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Prolog
Hündchen

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Sie hatten ihn vergessen. Niemand kümmerte sich um ihn, brachte ihm Nahrung oder wusch ihn. Und doch starb er nicht.

Warum nicht? Ach ja … Weil er bereits tot war. Im Grunde schon seit Jahrhunderten, doch erst jetzt so dicht dran. Es war inzwischen sogar schwer geworden, es sich selbst zu erklären.

Einst war er ein Mensch gewesen, Sohn eines Mannes, der sich für einen Zauberer hielt, jedoch nur bescheidene Kräfte besaß und mehr Scharlatanerie betrieb. Doch die Vereinigung mit einer besonderen Frau brachte einen Sohn hervor, der über echte Magie verfügte. So etwas geschah selten bei den Menschen, doch es war nicht unmöglich. Der Sohn hatte seine Gabe genutzt und sich ein Reich erschaffen.

Dann waren da auf einmal diese … Frau gewesen und ein Mann ohne Schatten. Sie hatten sein Leben, sein Zuhause zerstört, und er war zum Hündchen der Dunklen Königin geworden. Zuerst hatte er all dies für einen schlechten Traum gehalten, eine Ausgeburt seines dem Wahnsinn anheimgefallenen Verstandes. Nur im Drogenrausch hatte er früher solche abartigen Fantasien gehabt.

Aber es war alles wahr. Die verbannten Elfen, dieses teils grässliche, teils opulente Land, und dieser finstere Kerl samt seiner Königin.

Noch nie hatte er eine Frau von solch überirdischer Schönheit erblickt, die zugleich zutiefst verdorben war. So strahlend hell und golden ihr Äußeres war, so finster war ihr Geist, der Kern ihres Seins faulig wie ein wurmstichiger Apfel.

Ich erinnere mich an alles, dachte der Mann, der einst der Conte del Leon gewesen war, ein Herrscher in der Lagune von Venedig. Aber warum?

Sie hatten ihm Hand- und Fußfesseln angelegt, und dazu einen Halsring mit einer silbernen Kette daran. An dieser Kette führte Bandorchu ihn herum, zwang ihn, ihre Füße zu lecken, zu hecheln und Männchen zu machen. Manchmal behandelte sie ihn fast liebevoll wie ein Schoßtier, dann wieder ließ sie ihre Grausamkeit an ihm aus.

Das Wunder war, dass er daran nicht starb. Er überstand alles, egal, was sie mit ihm anstellte. Im Schattenland galten eigene Gesetze, und der einstige Menschenmann hatte die Grenze der Sterblichkeit längst überschritten. Er war in Magie gefangen, und hier war alles Magie.

Er erinnerte sich, doch alles, was er einst gewesen war, war vergangen.

Lediglich ein letzter Funken Menschlichkeit war ihm noch verblieben, als er hierher gebracht worden war. Mit diesem hatte die Königin gespielt, ihn verhöhnt und verspottet.

Und dann … wann war es doch gleich geschehen … dann hatte sie …

Der Mann verbarg das Gesicht in Händen und weinte. Schmerz, Angst und Trauer, das war ihm nahe, nichts sonst gab es mehr.

Die schlimmste Pein aber hatte erst noch auf ihn gewartet, obwohl er geglaubt hatte, schon alles kennengelernt zu haben. Und wenn er geahnt hätte, dass es so entsetzlich werden würde, dann hätte er längst auf irgendeine Weise versucht, seinem elenden Dasein ein Ende zu machen. Natürlich hatte er sich vorher verachtet, weil er all die Demütigungen hinnahm und ertrug, aber irgendetwas in ihm klammerte sich weiterhin hartnäckig an das bisschen Leben, das ihm verblieben war. An die Hoffnung, dass es eines Tages besser würde. Oder er sich an die Schmerzen gewöhnte.

