Читать книгу Alt, aber herrlich mutig - Ursula Mahr - Страница 6

Der Umzug

Оглавление

Veränderungen. Amelie mochte eigentlich keine Veränderungen. Sie hatte Angst davor. Einige wenige Male war sie mal mit der einen, mal mit der anderen Freundin verreist. Wenige Male, weil ihre Rente nicht besonders hoch war. Aber auch, weil verreisen Stress für sie bedeutete - eben Veränderungen vom täglichen Einerlei, was ihr von jeher eine gewisse Sicherheit gegeben hatte. Andererseits gefiel es ihr auch, wenn sie mal etwas anderes erlebte. Dann war allerdings ihr einziger Wunsch bei der nächsten Reise, dass es zum selben Ort ging, den sie schon kannte. Und niemals allein.

Und nun sollte sie viele Kilometer von Hamburg entfernt leben. Der Resthof war schön, gewiss, lag in einer unglaublich reizvollen Umgebung, doch wären ihre Freundinnen nicht gewesen, wäre sie am liebsten geflüchtet und hätte niemals diese Entscheidung getroffen. Sie sah die Schönheit einfach nicht, weil sie wusste, es würde endgültig sein, hier zu leben.

Draußen standen mehrere Umzugswagen und die Möbelpacker waren bereits seit einigen Stunden damit beschäftigt, die Schränke, Tische, Stühle und Betten ins neue Haus zu tragen. Amelie sollte wegen ihrer Gehbehinderung eines der unteren Zimmer beziehen. Und Inge hatte darum gebeten, auch unten wohnen zu dürfen.

"Dann bin ich ja schon wieder ständig auf der Treppe", murrte Lisa, die ihre Maisonette-Wohnung inzwischen verkauft hatte. Doch so richtig ernst meinte sie es nicht. Sie gönnte den beiden die unteren Zimmer. Anne, Anita, Ursa und Lisa zogen nach oben. Das kleinste der oberen Zimmer blieb zunächst frei. Hier könnten eventuelle Gäste übernachten.

Das Auspacken der Umzugskartons und das Einräumen der Sachen dauerte viele Tage. Im großen Wohn-/Essbereich stand jetzt ein großes Bücherregal, das von einer Wand zur anderen reichte. Zwei große Couches und zwei Ohrensessel mit Fußbänken sorgten für Gemütlichkeit. Ein fast vier Meter langer rustikaler Holztisch, an dem bequem zwölf Leute Platz hatten, dominierte das Esszimmer. Da die Küche bereits vollständig vorhanden war, eine weiße Landhausküche, musste keine der Frauen ihre eigene mitbringen. Da sie unzählige Haushaltsgegenstände nicht nur doppelt, sondern sechsfach besaßen, hatten sie bereits in Hamburg Wohnungsflohmärkte abgehalten. Viele Sachen hatten sie jedoch immer noch doppelt und dreifach.

"Was haltet ihr davon, wenn wir hier auf dem Hof auch einen Flohmarkt veranstalten? Wir können dabei auch gleich einige der Nachbarn und Dörfler kennen lernen", schlug Lisa vor.

"Eine ausgezeichnete Idee", bekam sie gleich mehrfaches positives Feedback. Und so wurde es gemacht, wobei sich herausstellte, dass Anita sich schlecht von irgendetwas trennen konnte. Bei jedem Kerzenständer, bei jedem Kochlöffel, bei jedem Wein- oder Wasserglas fing sie an zu debattieren, weshalb sie unbedingt dies oder das behalten wollte.

"So kommen wir nicht weiter", sagte Lisa ungeduldig. "Wo willst du denn das alles aufbewahren? Doch wohl nicht in deinem Zimmer? Und in der Küche haben wir schon alles. Im Esszimmer steht der Schrank voller Geschirr und Gläser. Also wohin?"

Anitas Blick ging unsicher in Richtung Scheune, so dass sich selbst Anne einmischte: "Daran denkst du doch wohl nicht im Ernst, oder?" Resigniert zuckte Anita mit den Schultern. Sie wusste ja, dass die beiden Recht hatten. Aber sie konnte sich eben so schwer trennen. Deshalb versuchte sie es erneut: "Aber die Sachen sind doch noch gut."

