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3. Kapitel

Wo ich von Neandertalern träume und Sandra meinem Vater hinterher­ spionieren will

Am Sonntag hatte es wieder heftig zu schneien begonnen und mein Vater machte einen auf Familie. Wahrscheinlich hatte seine Mätresse keine Zeit.

Ob die wohl verheiratet war, ob sie Kinder hatte, überlegte ich. Aber wenn sie so jung war, wie Sandra annahm, konnte sie höchstens ein Baby haben. Ich spürte, wie neben meinen kleinen, grauen Hirnzellen, auch die Schweißdrüsen in meinen Achselhöhlen zu arbeiten begannen: Womöglich hatte mein blöder Vater dieser Zicke auch noch ein Kind gemacht. Mit oder ohne Strumpfhosen. Ein Halb-Geschwisterchen von Anita!

„Ich passe nicht auf euer Monsterbaby auf, das sag ich euch gleich!“, entfuhr es mir wütend. Julian sah mich verwirrt an.

„Was sagst du, Tilda?“ Papa blickte irritiert zu mir hinüber.

Wir hockten alle um den niedrigen Wohnzimmertisch. Unsere Knie stießen an die Tischkante. Mein Vater wollte doch tatsächlich Gesellschaftsspiele mit uns veranstalten, wie vor fünf oder sechs Jahren noch! Julian hatte begeistert verknitterte Quartettkarten aus seinem Zimmer geholt, auf denen die Helden seiner Lieblingsserie Star Wars abgebildet waren. Nur meiner Mutter zu Liebe machte ich diesen Schrott mit. Sie spürte, wie gerne ich mich zurückgezogen hätte, und warf mir bittende Blicke zu. Angewidert hielt ich die von neunjährigen Kinderpfoten versifften Karten zwischen spitzen Fingern. Meine Eltern ignorierten es.

Am nächsten Morgen hätte ich fast meinen Bus verpasst. Ich wollte gerade das Haus verlassen, da fiel mir ein, dass wir heute eine Mathe-Arbeit schreiben würden. Weder hatte ich mich vorbereitet, noch konnte ich mein MatheBuch jetzt finden. Nur wegen dieser dämlichen Quartettspiele! Ich wusste, dass das nicht stimmte. Ich hatte die Arbeit ganz einfach vergessen. Aber trotzdem!

Auf keinen Fall wollte ich jedoch meine zickige Banknachbarin Anita um Einblick in eines ihrer sauber eingebundenen Heiligtümer bitten.

„Wer suchet, der findet“, murmelte ich daher bissig. Wie immer, wenn ich knapp dran war, huschte meine

Mutter wie ein aufgescheuchtes Huhn von der Küche in den Flur hin und her.

„Dass du auch nie einen fester Platz für deine Schülbucher hast“, zeterte sie.

Ich suchte und fand das Buch schließlich unter meinen Klamotten unterm Bett.

Als ich an Mama vorbei auf die Straße schoss, sah ich aus den Augenwinkeln meinen Vater im Wohnzimmer auf der Couch liegen. Wie lange spielte der eigentlich noch den Kranken? Seit einigen Wochen hatte ich ihn nicht mehr am Schreibtisch gesehen. Aber zu Autofahrten mit der Freundin reicht es noch, dachte ich verärgert.

Ich joggte durch matschig-graue Schneereste auf gestreuten Bürgersteigen und nahm mir ganz fest vor, bald mal etwas für meine Figur und meine Kondition zu tun.

Mein kleiner Bruder stand bereits an der Bushaltestelle und warf mir einen verächtlichen Blick zu. Er war schlank wie mein Vater und pünktlich wie ein Handfeger. Der Bus war gerade angekommen.

Wir beide und noch weitere etwa zehn Schüler und Schülerinnen unserer Gesamtschule stiegen ein. Im Bus war es noch kühl. Es roch nach feuchter Kleidung und schlechtem Atem. Wenn der Bus an unserer Bushaltestelle anhielt, hatte er schon mindestens zwanzigtausend andere Haltestellen angefahren und alle Plätze waren besetzt.

