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Reiner war in die Stadt gelaufen und sah sich dort um. In der Apotheke kaufte er sich Hustenbonbons, am Schuhladen und am Blumengeschäft ging er achtlos vorbei. Weil ihm Leute auf dem schmalen Fußweg entgegenkamen, fluchte er und lief einfach über die Straße. Ein Autofahrer hupte wild, aber der Kommissar schaute sich nicht einmal um, er drohte nur mit der Faust nach hinten.

An der nächsten Kreuzung blieb er vor dem Fotogeschäft stehen und nahm sein Handy aus der Jackentasche. Die bunten Auslagen beachtete er gar nicht.

„Wo bleibst du denn?“, bellte er.

„Keine Panik, Chef, ich sehe dich dort stehen. Aber ich muss noch einmal rund fahren, denn hier gibt es nur Einbahnstraßen. Außerdem stehst du auf der falschen Seite.“

„Papperlapapp, beeil dich.“

Nach zwei Minuten hupte Jennifer und musste mitten auf der Kreuzung halten, denn Reiner hatte sich nicht bewegt. Gelassen überhörte er das erneute Hupen hinter sich und stieg ein. Er streckte die Beine aus und Jennifer fuhr weiter.

„Wie war es?“

„Wie war was?“

„Dein Besuch bei Undine Nithritz.“

„Ich mag diese arrogante Person nicht. Sie ist so … so … altklug. Und irgendwas hecken die aus. Ich befürchte, sie wollen Detektiv spielen.“

„Na dann müssen wir sie im Auge behalten. Nicht, dass es noch eine Leiche gibt.“

„Jaja. Hast du den Obduktionsbericht?“

„Hinter dir.“

Reiner drehte sich um und nahm den grünen Ordner in die Hand. Er blätterte kurz darin und fragt dann Jennifer, ob sie das alles schon gelesen hatte. Die junge Frau kannte ihren Chef und grinste.

„Klar, aber wie wäre es denn mal, wenn du das selbst liest?“

„Wozu sollten wir das denn beide lesen? Also los, rede! Aber nur die Kurzfassung und ohne Fremdwörter.“

Jennifer seufzte.

„Jonas Beilank wurde erstochen. Mit einem Messer. Die Klinge ist achtzehn Zentimeter lang. Ein herkömmliches Küchenmesser. Der Stichkanal geht zwischen zwei Rippen hindurch und hat das Herz getroffen. Aber – und jetzt wird es spannend – er ist nicht an dem Messerstich gestorben.“

„Woran denn dann? Ertrunken ist er ja wohl kaum.“

„Nein, Chef. Er hat sich wohl sehr aufgeregt, als er seinen Mörder getroffen hat. Der Mann hatte einen Herzinfarkt.“

„Wie dämlich, dann ist es ja gar kein richtiger Mord.“

„Doch, er wäre nach ein paar Minuten auch an dem Stich ins Herz gestorben.“

Die beiden schwiegen, bis Reiner an der Tankstelle nach links zeigte.

„Was machen wir hier? Das ist doch das Industriegebiet?“

„Hier wohnt die Stofftante. Den Namen habe ich vergessen. Silke irgendwas.“

„Silke Rösbert, zweiundvierzig“, erklärte Jennifer, die sich Informationen, die sie einmal gehört hatte, sofort merken konnte. „Sie macht aus Stoff Kunstwerke wie Bilder und Decken. Patchwork. Weißt du, was das ist?“

„Nein, ich bin ja ein Mann, da kennt man so einen Quatsch nicht. Mann, diese Kunstheinis gehen mir auf die Nerven.“

Jennifer schüttelte den Kopf über so viel Ignoranz. Reiner war ja immer sehr ruppig, aber irgendetwas war dieses Mal anders. Seit er von Undine Nithritz gekommen war, wirkte er noch abweisender. Was hatte die Frau mit ihm gemacht?

Sie waren angekommen und parkten vor dem Haus, das noch nicht ganz fertig war. Als sie klingelten, öffnete eine freundlich blickende Frau die Tür. Ehe sie fragen konnte, was die Besucher von ihr wollten, hielt ihr Reiner den Dienstausweis vor die Nase.