"Richtig", meinte Anne bestimmt, fasste sie an der Schulter, drehte sie um und verließ mit ihr den Raum." Aber du musst doch einsehen, dass das so nicht funktioniert. Was hältst du davon, wenn wir die überzähligen Sachen spenden?"

Ein weiteres Problem zeigte sich, als Ursa aus der Stadt zurück kam. Eigentlich wollte sie nur zum Zahnarzt und hatte sich dafür Anitas Auto ausgeliehen. Doch nun, bei ihrer Rückkehr, was sie nicht allein. Ein riesiger Hund sprang neben ihr aus dem Wagen, ein Mischling, doch man konnte erkennen, dass zumindest ein Schnauzer bei dieser Mischung mitgewirkt hatte. Ein Riesenvieh, dachte Amelie erschrocken, und Micki, ihr kleiner Terrier, fing sofort wütend an zu bellen und das schwarze Ungetüm zu umkreisen. "Halt diesen Hund fest!" schrie sie und ihre Aufregung übertrug sich noch mehr auf Micki, der sich wie verrückt gebärdete. Langsam griff Ursa nach dem Halsband des Hundes, dem sie bereits den Namen Trigger gegeben hatte. Bücken brauchte sie sich dabei nicht, so groß war er. Aber auch so ruhig. Gelassen schaute er auf den kleinen Hund, der wie ein Punchingball in großem Bogen um ihn herumwirbelte.

Lisa kam aus dem Haus. "Huch, was ist das denn?" Irritiert schaute sie in die Runde und legte die Stirn in Falten, als sie Mickis Aufregung bemerkte. "Das geht nicht gut", murmelte sie, allerdings so leise, dass niemand sie verstand. "Was soll das?" fragte sie ärgerlich in Ursas Richtung.

"Ja, das möchte ich auch wissen", rief Amelie laut. Sie hatte Micki inzwischen erwischt und auf den Arm genommen.

Ursa lachte. "Was ihr alle habt. Das ist doch nur ein Hund. Und ein ganz lieber dazu."

"Und warum ist der hier? Wir haben doch schon einen."

Trotzig richtete Ursa sich kerzengerade auf. "Ich wollte schon immer einen Hund haben. Also bin ich vorhin noch schnell ins Tierheim gefahren. Und was ist besser geeignet für einen Hund als alles das hier." Damit machte sie eine weiträumige Geste mit ihrem Arm, die den gesamten Hof und die Weiden dahinter umschloss.

Amelie wurde jetzt richtig wütend. "Aber doch nicht ohne uns zu fragen! Und außerdem", ihr Blick streifte mit Abscheu den Schnauzer-Mix, "muss sich auch Micki mit ihm vertragen. Und das tut er nicht!"

"Das liegt ja wohl nicht an Trigger", konterte Ursa. "Schließlich führt sich dein Micki auf wie eine Furie und nicht er." Sie streichelte über das rauhaarige, glänzende Fell ihres neuen Freundes.

Empört plusterte sich Amelie auf, doch sie wusste nichts darauf zu erwidern. Empört drehte sie sich um und verließ, mit ihrem Hund auf dem Arm, den Schauplatz.

Anne war inzwischen auch aus dem Haus gekommen und hatte das Theater schweigend verfolgt. "Na ja", meinte sie nachdenklich, "er scheint ja wirklich ganz artig zu sein." Natürlich wusste sie um Ursas Wunsch nach einem Hund, den sie schon so lange hegte. Unklug war nur der jetzige Zeitpunkt und natürlich, dass sie das einfach allein entschieden hatte. Wenn das auch bei den anderen Schule machen würde, wäre das nicht gut. Deshalb meinte sie: "Wir sprechen heute Abend noch mal darüber, ja?" Ursa erwiderte nichts, sondern schaute sie nur ernst aus großen Augen an. Anne drehte sich um, um wieder ins Haus zu gehen. Es gab noch so viel zu tun. Lisa schloss sich ihr an und meinte: "Ich kann Hunde nicht leiden, und so große schon gar nicht. Gut, dass wir noch mal darüber reden werden."