Ich hasste es, morgens in den vollen Schulbus zu steigen. Sobald die Türen sich schlossen und der Bus anfuhr, war man mit einer kreischenden Horde neunjähriger Halbidioten eingepfercht. Man musste sich an einer kalten Metallstange festhalten, wurde ständig gepufft und gestoßen und musste sich die Abenteuer aus Star Wars, Episode Eins bis Unendlich ins Ohr brüllen lassen. Da die Fensterscheiben von all den Ausdünstungen dieser unappetitlichen Ungeheuer beschlagen waren, konnte man sich nicht einmal mit einem attraktiven Ausblick ablenken. Verdrossen hing ich an diesem Morgen meinen Gedanken nach.

Anita saß bereits aufrecht an ihrem Platz und blickte mir selbstbewusst entgegen. Sie hatte ihr Haar zu einem ordentlichen Zopf gebunden, hatte perfektes Make-up aufgelegt und in dem Ausschnitt ihres schwarzen, fein gerippten Pullis blitzte dezent das Silberkettchen mit dem Anhänger. Ich stellte mir meinen Vater und Anita in unserem grünen Astra vor und blickte sie feindselig an.

„Und?“, fragte sie, als ich ächzend meine Tasche abgestellt hatte und meine Sachen für die erste Stunde herauskramte: „Hast du für Mathe gelernt?“

„Klar“, log ich. Auf keinen Fall würde ich Anita jetzt um Hilfe bitten. Ich begann, im Mathe-Buch zu blättern. Hoffentlich würde ich mir noch schnell ein paar Formeln einprägen können.

In der ersten Stunde hatten wir Englisch. In Englisch hatte ich noch nie echte Probleme gehabt. Ich war so gut, dass mich unsere Englischlehrerin oft einfach übersah. So konnte ich ungestört unter dem Tisch Spickzettel für die Mathematik-Arbeit vorbereiten.

In den nächsten Schulpausen ging ich nicht mit auf den Schulhof. Ich versuchte in mein Hirn hineinzukriegen, was in der kurzen Zeit möglich war. Ich verzichtete sogar aufs Rauchen. Ich verzichtete sogar darauf, Henning zu sehen. Ich wollte in Mathe unbedingt eine halbwegs gute Note schreiben. Ich konnte mir in den Hauptfächern keine Fünf leisten. Die Mittlere Reife stand vor der Tür und eigentlich wollte ich anschließend weitermachen. Irgendwas mit Sprachen, wie meine Eltern, das wäre schön. Ich träumte von fernen Ländern und fremden Kulturen und schwankte zwischen Südamerika, Australien und Afrika.

In Biologie nahmen wir die Zelle durch. Herr Oberscheidt malte auf der Tafel viele kleine, tropfenartige Gebilde und füllte diese mit verschiedenen Strukturen. Dies seien Zellen mit Zellkernen. Herr Oberscheidt versprühte, wie immer beim Sprechen, einen feinen Nebel über unsere Häupter. Einige aus der Klasse lachten. Jemand stupste mich von hinten an. Oder ob es seine Spucketropfen seien, die er uns hier aufmalte, fragte Sina leise und kicherte.

Gnädig lächelte ich über diesen Kinderkram. Mich interessierten am meisten die Zellkerne, die winzigen Gebilde in der Mitte. Dass hier alle Informationen gespeichert sind, die für unser Aussehen und auch für manche Krankheiten zuständig sind, beeindruckte mich. Vor allem, dass sich diese Informationen bei Menschen und Tieren nur ganz wenig unterschieden. Ich musste an den Fernsehfilm denken, den ich vor einiger Zeit zusammen mit meinem Bruder angeschaut hatte. In dem Film ging es darum, ob sich die Neandertaler und die CroMagnon-Menschen, die damals aus Afrika nach Europa gekommen waren, ob diese beiden Menschenarten sich vermischt hatten. Ich spann die Geschichte weiter. Ich stellte mir vor, wie die Erbinformationen der Menschen aus der Frühzeit immer wieder gemixt und weitergegeben worden waren, bis zum heutigen Tag. Ich stellte mir, stellvertretend für alle meine Vorfahren, eine UrurururururururururuTilda vor.