Doch dann war Bandorchu, es konnte nicht so lange her sein, plötzlich in ihr Schlafgemach gestürmt, das gleich neben jenem ganz besonderen, privaten Raum lag, den nur sie und der Getreue betreten durften. Der Mann war die meiste Zeit hier neben dem großen Himmelbett angekettet, das die Königin als Ruheplatz benutzte, wenn der Getreue nicht da war.

»Hündchen!«, rief sie und riss an der Kette.

Die Königin verfügte über die Kräfte eines Bären. Der Mann wurde hochgerissen und über den Boden geschleift, bis er bei ihr war. Er beeilte sich, auf alle viere zu kommen und den Kopf gesenkt zu halten. Wer wusste schon, in welcher Stimmung sie sich heute befand; der Getreue war seit längerer Zeit abwesend, und sie entbehrte ihn. Ein- oder zweimal hatte sie ihr Hündchen liebkost und einige Dinge mit ihm angestellt, die …

Der Mann wurde mit einem scharfen Ruck an der Kette zurück ins Elend gerissen.

»Woran denkst du?«, fauchte die Königin, und ihre Augen brannten wie grünes Feuer. »Glaubst du, ich erkenne es nicht, welche unzüchtigen Sehnsüchte in dir vorgehen? Verdorbener, wertloser kleiner Mensch!«

Der Mann beeilte sich, seine Gedanken zu leeren. Er konnte nichts dagegen machen, sobald die Königin ihm zu nahe kam, verwirrte sich sein Geist, und er fühlte nur noch Begehren. Nur für eine flüchtige Berührung war er zu jeder Demütigung bereit.

Bandorchu ließ sich auf die Bettkante sinken, und er musste sich bei ihr hinkauern. Immerhin hatte sie noch nicht verlangt, dass er bellte. Geistesabwesend strichen ihre kühlen Finger über seinen Rücken, und ihn durchliefen wohlige Schauer. Vielleicht war das nur die Einleitung zu mehr …

Der Mann verschluckte sich vor Schrecken und zwang sich augenblicklich zu anderen Gedanken.

Doch die Dunkle Frau war mit ihrem Geist ohnehin woanders. »Hündchen, das Ende der Tage ist nah«, sagte sie seufzend, mit unerwartet sanfter Stimme. »Ich werde Schattenland verlassen.« Sie fuhr durch seine schwarzen Haare, verwuschelte sie und beugte sich über ihn. »Was wird dann aus dir, Hündchen, hm? Soll ich dich mitnehmen in die Menschenwelt, was meinst du?«

Er antwortete nicht, diesen Fehler machte er nie wieder. Er hatte es einmal versucht und die schlimmsten Schläge seines Lebens bekommen. Hunde redeten nicht in der Zunge der Elfen.

»Braver Junge«, murmelte sie zufrieden. Ihr Blick war nun verschwommen und träumerisch, während sie ihn weiter kraulte. »Ich möchte nicht auf dich verzichten, aber ich werde es wohl müssen.« Sie legte die Hand unter sein Kinn und hob es zu sich an. »Du wirst es nicht überstehen, Hündchen, und genau wie alle anderen enden. Schade, du hast mir viel Spaß bereitet. Aber ich bin sicher, mein Getreuer findet bald Ersatz für dich.«

Das Blut in seinen Adern wurde eiskalt, und er fing an zu zittern. Sie wollte ihn töten, einfach so? Warum würde sie es tun, wenn sie es im Vorfeld schon bereute? Flehend sah er sie an, mit feuchten Augen. Das brauchte er nicht zu spielen, er bettelte um sein Leben.

»Du bist ein hübsches, manchmal auch artiges Bürschlein«, stellte die Königin lächelnd fest. »Du hast dich hier gut gemacht, so gefällst du mir. Aber siehst du, um das Portal dauerhaft zu öffnen, brauche ich Kraft … sehr viel Kraft. Da muss ich alles nehmen, was sich mir bietet, und ich glaube, was du zu geben hast, wird das größte Geschenk sein …«

Er besaß doch nichts mehr. Nichts hatte er zu geben, gar nichts, außer Ketten und Leid. Noch blieb er stumm, obwohl alles in ihm um Vergebung schrie. Sein Leben ging endgültig zu Ende, und nichts konnte es verhindern.

