Читать книгу Und zwischendurch nach Hause - Urs V. Läuppi - Страница 9
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Im März 1969 heirateten meine Frau Jrène und ich und im Mai 1969 zogen wir nach Amersfoort, in der Provinz Utrecht, in die Niederlande. Amersfoort eine Stadt mit damals rund 100000 Einwohnern, einem alten Stadtkern von Mauerhäusern und Grachten umgeben. In Amersfoort war High Voltage Engineering (Europa), HVEE, Tochterunternehmen von HVEC, High Voltage Engineering Corporation aus Burlington, Massachusetts, USA, zu Hause. Und bei HVEE hatte ich eine Stelle als T&I Engineer (Test und Installations-Ingenieur) für Teilchenbeschleuniger angenommen. Da unsere Wohnung noch nicht frei war, wohnten wir die ersten vier Wochen in einem Hotel beim Bahnhof. Umgezogen waren wir mit drei Koffern mit Kleidern, einem alten Tisch, zwei Fahrrädern und einigen Haushaltsgegenständen, alles verpackt in einem kleinen Container. Die ganze Habe wurde in der Firma eingelagert, bis wir unsere eigene Wohnung beziehen konnten. Empfangen wurden wir dort herzlich an einem Samstagmorgen von Ali, Nachbarin und Frau meines älteren Kollegen Piet. Die Familie wollte gerade ins Wochenende wegfahren. Ali überreichte uns ihre Wohnungsschlüssel mit der Bemerkung: «Wenn ihr etwas benötigt, hier sind unsere Schlüssel, holt es euch bei uns!» und weg war Familie Dubbelman. Wir gewöhnten uns sehr schnell an das Leben in Holland. HVEE fertigte in Amersfoort mit rund 300 sehr motivierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Van de Graaff Teilchenbeschleuniger für wissenschaftliche Anwendungen, Elektronenbeschleuniger für viele industrielle Anwendungen, hochenergetische Röntgenapparate für die zerstörungsfreie Werkstoffprüfung, neuartige Ionen-Implantationsanlagen und Hilfsaggregate wie Hochvakuumeinrichtungen sowie Geräte und Vorrichtungen zur Strahlführung in Grossbeschleunigern, zum Beispiel beim CERN in Genf oder DESY in Hamburg.
Gegründet worden ist High Voltage Engineering Corporation, HVEC, die Mutterfirma, 1946 in einer privaten Garage am Harvard Square in Cambridge bei Boston von den drei Physikern und Ingenieuren Robert J. Van de Graaff, John G. Trump und dem Engländer mit der sanften Stimme, Dennis M. Robinson. Robert Van de Graaff, den Chef-Physiker und Erfinder des elektrostatischen Van de Graaff Beschleunigers, habe ich leider nicht mehr kennenlernen dürfen, er ist 1966 gestorben. Die beiden anderen Männer aber habe ich kennen gelernt und mit beiden zusammengearbeitet. John G. Trump, Technischer Leiter und Präsident des Aufsichtsrats war ein begnadeter Hochspannungsingenieur, Physiker und Professor der Hochspannungs-Technologie am berühmten MIT in Boston (Massachusetts Institute of Technology). Er ist für mich Mentor und Lehrer geworden. Sein Vater war der Bruder des Vaters von Donald Trump, dem 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. John Trump hätte sich im Grab gedreht, hätte er die Lügen und kriminellen Aktivitäten seines Neffen miterleben müssen. John Trump ist 1986 gestorben, er war das pure Gegenteil von Donald Trump. Nebst vielen anderen Entwicklungen war er massgeblich an Herstellung und Einsatz von Van de Graaff Beschleunigern für Strahlentherapie-Anwendungen bei Krebs- und Tumorerkrankungen beteiligt. Eine der ersten Van de Graaff-Anlagen für Strahlentherapien wurde am Massachusetts General Krankenhaus in Boston installiert und betrieben. Die Tragödie John Trumps war, dass seine Frau an