„Tilda!“

Irritiert stellte ich fest, dass ich in der Schule saß und der Mathe-Lehrer, Herr Kilian, mir gerade das Blatt mit den Aufgaben vor die Nase gelegt hatte. Ich seufzte.

Als ich nach Hause kam, lag mein Vater immer noch auf dem Sofa.

Ich sah, dass meine Mutter geweint hatte. Sie tat mir leid. Sie musste den Haushalt schmeißen und machte nebenher ihre Übersetzungen. Mein Vater dagegen war ständig mit unserem Wagen und seiner Freundin unterwegs und pennte den ganzen Tag auf der Couch. Außerdem hatte ich ein schlechtes Gewissen wegen Samstagabend, als ich meine Mutter vor Sandra provoziert hatte.

Ich entschuldigte mich, fügte aber hinzu, dass ich immer noch sauer auf Papa sei und sein Verhalten ziemlich blöd fände. Sie fragte nicht nach dem Hintergrund unseres Streits und fing stattdessen an zu weinen.

„Sag mal, hilft der dir eigentlich gar nicht, wenn er schon hier rumhängt?“, fragte ich. „Du kannst doch nicht alles alleine machen. Entweder gondelt er mit unserm Auto in der Gegend herum oder er liegt auf dem Sofa.“

Nun begann meine Mutter richtig zu schluchzen.

In diesem Augenblick beschloss ich, etwas zu unternehmen. Ich wusste nur noch nicht was.

Wahrscheinlich meinte meine Mutter, sie habe mich überfordert mit ihrer Heulerei und müsse mich schonen, denn beim Mittagessen spielte sie die fröhliche Hausfrau und Papa den treuen Ehemann. Dabei waren sie ja nicht einmal verheiratet.

Sie lachten und scherzten miteinander. Alles eitel Sonnenschein und Harmoniegetue. Ich konnte nicht mitlachen. Sie machten alles nur noch schlimmer. Mir blieben die aufgewärmten Pizzareste vom Samstagabend im Hals stecken. Ich fand dieses unechte Theater unerträglich und beschloss, diesen Tag zum Tag Nummer Eins meiner Diät zu machen.

Nach dem Essen legte sich mein Vater wieder aufs Ohr. Ich half meiner Mutter in der Küche. Das Mittagessen war für Julian so lustig gewesen, dass er dachte, das ginge nun so weiter und auch helfen wollte. Doch ich schickte ihn mit einem Seitenblick auf meine Mutter an die Hausaufgaben. Ich spürte, dass sie die aufgesetzte Fröhlichkeit nicht mehr lange durchhalten würde. Julian maulte zuerst, dass ich ihm nichts vorzuschreiben hätte. Doch meine Mutter nickte ihm zu und er verschwand beleidigt. Auf der Treppe hörte ich ihn noch irgendetwas von Weiberkram schimpfen. Fast hätte ich ihm nachgesetzt, aber ich musste mich auf wichtigere Dinge konzentrieren.

Schweigend spülten und trockneten wir das Geschirr. Ich traute mich jetzt erst recht nicht, meiner Mutter etwas von der Frau in unserem Auto zu sagen. Ich wusste nur, ich musste irgendetwas tun. Als ich ins Wohnzimmer ging, um die Gläser in den Gläserschrank zu stellen, sah ich, dass Papa sich zur Wand gedreht hatte und eingeschlafen war. Auf dem Teppich, neben dem Sofa, stand eine angebrochene Flasche Rotwein.

