Читать книгу Elfenzeit 5: Trugwandel - Uschi Zietsch - Страница 14

6.
Wege durch die Zeit

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Tomás der Knüpfer schleppte bei Sonnenaufgang gerade das Netz aus der Hütte, um es zum Trocknen aufzuhängen, als er die Frau sah.

Sie lag auf dem Bauch, bedeckt nur von ihrem langen blonden Haar, nass wie Tang. Der See hatte sie ans Ufer gespült.

Misstrauisch näherte Tómas sich ihr. Sie ist tot, dachte er, sie muss tot sein. Nachts ist das Wasser zu kalt, um darin zu überleben. Es sei denn …

Es sei denn, sie war kein Mensch. Und das war das Wahrscheinlichste, denn eine Frau wie diese gab es in der Gegend nicht. Lange, bleiche Gliedmaßen, goldfarbenes Haar, der anmutig hingestreckte Körper … Um den ganzen See bis zur Stadt lebte keine Frau, die so aussah. Edel. Wie … eine Königin. Das war schon auf den ersten Blick ersichtlich, auch wenn das Haar das meiste bedeckte.

Eine Watershee. Sie gaben sich manchmal den Anschein einer schönen Menschenfrau, um Männer ins Verderben zu locken und ihre Seele zu trinken.

Er sollte sie erschlagen, bevor sie erwachte und ihn mit ihrer Stimme betörte, in Bann schlug. Dann gab es nämlich kein Entrinnen mehr.

Vorsichtig näherte Tómas sich der ans Land Gespülten. Er zog das Fischmesser aus dem Gürtel und hielt es bereit. Die Frau regte sich nicht, vielleicht war sie doch ertrunken. Jammerschade.

Dicht bei ihr ging er in die Hocke und betrachtete sie eine Weile. Schließlich sah er eine leichte Bewegung seitlich am Brustkorb. Sie … atmete? Lebte also doch noch? Er sollte sie töten, sofort! Das bedeutete nichts Gutes. Tómas schlug mehrmals das Zeichen wider das Böse. In diesen Tagen konnte man nicht vorsichtig genug sein. Schnell war ein Unglück geschehen, erinnerte man sich nur an Robert den Kahlen, dessen Kühe plötzlich an Euterfäule erkrankten und elend zugrunde gingen. Und das nur, weil er sich geweigert hatte, wie sein Vater Brückenzoll an den Troll zu bezahlen. Natürlich bereute er, aber es war zu spät, und so musste er fortziehen, weil er kein Auskommen mehr hatte. Das junge irische Parlament hatte zwar Hilfe für die Armen versprochen, aber es hockten ja nur Protestanten da drin, Anglo-Iren und ein paar Speichellecker der Briten, weshalb sollten die sich schon für die aufrechten Katholiken interessieren! Und dann, was war doch Charlie dem Einäugigen mit dem Steuereintreiber passiert, und seinem Bruder Sean … Deswegen hatte Tómas sich auch standhaft geweigert, den United Irishmen beizutreten, weil er keine Möglichkeit sah, dass sich etwas verbessern würde. Außerdem war er nur ein einfacher Fischer, was verstand er schon von Politik. Er hatte nie Lesen und Schreiben gelernt, aber im Netzknüpfen war er der Beste. Viele Fischer bezahlten ihn dafür, dass er ihre Netze ausbesserte oder neue knüpfte. So hatte er einigermaßen ein Auskommen, und den Rest gab ihm der See. Die Einsamkeit machte ihm nichts aus, wenn er so hörte, wie es in den Dörfern zuging. Höchstes einmal im Monat kratzte er ein paar Münzen zusammen und gönnte sich ein dunkles Pint.

Weil Tómas sich immer aus allem heraushielt, bekam er auch nie Scherereien.

Und jetzt lag die Watershee vor ihm am feinkiesigen Seeufer und rührte sich nicht.

Nein, sie konnte keine Menschenfrau sein, das war einfach unmöglich. Wie hätte sie in der Kälte des Wassers heute Nacht überleben sollen? Und wie wäre sie überhaupt in den See geraten? Kein Boot weit und breit, niemand außer ihm lebte hier.

Los: Es war genauso einfach wie beim Fisch. Das Messer richtig ansetzen, oben zwischen den Kiemen, also hier an der Kehle, und dann ein sauberer Schnitt, schnell und tief. Er musste dazu nur den Kopf leicht anheben und drehen, damit er an die Kehle herankam.

Ein Jäger hätte das Messer wahrscheinlich in den Rücken gestoßen, das Rückenmark durchtrennt oder bis zum Herzen gebohrt. Aber dafür war das Fischmesser nicht ausgelegt. Außerdem war das ehrlos, selbst einer Frau gegenüber, sogar wenn sie eine Sirene war. Das konnte Tómas sehr schnell den Unmut des Kleinen Volks einbringen, das dann grausame Rache verübte.

Aber … diese Frau anfassen … in ihr goldenes Haar greifen, den Kopf anheben … wer wusste schon, was sich darunter verbarg …

Der Fischer verharrte lange in kauernder Stellung und dachte nach. Dann gab er sich einen Ruck, legte das Messer griffbereit neben sich auf den Boden, packte Schulter und Haare der Frau und drehte sie mit einer hastigen Bewegung auf den Rücken. Dann schnappte er sich das Messer und sprang kampfbereit zurück.

