Читать книгу Tod in Nastätten - Ute Dombrowski - Страница 4
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ОглавлениеKommissar Reiner Nickich warf seine Zigarettenkippe in den Busch am Wegesrand und kam schnaufend näher. Er schien immer in Eile zu sein, sah man ihn mal irgendwo stillsitzen, war er mit großer Sicherheit krank. Sein Husten durchbrach die morgendliche Stille. Es war noch nicht ganz hell. Ein Streifenwagen und ein Rettungswagen standen vor einem offenen Gartentor und versperrten den Fußweg nach Buch. Eine junge Frau in Sportkleidung saß weinend im Gras.
„Ei, gude!“, rief der Kommissar wie immer lauter als nötig. „Was ist los? Eine Leiche in Nastätten? Wie geht das denn?“
Der Streifenpolizist, der auf Reiner zugekommen war, kannte den Ruf des Kommissars und blieb sachlich. Er wollte sich nicht dem scharfen Spott des Mannes aussetzen, wenn er etwas Falsches sagte.
„Guten Morgen, Kommissar Nickich, die junge Frau dort hat ihn gefunden. Niemand hat ihn angerührt.“
„Wo bleibt denn die Spusi? Wir sind zusammen losgefahren. Na, wahrscheinlich finden die den Weg nicht. Gut, dass ihn niemand angerührt hat, ich hätte euch den Kopf abgerissen. Seid ihr euch denn sicher, dass er tot ist?“
„Ähm, ich … ja, keine Ahnung. Er liegt da und hat ein Messer in der Brust. Und …“
„Ach ja? Und wenn er nun noch gelebt hat? Haben Sie etwa nicht nachgesehen?“
„Ich dachte, ich fasse mal lieber nichts an. Weil er doch wirklich tot aussieht.“
„Na prima“, grollte Reiner und ging in Richtung des Toten.
Dort beugte er sich so weit wie möglich hinüber und tastete den Puls am Hals. Dann richtete er sich auf.
„Er ist tot. Glück gehabt, Herrschaften. Ah, da kommen ja die lieben Kollegen.“
Reiner sah den beiden Männern von der Spurensicherung, die jeder einen Koffer in der Hand trugen, mit in die Taille gepressten Fäusten entgegen.
„Seid ihr noch irgendwo eingekehrt? Wir haben einen Toten.“
Rudolf Gronker, der Reiner seit Jahren kannte, ignorierte dessen rohen Charme im Umgang mit seinesgleichen, denn er wusste, dass dieser Mann das Herz am rechten Fleck hatte und sich immer so verhielt. Er wusste, wie man Reiner sehen sollte: Hunde, die bellen, nimmt man ernst.
„Guten Morgen, Herr Kollege. Wissen wir schon, wer der Mann ist?“
„Nein“, sagte Reiner. „Er ist unbekannt. Wenn du ihn durchsuchst, findest du vielleicht einen Ausweis. Ich geh mal und rede mit dem Mädel, das ihn gefunden hat.“
Er lief zurück zu der offenen Gartentür, aber das Mädchen war nicht mehr da. Wütend betrat er über die kleine Brücke das Grundstück und fand seine Zeugin auf einer Bank an der Remise, wo es soeben von einer bunten Frau in eine Decke gehüllt wurde.
„Sie sind eine wichtige Zeugin! Sie können doch nicht einfach abhauen!“, fauchte er los und sah die Bunte an. „Wer sind Sie denn?“
„Ich bin Undine Nithritz und wohne hier. Und wenn Sie weiter so unverschämt sind, werfe ich sie raus. Guten Morgen, Herr?“
„Reiner Nickich, Kommissariat Sankt Goarshausen. Ich untersuche den Mord an Ihrem Gartenzaun.“
Undine trug eine weite orange Hose, eine lange grüne Bluse, dazu blaue Schlappen und sie hatte ein pinkfarbenes Handtuch um die nassen Haare geschlungen. Sie schüttelte den Kopf über den dreisten Kerl, der sich aufführte, als wäre er der König von Nastätten.