einem Gehirntumor erkrankte und starb und er ihr nicht helfen konnte. Dennis M. Robinson, der Dritte im Bunde, kam im zweiten Weltkrieg mit einer Mission englischer Wissenschaftler als Präsident der Elektrotechnischen Fakultät der Universität Birmingham in die USA, wo er nach dem Krieg Leiter des Radiation Laboratory des MIT wurde. Robinson war viele Jahre lang Präsident von HVEC und Mitglied der Pugwash Konferenz. Die Pugwash Konferenz und Bewegung wurde 1955 von einflussreichen Wissenschaftlern aus den USA, Kanada, England und Russland aus Sorge um die Welt und die Umwelt gegründet. Die Wissenschafter trafen sich erstmals 1957 in der Thinker’s Lodge, im kleinen Fischerdorf Pugwash an der ostkanadischen Atlantikküste von Neuschottland, und diskutierten mitten im kalten Krieg zwischen der Sowjetunion und dem Westen, wie ein Atomkrieg vermieden wird und die Umwelt geschützt werden kann. Die teilnehmenden Wissenschaftler unterhielten alle gute Beziehungen zu ihren Politikern in den verschiedenen Ländern. Die Konferenz und Bewegung bestehen bis heute. Dennis Robinson berichtete mir und meiner Frau 1972 ausführlich von Pugwash anlässlich einer von Dennis Robinson und mir gemeinsam organisierten Konferenz über den Betrieb von Linearbeschleunigern in Athen, Griechenland. Dennis Robinson wohnte bei dieser Gelegenheit in unserem Haus am Strand von Vougliameni bei Athen. Nebst vielen anderen bekannten Wissenschaftlern und Forschern aus der ganzen Welt, traf ich dort auch Edward Teller, den Vater der Wasserstoffbombe. Teller war bei Weitem nicht dieselbe sympathische und angenehme Persönlichkeit wie Dennis Robinson.
Bei HVEE in Amersfoort war ich der einzige Ausländer. Zu Beginn sprachen alle englisch mit mir aber Ab Kuipers, Mitglied der Geschäftsleitung und Chef der T&I Truppe, gab die Parole aus, mit mir nach drei Monaten nur noch «nederlands» zu sprechen, damit ich die Sprache so schnell wie möglich lerne. Und so geschah es auch. Nach 3 Monaten hatte ich die Sprache kapiert und sprach schon leidlich niederländisch, ohne deutschen Akzent. Deutsch war damals nicht so gut gelitten in den Niederlanden, der Krieg war noch in den Köpfen der Menschen. Die T&I Truppe bestand aus 14 Männern, alle, mit einer Ausnahme, verheiratet, alle, ausser uns, hatten junge Kinder. Unverheiratete Männer wollte die Firma nicht in der T&I Truppe haben. Ein Test and Installation Engineer musste in Amersfoort und in den USA hergestellte Anlagen testen und installieren und weltweiten Kundendienst leisten. War der T&Ier in Amersfoort hatte er die Aufgabe Anlagen und Maschinen aus der Fabrikation zu übernehmen, sie mit einem Team unter seiner Aufsicht zusammen zu bauen, die Anlage zu testen und im Beisein des Kunden von ihm abnehmen zu lassen, die Anlage danach zu demontieren und zu verpacken, den Transport mit Hilfe des für Transporte Zuständigen zu organisieren und danach die Anlage beim Kunden, wo auch immer in der Welt, zu installieren, zu testen und sie vom Kunden abnehmen zu lassen. Kleine Anlagen wurden in Kleinserien gefertigt und diese waren schnell installiert und abgenommen. Grosse Anlagen wurden, wenn sie öfter hergestellt wurden, in Teilen im Werk getestet und erst beim Kunden zusammengebaut oder, was seltener vorkam, die ganze Anlage wurde im Werk aufgebaut und getestet. Eine mittlere Installation dauerte drei bis sechs Monate, eine grosse Installation neun bis zwölf Monate. Der Beruf des T&Iers war mit grosser Reisetätigkeit verbunden. Die