Der Nachmittag verlief gespenstisch ruhig. Meine Mutter hatte sich an den PC ins Arbeits-Schlaf-Zimmer gesetzt und machte sich an ihre Übersetzungen. Julian war zu seinem Freund Anton gegangen. Ich versuchte, Hausaufgaben zu machen und meine Gedanken klarzukriegen. Aber immer wieder musste ich an meine Eltern denken und ein bisschen auch an Henning.

Ob Henning heute in den Pausen wohl bemerkt hatte, dass ich nicht auf dem Schulhof gewesen war? Ob er Sandra wohl gefragt hatte, was mit mir sei? Vielleicht war es ganz gut gewesen, dass ich im Klassenzimmer geblieben war. Vielleicht hatte er mich ja vermisst.

Meine Eltern hatten sich auch auf einer Schule kennengelernt. Auf einer Fachhochschule für Sprachen. Die Schreibtische an denen man sich einschreiben, also anmelden konnte, waren nach den Anfangsbuchstaben der Nachnamen aufgestellt. K und L hatten den gleichen Anmeldeschalter. Und so stand Papa hinter Mama, so stand Werner Kaeg hinter Gwendolyn Llewelyn. Er schrieb sich ein für Übersetzer Englisch und Französisch, Muttersprache Deutsch und sie für Übersetzerin Deutsch und Spanisch, Muttersprachen Englisch und Walisisch. Mama stammte aus Wales.

Ich legte mich auf mein Bett, blätterte in den Anleitungen für das autogene Training und versuchte mich ein bisschen zu entspannen.

>So stand ich hinter der irren Gwen, eurer Mama am Anmeldetisch. Das dunkle, leicht wellige Haar reichte ihr bis zu den Hüften. Da sie Ausländerin war, dauerte ihre Anmeldung etwas länger. Sie trug einen ausgeschnittenen Ringelpulli, der ihre rundliche Figur noch betonte. Ich konnte erkennen, dass der ältere Mann, der die Anmeldung entgegennahm, immer wieder in ihr Dekolleté glotzte. Als sie sich eingeschrieben hatte und sich zum Gehen wandte, lächelte sie mich aus hellgrünen Augen an. Ihr Gesicht war damals schon blass und leicht sommersprossig. Dann drehte sie sich noch einmal zu dem älteren Mann um, der bereits mich an den Anmeldetisch bitten wollte. Laut und deutlich und mit rollendem R sagte sie: „Und the next time sprecken Sie bitte mit mich und nickt mit meinen Büsen!“

Der Mann lief rot an und die Reihe der Wartenden hinter mir wieherte. Ich glaube, ich habe mich gleich in ihre Stimme, ihren leicht quäkenden, walisischen Akzent verliebt.

„Please wait“, bat ich eure Mutter, damals am Anmeldeschalter der Fachhochschule. Und sie wartete tatsächlich. Wenn ich gewusst hätte, dass ich mit dieser klugen, witzigen Frau mal Kinder haben würde …<

Irgendwann hielt ich es im Haus nicht mehr aus. Ich musste raus an die Luft.

Ich schaute kurz bei Mama rein. Sie hatte ein medizinisches Fachbuch aufgeschlagen.

„Was machst du?“ Ich beugte mich von hinten über ihre Schulter und gab ihr einen Kuss auf die Wange, so dass ihre Lesebrille verrutschte. Sie schreckte zusammen. Ich sah, dass das englische Wort prostata mit Bleistift angestrichen war.

„Ich hab hier eine medizinische Übersetzung“, antwortete sie fast entschuldigend und setzte die Brille wieder gerade auf die Nase, „möchtest du eine Tasse Tee?“

Ich schaute auf die Uhr am Computer und musste lächeln: Es war Viertel vor fünf Uhr nachmittags. Meine Mama hielt als brave Britin, nach über zwanzig Jahren in Deutschland, wenn es irgend möglich war, immer noch den Fünf-Uhr-Tee ein. Es gab dann kräftigen schwarzen Tee mit Milch und Zucker oder Honig und dazu mit Vanilleoder Zitronencreme gefüllte Kekse. Ich liebte dieses wunderbare, köstliche Ritual am Nachmittag. Kein Wunder, dass meine Mutter und ich so dick waren, dachte ich. Die Vorliebe für heiße Schokolade teilte ich mit meinem Vater. Der aber war schlank.

