Читать книгу Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit - Ursula Hochuli Freund - Страница 81
4.2.1 Grundlagen
Оглавление»Der Staat braucht die Soziale Arbeit, die Soziale Arbeit braucht den Staat und ist oft selbst staatliches Handeln« (Schwander 2009:23). Dieser Zusammenhang ist aus der Zielsetzung des Sozialstaats deutlich erkennbar. Der Sozialstaat verpflichtet sich, für soziale Gerechtigkeit als Chancengleichheit und sozialen Ausgleich auf der Grundlage der Menschenwürde zu sorgen, widerstreitende Interessen auszugleichen und erträgliche Lebensbedingungen zu schaffen, damit die Zielsetzung, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit herzustellen, erreicht werden kann. Die neuere Sozialpolitik hat erkannt, dass zum Schutz vor den Folgen sozialer Risiken zunehmend soziale Dienstleistungen zu erbringen sind (vgl. ebd.:24 ff.). Allerdings sind davon »keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch Gerichte ohne zusätzliche gesetzliche Grundlage umgesetzt werden könnten« (Trenczek et al. 2008:83), abzuleiten, ebenso wenig kann ein Einzelner aus diesem Sozialstaatprinzip konkrete Leistungen für sich beanspruchen. Ähnlich dem Prinzip ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ in der Sozialen Arbeit wird vom Nachrang- oder Subsidiaritätsprinzip gesprochen, das im Sinne eines aktivierenden Sozialstaates den einzelnen Bürger zur Übernahme von Eigenverantwortung fordert und ihn dazu befähigen soll.
Das System der sozialen Sicherung ist in beiden Staaten unterschiedlich geregelt. In Deutschland basiert die soziale Sicherung auf dem sog. Sozialrecht, das vier Säulen umfasst: Vorsorge durch Sozialversicherungssysteme; Versorgungssystem, Förderungssystem und Hilfesysteme (vgl. Trenczek et al. 2008:84 f.). In der Schweiz liegt das Sozialrecht teilweise in der Zuständigkeit des Bundes, teilweise in derjenigen der Kantone. Das Sozialversicherungssystem ist auf Bundesebene geregelt und wird durch wenige verfassungsmäßige Sozialrechte ergänzt (Recht auf Hilfe in Notlagen, Anspruch auf unentgeltlichen Grundschulunterricht und unentgeltliche Rechtspflege bei Bedürftigkeit). Ebenfalls bundesrechtlich geregelt sind der Kindes- und Erwachsenenschutz und sozialstaatlich motivierte Schutzbestimmungen im Arbeits- und Mietvertragsrecht. Seit 2013 ist das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft. Dieses sieht eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der von Beeinträchtigungen betroffenen und/oder von hilfsbedürftigen Personen vor. Ziel ist die Sicherung der erforderlichen individuellen Unterstützung und das Vermeiden von gesellschaftlichen Stigmatisierungen. Alle Entscheide in diesem Bereich sind neu bei einer professionellen Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) konzentriert. Das Sozialhilferecht dagegen ist, wie auch viele weitere sozialstaatliche Verwaltungsnormen, kantonal geregelt. Die einzelnen Kantone regeln also ihre Sozial(hilfe)ordnungen in einem wesentlichen Masse in eigener Regie unter Wahrung des in der Bundesverfassung verankerten Grundrechtsschutzes.
Im Zusammenhang mit der sozialen Gerechtigkeit ist insbesondere zu beachten, dass Sozialarbeiterinnen sich an der sog. Einzelfallgerechtigkeit zu orientieren haben, die mit Generalklauseln oder Ermessen Möglichkeiten bieten, auf Härtefälle adäquat reagieren zu können. Das Sozialrecht, und insbesondere das Sozialhilferecht, sind geprägt von solchen Ermessensnormen. Schwander zitiert bei ihren Ausführungen den Art. 23 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (CH), in dem es heißt, dass jede bedürftige Person Anspruch auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe hat. In einem andern Artikel weist das Sozialhilfegesetz auf die Umstände des Einzelfalls oder auf den Ermessenspielraum hin, indem artikuliert wird, dass Mitarbeitende der Sozialdienste den Gegebenheiten des Einzelfalls angemessen Rechnung tragen sollen (vgl. 2009:37). Daraus ergibt sich ein nicht zu unterschätzender Handlungsspielraum für Professionelle der Sozialen Arbeit, der durch realpolitische Vorgaben möglicherweise zwar eingeschränkt ist, aber in sozialpolitischer Verantwortung kreativ ausgestaltet werden soll.