Reiseregelungen waren vorbildlich. Bei Distanzen bis circa 500 km flog man jedes Wochenende nach Hause, zum Beispiel von Paris, London, Frankfurt, Kopenhagen usw. War der Kunden weiter weg aber immer noch in Europa, flog man nur jedes zweite Wochenende nach Hause zur Familie, dafür aber bereits am Freitagnachmittag und zurück am Montagmorgen. München, Zürich, Marseille, Stockholm, Glasgow Mailand, Rom, waren typische 2-Wochen Destinationen. Nur alle drei Wochen nach Haus flog man von Athen, Tel Aviv, Catania, Bukarest, Ankara, Tunis, usw. Seine Reisen organisierte der T&Ier selbst, jeder hatte seine eigene IATA Air Travel Karte die von allen Fluggesellschaften zur Bezahlung der Tickets akzeptiert wurde. Mit dieser Karte war man für jede Fluggesellschaft ein VIP, es gab noch keine Travel Clubs der Fluggesellschaften. Zum 90 km entfernten Flughafen in Amsterdam Schiphol, wurden wir mit Hoektax, einem Taxiunternehmen aus Amersfoort, gefahren und auch immer am Flughafen abgeholt. Die Hotels im Ausland waren ausnahmslos 1. Klasse Hotels mit Telexanschluss. Ein Telex war eine Art ferngesteuerte Schreibmaschine, mit der man schriftlich über die Telefonleitung Texte übermitteln konnte. Keine Zeichnungen, nur Texte. Ein T&I-Mann konnte Telexen. Telefonieren war zu teuer. War die Ehefrau eines T&I-Mannes schwanger, durfte der Ehemann ab dem siebten Monat nicht mehr ins Ausland reisen. Es gab eine Ausnahme: Adrian. Er war nicht verheiratet, hatte aber eine Freundin, die Telefonistin der Firma. Wer in jenen Tagen bei einer Firma anrief hatte immer erst eine Telefonistin an der Leitung. Dieser Dame, oft eine resolute Person, teilte der Anrufer mit, wen er zu sprechen wünschte. War die Telefonistin dem Anrufer gewogen, funktionierte alles vorzüglich, war sie ihm nicht gewogen liess sich die gewünschte Person partout nicht finden. Die Telefonistinnen kannten das ganze Haus und alle Geheimnisse. Unsere Telefonsitin informierte eines Tages ihren Adrian, dass sie schwanger sei. Kurz entschlossen heiratete er sie. Einige Wochen später stellte sich die Schwangerschaft als heisse Luft heraus, die Telefonistin hatte einen Trick angewandt, um ihren Adrian zu bekommen. Dieser war sauer, sehr sauer sogar und reiste mit dieser Wut im Bauch ab nach Südafrika, wo er einen Van de Graaff Beschleuniger installieren sollte. Während Wochen hörte man nichts von ihm, er sandte keine Berichte wie das üblich war. Die Firma telefonierte mit dem Institut in Südafrika, wo er arbeitete. «Er ist hier», bestätige das Institut, alles sei OK. Eines Tages wurde es Ab, unserem Chef, zu bunt und er sandte Adrian eine Telexnachricht mit einem einzigen Satz: «Are you still alive?» Die Antwort kann postwendend: «Yes!». Nach rund acht Wochen und nach Beendigung der Installation kehrte Adrian zurück, seine Wut war verraucht. Er versöhnte sich mit seiner Telefonistin, sie bekamen Kinder und sind noch immer verheiratet, wenn sie noch leben. Ab war ein grossartiger Chef und mein erster wichtiger Mentor. Er hatte viel Vertrauen in seine Mitarbeiter und betraute sie mit ausgesprochen grossen Verantwortungen. Mich als junges «Greenhorn» nach kurzer Zeit bei der Firma schon mit der Gesamtleitung von grossen Beschleunigerinstallationen zu betrauen, gab mir Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten und stärkte meine Persönlichkeit dem Kunden gegenüber. Ab war auch immer zur Stelle, wenn man Hilfe benötigte, Tag und Nacht. Er ist leider viel zu jung gestorben.