„Du, ich bin bei Sandra! Bis später, ja?“ Lieber keinen Tee und Kekse. Ich wollte doch abnehmen.

„Ta!“, rief Mama, das walisische Allerweltswort: bis später! Danke! Auf Wiedersehen!

Vater lag noch immer auf dem Sofa und schnarchte laut.

Ich war schon fast bei Sandra angelangt, als mir bewusst wurde, dass ich gar keinen Mantel angezogen hatte. Obwohl es richtig kalt war, fror ich überhaupt nicht. Nur meine Hände und Füße spürte ich ein wenig.

Sandra wohnte in einem dieser Jugendstilhäuser mitten in der Stadt, im obersten Stockwerk. Ich drückte auf den Klingelknopf. Die nahen Kirchturmglocken schlugen fünf Uhr.

„Gib mir ein Zeichen, Gott“, betete ich. „Wenn Sandra da ist und oben in der Tür steht, wird alles gut mit Papa und Mama.“

Gott schien Erbarmen zu haben: Der automatische Türdrücker surrte und ich konnte die schwere Eingangstür aufschieben. Wie eine Wildgewordene rannte ich die Stufen hinauf.

Im dritten Stock konnte ich fast nicht mehr, im vierten wurde mir richtig schlecht, im fünften hatte ich mein Leben aufgegeben und im sechsten stand Simone, Sandras Schwester, in der weit geöffneten Wohnungstür. Nicht Sandra, wie der Deal mit Gott gelautet hatte.

Mein Herz schlug hart.

„Ach, du bist’s.“ Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen.

„Hei, Tilda!“ Simone wollte mich umarmen. „Was ist los?“ irritiert hielt sie in der Bewegung inne. Rosalie, die Katze, schlich um meine Beine.

„Ach nichts“, murmelte ich und drückte Simone kurz. Könnte nun trotzdem noch alles gut werden? Als ich auf Sandras kleinem Sofa saß, entschied ich mich für Ja. Schließlich hatte der Deal gelautet: Wenn Sandra da ist und in der Tür steht, wird alles gut. Und nicht, wenn Sandra nicht in der Tür steht, wird’s nicht gut. Es war also noch alles drin.

Sandra kochte schwarzen Tee mit Wildkirscharoma und tischte noch ein paar gewellte Spekulatiusreste von Weihnachten auf. Das erleichterte mir die Sache mit Diättag Nummer Eins.

Sandra wollte von mir wissen, wie wir uns an Fasnacht verkleiden wollten. Für mich war Fasnacht noch endlos lange hin. Noch einen ganzen Monat.

Sie schlug Engel und Teufel vor. Natürlich wollte sie die Teufelin sein. Sie habe einen roten Push-up-BH gesehen. „Total geil“, erzählte sie. Und auf das dazu passende Höschen sei ein winziges Täschchen in Herzform genäht. Total süß. Vielleicht für einen Tampon oder was anderes? Sie grinste verlegen.

Ich sah mich mit Rauschgoldperücke, weitem Spitzenumhang und am Rücken angehefteten Flügelchen schwerfällig hinter einer miniberockten, sexy Teufelin in rotem Push-up-BH und Herztaschenhöschen durch die Fasnacht hechten.

Eigentlich stand mir die Teufelin zu. Schließlich hatte ich mir die Haare rot gefärbt und nicht sie! Ich merkte, wie ich zunehmend lustloser wurde bei dieser Unterhaltung. Meine Gedanken waren woanders. Sandra schien dies zu spüren.

„Und dein Vater“, fragte sie schließlich, „bist du in der Sache mit der Frau weitergekommen?“

„Sandra, ich hab das Gefühl ich muss irgendetwas tun.“ Ich war froh, endlich über das reden zu können, was mich wirklich beschäftigte.

