Читать книгу Tod in Nastätten - Ute Dombrowski - Страница 10
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ОглавлениеDer Kommissar hatte Jennifer an der Pizzeria aussteigen lassen, damit sie schon mal das Mittagessen bestellte. Er selbst hatte sich auf den Weg zu Günther Betzberger gemacht, der seit einem halben Jahr in Holzhausen wohnte. Reiner parkte direkt vor der Linde mitten im Kreisverkehr, stieg aus und zündete sich eine Zigarette an. Das alte Fachwerkhaus machte einen guten Eindruck. Die weißen Gefache strahlten hell zwischen den dunklen Balken. Ein kleiner Vorgarten beherbergte Büsche und Sträucher. Das Gartentor stand offen.
Reiner ging den Weg zur Haustür hinauf und trat seine halb gerauchte Zigarette auf der oberen Stufe aus, dann klingelte er. Anscheinend hörte ihn niemand, denn auch nach mehrfachem Sturmklingeln öffnete keiner. Es musste aber jemand zuhause sein, denn er hörte Geschrei.
Kurz entschlossen lief er um das Haus herum und sah im Hof einen Mann mit wirrer Haarpracht, der lautstark mit einer Frau stritt. Er blieb stehen und lauschte. Die Frau schüttelte jetzt den Kopf, der Mann lachte gehässig.
„Dass ich nicht lache. So eine Schlamperei. Ihr habt behauptet, dass ihr mir alle Schlüssel gegeben habt!“
„Herr Betzberger, die Kellertür ist doch schon seit Jahren offen. Es gibt dafür keinen Schlüssel mehr. Der war damals schon weg, als Frank und ich das Haus gekauft haben.“
„Fräuleinchen, das ist mir egal. Ich will alle Schlüssel haben und wenn ich alle sage, dann meine ich auch alle.“
Jetzt rief ein Nachbar, den Reiner nicht sehen konnte, weil er wahrscheinlich aus einem Fenster schaute: „Anna, brauchst du Hilfe?“
„Nein, nein, Jupp, ich komme klar.“
Günther hob den Arm gegen den Nachbarn und rief: „Nimm deinen Kopf rein, Jupp, sonst komme ich hoch. Und du, meine Liebe, geh heim und suche den Kellerschlüssel. Sonst verklage ich dich und deinen tollen Frank.“
„Wissen Sie was, Herr Betzberger?“, sagte die junge Frau ruhig, „dann zeigen Sie uns eben an. Viel Spaß. Vielleicht schnitzen Sie sich auch einen Schlüssel, denn es gibt keinen. Auf Wiedersehen!“
Sie drehte sich um und stieg in ihr Auto. Den Kommissar an der Hausecke würdigte sie keines Blickes. Reiner trat näher.
„Gude, sind Sie Günther Betzberger?“
„Wer will das wissen?“
Reiner hielt seinen Dienstausweis direkt vor Günthers Nase. Günther schob die Hand weg und sah mit vor Wut blitzenden Augen in die Richtung, in der das Auto der Frau verschwunden war.
„Ich hasse dieses Weib. Ich hasse ganz allgemein solche vorlauten Weiber. Die denkt, sie ist sonst wer. Lehrerin! Dass ich nicht lache.“
Reiner nickte, denn er verstand sofort, was der Mann meinte. Er musste an Undine denken, die ähnliche Gefühle in ihm ausgelöst hatte.
„Ich stimme Ihnen zu, aber eigentlich muss ich mit Ihnen über den Mord in Nastätten reden.“
„Na, dann kommen Sie mal rein in mein heiliges Reich.“
Der Innenhof war betoniert, vor kurzem hatte es noch einen hohen Holzzaun gegeben, aber den hatte Günther abgerissen, um das Material für seine Kunstwerke in die Scheune zu transportieren. Er musste mit dem Traktor rückwärts hineinfahren können, also hatte er sich Platz verschafft. Die abgebauten Zaunfelder lehnten an der Mauer des Schuppens, achtlos waren die Blumen und Kräuter heruntergetreten worden. Hinter dem Holz kämpfte eine Clematis uns nackte Überleben. Einige Stauden, die wahrscheinlich am Zaun gestanden hatten, waren mit den Wurzeln ausgerissen und ebenfalls am Schuppen aufgeschichtet worden. Alles war vertrocknet und sah traurig aus.
