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a) Sittenwidrigkeit

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Die Rechtsprechung überprüft die Wirksamkeit von Eheverträgen zunächst anhand der Vorschrift des § 138 Abs. 1. Zur Bejahung der Sittenwidrigkeit muss eine einseitige Benachteiligung eines Ehegatten (objektives Element) und weitere aus einer Gesamtabwägung ergebende Umstände vorliegen, die den Vorwurf einer sittenwidrigen Gesinnung rechtfertigen (subjektives Element).[119] Die Grenze liegt objektiv in einer durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigten einseitigen Lastenverteilung, die für den belasteten Ehegatten unzumutbar ist.[120] Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.[121] Zur Feststellung der Benachteiligung ist eine Gesamtschau der individuellen Verhältnisse der Ehegatten – insbesondere ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse, ihres geplanten Lebenszuschnitts und die Auswirkungen der Vereinbarungen auf sie und die Kinder – vorzunehmen. Dabei ist der Umfang des Verzichts anhand der Schwere der aufgegebenen Rechtspositionen im System der gesetzlichen Scheidungsfolgen zu ermitteln.[122] Am Schwersten wiegt die Aufgabe des Betreuungsunterhalts nach § 1570. Wegen der Ausrichtung auf das Kindesinteresse unterliegt er nicht der Disposition der Ehegatten. Modifizierbar ist der Betreuungsunterhalt nur hinsichtlich der Höhe und der Dauer.

Beispiel

Ein Ehegatte, der während der Ehe ganztags die gemeinsamen Kinder betreut und keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, verzichtet in einem Ehevertrag ohne eine Kapitalabfindung auf Betreuungsunterhalt.

Beispiel

Ein Mann macht die Eheschließung mit einer schwangeren Frau davon abhängig, dass sie auf Betreuungsunterhalt verzichtet und ihn im Innenverhältnis von den Unterhaltsansprüchen des Kindes freistellt.[123]

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Als sehr gewichtig sieht der BGH[124] auch einen Verzicht auf Unterhalt wegen Alters und Krankheit §§ 1571, 1572 und einen Verzicht auf den Versorgungsausgleich als vorweggenommenen Altersunterhalt an. Geringere Anforderungen an einen Verzicht stellt der BGH dagegen bei einem Verzicht auf Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit § 1573, bei einem Verzicht auf Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalt § 1578 Abs. 2, Abs. 3[125] sowie bei einem Verzicht auf Aufstockungsunterhalt § 1573 Abs. 2 und bei einem Verzicht auf Ausbildungsunterhalt § 1575. Eine Sittenwidrigkeit ist regelmäßig anzunehmen, wenn Regelungen aus dem Kernbereich des Unterhaltsrechts ganz oder zu einem erheblichen Teil ausgeschlossen werden ohne einen Ausgleich dieser Nachteile durch anderweitige Vorteile z.B. durch eine Kapitalabfindung zu gewähren.[126] Ein solcher Vorteil ist nicht das Eheversprechen als solches.[127] Nicht zum Kernbereich gehört dagegen der Zugewinnausgleich, auf den auch ohne eine Gegenleistung verzichtet werden kann.

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Für die Annahme der Sittenwidrigkeit genügt allerdings ein objektiv einseitiger Vertragsinhalt nicht. Es sind vielmehr zusätzlich weitere Umstände erforderlich. Diese können sich aus der erheblichen Störung der Privatautonomie des benachteiligten Ehegatten ergeben. Subjektiv sind der mit dem Ehevertrag verfolgte Zweck und die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen.[128] Der vollständige Ausschluss des Versorgungsausgleichs kann auch bei einer Alleinverdienerehe der ehevertraglichen Wirksamkeitskontrolle standhalten, wenn die wirtschaftlich nachteiligen Folgen dieser Regelung für den belasteten Ehegatten durch die ihm gewährten Kompensationsleistungen (hier: Finanzierung einer privaten Kapitalversicherung; Übertragung einer Immobilie) ausreichend abgemildert werden.[129] Das Gesetz kennt indessen keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zugunsten des berechtigten Ehegatten, so dass auch aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen nur dann auf die weiter erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden kann, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt. Eine lediglich auf die Einseitigkeit der Lastenverteilung gegründete tatsächliche Vermutung für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit lässt sich bei familienrechtlichen Verträgen nicht aufstellen. Ein unausgewogener Vertragsinhalt mag zwar ein gewisses Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Gleichwohl wird das Verdikt der Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt sein, wenn außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit, hindeuten könnten.[130] Die Ausnutzung einer Zwangslage kommt insbesondere bei vorsorgenden – anlässlich der Eheschließung oder in Zusammenhang mit einer Schwangerschaft – geschlossenen Eheverträgen in Betracht. Die Schwangerschaft ist aber nur ein Indiz für die Unterlegenheit des benachteiligten Ehegatten bei einem evident einseitigen Ehevertrag.[131] Ein Ausgleich der Unterlegenheit kann durch die Vermögenslage, die berufliche Qualifikation und die von den Ehegatten angestrebte Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit erfolgen.[132] Die Sittenwidrigkeit kann auch in der Schädigung eines Dritten liegen.[133] Das ist der Fall, wenn ein Ehegatte auf Unterhalt oder Versorgungsausgleich zu Lasten der Sozialhilfe verzichtet. Gleiches gilt, wenn ein geschiedener Ehegatte wegen den im Ehevertrag vereinbarten hohen Unterhaltszahlungen Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss.[134]

Hinweis

Die Sittenwidrigkeit eines Teils des Ehevertrags führt nach § 139 BGB zu Gesamtnichtigkeit des Vertrags. Die Gesamtnichtigkeit kann durch eine salvatorische Klausel verhindert werden.[135]

Selbst wenn die ehevertraglichen Einzelregelungen zu den Scheidungsfolgen jeweils für sich genommen den Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht zu rechtfertigen vermögen, kann sich ein Ehevertrag im Rahmen einer Gesamtwürdigung als insgesamt sittenwidrig erweisen, wenn das Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten abzielt.[136]

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