Abends saßen die sechs in ihrem bereits recht gemütlich eingerichteten Wohnzimmer. Eine große Kanne dampfender Tee stand auf dem Stövchen und zwei Teller mit leckeren Schnittchen stand bereit. Trigger, der große schwarze Schnauzer-Mix, lag mit geschlossenen Augen zu Ursas Füßen. Micki hingegen saß angespannt auf der anderen Seite unter dem Tisch, beäugte den Fremden misstrauisch und grummelte leise vor sich hin.

"Also, was habt ihr gegen Trigger? Ihr seht doch, dass er völlig gehorsam ist", eröffnete Ursa das Streitgespräch.

"Wir haben gar nichts gegen einen zweiten Hund", erwiderte Anne und hob beschwichtigend die Hand, als sie sah, dass Lisa widersprechen wollte. "Nur dass du uns vorher nichts gesagt hast."

"Was macht das für einen Unterschied? Vorher, nachher." Aber eigentlich wusste Ursa, dass sie nicht korrekt gehandelt hatte.

"Und wie ist das mit Micki?" fragte Amelie empört. "Schließlich war er zuerst hier. Und er mag dieses Ungetüm nicht."

Mitleidig schaute Ursa ihre Freundin an und sagte völlig ruhig: "Wenn hier einer gehen muss, dann doch wohl dein unerzogener Köter."

"Schluss! rief Anita wie aus der Pistole geschossen dazwischen. "So geht das nicht! Was ist bloß mit euch los? Wir wohnen hier noch keine drei Wochen und schon streiten wir uns. Wir wollen doch unseren Lebensabend hier gemeinsam genießen." Fragend schaute sie die beiden Streithähne an.

Lisa mischte sich ein. "Ich finde es auch nicht schön, dass Ursa einfach mit so einem Riesenhund hier auftaucht ohne uns zu fragen. Aber dieser Hund", ihr Blick schweifte zu dem nach wie vor völlig entspannten Trigger hinüber, "ist wirklich sehr ruhig und ausgeglichen. Denkt doch mal, allein durch seinen Anblick könnte er auch Schutz bedeuten für uns alte Tanten."

Anne lächelte sie dankbar an. Amelie wollte trotzdem nicht kampflos aufgeben und meinte: "Aber dann muss Ursa auch ganz allein für ihn verantwortlich sein: füttern, Tierarzt besuchen und so weiter. Und falls er meinen Micki jemals beißt, muss er weg!"

Damit war Ursa zwar nicht ganz einverstanden, denn Micki war der schwierige, der nicht erzogene Schoßhund. Aber letztendlich war dies ein Teilerfolg, mit dem sie sich zunächst arrangieren konnte.

Inge hatte sich ganz aus der Diskussion herausgehalten. Sie liebte zwar keine Hunde, aber sie hatte auch nichts gegen sie. Ihr war es letztendlich egal.

Anne und Anita atmeten auf. Dieses Problem schien erst einmal aus der Welt, denn Amelie würde sich wieder beruhigen, solange ihrem Micki nichts passierte. Und das sah nicht so aus, wenn man sich den friedlichen großen Schwarzen ansah.

"Oh, der Tee ist alle", sagte Anne, erhob sich, nahm die Teekanne und fragte lachend beim Hinausgehen: "Noch irgendjemand ohne gültigen Fahrschein?"

"Ich komme mit." Ursa erhob sich ebenfalls und folgte Anne in die Küche. Sofort hob Trigger, der bisher zu schlafen schien, seinen Kopf und schaute ihr hinterher.

Anne nutzte die Gelegenheit und mahnte noch einmal: "Keine Alleingänge mehr, hörst du? Alles wird mit den anderen abgesprochen, sonst funktioniert unser Zusammenleben nicht."

"Klar. Ich weiß das doch", antwortete Ursa. Es war ihr unangenehm, dass sie soviel Aufruhr verursacht hatte. "Ich wollte doch bloß endlich einen Hund."

Anne legte ihr begütigend den Arm um die Schulter und lächelte ihre Freundin an. "Ich weiß." Dann stellte sie den Wasserkocher an, um noch eine Kanne Tee aufzubrühen. Ursa verschwand derweil mit ihrer Saftschorle wieder im Wohnzimmer.

Alt, aber herrlich mutig

Подняться наверх