Bleich und nackt lag sie vor ihm, wie einem Gemälde entstiegen. Eine Frau von solcher Schönheit hatte Tómas noch nie erblickt, höchstens einmal in Liedern besungen. Seine Kehle schnürte sich zu, auf seiner Stirn stand Schweiß, und das fiebrige Pochen in seinen Lenden erinnerte ihn daran, dass er immer noch ein Mann war, auch wenn er schon seit zehn Jahren als Witwer lebte und alles vergessen geglaubt hatte.

Sie musste eine von denen Drüben sein, hinter den Hügeln. Für einen Menschen war sie viel zu unwirklich, das Geschehnis zu unglaublich.

Erneut näherte er sich an. Die Kehle lag schutzlos vor ihm. Es wäre schnell getan. Aber …

Er hatte keine Frau. Schon so lange nicht mehr. Und so eine überhaupt noch nie. Wenn er ihr das Leben rettete, war sie ihm verpflichtet. Es gab Regeln. Dann würde sich sein ganzes Dasein ändern. Nicht nur, dass die Frau Tómas bei der Arbeit und im Haus helfen konnte, sie würde auch umgehend seinen Status erhöhen, sobald er sich mit ihr auf dem Markt zeigte. Man würde ihn respektieren. Er konnte bessere Geschäfte abschließen und wäre nicht mehr auf jeden Handel angewiesen.

Kurz entschlossen steckte Tómas das Messer in den Gürtel, dann kniete er sich neben die Frau, legte zwei Finger an ihre Halsschlagader und nickte befriedigt, als er ein gleichmäßiges Klopfen spürte. Sie war nur bewusstlos, verletzt sah sie nicht aus. Vermutlich hatte sie viel Wasser geschluckt, deshalb brachte er sie jetzt besser zu sich.

Tómas holte aus und verpasste der Frau zwei Ohrfeigen, die sie augenblicklich ins Leben zurückholten. Ihre Wangen röteten sich, sie schlug die Augen auf – so grün wie die Wiesen am Hang oben, wenn die Sonne darauf schien –, und dann schoss ihre Hand nach oben, verfehlte Tómas’ Kehle allerdings und krallte sich stattdessen vorn in sein Hemd.

Der Fischer stieß einen überraschten Laut aus, weil sie so schnell gewesen war, und der Griff ihrer schlanken Finger war ungewöhnlich kraftvoll. »Nur die Ruhe, nur die Ruhe, es ist alles gut!«, sagte er hastig, als sie ihn am Hemd nach vorn riss, näher zu sich, und er hatte Angst, dass sie es beschädigen würde. »Ich habe dich gefunden und wieder zu dir gebracht, ich will dir nichts tun!«

Ihre grünschillernden Augen fixierten ihn, etwas Unmenschliches lag darin. Er … er spiegelte sich nicht in diesen Augen.

»K-kannst du mich verstehen?«, stammelte Tómas.

Sie öffnete die vollen roten Lippen und entblößte schneeweiße Zähne. Konnte ein Mensch so perfekt sein? »Ich verstehe alle Sprachen«, zischte sie mit rauer Stimme, die weiteren Worte gingen in einem Gurgeln unter. Sie ließ den Fischer los, wandte sich zur Seite und erbrach einen Schwall Wasser.

Dann setzte sie sich auf, starrte an sich hinab, schob die langen Haare vor ihre Blöße und sah sich um. »Wo bin ich hier?«

»Drumfy«, antwortete der Fischer. Er konnte nicht erkennen, welchen gälischen Dialekt sie sprach, jedenfalls war er ohne Akzent, sie musste Irin sein. »Wir gehören zum Land von Sir Rupert of Collon. Er ist zur Hälfte Engländer, aber ganz in Ordnung.«

Das Gesicht der Frau verzerrte sich in unbekanntem Schmerz, und sie presste die Finger an die Stirn. »Welches Jahr?«

»Wie?«, sagte Tómas verdutzt und beunruhigt. War sie am Ende verrückt? Dann war es besser, zu antworten. »Wir befinden uns im Jahre des Herrn 1785, schon seit fünf Monaten.«

Der wilde Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, erschreckte ihn zutiefst.

»B-bist du eine … du weißt schon … aus dem Wasser? Von den Freundlichen?« Man tat gut daran, die Andersweltlichen nicht bei ihren richtigen Namen zu nennen.

Die Augen der Frau richteten sich auf die Ferne. »Ich weiß nicht, wer ich bin«, sagte sie langsam. »Ich habe alles vergessen. Ein weiter Weg muss hinter mir liegen, zumindest habe ich das Gefühl … Du hast mich hier gefunden, sagst du?«

»Gerade eben. Du hast bewusstlos dagelegen.«

»Ohne Kleidung.«

»Ja! Du nimmst doch wohl nicht an, dass ich …«

Sie verzog die Lippen spöttisch. »Du? Gewiss nicht.«

Tómas war beleidigt. Seine Ehre war gerettet, aber sein männlicher Stolz verletzt. Er entschloss sich, darüber hinwegzusehen. »Ich bin Tómas. Du musst hungrig sein. Komm mit mir in meine Hütte, dort finde ich vielleicht noch etwas zum Anziehen, von meiner Frau.«