Hinter ihm sagte plötzlich eine glasklare Stimme: „Guten Morgen, ich bin Jennifer Fonnach, die etwas freundlichere Assistentin dieses netten Herrn. Hallo, Kollege. Ich komme aus Limburg, also hat es ein wenig gedauert.“
„Schon wieder ein neuer Kerl?“
„Keine Sorge, Chef, ich war bei einer Freundin das Baby anschauen.“
Reiner rollte mit den Augen und wendete sich wieder der Zeugin zu. Als er Jennifer vor zwei Jahren zugeordnet bekam, war er wütend zu seinem Vorgesetzten gerannt und hatte protestiert, wie immer lautstark. Der Dienststellenleiter war ruhig geblieben und hatte ihm angedroht, ihn nach Timbuktu zu versetzen, wenn auch nur die kleinste Beschwerde über ihn aus dem Munde der jungen Kollegin kommen würde. Reiner hatte sich auf die Unterlippe gebissen und widerwillig geschwiegen.
Er hatte nur gedacht: So ein Püppchen wird hier nicht alt, die ist viel zu weich für das Geschäft. Aber dann hatte sie direkt in der ersten Woche durch ihr schnelles Handeln eine Frau, die in die Lahn gesprungen war, vor dem Ertrinken gerettet, indem sie einfach hinterhergesprungen war. Sie waren in Koblenz gewesen, der Kommissar wollte der Zugereisten die Welt zeigen und fuhr die Lahnroute. Dass es Nacht war, störte ihn herzlich wenig. Die Frau hatte in Nassau auf der Brücke gestanden und war eben über das Brückengeländer verschwunden, als das Auto die Brücke überquerte. Sie hatten gehalten, Jennifer hatte im Rennen Jacke und Schuhe abgestreift und war der Frau gefolgt.
Reiner hatte sie hinterher gelobt. Aber nur ein bisschen. Er wollte ja nicht, dass sie sich etwas darauf einbildete.
Jennifer setzte sich zu dem Mädchen auf die Bank und befragte sie nach dem Auffinden der Leiche.
„Ich laufe immer morgens vor der Schule“, schluchzte die Angesprochene. „Da ist nie jemand unterwegs. Und dann … und dann lag er da. Ich habe mich so erschrocken. Ich dachte erst, das ist ein Besoffener, der in die Bach gefallen ist, aber plötzlich habe ich das Messer gesehen.“
Jennifer, die aus Potsdam stammte, lief jedes Mal ein eisiger Schauer über den Rücken, wenn jemand „die Bach“, „neber“ oder „anderster“ sagte, aber das war hier nun mal so üblich, also schluckte sie wie immer eine Verbesserung hinunter. Die junge Frau erzählte nun, dass sie die Polizei gerufen und es nicht gewagt hatte den Mann anzufassen.
„Danke, wenn Sie mir jetzt noch Ihren Namen sagen und den Ausweis zeigen, dann können Sie auch schon gehen.“
„Ich … ich habe … ich habe keinen Ausweis dabei, aber Frau Nithritz kennt mich. Ich bin Corinna Hönn.“
Undine nickte, als sie auch die Adresse des Mädchens bestätigte. Dann nahm sie mit einem sanften Lächeln die Decke zurück und schob das Mädchen in Richtung Ausgang.
„So, jetzt ist es genug mit der Kuschelei, kennen Sie den Toten?“, bollerte Reiner in Richtung Künstlerin.
„Ich habe den Toten ja noch nicht mal gesehen. Wie kann ich ihn da kennen?“
„Ja, dann kommen Sie mit! Warum sind Sie denn so ruhig? Haben Sie etwas mit dem Mord zu tun?“
„Ich bin nur äußerlich ruhig und kann mich im Gegensatz zu anderen Menschen benehmen“, konterte Undine.
Schnaufend stapfte der Kommissar voraus, Undine und Jennifer folgten. Die junge Kommissarin war fasziniert von diesem Zaubergarten, der auch im erwachenden Morgenlicht seine Überraschungen preisgab.
