Mal. Mit mehr als 16›000 Exemplaren ist die DC-3 das bis heute am meisten gebaute Verkehrsflugzeug der Welt. Hergestellt von den Douglas Werken in Santa Monica und Long Beach in Kalifornien und unter Lizenz in mehreren Ländern, spielte das Flugzeug, auch bekannt als C-47 und Dakota, eine grosse Rolle als Material- und Truppentransporter im zweiten Weltkrieg und als Rosinenbomber während der Berliner Luftbrücke 1948 und noch viele Jahre darüber hinaus. Für viele Fluggesellschaften war das Flugzeug der Start in eine kommerzielle Tätigkeit als Fluggesellschaft. 2020 waren immer noch geschätzt um die 200 DC-3 Veteranen in Betrieb.
Charlie und ich fuhren nach dem Kauf der Tickets anderntags mit dem Velo schon sehr früh nach Blotzheim zum Flugplatz, stellten unsere Velos ab und meldeten uns beim Swissair-Schalter für abfliegende Passagiere. Der Abflug in Basel war schon um 6 Uhr morgens. Die DC-3 landete von Amsterdam kommend einige Minuten nach 5 Uhr. Kurz bevor wir einsteigen durften, kam noch ein Passagier angehetzt. «Buben, es tut uns leid, aber einer von euch beiden kann nicht mit. Der Passagier hat Vorrang und das Flugzeug ist voll besetzt!» erklärte man uns. Aber wir protestierten: «Das ist nicht gerecht, wir waren zuerst hier, beide oder keiner!» Da mischte sich der Captain ein und sagte zu mir gewandt: «Macht es dir etwas aus, um bei der Fracht zu sitzen?» «Nein, Hauptsache ich kann mit,» antwortete ich. Und so kam es, dass wir zum Flugzeug gingen wie die Grossen, die wir an Mittwoch-nachmittagen sahen, um das Flugzeug zu besteigen. Die zweimotorige DC-3 hatte kein Bugrad, sondern ein Heckrad und stand deshalb schräg auf dem Rollfeld. Im hinteren Teil des Fliegers gab es 6 Sitze für die Passagiere und im vorderen Teil, abgetrennt durch einen Vorhang, war auf der linken Seite die Fracht unter einem Netz verstaut. Gegenüber dem Netz war entlang der Wand und den Fenstern, eine Sitzbank ohne Kissen aber mit Gurten zum Anschnallen der Passagiere montiert. Auf diese Bank musste ich mich mit dem Rücken zu den Fenstern setzen. Der Captain persönlich schnallte mich für den 30-minütigen Flug fest und flüsterte mir zu: «Sobald wir unterwegs sind hole ich dich zu mir nach vorne ins Cockpit!». Und so geschah es auch. Ich durfte sogar während der Landung zwischen den Piloten im Cockpit sitzen. Eine Stewardess war wohl auch an Bord, als Buben haben wir sie nicht bemerkt, heute wäre sie uns schon aufgefallen. Fliegen war wichtiger und der Satz: «Nur Fliegen ist schöner!» hat für mich seit diesem Flug eine gewisse Bedeutung. Am Nachmittag flogen wir zurück nach Basel-Mulhouse mit derselben DC-3, dieses Mal beide nebeneinander auf Sitzen wie es sich gehört und wie die Grossen.