»Deiner Frau?«

»Sie starb vor zehn Jahren.«

Die Fremde versuchte aufzustehen, aber sie war zu schwach, und ihr schwindelte wohl, denn sie tastete fahrig um sich. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Hilfe des Fischers anzunehmen. Er legte sich ihren Arm um die Schultern und stützte sie, während sie zur Hütte gingen, die Tómas nun als das Schäbigste diesseits und jenseits der Welt erschien. Ein windschiefes, nur halbhoch mit Steinen gemauertes, dann mit Holz umfasstes Häuschen, das strohgedeckt war und kaum größer als ein Hühnerstall. Es gab kein Fenster, nur die Tür, und einen Rauchabzug. In dem einzigen Raum gab es gerade so Platz für die Kochstelle, ein paar Matten auf dem Boden und zwei schmale Ruheplätze. Im Anbau daneben waren die wenigen Vorräte und Werkzeuge untergebracht, draußen auf den Gestellen hingen die fertigen Netze. Ansonsten besaß Tómas ein kleines Boot für den Fischfang und in einer Truhe ein wenig Kleidung. Darin wühlte er jetzt herum und fand tatsächlich ein Kleid seiner toten Frau. Die Fremde nahm es mit indigniertem Gesicht an, dann schob sie ihn beiseite und suchte sich ein paar Sachen dazu.

»Warte draußen«, befahl sie, und Tómas gehorchte. Als sie ihn wieder hereinrief, war er erstaunt, wie sie es geschafft hatte, sich mit diesen Lumpen so manierlich zu kleiden.

»Schuhe habe ich leider keine«, gestand er verlegen. Er besaß nur ein einziges Paar Holzschuhe, das er ängstlich hütete.

»Das macht nichts«, erwiderte sie. »Es ist Sommer.« Sie band ihr Haar im Nacken zusammen und kauerte sich an die Feuerstelle.

Tómas beeilte sich, Feuer zu entfachen, setzte einen Kessel Wasser für Kräutertee auf, knetete Mehl und formte einen Fladen, den er in die Glut legte. Dazu reichte er Räucherfisch und einen sorgsam gehüteten Lagerapfel.

Die fremde Frau verzehrte alles, ohne ein Wort zu sagen, ihre Miene war unergründlich. Tómas wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Sonderlich dankbar zeigte sich die Frau nicht, dabei hatte sie allen Grund dazu. Zum einen hatte er ihr das Leben gerettet und ihr zu essen gegeben, obwohl er selbst kaum etwas hatte, zum anderen hatte er sich bisher wie ein Ehrenmann verhalten. Das könnte bestimmt nicht jeder von sich behaupten.

»Wirst du bleiben?«, fragte er schließlich scheu.

»Wohin sollte ich schon gehen«, antwortete sie. »Ich weiß nichts. Ich kenne dieses Land nicht, dieses Jahr, alles ist mir fremd, einschließlich mir selbst.«

Diese Antwort gefiel ihm.

Allerdings täuschte Tómas sich gewaltig, wenn er glaubte, dass die Fremde ihm zur Hand gehen würde, wie es sich für eine anständige Frau gehörte. Sie sah nicht nur aus wie eine Adlige, sie benahm sich auch so. Sie war herrschsüchtig, trieb ihn zur Arbeit an, schimpfte ihn faul, sein Heim einen Schweinestall, schalt und nörgelte den ganzen Tag, und nachts verpasste sie ihm eine heftige Kopfnuss und drohte ihm schlimmere Schmerzen andernorts an, falls er weiterhin versuchte, nach ihr zu greifen.

Trotzdem nannte er sie Àtha, Freude. Denn sie war eine Frau und sie war da, und auch wenn sie nichts tat, veränderte sich doch alles, und zum Guten. Die Hütte war ausgebessert und aufgeräumt, die Gestelle für die Netze haltbarer, das Boot nicht mehr leck, und das Werkzeug ordentlich aufgereiht. Tómas fing fleißig Fische, ging Frühkräuter und die ersten Beeren sammeln, und er wusch sich jeden Tag und schabte sich das Kinn glatt. Manchmal war er so müde von der Arbeit, dass er beim Kochen die Augen kaum offenhalten konnte, und danach schlief er wie ein Stein, sodass er gar nicht mehr auf dumme Gedanken kam. Doch er war zufrieden wie schon lange nicht mehr, als hätte er einen neuen Lebenssinn gefunden.

Eine Watershee war sie wohl doch nicht, kam er zu dem Schluss, weil sie niemals sang oder sonst ein magisches Werk vollbrachte, auch seine Seele hatte er noch. Sie musste demnach ein Mensch sein, wenngleich ziemlich verrückt, so ohne Gedächtnis. Obwohl, manchmal hatte er den Eindruck, als ob ihre nackten Füße den Boden nicht richtig berührten, er fand nie Spuren von ihr. Doch das musste nichts zu bedeuten haben, sie wirkte eben ätherisch und bewegte sich auch wenig draußen. Viel stärker noch war sein Gefühl, dass ihr etwas fehlte, was normale Menschen hatten, doch Tómas kam nicht drauf, was es sein könnte. Er wollte nicht zu viel darüber nachdenken.

Ach, was spielte das für eine Rolle. Tómas war nicht mehr allein, es lief so gut wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr. Er tat alles für Àtha. Hauptsache, sie blieb bei ihm. Für wie lange … nun, das schob er weg.