Die Finger der Königin strichen über seine feuchte Wange, und ihr Lächeln vertiefte sich. In ihre wie grüner Kristall funkelnden Augen trat ein beängstigender Ausdruck. »Du brauchst nicht zu weinen, Hündchen, dir wird eine große Ehre zuteil.«

Diese Ehre wollte er nicht. Er wollte Frieden. Genug gebüßt und bereut, genug von all dem hier. Wenn es der Tod sein sollte, dann schnell, ohne weitere Verpflichtungen.

Aber natürlich war ihm das nicht vergönnt.

Die Augen der Königin wurden kälter als Eis und füllten sich mit undurchdringlicher Schwärze. Bevor der Mann zurückweichen konnte, packte ihre Hand ihn unnachgiebig am Hals, genau über dem Ring, und zwang ihn, in ihre Augen zu sehen. Als er die Lider schließen wollte, war er nicht dazu in der Lage. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Er war zu keiner Regung mehr fähig, konnte nicht einmal mehr die Hände zur Abwehr heben.

Und dann entriss sie ihm seine Seele. Der Mann konnte jetzt nicht mehr anders, er schrie seine Qual hinaus, die über jeden denkbaren körperlichen Schmerz weit hinausging. Speichel rann ihm aus dem Mund, und er hatte das Gefühl, ihm würden die Augen ausgebrannt.

Die Dunkle Frau sog ihm die Seele Stück für Stück heraus und trank sie, ihr Kehlkopf bewegte sich, als würde sie schlucken.

Es nahm und nahm kein Ende. Die Stimme des Mannes war längst zu einem heiseren Wimmern herabgesunken, obwohl die Pein nicht geringer worden war.

Erst als der letzte leuchtende Funken, der an einem dünnen Faden hing, ihn verließ, war es endlich vorbei, und er starb.

Doch er wachte wieder auf und fand sich allein. Die Königin war fort, und zwar so sehr fort, dass ihre Abwesenheit fast schmerzhaft zu spüren war.

Der seelenlose Untote versuchte, sich zurechtzufinden. Seinen neuen Zustand zu verstehen. Der Schmerz der Erinnerung brannte in ihm. Seine Haut war kühl. Er fühlte keinen Puls mehr. Das Blut in seinen Adern schien gestockt zu sein. Seine Eingeweide schrumpften zusammen, das konnte er spüren. Was einst sein Herz gewesen war, war nun schwarz und vertrocknet. Ab und zu schlug es noch, in Erinnerung an sein früheres Leben, und um das Untotendasein aufrecht zu erhalten. Es war ein Zwischendasein, begriff er nach und nach. Das untot bedeutete, dass er nicht mehr am Leben war – aber auch noch nicht ganz tot, sondern irgendwo dazwischen. Damals auf seiner Insel hatte einer seiner Gäste, der viel nach Afrika und in die Karibik gereist war, von seelenlosen Untoten erzählt, die Zombies genannt wurden. Allerdings besaßen sie keinen eigenen Willen mehr, und das traf auf den ehemaligen Conte nicht zu. Er war also etwas anderes, für das es vielleicht einen Begriff gab, den er nicht kannte. Es hätte ihn beruhigt, wenn er den Begriff gewusst hätte, denn das hätte bedeutet, dass er nicht der Einzige seiner Art war, und dass jemand, der so war wie er, ihm vielleicht weiterhelfen könnte. Zum Beispiel, wie man seine Seele wiederbekam. Oder endgültig starb.