Mitten im Hof stand ein etwa zwei Meter hoher Baumstamm, den Günther von der Rinde befreit hatte. Das glatte Fichtenholz duftete. Reiner schloss die Augen, fühlte sich wie im Wald und atmete tief ein und aus.
„Das fährt einen runter, oder?“, fragte er und ließ seine Hand über das Holz gleiten.
„Da können Sie einen drauf lassen. Wenn ich hier arbeite, dann ist mein Kopf frei. Die Säge findet ihren Weg durch das Holz.“
„Was wird aus dem hier?“
„Ein Grizzly, der kommt in einen Vorgarten in Oelsberg. Wollen Sie auch einen?“
„Nein. Ich wohne zur Miete und habe keinen Vorgarten. Jetzt mal zu dem Toten. Wie war das an dem Abend? Erzählen Sie!“
Günther sagte nichts anderes als Undine und Silke, also stieg die Enttäuschung schon wieder in Reiner hoch wie die Magensäure, wenn man Sodbrennen hatte. Er fragte sich: Was habe ich denn erwartet? Jonas Beilank war in den frühen Morgenstunden getötet worden, da lagen die Künstler in ihren Betten und träumten vom nächsten Kunstwerk.
„Kommen Sie, ich zeige Ihnen mein Holz.“
Reiner folgte Günther zur Scheune, deren großes Tor er weit aufzog. Davor lag ein weiterer Stamm, der die Form eines liegenden Hasen hatte. Nur die Ohren und das Gesicht mussten noch aus der unförmigen Kugel an der Vorderseite herausgeschnitten werden. Links daneben in einer Nische gab es einen Schreibtisch und auf dem türmten sich Skizzen, ein alter Ledersessel war unter die Tischplatte geschoben. Günther schaltete in der Scheune das Licht an und jetzt konnte Reiner überall dicke, lange Fichtenstämme erkennen. Einige lagen links an der Seite, andere trockneten unter der hohen Decke. Ihr Duft erfüllte den ganzen Raum. Rechts stand eine lange Werkbank. Dort reihten sich Kettensägen mit unterschiedlich großen Schwertern nebeneinander. An einem Brett an der Wand befand sich weiteres Werkzeug, alles akribisch geordnet und sauber.
„Was kostet so ein Kunstwerk?“
Günther lachte und winkte ab.
„Es gibt Teile, die ich verschenke, aber der Bär da draußen kostet sechshundert.“
„Ah ja. Und das macht auch sicher Krach, oder?“
Nun grinsten beide Männer.
„Mir egal“, erklärte Günther trocken, „wenn ich eine Idee habe, dann muss ich arbeiten. Basta. Die Kunst kennt keine Nachtruhe. Sie werden sicher mal recherchieren, darum sage ich es Ihnen gleich: Ich habe schon einige Anzeigen bekommen. Dieses Volk hier ist spießig von Kopf bis Fuß. Wenn du nicht um eins die Schnauze hältst und dein Werkzeug fallenlässt, rufen die die Bullen. Aber ich habe das immer bezahlt und fertig. Schließlich habe ich genug Kohle. Und der tote Kerl interessiert mich auch nicht die Bohne.“
In diesem Moment schien es, als würde ein Ruck durch Günther gehen und er spuckte auf den Boden. Ohne Reiner eines weiteren Blickes zu würdigen, lief er hinaus und warf die Kettensäge an. Reiner hielt sich die Ohren zu und verließ grußlos den Hof. Unter der Linde kam ihm Jennifer mit zwei Pizza-Kartons entgegen.
„Das ist nicht dein Ernst?“, fragte sie, als sie sah, wie Reiner geparkt hatte.
„Was denn? Willst du die Polizei rufen?“
Reiner lachte, griff nach der Pizza und setzte sich gemütlich unter die Linde. Jennifer nahm neben ihm Platz und sie aßen schweigend.
„Komm“, sagte er später kauend und stand auf. „Wir fahren nochmal nach Nastätten und sehen nach, was diese Weiber machen.“
„Darf ich nicht mal aufessen?“
„Das kannst du im Auto machen. Ich fahre.“