»Ich werde gehen«, sagte Àtha eines Abends. »Ich habe etwas Wichtiges zu tun, zu dem mir nicht mehr viel Zeit bleibt.«

»Was könnte das denn sein?«

»Wenn ich es wüsste, wäre ich schon fort, Dummkopf!«

Tómas war es von Anfang an klar gewesen, dass die Frau nicht für immer bei ihm bleiben würde. Sie war nur da, weil sie sonst nicht wusste, wohin. »Du hast nichts Wichtiges zu tun«, erwiderte er. »Du gehörst mir.«

Ihre grünen Augen wetterleuchteten durch das dämmrige Licht in der Hütte. »Wie kommst du denn da drauf?«

»Ganz einfach, ich habe dich gerettet«, sagte er kühn. Es wurde Zeit, dass er sich wieder als Mann zeigte. Vielleicht sollte er sie mal gründlich schlagen, damit sie wusste, wer in Wirklichkeit das Sagen hatte. Das hatte bei seiner früheren Frau auch geholfen. »Das verpflichtet dich.«

»Das glaubst auch nur du«, stieß sie prustend hervor, halb lachend, halb wütend.

»Ein böser Fluch wird dich treffen, wenn du mich verlässt«, drohte er. »Vergiss nicht, du bist an meinem Ufer gestrandet. Wer weiß, wer dich ins Wasser geworfen hat, vielleicht lastet ohnehin schon ein Fluch auf dir, der nur solange ruht, wie du mir gehorchst.«

Jetzt hatte er sich ganz schön weit vorgewagt, zum ersten Mal, seit sie bei ihm lebte, und er erwartete mit leicht eingezogenem Kopf das Unwetter, das sich zweifelsohne über ihm entladen würde. Doch sie saß einige Zeit still da und musterte ihn misstrauisch.

»Ich muss fort«, erklärte sie schließlich endgültig. »Hier kann ich nicht bleiben, Fluch hin oder her.«

Das nahm eine Wendung, die Tómas noch weniger als alles andere gefiel. »Aber warum?«

»Ich werde schwach«, sagte Àtha abwesend. »Jeden Tag, den ich länger hier verweile, werde ich weniger. Irgendwann werde ich mich auflösen und verschwunden sein.«

*

Um die passenden Spiegel zu bekommen, verbrachten Nadja und Fabio fast den ganzen Tag in Dublin. Nebenbei statteten sie dem Trinity-College einen Besuch ab, um das wunderbare Book of Kells zu bewundern, und gingen ins National Museum, um den fein ziselierten, hauchdünnen Goldschmuck, die Tara-Brosche und vieles mehr aus der faszinierenden Vergangenheit Irlands zu besichtigen. Nadja hätte am liebsten Tage damit verbracht, obwohl sie alles schon kannte.

Fabio hatte sich das mit den Spiegeln so einfach gedacht, aber natürlich warteten da nicht Dutzende nur auf ihn. Zuerst einmal mussten sie die richtige Größe finden, dann die entsprechende Fassung, und das übrige Material musste auch noch besorgt werden. Zwischendurch verlangte Nadja nach einer reichlichen Mahlzeit, und ein wenig shoppen wollte sie zudem, wenn sie schon mal hier war. Vor der Dunkelheit konnten sie sowieso nichts unternehmen, also warum nicht den Tag nutzen?

Die Elfen beobachteten derweil das Gelände und kundschafteten die Sicherheitsanlagen aus. Ab und zu schickte Rian eine WhatsApp, sie liebte ihr Handy über alles, seit sie wusste, was man damit machen konnte. Wie es aussah, rührten sich auch die Gehilfen des Getreuen nicht. Wie viele waren es wohl? Nur Cor und der Kau, oder auch andere? Diese Information in Ainfars Botschaft war zum Teil verstümmelt worden.

Nadja kam das merkwürdig vor, als hätte jemand die Nachricht manipuliert. Aber wie sollte das möglich gewesen sein? Jedoch: Warum blieb gerade genug Information übrig, um handeln zu können? Ach was, darum würde sie sich ein andermal kümmern – jetzt stand Newgrange im Vordergrund.

Am späteren Nachmittag kehrten sie vollbepackt ins Cottage zurück, mit entsprechender Ausrüstung wie dunkler Kleidung, Seile, Kletterschuhe, Handschuhe und Werkzeug.

Nadja war sehr aufgeregt, es war der erste »Einbruch« ihres Lebens, und ganz wohl war ihr nicht dabei, auch wenn es sich nur um einen Haufen Steine handelte, die sie außerhalb der normalen Öffnungszeiten betreten wollten. Die anderen waren natürlich viel gelassener, für sie war das Eindringen in fremdes Gelände ohne Einladung überhaupt nichts Besonderes, und Fabio … nun, der hatte sicher noch eine ganze Menge mehr auf dem Kerbholz. Ihr Vater war ziemlich kritisch wegen ihres Lampenfiebers, doch sie musste ihn begleiten, weil er allein zu lange brauchen würde, um die Falle aufzustellen. Zumindest redete sie ihm das ein; um nichts in der Welt wäre sie zurückgeblieben! David hatte es sowieso schon lange aufgegeben, ihr zu widersprechen, und damit war es entschieden.

Nach einer weiteren stärkenden Mahlzeit schlüpften alle in die passende Kleidung und bepackten sich mit Ausrüstung. Das größte Hindernis stellten die Spiegel dar, denn sie mussten heil transportiert werden. Fabio hatte dazu jede Menge Eisendraht besorgt; auf Salz und alles Weitere verzichtete er, da es bei dem Getreuen ohnehin keine Wirkung zeigen würde. Dass Eisen und Spiegel bei ihm funktionierten, hatte Nadja in Venedig schon erlebt.

