Читать книгу Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit - Ursula Hochuli Freund - Страница 66
Menschenwürde
ОглавлениеKant verweist in seiner Kritik der praktischen Vernunft (2008) darauf, dass der Mensch von sich aus frei ist, weil er sich von der Natur freigesetzt hat und zwischen Alternativen frei entscheiden kann. Damit ist zunächst die Willkürfreiheit gemeint, die alle Möglichkeiten einer Wahl offen lässt. Freiheit im eigentlichen Sinn erreicht der Mensch, wenn er sich von der praktischen Vernunft leiten lässt. Der Grundsatz, als kategorischer Imperativ formuliert, fordert von jedem Menschen sein Handeln nach der Regel auszurichten, an die sich alle Menschen halten sollen: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest« (Kant 2008:61). Hinter dem kategorischen Imperativ steht die Vorstellung, dass Menschen als Vernunftwesen zur Autonomie (vor griech. autos = selbst und griech. nomos = Gesetz) bestimmt sind. Nach Hoerster (2002:7) bedeutet Menschenwürde eine Grenze, die verbietet, sich den Mitmenschen zum Werkzeug zur Erreichung der eigenen Ziele zu machen. Dieses Instrumentalisierungsverbot bildet nach Schlittmaier (2004:17) somit den Kern der Menschenwürde. Im Kontext der Bioethik ist diese Anschauung heftig umstritten, was für die Soziale Arbeit nicht ohne Folgen ist. Die traditionelle Position geht davon aus, dass Menschenwürde allen Menschen unabhängig von ihren Fähigkeiten zukommt, was bedeutet, dass auch Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen Menschenwürde zugeschrieben wird. Die Gegenposition geht davon aus, dass Menschenwürde an bestimmte Fähigkeiten oder Eigenschaften gebunden ist (z. B. an die Fähigkeit zur Selbstachtung) und deshalb nicht a priori allen Menschen zukommt. In dieser Konzeption wird die Würde nicht am Menschen als solchen festgemacht, sondern an Wesen, die die geforderten Eigenschaften aufweisen. Wenn Menschen z. B. erniedrigt werden und dies nicht erkennen können, weil ihnen die entsprechenden Fähigkeiten fehlen, würde nach dieser Auffassung Menschen mit Demenz oder Behinderungen keine Würde zukommen, was sofort die Frage auswirft, ob sie ein Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben haben.