Es war eine bittere Erfahrung und die schlimmste Bestrafung, denn nun würde er nie Erlösung finden. Was konnte er von nun an tun? Er war ein aus allen Welten Verbannter, Verstoßener, der nie mehr Freude verspürte. Nur das Leid war ihm geblieben, unveränderlich.

Ob die Königin das gewusst hatte? Vermutlich nicht, denn sie hatte davon gesprochen, dass er sterben würde, dass er sie künftig nicht mehr als Hündchen begleiten konnte. Und sie hatte Erfahrung damit, Menschen die Seele zu entreißen und zu verschlingen. Also … war er doch anders. Wie schon seit seiner Geburt, nichts hatte sich geändert. Selbst jetzt, da er kein Mensch mehr war, stach er aus der Masse hervor.

Lange saß der seelenlose Untote nur da und dachte nach. Versuchte die Erinnerungen festzuhalten, die immer flüchtiger wurden. Sie zerrannen wie Sand, flossen in die leeren Abgründe, in denen einst seine Seele geruht hatte, und erstarrten zu Schlacke.

Ablenkung gab es keine. Die Königin war fort, und niemand erinnerte sich an ihr Hündchen. Wenn er noch gelebt hätte, wäre er längst verhungert, oder zumindest verdurstet. Zeitgefühl besaß man in diesem Land nicht, ein Herzschlag konnte sich zur Ewigkeit dehnen, und die Ewigkeit nicht länger als ein Wimpernschlag dauern. Sein Magen erinnerte sich noch daran, wie er früher einst Speise und Trank genossen hatte und nörgelte ab und zu, während er immer mehr zusammenschnurrte.

Wo waren alle nur hin? Warum kam niemand hierher? War er etwa der Letzte, der zurückgeblieben war? Sollte er jetzt bis ans Ende aller Tage hierbleiben müssen, angekettet, untätig, zur ewigen Langeweile verdammt? Oder konnte er wenigstens wahnsinnig werden?

… wenn er es nicht schon längst war. Seine Gedanken waren manchmal wie zäher Brei, manchmal wie eine Springflut. Zwischendurch war er gar nicht bei Bewusstsein, wobei man dies nicht als »Schlaf« bezeichnen konnte. Es war ein Zustand, in dem er »nicht war«, und wenn er wieder zu sich kam, war es ein Sein, das »ein bisschen war«.

Es ist doch absurd, dachte das einstige Menschenhündchen verbittert, dass es überhaupt kein Ende finden soll. Ich muss dagegen etwas unternehmen.

Und damit kam endlich die Erleuchtung.

Dies war ein magisches Land, und er besaß die Anlage zur Magie. Die Königin, die hier alles unter Kontrolle gehabt hatte, war fort. Wer sollte ihn jetzt noch hindern?

Zuerst die Fußfesseln, damit er sich frei bewegen konnte. Der Seelenlose hatte keine Ahnung, was er machen musste. Die meisten menschlichen Zauberer übten Entfesselungstricks. Das war nicht nur wichtig, um die Zuschauer zu beeindrucken, sondern unter Umständen auch, um so einer Verhaftung zu entkommen. Sein Vater hatte sich gut darauf verstanden, und dem Sohn lag es ebenfalls im Blut. Geschickte Finger und Ruhe waren das einzige, was man dazu brauchte. Schlösser, Öffnungsmechanismen – darin hatte der Seelenlose sich schon als Jüngling geübt, denn er hatte damals bereits viele Feinde.

Er ließ die Ketten durch die Hände gleiten, prüfte die Fußringe. Das Metall war Bronze, keinesfalls Eisen, doch sehr gut gearbeitet, mit einem äußerst geschickten Verschluss. Und … er spürte ein seltsames Kribbeln unter der Fingerspitze, das Einzige, was zu fühlen er noch in der Lage war: Magie.

Ich bin ein Magier, dachte er. Wenn nicht hier, wo dann?