Um acht Uhr abends machten sie sich zu Fuß auf den Weg zum Zaun. Den Großteil konnten sie über normale Trampelpfade zurücklegen, was nicht weiter auffällig war. Dann schlugen sie sich seitwärts in die Büsche, bis zu einer Stelle, wo das Buschwerk bis zum Zaun reichte. Der Zaun sah aus wie Baudraht, das Gitter war grob und über zwei Meter hoch. Pirx konnte einfach hindurchschlüpfen, die anderen mussten klettern.

Inzwischen war es nach neun, und sie mussten sich noch eine Weile gedulden, bevor es dunkel genug war, um nicht weithin sichtbar den Zaun zu übersteigen. Nadja hatte ausreichend Zeit, ihre Nervosität in den Griff zu kriegen.

Schließlich gab Fabio das Zeichen. David schulterte den Grogoch, dann kletterten sie über den Zaun. Die Zwillinge waren dabei leichtfüßig wie immer, als würden sie einfach darüber schweben. Fabio und Nadja taten sich etwas schwerer, aber sie brachten es in aller gebotenen Eile hinter sich. Pirx, der sich schon eine Weile unsichtbar auf der anderen Seite umgesehen hatte, berichtete im verschwörerischen Tonfall, dass die Luft rein sei, und zeigte dazu grinsend die spitzen Zähne. Ihm machte dieser Ausflug entsprechend seiner Pixie-Natur großen Spaß.

Sie brauchten eine weitere Stunde, um sich näher an Newgrange heranzuschleichen. Inzwischen war es stockfinster im Gelände, und Nadja hielt sich an David fest, der sich mit seinen Elfenaugen problemlos zurechtfand. Fabio behauptete, sehr gut zurechtzukommen, stolperte kurz darauf über eine Wurzel und stieß fluchend an den dazu gehörigen Baum. Nadja behielt ihre Gedanken für sich, und die Elfen versuchten krampfhaft, ein Kichern zu unterdrücken.

Dann erreichten sie den Lichtkreis der Lampen auf dem Gelände. Der Tumulus wurde effektvoll beleuchtet, sodass er noch geheimnisvoller und erhabener wirkte.

»Pirx, Grog«, sagte Fabio zu den beiden Kobolden. »Ihr geht zum Observatorium und wirkt dort einen Schlafzauber, damit wir nicht ungebetenen Besuch bekommen.« Er kramte einen in Tuch gewickelten kleinen Handspiegel aus seinem Beutel hervor, den er dem Grogoch gab. »Nehmt den zu eurem Schutz mit. Solltet ihr auffliegen, setzt ihn ein.«

»Barbarisch«, brummte der alte Grog.

»Wir haben Krieg«, gab Fabio nicht minder brummend zurück. »Zur entscheidenden Schlacht mit Helden und Schwertergerassel wird es schon noch kommen, aber bis dahin nutzen wir jeden Vorteil, egal ob auf feine oder unfeine Weise.«

Pirx und Grog huschten in die Dunkelheit davon, und die übrigen vier schlichen sich an den Eingang des Monuments heran.

»Die Kameras sind kein Problem«, sagte David. »Die haben wir schon ausgekundschaftet.« Gemeinsam mit Rian warf er fein gesponnene Netze hoch, die sich glitzernd um die Überwachungslinsen legten. »Jetzt werden sie immer dasselbe Bild sehen. Wir haben allerdings nicht lange Zeit, der Zauber verfliegt schnell.«

»Das schaffen wir schon.« Fabio nickte Rian zu. »Ihr beide stellt jetzt hier draußen die Falle auf, und wir machen uns drin ans Werk. Sollte irgendwas schiefgehen, verschwindet ihr sofort.«

»Aber …«, setzte David an, doch der Venezianer unterbrach ihn.

»Keine Diskussion, Junge, ich habe in diesen Dingen mehr Erfahrung als du. Sollten Nadja und ich erwischt werden, passiert uns nichts weiter. Ihr beide aber macht euch sofort aus dem Staub! Wir kriegen weniger zu zweit ab, als zu viert, und ich will nicht, dass irgendjemand aufmerksam wird – wer auch immer. Niemand darf wissen, dass ihr hier seid. Vergesst nicht, die Königin will euch in die Fänge kriegen, und wir haben keine Vorstellung, wen sie bereits rekrutiert hat.«

Der Prinz zog eine missmutige Miene, aber Nadja sagte: »Er hat Recht, David. Sollten wir geschnappt werden, seid ihr immer noch draußen und könnt weitermachen. Es hat keinen Sinn, wenn es uns alle erwischt. Wir treffen uns dann im Cottage, sobald es möglich ist.«

»Komm, Bruder, legen wir los, bevor die Netze sich auflösen«, schlug Rian vor. »Ihr solltet jetzt besser reingehen. Unsere Falle wirkt auf jeden von unserer Art, der hineingeht. Herauskommen ist kein Problem.« Sie deutete auf den oberen Rand des Eingangs. »Den Augenstaub deponiere ich da oben. Er wird jedem in die Augen wehen, der hineingeht, und ihn blind machen für die Spiegel und alles andere, was ihr aufstellt.«

Fabio ging voran in den Grabgang, Nadja dicht hinter ihm. Die Lichtkreise ihrer Taschenlampen huschten an den Felsen entlang, konnten die Finsternis hier drin jedoch kaum erhellen. Es war unglaublich still, als wäre alles erstarrt und die Zeit stehengeblieben.

»Hörst du mein Herz klopfen?«, wisperte Nadja schließlich, weil sie diese Lautlosigkeit kaum noch ertragen konnte.

»Ja«, antwortete ihr Vater, dann drehte er sich kurz zu ihr und zwinkerte ihr im matten Schein zu.

