Читать книгу Alt, aber herrlich mutig - Ursula Mahr - Страница 12
Die Witwe Martha
ОглавлениеMarkus hatte heute nichts Wichtiges mehr zu tun. Die Tiere waren versorgt und auf den Weiden hatte er mehrere Pfosten erneuert. Nun hatte er Feierabend und wollte noch ein paar Besorgungen im Dorf machen, bevor er zum Kröger-Hof fuhr. Besorgungen für den Kröger-Hof machte er selten genug. Bereits auf der Straße wurde er ungewöhnlich aufmerksam und neugierig beobachtet und er konnte sich vorstellen, was in den Köpfen der Leute vorging. Er musste schmunzeln. Und es dauerte auch gar nicht lange, da wurde er aufgehalten.
"Guten Abend, Markus. So spät noch unterwegs?"
"Hallo, Tante Martha." Er tat überrascht. Tante Martha war bestimmt schon Mitte siebzig oder achtzig, keiner wusste es so genau, denn sie schien schon immer da gewesen zu sein. Sie sah sich selbst als die gute Seele des Dorfes. Seit Jahrzehnten kümmerte sie sich mit Hingabe um die Kinder und die allgemeinen Belange des Dorfes. Früher war sie Hebamme gewesen. Und heute organisierte sie noch vieles zum Wohl der Kinder, las ihnen vor, machte mit ihnen Schularbeiten, hatte immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Kleinen. Viele mochten sie, jeder respektierte sie, einige hatten Angst vor ihr. Man fragte sie nicht selten um Rat und folgte auch ihren Ratschlägen. Tragischerweise hatte sie selbst nie eigene Kinder gehabt. Bereits seit mindestens drei Jahrzehnten war sie Witwe, doch sie kleidete sich immer noch ausschließlich schwarz. Wenn man von ihr sprach, nannte man sie im allgemeinen nur ´die Witwe´. Die Kinder oder die, die sie von klein auf kannten, nannten sie jedoch meist ´Tante Martha´. Sie hatte nie wieder geheiratet, sondern ihr Leben anderen gewidmet. Fast jeder, der Hilfe brauchte oder nur reden wollte, ging zu Tante Martha. Doch nicht alle hörten auf sie oder fragten nach ihrer Meinung, auch wenn sie selbst das gern gehabt hätte. Viele munkelten, sie hätte ein großes Geheimnis, das sie mit sich herumtrug. Auch wussten alle, dass sie eine Wahrsagerin war, eine Spökenkiekerin, mit großer Treffsicherheit in ihren Aussagen.
Jetzt stand sie vor Markus und lächelte ihn freundlich an. Sie ging weiter und gab ihm zu verstehen, dass er ihr folgen sollte. Langsam gingen sie nebeneinander her. Tante Martha wurde ernst. Sie schien zu überlegen, wie sie anfangen sollte.
"Du arbeitest seit kurzer Zeit auf dem alten Resthof?" begann sie. "Wie ist es dort? Ich meine, was sind das für Menschen, die dort eingezogen sind?" Sie blieb stehen und schaute Markus aufmerksam ins Gesicht. Er verstand ihre Frage. Sie war nicht einfach nur neugierig, was an sich legitim gewesen wäre, sie war besorgt. Das Gefüge des Dorfes, der Zusammenhalt unter den Bauern und ihren Familien sollte nicht zerstört werden. Dafür fühlte sie sich verantwortlich, und die Dorfbewohner unterstützten sie darin, wo sie nur konnten. Sie wurde von vielen respektiert. Ihr Wort galt etwas und manch einer hörte ihr zu und folgte ihrem Rat.
Markus lächelte sie an um sie zu beruhigen. "Es sind sechs ältere Frauen, Rentnerinnen oder zumindest nicht mehr berufstätig. Sie wollen hier ihren Lebensabend verbringen."
"Warum ausgerechnet bei uns?" Sie ging langsam weiter, schaute konzentriert zu Boden und Markus folgte ihr.
"Ich nehme mal an, dass ihnen der Hof gefallen hat, so schön wie der ist."
"Frauen, sagtest du? Es sind keine Männer dabei?"
"Nein. Soweit ich weiß, sind einige geschieden, andere verwitwet. Einige haben erwachsene Kinder und Enkelkinder."
"Hm." Tante Martha schien zu überlegen. "Ich würde diese Frauen gern mal näher kennen lernen. Könntest du da mal etwas arrangieren?"
Markus wurde unbehaglich. "Die Frauen sind wirklich ganz harmlos, Tante Martha."
"Das glaube ich nicht, mein Junge." Sie legte ihm die Hand auf den Arm und ihr Blick ging in die Ferne, so, als würde nur sie dort etwas Bestimmtes sehen. "Diese Frauen werden Unheil über deine Familie bringen. Und das sogar in nicht allzu ferner Zukunft." Dann, als würde sie aus einer kurzen Trance erwachen, blitzte sie ihn durch ihre Brillengläser von unten an und fügte leise hinzu: "Du weißt jetzt, was ich will." Mindestens einen Kopf kleiner als Markus, strahlte sie dennoch große Autorität aus. Noch einmal drückte sie seinen Arm, dann entfernte sie sich. Markus blieb mit einem unbehaglichen Gefühl zurück.
Einige Tage später versorgte Markus gerade die Ziegen, als Ursa den Stall betrat. Wortlos griff sie nach einer Forke und half die Boxen auszumisten.
"Haben Sie eigentlich mal darüber nachgedacht ein paar Leute aus dem Dorf einzuladen und sich vorzustellen?"
"Nein", antwortete Ursa ohne ihre Arbeit zu unterbrechen und auch nicht sehr interessiert.
"Warum nicht? Wollen Sie die Leute nicht kennen lernen?"
Ursa unterbrach ihre Arbeit und schaute in die Nebenbox. "Es gibt keine Veranlassung dazu. Zur Zeit jedenfalls nicht. Ich unterhalte mich beim Bäcker, im Supermarkt ab und zu mit den Leuten. Das reicht doch. Ich habe auch nicht unbedingt den Eindruck, dass die Dörfler uns kennen lernen wollen."
"Wenn Sie sich da mal nicht irren. Die Leute sind schon neugierig, wer sie sind und was sie so machen. Nur zeigen sie es nicht so deutlich."
"Mhm", machte Ursa nur und verlor weiter das Interesse. Was gingen sie die Leute an. Sie war hierher gezogen um ihre Ruhe zu haben. Womöglich sollte sie noch einem Kaffeekränzchen beitreten. Das war, weiß Gott, auf keinen Fall ihr Wunsch.
Markus spürte, dass er die falsche auf dieses Thema angesprochen hatte. So aufgeschlossen und interessiert sie war, wenn es um Tiere ging, so wenig war sie es bei Menschen. Er wollte es bei Gelegenheit bei einer der anderen Frauen versuchen. Bei Anne hatte er Glück.
"Das ist eine nette Idee", meinte diese. "Vielleicht sollten wir das wirklich mal tun." Aber bei dieser Aussage blieb es erst einmal.