Verlieren konnte er nichts. Und er hatte so viel Zeit, wie er brauchte. Allmählich glaubte er nicht mehr daran, dass jemals wieder jemand kommen würde, um nach ihm zu sehen. Sie waren alle zu sehr mit sich beschäftigt, oder fort, genau wie die Königin.

Der Seelenlose konzentrierte sich. Er konnte sich kaum daran erinnern, was für faule Künste er auf seiner Insel ausgeübt hatte. Gedankenlesen, ein bisschen Levitation … ja, das war es. Levitation. Das musste funktionieren!

Mit verdoppelter Anstrengung ließ er seinen Willen in das Schloss der Fußfessel fließen, schob die darum gelegte Magie beiseite und schuf eine Schutzblase um sich. Es war kein Bann, nur ein einfacher Schließzauber. Die magischen Fühler tasteten nach dem Riegel, prüften ihn rundum. Nichts außer dem passenden Schlüssel konnte dieses Schloss erreichen. Und der Wille des Seelenlosen. Nein, er war ganz und gar kein Zombie, er war ein Zauberer, und zwar ein wahrer! Er tastete und fühlte, kroch immer tiefer hinein, und dann bekam er endlich den Riegel mit seinem Geist zu fassen und ließ ihn aufschnappen.

Für einen Moment fühlte er sich fast wieder lebendig, als sich die Fußfessel mit einem klickenden Geräusch von seinem Knöchel löste und zu Boden fiel. Doch er hielt sich nicht lange auf, sondern setzte die gewonnenen Erkenntnisse umgehend bei der zweiten Fußfessel ein. Diesmal ging es bedeutend schneller, da er den Mechanismus nunmehr kannte. Auch die Armfesseln waren kein Problem, der Halsring allerdings stellte eine echte Herausforderung dar. Doch auch er war schließlich besiegt, und zum ersten Mal seit seiner Gefangennahme richtete der Seelenlose sich wieder gerade auf. Seine Beine hatten keine Mühe, ihn zu tragen, und er fühlte auch keine Erschöpfung, zitternde Muskeln oder ähnliches. Das alles war vorbei. Sein Wille würde den Körper tragen, solange er untot war, egal in welchem Zustand.

Noch einmal spürte er die Erinnerung an Leben, als er aufrecht stand, frei von allen Fesseln, und sich triumphierend umsah. Endlich war er frei, und niemand konnte ihn mehr aufhalten. Er fühlte sich von der Magie des Schattenlands durchpulst, als wären sie Verwandte. Sie stärkte ihn und baute ihn auf. Eine große Wandlung hatte stattgefunden. Nachdem er die Fesseln der Sterblichkeit ebenso wie die der Gefangenschaft abgestreift hatte, konnte er nun seine ganze Macht entfalten, die schon seit seiner Geburt in ihm schlummerte, die er jedoch nie in der Lage gewesen war, gänzlich zu wecken.

Was sollte er also unternehmen? Die Herrschaft über dieses Land antreten, mit dem er sich so verbunden fühlte?

Nein. Das war zu wenig. Womöglich war niemand mehr da, den er beherrschen konnte. Er wollte zurück in die Menschenwelt und dort Rache üben. Und … dann herrschen, auf subtile Weise, langsam und schleichend. Bei den Sterblichen gab es viel mehr zu tun als hier. Und er könnte sein Leid und die Erinnerung an den Schmerz auf die Menschen übertragen. Das würde selbst einem seelenlosen Untoten wie ihm Befriedigung verschaffen!

Sein Entschluss stand fest. Es gab dorthin nur einen einzigen Weg – denjenigen, der ihn auch hierher gebracht hatte.

Kurz entschlossen schritt der Seelenlose auf die Tür zur verbotenen Kammer zu, legte die Hand auf den Griff und ließ in sich einwirken, wer ihn zuletzt berührt hatte. Die Königin, kein Zweifel. Sie war aus dem Raum hierher gekommen, hatte seine Seele getrunken und war dann wieder dorthin zurückgekehrt.