Nadja hätte angenommen, dass man das Wispern von Stimmen hören würde, schließlich waren hier schon tausende Menschen entlang gegangen. Doch die Felsen gaben keine Erinnerungen preis. Es war unheimlich, weil da einfach nichts war. Kein Hauch, kein Geräusch, kein Schatten der Vergangenheit. Es war so trocken und kühl … leblos. Ein Schauer lief der jungen Frau den Rücken hinab. Was wäre, wenn sie sich plötzlich hier drin auflöste, ein Teil von dem Grab wurde, irgendwo in die Geisterwelt verweht …

»Pass auf«, warnte Fabio leise zischend, und Nadja blieb erschrocken stehen. Beinahe wäre sie gegen den Altarstein gelaufen.

»Entschuldige.« Sie legte vorsichtig den Rucksack ab und packte die Spiegel und Werkzeug aus. »Und wie stellen wir sie jetzt auf?«

»An den äußeren Rand der mittleren Kammer, die Spiegelseite nach innen gerichtet.«

»Weshalb nach innen?«

»Sie sollen die Magie des Getreuen nicht reflektieren, das bringt den ganzen Tumulus möglicherweise zum Einsturz«, antwortete Fabio.

»Oh«, machte sie. Nein, das durfte nicht geschehen, es wäre ein unverzeihliches Verbrechen, dieses fünftausend Jahre alte Wunderwerk zu zerstören.

»Aber sie werden seine Magie einsaugen, wenn sie von ihm abgewandt sind, denn die Linien auf der Wand dort werden seine Magie reflektieren. Diese Reflexion dann ziehen die Spiegel an und lassen sie in der Sphäre verpuffen. Das bedeutet, wenn der Getreue seine Macht einsetzt, wird überhaupt nichts passieren.«

Nadja runzelte die Stirn. »Aber er könnte die Spiegel doch einfach zerstören, wenn er sich nicht in ihnen reflektiert.«

»Nicht mit dem Eisendraht drumherum«, erwiderte ihr Vater grinsend, während er anfing, die Spiegel aufzustellen und den Draht zu spannen. »Sobald er ihnen zu nah kommt, bricht das Eisen seine Magie. Und …« Er hielt einen winzigen Taschenspiegel hoch. »Den hier werde ich tatsächlich ihm zugewandt dort an die Wand kleben. David hat mir einen Zauber in die Hand gesprochen, den ich in Salbeiöl Salvia divinorum auf die Rückseite präpariert habe: Er wird sich immer so drehen, dass er genau die Augen des Getreuen reflektiert. Das wird dem Kerl ordentlich zu schaffen machen, glaub mir. Er wird kaum mehr etwas sehen können und nahezu handlungsunfähig sein.«

Nadja half ihm, die Spiegel in die richtige Position zu bringen. »Aber das alles kann ihn doch nicht auf Dauer abhalten.«

»Natürlich nicht«, stimmte Fabio zu. »Aber es verschafft uns die notwendige Zeit, bis Fanmór dieses Bauwerk ein für alle Mal versiegelt, dass nur noch Menschen es betreten können.«

»Denkst du, er wird kommen?«

»Er muss. Regiatus wartet nur auf unser Zeichen. Glaub mir, Nadja, der alte Riese mag ein Starrkopf sein, aber er ist nicht ignorant. Er weiß, was auf dem Spiel steht. Doch er kann nur handeln, wenn wir den Getreuen gefangen haben.«

»Du willst ihn ernsthaft fangen?«, rief Nadja aus und bezähmte sich hastig.

»Wieso denn nicht?«, erwiderte Fabio. »Skylla ist es doch auch gelungen. Wir werden ihn hoffentlich solange festhalten können, bis Fanmór fertig ist.«

»Fabio, du bist größenwahnsinnig!«, schimpfte Nadja leise. »Wie konnte ich da nur mitmachen!«

Er zuckte die Achseln. »Hast du eine bessere Idee?«

»D-darum geht es nicht.«

»Doch, genau darum.«

Fabio richtete sich auf und betrachtete sein Werk kritisch. »Das wird hinhauen. Jetzt müssen David und Rian nur noch …« Schlagartig verstummte er und wirbelte herum. »Verdammt. Raus hier, Nadja, schnell!«

Nadja stellte keine Fragen, sie raffte den Rucksack an sich und rannte augenblicklich los.

Draußen erwartete sie Flutlicht, in dem sich menschliche Silhouetten bewegten. Geblendet sah Nadja sich um, konnte gerade noch zwei huschende Schemen in die Dunkelheit verschwinden sehen. Ein Glück, dass die Zwillinge auf Fabio gehört hatten.

»Bleiben Sie stehen und zeigen Sie die Hände!«, erscholl eine scharfe Stimme.

Nadja kam der Aufforderung augenblicklich nach, ihr Puls raste, und sie verfluchte sich, sowie Fabio, der neben ihr stand, und alle anderen dazu. Natürlich musste es schiefgehen, keine Frage, wann wäre schon einmal etwas glatt verlaufen. Alles umsonst! Sie hätte sich ohrfeigen können.

