Читать книгу Wasserschloss zu vererben - Usch Hollmann - Страница 8
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Оглавление„Na, wem gilt denn diese freudige Begrüßung?“
Der alte Gärtner des Fürsten schaut interessiert um die Ecke.
„Claudia, welch nette Überraschung am frühen Morgen. Ich habe dich lange nicht gesehen.“ Er wischt seine schwieligen Hände an der Schürze ab und streckt Claudia seine Rechte entgegen.
„Herzlichen Glückwunsch nachträglich zum bestandenen Abitur. Deine Eltern werden stolz und erleichtert sein, dass es so gut gelaufen ist. Meine Frau und ich waren es jedenfalls, als unser Harald damals diese erste von vielen Hürden genommen hatte.“
Claudia nimmt die Gratulation lächelnd entgegen.
„Danke, Onkel Weggi. Ja, das Abi habe ich geschafft, aber das ist ja schon fast eine Ewigkeit her.“
Seit Kindertagen, als der Name Wegener für sie noch zu schwierig auszusprechen war, benutzt Claudia diesen Namen, und Onkel Weggi nennen ihn seitdem auch einige der anderen Angestellten des Fürsten. Dieser seinerseits, ebenso wie Fürstin Henriette, spricht ihn weiterhin förmlich mit „Herr Wegener“ an. Auch dass der Gärtner Claudia gegenüber das vertrauliche Du benutzt, hatte der Fürst zu unterbinden versucht, aber Claudia hatte darauf bestanden, von ihrem „Onkel Weggi“ geduzt zu werden. „Onkel Edwin sagt ja auch du zu mir und Onkel Weggi ist viel netter als Onkel Edwin.“ Damit war für Claudia der Fall erledigt, und Fürst Raimund hatte sich widerwillig damit abfinden müssen.
Claudia schüttelt ihm kräftig die Hand.
„Wie geht es Harald übrigens? Studiert er nicht Jura in Marburg? Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Wenn ich richtig rechne, muss er schon bald sein erstes Examen machen?“
Der Gärtner grinst. „Das erste Examen? Prinzessin, der hat sein Zweites schon mit Bravour abgelegt und arbeitet seit einem halben Jahr als Rechtsanwalt in einer Anwaltskanzlei in Münster. Wenn du mal einen tüchtigen Spezialisten für Erbschaftsangelegenheiten brauchen solltest, dann kannst du auf ihn zählen,“
„Ach, das ist gut zu wissen“, unterbricht Claudia ihn lachend, „Mein Vater ist im Moment so wütend auf mich, dass er womöglich durchaus in Erwägung zieht, mich zu enterben.“
Sie hält inne und fährt dann fort:
„Nein, das würde er schon deshalb nicht tun, weil unser ganzer Besitz nach seinem und Mutters Tod an Mutters Bruder ginge, an Onkel Edwin, das schwarze Schaf der Familie. Und der würde Haus und Hof in kürzester Zeit herunterwirtschaften oder verzocken – nein, da setzt er doch lieber mich als Alleinerbin ein. Aber auch wenn ich Haralds Rat als Anwalt hoffentlich nie in Anspruch werde nehmen müssen, würde ich ihn gerne einmal wiedersehen. Ist er schon verheiratet?“
Voll Stolz berichtet der alte Wegener umständlich und fast ein bisschen ausufernd von den Erfolgen seines Sohnes. Nein, verheiratet sei er nicht, aber er habe eine Freundin und …
Einen Hustenanfall vortäuschend, verabschiedet Claudia sich abrupt von ihm, weil Peter von Gliesen, der junge Veterinär, den Fürst Raimund vor einiger Zeit eingestellt hatte, im Eingang des Stalls erscheint. Gerade ihm will sie jetzt lieber nicht begegnen. Sie versucht in Richtung Ausgang zu flüchten, als Baron von Gliesen sich ihr in den Weg stellt und sie nach kurzer, korrekter Begrüßung bittet, für einen Augenblick mit in sein Büro zu kommen. Es sei da in Bezug auf irgendwelche fragwürdigen Abrechnungen des Heu liefernden Bauern etwas zu klären.
Beklommen und mit beschleunigtem Herzschlag entspricht Claudia seiner Aufforderung.
In von Gliesens Büro angekommen, fehlen beiden zunächst die Worte, bis Claudia, Interesse an der angeblich fragwürdigen Rechnung vortäuschend, zu sprechen beginnt.
„Was ist mit …“
Der Baron unterbricht sie.
„Claudia, was uns da vorgestern passiert ist – das darf sich nicht wiederholen.“
Er senkte die Stimme zu kaum mehr als einem Flüstern. „Nein, es darf sich nicht wiederholen. Bitte versteh mich recht: Ich liebe meine Frau – es würde ihr wehtun, wenn sie es erfahren würde, aber ich möchte ihr nicht wehtun. Claudia, dich habe ich an jenem Abend auch geliebt, du warst so … ich konnte mich nicht beherrschen.“
Er nimmt Claudias Hände.