„Ich liebe diesen Garten“, flüsterte Jennifer hinter vorgehaltener Hand.
„Sie können sich gerne ein bisschen umsehen, aber erst, wenn wir die Leiche angeschaut haben“, flüsterte Undine zurück.
Jennifer nickte und jetzt waren sie auf dem Bucher Pfädchen angekommen, wo die Spurensicherung ihrer Arbeit nachging. Der Tote lag noch so da wie vorher, nämlich auf dem Rücken, schräg auf der Uferböschung des kleinen Baches. Er trug einen hellen Mantel, unter dem dunkle Hosenbeine hervorschauten. Die Füße waren nicht zu sehen, denn sie lagen im Wasser. In der Brust des Opfers steckte ein Messer und nur noch der Griff schaute heraus.
Jetzt hatte der Fotograf, der kurz nach der Spurensicherung eingetroffen war, seine Arbeit beendet und gab den Tatort frei.
„Ihr könnt ihn einpacken und in die Gerichtsmedizin bringen.“
Undine hatte mit sehr sachlichem Blick die Szene verfolgt, nun tippte sie Reiner an.
„Der Mann ist aus Berlin.“
Der Kommissar fuhr herum.
„Ah ja, und das sehen Sie woran?“
„Ich sehe es nicht, ich weiß es. Er war gestern nach der Ausstellung in unserem Garten.“
Sie fasste den Ablauf des Abends zusammen und Jennifer machte sich Notizen. Reiner drehte sich zu der Leiche um, denn Rudolf hatte ihn gerufen. Der Fotograf und der Techniker sahen erschrocken aus.
„Was ist denn noch?“
„Da!“
„Was?“
„Der Finger.“
„Was ist das denn für ein Quatsch?“, brummte Reiner, der nun auch das gesehen hatte, was ihm der Kollege von der Spurensicherung zeigen wollte.
Unter dem linken Ärmel war beim Ablegen im Zinksarg die Hand zum Vorschein gekommen und an dieser fehlte der linke kleine Finger. Er war sauber abgetrennt worden.
„Liegt der hier irgendwo?“, fragte Reiner.
„Wer?“
„Der Finger!“
„Ich habe keinen gesehen. Du?“
Rudolf Gronker war an den Zinksarg getreten und schüttelte den Kopf.
Die Männer standen wortlos neben dem Toten. Reiner ahnte, dass dieser Fall ihm noch viel Arbeit machen würde.
„Es wird doch wohl keinen Mafia-Mord in diesem Nest geben. Das geht überhaupt nicht. Wehe, es dringt irgendwas von dem Finger an die Presse durch. Dann drehe ich euch durch den Fleischwolf.“
Er sah Undine böse an, die sich nun auch neugierig über den Sarg gebeugt hatte. Sie machte immer noch einen sehr gefassten Eindruck.
„Das ist ja interessant“, sagte sie aufgeregt. „Aber warum liegt er denn genau am Rande meines Gartens?“
Reiner baute sich vor ihr auf.
„Das werden wir schon noch herausfinden. Übrigens gilt auch für Sie, dass nichts an die Presse gelangt. Das würde die Ermittlungen behindern.“
Jennifer war zu ihnen getreten.
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir den Fall behalten dürfen? Da kommen sicher die Großen und nehmen ihn uns weg.“
„Ach was! Den Fall lösen wir und basta. Jetzt ist Urlaubszeit, da sind die Leute froh, wenn sie nicht hier rauskommen müssen. Hat der Mann Ihnen gestern Abend seine Namen gesagt?“
„Nein, er hat uns nur das Bild gezeigt und die Geschichte erzählt. Er wollte auch nur ein Glas Wasser und ist in Richtung Stadt weggegangen. Vorne durch das Tor.“
„Na gut, dann halten Sie sich zu unserer Verfügung und schreiben mir eine Liste der Künstler mit Namen und Adressen auf. Meine Kollegin wartet so lange. Ich muss jetzt was schaffen.“