Wenige Monate nachdem meine Frau und ich nach Amersfoort gezogen waren, sandte mich mein neuer Chef bei HVEE, auf eine erste Mission ins Ausland. Ich sollte nach München fliegen, um dort dem niederländischen Kollegen Boy und den beiden amerikanischen Kollegen Jack und Frank bei der Einbringung und Installation kritischer Teile in einen grossen Van de Graaff Beschleuniger zu helfen. Aufgebaut wurde diese Maschine am Maier-Leibnitz Laboratorium der Ludwig-Maximilian-Universität in München Garching. Was ein Van de Graaff Beschleuniger ist und wozu er dient, habe ich im Abschnitt über meine Zeit an der ETH in Zürich erzählt. Bei der zu erstellenden Anlage in Garching handelte es sich um das mit Abstand grösste Van de Graaff Modell, einen 15 MV «Emperor» Tandem Beschleuniger. 15 MV bedeutet, er konnte elektrostatisch eine Beschleunigungsspannung von fünfzehn Millionen Volt erzeugen. Der eigentliche Beschleuniger mit dem Hochspannungserzeuger, dem Ladeband und den Beschleunigerrohren, befand sich im Inneren eines horizontalen Druckbehälters mit einem Durchmesser von 5,5 Metern an den mehrere Meter langen Endteilen und von 8 Meter Durchmesser des 9 Meter langen Mittelstücks. Der Behälter oder Tank, wie wir ihn nannten, war 25 Meter lang und 182 Tonnen schwer, wenn im Inneren alles montiert und der Behälter mit Isoliergas gefüllt war. Denn in Luft konnte man 15 Millionen Volt weder erzeugen noch betreiben. Der Behälter wurde deshalb mit dem elektrisch isolierenden, ungiftigen Gas SF6 (Schwefelhexafluorid) unter einen Überdruck von 7 bar gesetzt. Da dieses Gas sehr teuer und auch umweltschädlich ist, sorgte man dafür, dass kein Gas verloren ging, wenn der Beschleuniger für Wartungsarbeiten geöffnet werden musste. Für eine Füllung mit Gas benötigte man 16 Tonnen Gas. Das kostete damals schon fast eine Million DM. Eine Gasanlage im Keller konnte das Gas auspumpen, es verflüssigen, wieder verdampfen, reinigen und es wieder in den Behälter pumpen. Der Emperor Tandem Beschleuniger war bis am 16. Januar 2020 in Garching in Betrieb.
Es war meine allererste Geschäftsreise; sie führte mich von Amsterdam Schiphol mit einer Boeing B727-200 der Lufthansa nach München Riem. So hiess der frühere Flughafen von München, nahe der Stadt. Der Flughafen war klein und übersichtlich, es gab keine langen Wege wie heute in München am Flughafen Franz Josef Strauß im Erdinger Moos, wo man leicht einen Kilometer gehen muss, um von einem Flieger zum nächsten zu gelangen (Fliegen ist der ideale Wandersport sagten wir uns immer wieder in der Segelflugschule beim Zurückschieben der Segelflugzeuge an den Start). Die Wanderwege auf modernen Flughäfen wie Frankfurt, London Heathrow, Amsterdam Schiphol, Kopenhagen und anderen, sind speziell beim Umsteigen von einem Flug zum nächsten oft sehr lang und mühsam. Ankommende und abfliegende Passagiere benützen dieselben Wanderwege und es herrscht ein heilloses Durcheinander, welches durch eine Unzahl überteuerter Duty-free-Shops noch unübersichtlicher gemacht wird. Alles hetzt durcheinander, ankommende, abfliegende und gemütlich shoppende Passagiere auf einem Ferientrip. Zürich Kloten bildet da eine löbliche Ausnahme, Kopenhagen-Kastrup und Amsterdam-Schiphol sind beide ein Gräuel. Abfliegende und ankommende Passagiere werden in Zürich sauber getrennt und die Duty-free-Shops und Restaurants befinden sich in einem getrennten Bereich.
Den Vogel abgeschossen in dieser Beziehung hat die Lufthansa anlässlich einer Reise von Basel über München nach Amsterdam. Da der Direktflug nach Amsterdam ausgebucht war, musste ich den Umweg über München mit Lufthansa buchen. In München hatte ich nach Flugplan eine Stunde Zeit zum Umsteigen, ohne Gepäck war das kein Problem. Aber der Flieger startete in Basel mit so viel Verspätung, dass er in München erst 15 Minuten vor dem Abflug des Fliegers nach Amsterdam ankam. Kleine Flugzeuge werden in München auf einer Aussenposition geparkt und die Passagiere per Bus in einer Flughafenrundfahrt zum Ankunftsgebäude gefahren. Dieses Gebäude ist einen Kilometer lang und hat Flugsteige (Gates) in den Sektionen A bis G. Der Bus bringt die Passagiere zu Sektion G, mein Flug ging von einem Gate in Sektion A. Also los, im Tempo des gehetzten Affen über Rollteppiche und durch Menschenmassen zum Gate in Sektor A, wo ich genau zur Abflugzeit ankam. Die Passagiere waren schon weg, aber eine freundliche Lufthansadame wartete noch auf mich und begleitet mich in einem Auto, wieder um das ganze Flughafengelände herum, zu der Aussenpositionen und zu dem Flieger in welchem ich von Basel kommend nach München geflogen war. An Bord war auch dieselbe Besatzung, sie erkannten mich wieder und lachten. Mir war nach dem Laufstress weniger zum Lachen.