Die Konturen eines kräftigen Mannes schälten sich aus dem Flutlicht, er trug die lehmfarbene Uniform der Security und eine Waffe im Halfter. Immerhin nicht im Anschlag. »Was haben Sie hier zu suchen?«

Nadja war versucht zu sagen »meinen Ohrring«, aber das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. »Es war ein Geburtstagsgeschenk«, sagte sie stattdessen. »Von meinem Vater.« Sie wies auf Fabio. »Wissen Sie, er glaubt, dass in dieser Nacht besondere magnetische Strömungen auftreten, bedingt durch den Mondstand, die sich positiv auf mein ungeborenes Kind …«

»Sie redet völligen Unsinn, das ist kein Glaube, sondern alles wissenschaftlich erwiesen und hat eine ganz andere Bedeutung«, unterbrach Fabio. »Die Mondphasen wirken sich nicht nur auf die Gezeiten des Meeres aus, sondern …«

Diesmal kam jedoch er nicht weiter. Ein zweiter, noch kräftigerer Security tauchte neben dem anderen auf und seufzte. »Zwei Spinner – war ja klar. Wer ist auch sonst so bescheuert, nachts hierherzukommen, wo es nichts gibt außer toten Steinen.« Er musterte zuerst Fabio, dann Nadja eindringlich aus kühlen blauen Augen, die von dem Schirm der tief in die Stirn geschobenen Uniformmütze halb beschattet wurden. »Wir sollten endlich mal ein Exempel statuieren, bevor wir noch mehr der Lächerlichkeit preisgegeben werden.«

»Öffentliche Erschießung, was?« Der Erste feixte. »Das gefällt dir natürlich, Craig.«

»Aye.« Der andere lachte boshaft.

Nadja blinzelte; derartige Unterhaltungen schätzte sie nicht besonders, aber noch war es besser zu schweigen. Manchmal führten auch Polizisten solche kurzen Dialoge, um die Delinquenten einzuschüchtern. Doch Nadja war nicht sicher, ob es hier darum ging. Dieser Craig hielt sich wohl wirklich für einen tollen Kerl, so wuchtig wie er dastand, mit der Hand knapp an der Waffe und dem fast gierigen Glitzern in den Augen. Fragte sich nur, warum er kein Polizist oder Soldat geworden war, sondern Schutzposten für einen Haufen toter Steine. Mit solchen Typen hatte Nadja zur Genüge zu tun gehabt, und sie legte keinen Wert auf Wiederholung.

Ein dritter Mann kam aus dem Tumulus heraus, der sich inzwischen drin umgesehen hatte. »McNamarra, die haben da Spiegel aufgestellt, die sie mit Draht verbunden haben.«

Nadja rutschte das Herz in die Hose. Jetzt war wirklich alles aus. Rians Zauber hatte nicht funktioniert, oder sie hatte ihn noch nicht angebracht.

Der Angesprochene neigte leicht den Kopf und dachte nach. »Also gut«, sagte er dann. »Kommen Sie bitte mit.« Er war sogar höflich! Nadja schöpfte Hoffnung. Er winkte dem anderen Mann. »Baut die Spiegel ab und bringt sie ins Besucherzentrum.«

»Kein Schießkommando?«, fragte Craig, und die Enttäuschung klang gar nicht mal gespielt.

»Heute nicht«, erwiderte McNamarra. »Sieh dich noch ein wenig im Gelände um, ob Komplizen von denen herumschwirren.«

Craig grinste breit, zwinkerte Nadja zu und machte sich mit zwei weiteren Kollegen auf den Weg.

Macht mich auch noch an und hält das wohl für eine gute Masche, der blöde Kerl, dachte sie wütend.

Der Bus transportierte sie ins hell erleuchtete Besucherzentrum, wo sie in ein Büro geführt wurden und vor einem Schreibtisch Platz nehmen durften. McNamarra setzte sich dahinter.

»Also, dann erzählen Sie mir mal, was das mit den Spiegeln zu bedeuten hat«, forderte er die beiden Ertappten auf.

»Um den Effekt zu verstärken«, antwortete Fabio. »Das ist eine sehr komplizierte Apparatur, die ich selbst berechnet und entwickelt habe … aber natürlich hätten wir sie wieder abgebaut und nichts beschädigt.«

»Aha. Können Sie sich ausweisen?«

Auch jetzt lag Nadja etwas auf der Zunge, aber sie schüttelte lediglich den Kopf und sah den Mann aus großen, unschuldigen, fragenden und leicht ängstlichen Augen an. In solchen Schwierigkeiten steckte sie nicht das erste Mal, bei Reportagen kam das auch ab und zu vor. Sie wusste, wie man mit diesen Sicherheitsleuten umging. Man war brav, nahm sie ernst, zeigte sich kooperativ, hilflos und naiv.

»Nein, die Ausweise haben wir natürlich daheim gelassen«, sagte Fabio und grinste stolz.

Wir sind Bonnie und Clyde, dachte Nadja und fand die Situation plötzlich ziemlich komisch. Und außerdem, was sollte ihnen schon passieren? Sie hatten ein paar Tricks auf Lager, gegen die normale Menschen nicht ankamen, und McNamarra wirkte recht zivilisiert. Hauptsache, die Polizei wurde nicht eingeschaltet.

»Sie sind nicht von hier.«

»Oh nein, wir kommen aus Italien.«

»Aber Sie sprechen sehr gut Englisch.«

»Wir Italiener lieben Fremdsprachen. Deutsch kann ich auch, wollen Sie mal hören?«

McNamarra winkte ab. »Ich habe keine Lust, mich ständig mit Spinnern wie euch abgeben zu müssen. Zur Sonnenwende sind es regelmäßig die Druiden, zu Samhain die Weißen Hexen … und jetzt fangt ihr Ausländer auch noch an beliebigen Tagen an, euren Riten nachzugehen. Ich rufe am besten die Polizei, die wird euch erst mal einbuchten.«

»Weswegen denn?«, fragte Fabio erstaunt.