Ich erzählte Sandra, dass meine Mutter vielleicht schon was ahnte.

„Sie tut mir echt leid“, sagte ich, „sie ist so still. Dann heult sie und dann tut sie wieder so, als sei alles happylovey-dovey.“

„Happy-was?“

„Happy-lovey-dovey! Das ist so ein Ausdruck wie Friede-Freude-Eierkuchen, aber mehr auf die Liebe bezogen.“ Ich machte eine Geste als spielte ich in einem kleinen, aber feinen Restaurant einem verliebten Paar mit der Geige ein schmalziges Ständchen. Ich versuchte, einen hingebungsvollen Gesichtsausdruck hinzukriegen.

„Hast du Blähungen?“, grinste Sandra.

Ich warf mit meiner Zigarettenschachtel nach ihr. Geschickt fing sie sie auf.

„Ich hab eine Idee!“, schrie sie und sprang auf. „Ich finde, wir sollten uns jetzt mal um deinen Papa und seine Gespielin kümmern.“

„Sandra!“ Dass Sandra so respektlos sein konnte!

„Wir beschatten ihn“, fuhr Sandra ungerührt fort und fischte sich eine Zigarette aus meiner Schachtel.

„Das geht doch gar nicht“, warf ich ein. „Wir haben doch gar keine Zeit, wir müssen doch zur Schule!“

„Na und.“ Sie hielt den Kopf schräg, damit ich ihr Feuer geben konnte. Bei ihr sah das immer so cool aus.

„Was ist mit deiner Mutter?“, fragte ich besorgt und zögerte mit dem Feuergeben.

„Die kommt erst um sechs heute Abend. Bis dahin hab ich gut gelüftet.“

Wir zogen auf ihrer kleinen, geblümten Couch die Beine an und machten es uns gemütlich. Rosalie sprang auf meinen Schoß. Langsam fuhr ich mit den Fingern durch das weiche, schwarz-weiß gefleckte Fell. Rosalie schnurrte.

„Wir könnten ja auch erst mal im Kleinen anfangen“, spann Sandra die Geschichte weiter, tat einen Zug und hustete heftig. „Du könntest seine Taschen durchchecken und gucken, ob du irgendetwas Verdächtiges findest. Oder seinen Schreibtisch, oder so.“

In gewisser Weise fand ich diese - eigentlich unangenehme Idee - seltsam prickelnd: Wie eine eifersüchtige Ehefrau im Film würde ich die Taschen des verdächtigen Mannes durchsuchen. Wenn meine Mutter schon so naiv war, wollte wenigstens ich an ihrer Stelle klug handeln. Mama, ich gehöre zur nächsten Frauengeneration, dachte ich, wir lassen uns nichts mehr bieten!

>Deine Mutter hat sich nie etwas bieten lassen, weder von mir noch von anderen Männern.<

Ich hatte plötzlich ein Gefühl, als würde mir schwindelig.

„Aber was meinst du, was ich finden könnte?“, fuhr ich rasch fort.

„Ich weiß nicht, vielleicht Liebesbriefe oder Hotelrechnungen oder Reizwäsche oder Kondome.“

Die letzten beiden Begriffe hatte sie ganz schnell heruntergerasselt.

Wir mussten beide lachen.

„Jetzt brems dich mal, ja?“

„Apropos Reizwäsche, wie sieht’s eigentlich mit dir und Henning aus? Irgendeine positive Entwicklung?“

„Ich weiß auch nicht. Das müsstest du ja eher wissen.“ Ich fragte Sandra, ob er heute irgendein auffälliges Verhalten an den Tag gelegt habe, wie hilfloses Umherschauen, suchendes Hin- und Hergehen?

Henning war heute gar nicht in der Schule gewesen, berichtete Sandra.

Na toll, dachte ich, was für ein absolut beschissener Tag.

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