„Ich hätte den Rotwein im Schrank lassen sollen. Er hat uns wegen der Geburt von Avras Fohlen in eine so euphorische Stimmung versetzt, dass wir …“
Er lässt ihre Hände los und beginnt, mit gehetztem Schritt das kleine Büro hin und her zu durchqueren.
„Du bist so jung und schön und begehrenswert und heiter und unbekümmert und … die Gefühle haben mich einfach überwältigt. Meine Frau ist seit Monaten so verändert, so melancholisch, so wenig heiter und schon gar nicht unbekümmert. Aber ich habe ihr Treue versprochen und meine es ernst damit.“
Er schließt die Augen und spricht leise weiter, wie zu sich selbst.
„Sonja und ich schlafen nur noch miteinander in der Hoffnung, ein Kind zu zeugen. Unser Beischlaf ist zu einer Pflichtübung geworden. Wir leiden beide darunter … ihr verzweifelter Wunsch nach einem Kind ist übermächtig, aber es klappt nicht bei uns.“
Er schweigt und schlägt die Hände vors Gesicht.
Claudia geht auf ihn zu und nimmt ihn vorsichtig und scheu in den Arm.
„Du hast recht, Peter, es darf und es wird sich nicht wiederholen, auch wenn es atemberaubend schön war. Ich verdanke dir ein Erlebnis, das ich so nicht erwartet hatte. Auch mich haben die Gefühle überwältigt – Gefühle, die ich bis dahin nicht kannte. Wir werden den Abend als unser beider Geheimnis hüten, denn auch ich habe Michael Treue versprochen, wenn auch noch nicht – wie du – vor dem Traualtar.“
Sie streicht ihm übers Haar, zieht mit schüchterner Hand den glatten blonden Scheitel nach und versucht ein unsicheres Lächeln.
„Vielleicht solltet ihr beide bei einer nächsten Gelegenheit denselben Wein trinken, der uns dermaßen in Stimmung versetzt hat, dass wir …“
Sie lässt ihn los, schüttelt ‚nie wieder‘ flüsternd den Kopf und wendet sich einem Stapel Papier auf seinem Schreibtisch zu. „Was also ist mit dieser ominösen Rechnung?“
Peter Gliesen geht zu seinem Bürostuhl, nachdem er Claudia einen freundschaftlichen Kuss auf die Stirn gedrückt hat.
„Du wirst also künftig nicht mehr mit schlechtem Gewissen versuchen, mir auszuweichen so wie eben?“
„Wir werden uns ohnehin nur noch selten sehen, ich fliege nämlich für ein Jahr nach Amerika, auch wenn ich dafür bei meinen Eltern noch Überzeugungsarbeit leisten muss. Ich habe eine Stelle als Au-pair in Aussicht und hoffe, bei einer amerikanischen Familie mit Kindern mein Englisch noch verbessern zu können. Wer weiß – vielleicht kann ich damit Michael in seiner zukünftigen Anwaltspraxis eines Tages dienlich sein, denn er will sich auf Europarecht spezialisieren, und sein Englisch ist nicht halb so gut wie meines. Also – her mit der Rechnung!“
„Ach, das war doch nur ein Vorwand, dich vom alten Wegener weg und in mein Büro zu locken. Ich musste mit dir sprechen, weil ich ein schlechtes Gewissen habe wegen des vorgestrigen …“
Er sucht nach einem passenden Wort.
„Man nennt das wohl einen Seitensprung, oder? Ich wollte, ich könnte ihn ungeschehen machen, das musst du mir glauben.“
Claudia sieht nachdenklich hinaus in den noch immer herbstlich blühenden Garten. Ihr Blick schweift zu der alten steinernen Brücke, die die Gräfte überspannt. Jenseits, vor der dunklen Taxushecke, leuchten unzählige Dahlien und Gladiolen in der Morgensonne, und an der Backsteinmauer der Remise stehen üppige Reihen mit weiß- und blaublühendem Rittersporn Spalier.
„Bring deiner Sonja einen Strauß Rittersporn mit – blau ist die Farbe der Treue, denn im Grunde bist du deiner Frau trotz allem treu. Ich möchte diesen Abend nicht vergessen, Peter, denn er hat in mir eine neue Saite zum Klingen gebracht. Aber ich werde in deiner Gegenwart nicht mehr darüber sprechen. Und nun möchte ich Avra nicht länger warten lassen.“
Sie klopft mit dem Fingerknöchel Abschied nehmend dreimal auf die Tischplatte und verlässt das Büro in Richtung Reitstall.
„Avra, meine Schöne, lass uns ein bisschen ausreiten und den goldenen Oktober genießen – jaja, dein Fohlen darf mit.“
Sechs Wochen später.
Eine SMS:
„Lieber Peter, könntest du bitte morgen gegen 18 Uhr MEZ diese auf dem Display angegebene Nummer anrufen? Ich muss dich dringend sprechen. C.“