»Nun, Sie sind in den Tumulus eingebrochen …«

»Entschuldigung, Sir, aber das ist nicht ganz korrekt. Da war keine verschlossene Tür. Außerdem wollten wir nichts stehlen, wir haben im Gegenteil etwas gebracht. Das wir wieder mitgenommen hätten, ohne auch nur ein Fitzelchen Müll zurückzulassen. Das ist bestenfalls Hausfriedensbruch, aber nicht mehr. Nicht mal grober Unfug.«

Der Ire musterte Nadjas Vater aus verengten Augen. »Sie sind ein ganz Schlauer, was? Machen das wohl öfter?«

Fabio schüttelte den Kopf und setzte sein strahlendes Lächeln auf. »Nein, aber ich schaue mir jeden Tag Das Gericht tagt an. Und natürlich Matlock. Kennen Sie Matlock? Das ist ein Anwalt, der …«

»Interessiert mich nicht!«, wehrte McNamarra ab, als sich die Tür öffnete.

Ein Mann kam herein, derselbe, der den Tumulus untersucht hatte. »Wir haben die Spiegel sichergestellt. Keinerlei Beschädigungen oder sonstige Spuren. In ihren Taschen war nichts weiter, auch keine Spraydosen oder irgendetwas, um die Steinsymbole zu zerstören. Vandalismus können wir wohl ausschließen. Und den Rest, Drogen und Alkohol, auch.«

McNamarra rieb sich grübelnd das Kinn.

»Ähm …«, begann Fabio vorsichtig. »Könnten wir die Spiegel bitte wiederbekommen? Die haben eine Stande Geld gekostet und waren nicht leicht aufzutreiben.«

Fragend sah der Mann seinen Chef an. Der machte eine ungeduldige Geste. »Ja, in Ordnung, warum nicht. Die gehören uns schließlich nicht, sind nicht illegal oder Beweismittel, und am Ende werden wir noch wegen Diebstahls angezeigt.« Er richtete den düsteren Blick wieder auf Fabio, der ihn nach wie vor freundlich anlächelte. »Irgendetwas sagt mir, dass ich mir eine Menge Ärger einhandle, wenn ich Sie und Ihre … Tochter der Polizei übergebe.«

»Ich finde es toll, wie eifrig Sie Ihren Dienst versehen, Sir, dass Sie uns überhaupt bemerkt haben«, meinte Fabio. »Wir waren sicher, dass es keinem auffällt.«

»Hmja. Jemand hat eine Bewegung bemerkt und uns informiert. Die Kameras haben nichts angezeigt, wurden aber nicht manipuliert. Da muss wohl ein Techniker ran. Insofern war es sogar gut, dass das passiert ist.«

»Da waren Kameras?«, entfuhr es Nadja scheinbar überrascht.

McNamarra verdrehte die Augen. »Also, was soll ich jetzt mit euch beiden machen?«

»Uns gehen lassen?«, schlug Fabio beinahe schüchtern vor, und Nadja lächelte bittend.

»Nun, wir haben eine Menge Aufwand gehabt …«

»Also, ich wollte diesem großartigen historischen Monument sowieso eine Spende zukommen lassen …« Fabio zückte seinen Geldbeutel, und Nadja hoffte, dass er echte Scheine hervorziehen würde, nicht irgendwelche Einkaufszettel oder Tankquittungen. Doch er war tatsächlich vernünftig. Er blätterte dreihundert Euro auf den Tisch. Offensichtlich hatte er sich auf eine mögliche Bestechung vorbereitet, denn sonst trug er nie so viele Scheine mit sich herum. »Wäre das … in etwa angemessen?«

McNamarra betrachtete das Geld mit tiefen Sorgenfalten. Dann steckte er es seufzend ein. »Sie dürfen das Gelände nicht mehr betreten, verstanden?«

»Ehrenwort. Die Stunde ist sowieso schon überschritten, es funktioniert nicht mehr.«

»Wenn ich Sie hier noch einmal sehe, kommen Sie nicht so leicht davon!«

»Völlig verständlich, Sir, Sie können ganz beruhigt sein. Und wir sind es auch, wenn Leute wie Sie ein so wichtiges Bauwerk beschützen. Es ist von großer spiritueller Bedeutung!«

McNamarra hatte genug. »Raus jetzt! Ich habe anderes zu tun, als mir die Nacht mit ausländischen Esoterikern um die Ohren zu schlagen.« Er gab dem wartenden Kollegen einen Wink. »Bringt sie raus zum Parkplatz, dann machen wir den Laden wieder dicht.«

Sie konnten ihre Spiegel einpacken, dann wurden sie von nicht weniger als vier Männern hinausbegleitet und anschließend vor dem Tor allein gelassen, während hinter ihnen alles verschlossen, versperrt und verriegelt wurde.

Nadja und Fabio gingen die Straße hinunter, als ihnen ein Wagen entgegenkam. Rian saß am Steuer, und David sprang heraus. »Endlich! Wir wären jetzt da reingegangen, und …«

»Alles in Ordnung«, sagte Nadja lachend. Das tat gut und löste die Anspannung.

»Machen wir, dass wir wegkommen!«, forderte Rian auf. »Pirx und Grog warten schon.«

Nadja und Fabio stiegen ein, und sie fragte sich, warum ihr Vater die ganze Zeit so geheimnisvoll grinste.

Elfenzeit 5: Trugwandel

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