Mein erster Flug, der Flug mit der DC-3 war mein erster Flug überhaupt, hat einen derartigen Eindruck hinterlassen, dass ich im zarten Alter von 17 Jahren der Segelfluggruppe Basel beigetreten bin, um das Segelfliegen zu erlernen. Die Ausbildung war kostenlos, das heisst, sie wurde durch Mithilfe beim Unterhalt der Flugzeuge im Lokal der Gruppe in Basel, durch Mithilfe beim Transport der Segelflugzeuge und durch das Zurückschieben der Segelflieger nach der Landung auf dem Flugfeld in Sisseln bezahlt. Das Flugfeld in Sisseln lag direkt am Rhein gegenüber dem deutschen Säckingen und dem Hügel am Hotzenwald, den wir als Auftriebshilfe beim Segelfliegen benutzten. Geschult wurde mit einer Röhnlerche, einem beliebten deutschen Doppelsitzer-Segelflugzeug. Der Flug-lehrer sass hinter dem Schüler. Während meinem zweiten Flug entfernte der Fluglehrer den Steuerknüppel, klopfte mir damit auf den Kopf mit den Worten: «Jetzt fliegst du allein Bub!» Aber er war ein grossartiger Fluglehrer und nach 40 Starts mit der Röhnlerche fand er ich sei nun reif genug für den ersten Alleinflug. Den ersten Alleinflug sollte ich mit einem Grunau Baby, absolvieren. Das Grunau Baby, ein einsitziges Flugzeug, ist eines der meistgebauten Segelflugzeuge, hergestellt in Deutschland zwischen 1931 und 1945. Das Baby war ein Hochdecker mit dem Flügel auf dem Rumpf hinter der Kabine. Unter dem Rumpf hatte das Baby eine Holzkufe, keine Rolle, keine Bremsen. Die Kufen werden schon bremsen auf dem Gras, dachte man sich. Unser Baby, ein Baby II, hatte einen leicht gewellten Flügel. Er war bei unplanmässigen Landungen im Rhein nass geworden. Mit klopfendem Herzen machte ich mich am 11. April 1962 auf zu meinem ersten Alleinflug. Es sollte ein Start hinter dem Schleppflugzeug, einer Tiger Moth werden. Die Tiger Moth DH-82 ist ein einmotoriger, Hoch-decker hergestellt von 1931 bis circa 1946 von De Havilland in England und als Schulungsflugzeug bei der Royal Air Force in England und in vielen Ländern der Welt sehr beliebt. Viele dieser Veteranen fliegen heute noch. Beim Start war ich konzentriert, richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf das Schleppflugzeug vor mir und beachtete zu wenig, dass der mitlaufende Helfer, welcher den Flügel meines Babys in der Waagrechten halten sollte, ihn stattdessen nach unten drückte. Dadurch geriet das Baby hinter dem Schleppflugzeug in eine leichte Querlage. Ich versuchte das Flugzeug in eine Linie am Schleppseil hinter das Schleppflugzeug zu bekommen als sich, mit einem heftigen Ruck, mein Baby von der Erde befreite und abhob: ich flog! Solo! Der Flugzeugschlepp verlief problemlos. Nachdem wir eine Höhe von 400 Metern über dem Platz erreicht hatten, löste ich mich vom Schleppflugzeug, drehte einige Runden um den Platz und setzte vorsichtig zu meiner ersten Landung an. Den Logbuch-Eintrag meines Fluglehrers nach einer harten Landung mit dem Doppelsitzer hatte ich nicht vergessen: «Landet einen Meter unter dem Boden». Bremsklappen ausfahren, Höhe vernichten mit einer Glissade durch Querstellen des Flugzeugs, Flugzeug aufrichten, die Nase leicht hochziehen und aufzusetzen. Alles lief ab wie gelernt. Dumm war nur, dass der Flieger nicht aufsetzen wollte. Ich flog einige Zentimeter über der Graspiste vorbei am Fluglehrer und den am Pistenrand stehenden Kollegen. Noch etwas vorsichtig ziehen am Steuerknüppel und ja, nach weiteren hundert Metern klappte es. Das Baby setzte auf, berührte den Boden und kam sofort mit einem gewaltigen Ruck zum Stillstand und ich flog nach vorne in die Gurten. Beim Aussteigen hatte ich den Eindruck beim Start nicht so tief am Boden gesessen zu haben. Mein Eindruck täuschte mich nicht. Mein Fluglehrer kam angelaufen mit rotem Kopf und der Kufe des Babys in der Hand und meinte: «Die hast du beim Start hiergelassen!» Durch die Schräglage hinter dem Schlepp-flugzeug beim Start, wurde die Kufe glatt abgerissen. Den Ruck hatte ich verspürt. Am Flugzeug hingen noch einige Tuch-resten, Schaden entstand sonst aber keiner, weder am Baby noch an seiner Kufe. Das Baby war schnell repariert und schon mit meinem 51. Start an 1. Mai 1962 erhielt ich das Schweizer Segelflieger-Brevet C Nr. 3350. Wie bereits erwähnt: Nur fliegen ist schöner!