„Sie kommen wegen des armen Mannes, der bei Undine getötet wurde? Ach, was für ein schlimmes Schicksal. Kommen Sie doch herein und setzen Sie sich. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

Reiner schüttelte nur den Kopf und blieb am Fenster stehen. Jennifer stellte sich und ihren Chef vor und bat um ein Glas Wasser. Silke lief leichten Schrittes in die Küche und holte eine Karaffe und ein Glas für Jennifer, die sich an den großen Esstisch gesetzt hatte, hin. Sie nahm neben ihr Platz.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Bitte erzählen Sie mir und meinem Kollegen, wie der Abend vor dem Mord abgelaufen ist. An diesem Wochenende war eine Ausstellung?“

„Ja“, sagte Silke und nickte, „obwohl wir uns alle mit sehr unterschiedlicher Kunst beschäftigen, hat Undine es doch geschafft, uns an einen gemeinsamen Tisch zu bringen. Wir haben die Ausstellung lange vorbereitet und sie soll in den nächsten Jahren immer mal wieder stattfinden. Es war ein sehr erfolgreiches Wochenende. Als wir am Sonntag noch zusammensaßen, tauchte plötzlich dieser Mann auf.“

„Er heißt Jonas Beilank“, fiel ihr Reiner ins Wort. „Kommt Ihnen der Name bekannt vor?“

„Nein, ich kennen niemanden mit diesem Namen. Er war sehr höflich und wir waren fast alle sehr ergriffen von seinem erstaunlichen Schicksal. Wenn man nach so langer Zeit seine leibliche Tochter sehen kann, von der man bis dahin nichts gewusst hat, dann ist das ganz schön aufregend.“

„Wer war denn nicht so ergriffen?“, fragte Reiner.

„Die Männer, die sich über Politik unterhalten hatten. Sie haben sich nicht stören lassen. Aber so sind die Männer: Gefühle sind nichts für sie.“

Jennifer grinste und übernahm das Gespräch wieder, denn sie befürchtete, dass Reiner eine Grundsatzdiskussion über Gefühle mit Silke vom Zaun brechen würde.

„Haben Sie das Kind auf dem Foto vorher schon mal gesehen?“

„Nein, ich habe es nicht erkannt. Auch die anderen nicht. Für Bea war das ganze Thema sehr aufreibend. Ihr Kind ist schon eine Weile tot. Sie war sehr ergriffen und ist ins Haus gerannt, wo sie dann geweint hat.“

„Woher wissen Sie das?“

„Ich bin ihr hinterhergelaufen, obwohl mich Günther nicht gehenlassen wollte. Er ist aber auch ein ungehobelter Klotz und angetrunken war er auch, dann ist er immer sehr ekelhaft.“

Dabei sah Silke Reiner an und es sah aus, als überlegte sie, ob Reiner auch so drauf war wie Günther. Der Kommissar kam sehr unhöflich rüber, dabei sah er gar nicht mal schlecht aus. Er mochte Mitte vierzig sein, hatte noch volles Haar, aber der Zug um seinen Mund machte ihn unnahbar. Seine Augen waren blau und wenn er sprach, schossen Blitze aus ihnen hervor. Aber Silke ahnte, dass er mit einem Lächeln im Gesicht ein ganz anderer Mensch war. Sie fragte sich: Was wohl sein Schicksal ist, das ihn so bitter gemacht hat?

„Was wissen Sie über Undine Nithritz? Warum lag der Tote denn ausgerechnet in ihrem Garten?“, fragte Reiner, der den forschenden Blick von Silke wahrgenommen hatte.

„Sie ist eine herzensgute Frau, die immer für andere da ist. Genaugenommen lag der Tote nicht in ihrem Garten, sondern draußen auf dem Bucher Pfädchen. Es gibt mit Sicherheit keinen Zusammenhang mit Undine und dem Hof.“

Reiner ärgerte sich direkt wieder über die Belehrung und den dazugehörigen Tonfall, aber er schluckte nur.

„Wie können Sie da so sicher sein?“, fragte Jennifer.

„Wir Künstler sind sensibel und würden niemals morden.“

„Das sagen sie alle“, brummte Reiner und stieß sich vom Fensterbrett ab. „Komm, Jennifer, wir machen woanders weiter. Das bringt hier nichts.“

Silke begleitete sie an die Tür.

Dort sagte sie nochmal: „Wir sind keine Mörder. Sie müssen wohl an einer anderen Stelle suchen.“

„Das werden wir ja sehen.“

Reiner war enttäuscht, weil er sich mehr von dem Gespräch versprochen hatte, aber diese Künstler lebten in ihrer eigenen Welt. Er war sich sicher, dass einer von ihnen mit dem Mord zu tun hatte.

Jetzt lachte Silke und sagte: „Sie müssen wohl immer das letzte Wort haben.“

„Natürlich, auf Wiedersehen.“

Damit folgte er Jennifer, die schon am Auto angekommen war.

„Wohin jetzt?“

„Zu Sheila Neuhausen brauchen wir nicht, die ist von der Ausstellung direkt in den Urlaub nach Kanada geflogen.“

„Dann Günther Betzberger, Holzhausen. Hopp, danach will ich Mittag essen. Ich lade dich ein. Pizza oder sowas.“

Tod in Nastätten

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