Sie hatte die Tür nicht magisch gesichert, wie dumm von ihr. Oder Plan? Falls dem so war, spielte er darin sicher keine geplante Rolle. Doch das würde er ändern. Der Untote ließ seine Levitationsmagie ein weiteres Mal wirken, und kurz darauf tat sich die Tür vor ihm auf.

Als Lebendem hätte ihm das Herz jetzt bis zum Hals geschlagen, ein Tabu zu brechen und damit einem Wesen, das mächtiger als Götter war (es gab Götter an diesem Ort, die ihr dienten), die Stirn zu bieten.

Doch in seinem jetzigen Zustand fühlte er lediglich Befriedigung seiner Macht, dass er durch nichts aufgehalten werden konnte.

Für die Einrichtung des Raums interessierte er sich nicht, er nahm sie nicht einmal wahr.

Denn an der Wand am anderen Ende, fast gegenüber der Tür, strahlte ein leuchtender Bogen, und dahinter lag ein Weg, der durch die Wand führte.

Dahin war die Königin also verschwunden. Sie war gegangen und hatte ihr Reich, ihre Untertanen im Stich gelassen.

Das Wunder allerdings war die Stabilität des Portals. Wie mochte das geschehen sein? – Es war nicht wichtig. Der Weg führte in die endgültige Freiheit, weg von faulem Elfenzauber, schalen Genüssen und schwüler Dekadenz.

Langsam schritt er auf das Portal zu, zögerte nur noch einmal kurz. Möglicherweise verlor er sich endgültig, wenn er jetzt hindurchging und die Verbindung zum Schattenland riss. Doch dann mochte es eben so sein.

Der seelenlose Untote trat durch das Portal ins gleißende Licht, und er fühlte augenblicklich, wie gewaltige Kräfte an ihm zerrten und mit sich zu reißen versuchten. Und während er voranschritt, spürte er, wie sein Körper in Flammen aufging und heißer Wind um ihn wirbelte.

Doch es war kein verzehrendes, sondern ein reinigendes Feuer. Anstatt ihn zu einem Klumpen Asche zu verbrennen, nahmen die Flammen ihm die Last der Erinnerung, den Schmerz und alles andere, und sie verjüngten ihn, bis er sich fühlte wie ein Dreißigjähriger, fast, ja, wie neugeboren, auch wenn ihm nach wie vor die Seele fehlte. Doch sein Körper erinnerte sich an Fleisch und Blut und Menschlichkeit, schuf eine Aura, die ihm eine perfekte Illusion gab. Damit konnte er unter den Menschen wandeln, ohne dass sie erkannten, wer er wirklich war. Eine Larve, wie sie die Elfen trugen, doch weitaus effektiver.

Während er lachend den Pfad zu Ende schritt, sah er schon die andere Seite auf sich zukommen, die Welt der Menschen. Er sah einen schwarz dräuenden Berg, aus dem Qualm und Lava floss, und erkannte ihn, denn es gab nur einen, der so eine Verbindung schaffen konnte.

Wunderbares Sizilien, heiße mich willkommen.

In weiter Ferne sah er drei winzige Punkte nahen. Also sollte er sich beeilen. Noch war es nicht an der Zeit, sich der Welt zu zeigen.

Das Licht floss von ihm weg, je näher er der anderen Welt kam, bald waren es nur noch zwei Schritte, und er fühlte sich großartig. Nicht lebendig, nicht tot, doch mit allem ausgestattet, was ein Mann brauchte, der ein Zauberer war.

Alles, was ihm noch fehlte, war ein Name, denn sein früherer Name war mit der alten Hülle verbrannt.

Er lächelte, denn das war einfach, es gab nur einen einzigen Namen, der der seine war.

Cagliostro.

Elfenzeit 5: Trugwandel

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