Читать книгу Und zwischendurch nach Hause - Urs V. Läuppi - Страница 11
ОглавлениеDer Affe auf dem Dach
Nach meinen Wochen in München-Pasing erwartete mich in der Firma eine neue, heraus-fordernde Aufgabe. HVEE hatte einen zuvor noch nie gebauten Van de Graaff Beschleuniger mit zwei Ladebändern an das Niederländische TNO Institut in Rijswijk verkauft (sprich Reisweik). TNO ist die niederländische Organisation für Naturwissenschaftliche Forschung mit Forschungsstätten im ganzen Land und für die verschiedensten Forschungsgebiete. Das Institut in Rijswijk nahe bei Den Haag und Delft, beschäftigte sich mit bio-medizinischer Forschung und hielt zu diesem Zweck viele Tiere für Versuche und Erprobung neuer Medikamente. Es gab da Schafe, Esel, Hunde, Katzen, Kaninchen, abertausende Ratten und Mäuse und Affen, viele Affen. Kleine, grosse und selbst Menschenaffen wie Gorillas und Schimpansen. TNO Rijswijk war bekannt für die erfolgreiche Entwicklung eines neuartigen Medikaments zur Immunsuppression bei Herztransplan-tationen. Zur Erinnerung, die erste erfolgreiche Herztransplantation fand am 3. Dezember 1967 in Südafrika statt.
Unser Beschleuniger diente nicht der Behandlung grosser Tiere, sondern der Professor und Chef des Instituts wollte damit Insekten, eine ganz speziell gewählte Fliegenart, bestrahlen. Diese züchtete er für seine Versuche. Der Beschleuniger war ein Prototyp. Anstelle eins einzigen Ladebandes hatte er zwei Ladenbänder nebeneinander und anstelle eines normalen Beschleunigerrohrs bestehend aus Aluminium-Elektroden und Pyrex-Isolatoren, waren die Elektroden aus rostfreiem Stahl. Der Grund für diese Änderungen gegenüber den normalen Van de Graaff Beschleunigern, war die extrem hohe Leistung, sprich Strahlströme, welche Professor Broerse von TNO, haben wollte. Durch den kontrollierten Protonenbeschuss von schwerem Wasserstoff, Deuterium, sollten Neutronen entstehen mit denen Brurse seine Fliegen bestrahlen wollte. Aber die Anlage bockte. Das Beschleunigerrohr aus rostfreiem Stahl betrug sich ganz und gar nicht wie ein normales Beschleunigerrohr mit Alu-Elektroden. Es weigerte sich, sehr hohe Spannungen zu halten und wir mussten es tagelang und sehr langsam, Schritt für Schritt an die maximale Hochspannung von 3 Millionen Volt gewöhnen oder Konditionieren, wie man in der Fachsprache sagt. Das konnte Tage und Nächte lang dauern. Mein Kollege Hans und ich richteten einen Schichtdienst ein und wechselten uns am Steuerpult der Maschine in Rijswijk ab. Die Maschine war vorher in Amersfoort aufgebaut und auch in Betrieb genommen worden, aber nicht vollständig getestet, da das richtige Beschleunigerrohr noch nicht fertig gestellt war. Den Endtest wollten wir dann beim Kunden zusammen mit den Abnahme-tests durchführen. Wir fuhren während Wochen jeden Tag 130 km nach Rijswijk und wieder zurück. Immer im gemieteten Simca 1000. Ich vibriere noch heute, wenn ich an diese rasenden Fahrten mit 130 km/h in der kleinen Blechkiste denke. Aber dann kam der Tag an dem Dr. Brurse seine Fliegen bereit hatte für die ersten Probebestrahlungen. Ich fuhr die Anlage hoch, auf volle Spannung, und erhöhte den Protonenstrahl auf volle Leistung. Der Strahl hatte einen Durchmesser von zwei oder drei Millimetern, aber die Energie von 3 Millionen Volt und einigen MicroAmpère Strom genügte, um in Sekundenschnelle ein Loch in eine Kühlleitung zu brennen. Der Protonenstrahl war durch den Defekt eines elektro-statischen Steuerungs-moduls von seinem Pfad abgekommen und traf mitten in eine Kühlwasserleitung. So schnell wie der Beschleuniger abschaltete, konnten wir gar nicht reagieren und bevor wir richtig wussten, was los ist, floss auch schon Wasser aus dem evakuierten Strahlrohr. Das ganze Beschleunigerrohr und Vakuumsystem hatten sich mit Wasser gefüllt. Wenn ich einen Belüftungshahn zur Belüftung des Vakuumsystems mit Luft öffnete, floss Wasser aus dem Hahn wie aus einem Wasserhahn. An eine Fortsetzung der Tests war während Wochen nicht mehr zu denken. Ich durfte Dr. Broerse die schlechte Nachricht überbringen und sagte ihm: «Ich fürchte, sie müssen ihre Fliegen fliegen lassen!» An seine Reaktion kann ich mich nicht mehr erinnern.
Im Gebäude neben dem in dem wir den Beschleuniger installierten, waren Affen für die Tierversuche untergebracht. Das Affengebäude hatte mehrere Stockwerke. Es gab Rhesus- und Javaner-Affen, Paviane und in der obersten Etage waren die Schimpansen und Gorillas in Käfigen untergebracht. Die Affen waren sehr aggressiv, ihre Brusthaare abrasiert und auf ihren haarlosen Brüsten waren Nummern tätowiert. Ein Affenkonzentrationslager! Ich durfte einmal mit auf eine Führung durch das Affenhaus. Der Affenwärter ermahnte uns, sehr vorsichtig zu sein und ja nicht zu nahe an den Käfigen entlangzugehen. Er hatte noch nicht zu Enge geredet, hing er schon an den Gitterstäben eines Käfigs. Ein Schimpanse hatte mit seinen langen Armen hinausgelangt, den Wärter am Arbeitsmantel erwischt und ihn an die Gitter des Käfigs gerissen. Der Mantel zerriss in Stücke und der Wärter konnte sich befreien. Der Schreck war nachhaltig. Eines Morgens als ich beim Institut ankam, lief Wasser in Strömen die grosse und breite Eingangstreppe herunter. Ein Wasserfall hatte sich gebildet. Überall standen TNO-Leute herum, gestikulierten und deuteten auf das Dach des Affengebäudes. Und dort oben sass er, der König der Affen, der grösste Gorilla des Instituts. Was war passiert? Ein kleiner Rhesus-Affe hatte sich in der Nacht befreien können, den Schlüsselkasten gefunden und mit den gefundenen Schlüsseln seine Leidensgenossen befreit. Die befreiten Affen öffneten sämtliche Wasserhähne im Haus. Rache für ihre Gefangenschaft und ihr Leiden? Aus dem Haus ins Freie konnten die Affen nicht, nur der Gorilla schaffte es auf das Dach. Aber seine Freiheit dauerte nicht sehr lange. Er wurde mit einem Narkosegewehr vom Dach geschossen. Der Schütze muss dazu ein Narkosegewehr für Elefanten benützt haben, denn der Narkosepfeil ging durch den Gorilla hindurch und tötete ihn. Seine Freiheit war ihm nicht gut bekommen. Das Ende dieser Installation in Rijswijk musste ich meinem Kollegen Hans überlassen. Ich wurde abgezogen und für eine neue Aufgabe nach Schweden entsandt.