Ich war also unterwegs zu meiner ersten Geschäftsreise für HVEE. Hoektax holte mich zu Hause ab und brachte mich nach Schiphol. Das Lufthansa-Flugzeug, eine Boeing B727 war ein elegantes, dreistrahliges Düsenverkehrsflugzeug mit drei Triebwerken am Heck. Zwei waren seitlich am Rumpf, das Dritte im Leitwerk angebracht. Zum Ein- und Aussteigen benutzte man die bordeigene Treppe am Heck des Flugzeugs. Der Pilot konnte die Treppe selbst ein- und ausfahren. An diesen Flug erinnere ich mich speziell, weil sich an Bord auch einige Elektriker einer unserer Vertragsfirmen befanden. Sie sollten in München am Beschleuniger Verdrahtungsarbeiten verrichten. Die Männer waren zum ersten Mal in einem Flieger, nervös und sehr laut. Bald einmal entdeckte einer von ihnen, dass man bei der Stewardess ein Magazin zum Lesen bestellen konnte und sie dieses von ganz oben in der Ablage fürs Handgepäck holen musste. Bei dieser Tätigkeit stellte sich die Flugbegleiterin auf die Zehenspitzen, und da zu dieser Zeit Stewardessen in neuste Mode mit kurzen Miniröckchen gekleidet waren, stand die junge Dame im Höschen im Mittelgang der Boeing. Der Besteller der Zeitschrift bemerkte dies sofort, alarmierte seine Kollegen und ein zweiter holländischer Elektriker bestellte sich «etwas zu lesen». Die junge Dame wissend, dass die Jungs an ihrem Hintern und nicht am seichten Lesestoff der deutschen Boulevardpresse interessiert waren, brachte mehrere Zeitschriften und bot diese wissen und süffisant lächelnd den holländischen Leseratten an. Auf dem Rückflug zwei Wochen später, war dieselbe Mannschaft auch wieder an Bord. Bereits beim Abflug in Münchner waren sie sehr fröhlich, das Münchner Bier hatte seine Wirkung getan. Während dem Flug wollten die Männer wissen, ob man den Flieger durch gemeinsames Wechseln von einer zur anderen Seite, zum Schaukeln bringen könnte. Der Beweis konnte nicht erbracht werden. Eine Stewardess holte Hilfe beim Captain, der die Übung abbrach und die Bande massregelte. Danach kehrte Ruhe ein.
Flugreisen in den 1960er und 1970er Jahren waren angenehm und mühelos, man wurde in Flughäfen nicht gedrängelt und gestossen, es gab wenig bis gar keine Warteschlangen und der Komfort an Bord der Flugzeuge war viel besser als er es heute ist. Die Sitze waren breiter und bequemer, der Abstand zum Vordersitz war so gross, dass man seine Knie dort belassen konnte, wo sie hingehörten und sie nicht wie heute bis unter das Kinn einziehen muss, um einigermassen bequem zu sitzen. Wo in modernen Flugzeugen heute fünf oder gar sechs Sitze pro Reihe die Norm sind, waren es in den Flugzeugen der sechziger und siebziger Jahre vier Sitze pro Reihe, bei gleichem Rumpfquerschnitt. Besonders bedauerns-wert sind heute grosse und korpulente Passagiere. Auf einem Flug von Zürich nach Atlanta im Juli 1991 in einer McDonell Douglas MD-11 von Swissair sass mir gegenüber im Gangsitz eine korpulente, ost-europäische, ältere Frau die, ausser ihrer eigenen unbekannten Sprache, kein einziges Wort einer anderen Sprache redete. In den Sitz hinein kam sie, raus in Atlanta nur mit Hilfe von zwei Flugbegleiterinnen, die sie mit grosser Kraftanstrengung aus dem Sitz hievten. Die arme Frau hat während dem 9-stündigen Flug den Sitz nie verlassen. Das Klapptischchen in der Rücklehne des Vordersitzes konnte sie nur bis zu einem Drittel abklappen, es stand auf ihrem Busen auf. Niemand von der Besatzung hat der Frau während dem Flug geholfen. Ein gutes Beispiel dafür wieviel komfortabler Flugzeuge früher waren, kann man im Schweizerischen Verkehrsmuseum in Luzern sehen. Dort steht eine komplette vierstrahlige Convair CV-990 Coronado der Swissair mit der Original-Kabinenausstattung. Dabei war die Convair Coronado keine lahme Kiste, im Gegenteil. Sie war und ist immer noch, das schnellste je gebaute subsonische Verkehrsflugzeug und erreichte im Reiseflug Geschwindigkeiten von mehr als 1050 km/h mit 140 Passagieren in bequemen Sitzen. In solchen Flugzeugen machte fliegen noch Spass. Heute ist es oft eine Qual. 1970 gab es auch noch keine Computer, welche die Wünsche der Passagiere einfach ignorieren und für die der Passagier nichts anderes als eine binäre Ziffer ist, die verarbeitet werden muss. Der Passagier, nennen wir ihn der Einfachheit halber Pax, setzte sich dorthin, wo ein Platz frei war oder, wenn es bei langen Flügen eine Sitzordnung gab, bestand die aus einem Sitzplan des Flugzeugs, den die nette Dame am Check-in Schalter unter Kontrolle hatte. Sie erkundigte sich nach dem Sitzwunsch, entfernte vom Sitzplan den Kleber mit der Sitznummer und klebte ihn auf die Bordkarte des Passagiers. Das war Handarbeit, kein Computer, ein freundliches Wort und ein Lächeln konnte für bessere Sitze sorgen. Oder aber man benutzte einen Trick, um einen Platz in der ersten Klasse zugewiesen zu erhalten. In der Regel genügte es, beim Einsteigen oder «Boarding» des Flugzeugs zu warten und als letzter das Flugzeug zu betreten. Es gab noch keine automatischen Buchungssysteme und oft waren in der Folge die Flieger überbucht und alle Sitze in der Economy-Klasse besetzt. Rausschmeissen konnte die Gesellschaften die sitzlosen Passagiere nicht, sie wurden einfach in die erste Klasse gebeten. Dort waren die Sitze breiter und bequemer, noch vor dem Start wurde Champagner serviert, die Mahlzeiten waren besser und üppiger und alles war gratis. Zu dieser Zeit gab es auch noch keine Business-Klasse. Erste Klasse und Economy-Klasse, auch Holzklasse genannt, genügte. Nach Einführung der Business-Klasse gegen Ende der siebziger Jahre, wurde der Service in der Economy-Klasse abgebaut und schlechter. Es gab weniger und in manchen Fliegern gar nichts mehr zu trinken, oder nur gegen Bezahlung. Das Kassieren von Geld und Herausgeben von Wechselgeld in verschiedenen Währungen dauerte in der Regel länger als das Servieren der Getränke. Beispielhaft dafür war eine Erfahrung, die mein Kollege Bert und ich auf einem Flug mit der belgischen Sabena in einer Boeing B727 von Brüssel nach Athen erlebten. Beide bestellten bei der schon etwas reiferen Stewardess einen Whiskey. Sie brachte die Drinks, wir nahmen die Gläser, sie blieb stehen und wollte sofort Geld. Wir hatten kein belgisches Geld, nur holländische und griechische Banknoten. «Das kann ich nicht wechseln, haben sie kein belgisches Geld?» «Nein, leider nicht, wir waren nicht in Belgien und sind in Brüssel nur umgestiegen,» klärten wir die Dame auf. «Dann tut es mir leid meine Herren, aber ich muss die Getränke leider wieder mitnehmen!» meinte sie schnippisch. Wir guckten uns an und nahmen wortlos einen Schluck und stellten der verdutzten Stewardess die Gläser zurück auf ihr Tablett. Jetzt war aber etwas los im Flieger. Madame Sabena konnte richtig loslegen und Lärm machen. Der Captain wurde dazu geholt und wir mussten einen Reisecheck über einen Dollar und fünfzig Cents ausstellen. Das Einlösen des Checks muss die damals bereits marode Sabena ein Mehrfaches von einem Dollar und fünfzig Cents gekostet haben. Ganz klar, Madame Sabena hatte Haare auf den Zähnen und wollte sich die fiesen Tricks der Vielflieger nicht länger gefallen lassen, sicher nicht von zwei Holländern in einem belgischen Flieger. Denn mit grossen Banknoten zu bezahlen war ein oft benützter Vielfliegertrick, um kostenlos zu Getränken zu kommen.