Читать книгу Agrippina. Kaisermacherin - Kaisermörderin - Ute Schall - Страница 10
Ungebetene Gäste
ОглавлениеWie sehr hatte sich Agrippina gefreut, die Stätten ihrer Kindheit wiederzusehen, wenn sie sich an diese auch kaum erinnern konnte! Nein, sie sei gar keine echte Römerin, pflegte sie immer wieder nicht ohne einen Anflug von Stolz zu sagen. Römer könne sich schließlich nur nennen, wer auch in Rom geboren sei. Sie aber habe im Osten das Licht der Welt erblickt, im Land der gelehrten Griechen, die die Römer zwar militärisch in die Knie gezwungen, aber kulturell nie besiegt hätten, ja nie bezwingen könnten. Warum bewunderte jeder Römer von Verstand dieses Griechenland? Warum ahmte man in Rom griechische Kunst, Sitte und Lebensart bis in Einzelheiten nach? Doch nicht, weil man alles Griechische verachtete? Ganz im Gegenteil! Wer am Tiber auf sich hielt, sprach Latein und Griechisch fließend nebeneinander, schmückte sein Heim mit griechischen Kunstwerken, las griechische Verse und Epen und holte Sklaven, Ammen, Lehrer und Ärzte aus dem Land der Philosophen in sein Haus.
Erst spät hatte sie freilich ihre Mutter Iulia verstehen gelernt, wenn diese vom Land ihrer Sehnsucht sprach, vom sonnigen Arkadien, in das sie vor langer Zeit mit ihrem Gatten Agrippa gereist war, von dem innigen Wunsch der jungen Frau, der das Schicksal bereits übel mitgespielt hatte, dem strengen Palast ihres Vaters Augustus für eine Weile den Rücken zu kehren und ein wenig Freiheit schnuppern zu dürfen, dem waghalsigen Ausflug nach Ilion mit der Fahrt über den reißenden Skamander, der die Mutter und das Kind, das sie trug, Agrippina, beinahe das Leben gekostet hätte, und dem unbändigen Zorn des Vaters, der während des Unglücks bei seinem Freund Herodes, dem König der Juden, in Jerusalem weilte und nicht einmal eingreifen konnte. Und auch davon hatte ihre Mutter nicht ohne Stolz berichtet: „Du musst wissen, Kind, dort hat eine Kultur geblüht, noch ehe ein einziger Mensch seinen Fuß an Latiums raue Gestade setzte.“
Und die vielen geschichtsträchtigen Orte, die ihr Germanicus zeigte, Zeugen römischer Kriegskunst und militärischer Überlegenheit, beeindruckten sie. Da war Aktium, später Nikopolis genannt, ein kleines Dorf, an dem sich vor zwei Menschenaltern ihrer aller Schicksal entschieden hatte oder doch das ihrer Eltern, denn sie selbst waren noch gar nicht geboren.
„Hast du einmal darüber nachgedacht“, wandte sie sich, Bestätigung erwartend, an ihren Gatten, „dass jene Entscheidung zwischen Antonius und Augustus auch unsere Zukunft besiegelte, die unserer Familien? Hast du je bedacht, dass es unsere Großväter waren, die dort einander bis aufs Blut bekämpften und erst ruhten, als einer von ihnen in den Hades geflohen war? Ich will Augustus nicht verurteilen. Er hatte die Götter auf seiner Seite. Und ich weiß, dass Antonius nicht anders gehandelt hätte, wäre er der Überlegene gewesen. Glaubst du, dass die urrömische Strategie, die Politik durch Familienbündnisse zu sichern, heute noch gilt? Rom hat sich, denke ich, von ihr verabschiedet, vor langer Zeit schon, und ich sage dir, es hat damit seinen eigenen Untergang besiegelt.“
Strahlend hatte sie Athen empfangen und sie mit allen erdenklichen Ehren überhäuft. Und wie hatte die kleine Agrippina ihren Vater angehimmelt! Während der Überfahrt hatte er sich einen Bart wachsen lassen und noch vor Betreten der Stadt ein weißes Gewand angelegt, wie es dort die Gelehrten trugen, sodass er sich von den Einheimischen kaum noch unterschied.
Vor allem Gaius genoss den überschwänglichen Empfang. Als hätten die Huldigungen nur ihm gegolten, nahm er sie stolz erhobenen Hauptes zur Kenntnis, grüßte herablassend mit der rechten Hand, wie er es auf manchem römischen Reiterstandbild gesehen hatte, und lauschte den Reden der Stadtväter mit verständnisvollem Kopfnicken, obwohl er die fremde Sprache noch nicht verstand. Einmal, ja einmal würde sicherlich auch er das Griechische wie seine Muttersprache beherrschen.
Verwundert sahen die Kinder auf, als Germanicus der Begrüßungsabordnung in der Landessprache dankte. Noch nie hatten sie ihren Vater anders als das ihren Ohren vertraute und wohlklingende Latein sprechen hören.
Die ersten Tage in der fremden Stadt vergingen mit Spielen und Erzählen sehr angenehm. Aber Germanicus war nicht nur als liebender Vater, der den Seinen die schönsten Teile des Reiches zeigen wollte, in den Osten gekommen, sondern auch als offizieller Vertreter der römischen Staatsmacht. Vielfältig waren die Aufgaben, die seiner harrten. Da galt es, Städten, die vor Jahresfrist von schweren Erdbeben heimgesucht worden waren, die Hilfe Roms zu bringen. Es gab zwischen einzelnen Regionen Streitigkeiten zu schlichten, um blutige Auseinandersetzungen zu verhindern. Und die Magistrate vieler Orte mussten an ihre Pflichten gegenüber Rom erinnert werden, an Recht und Ordnung, die sie der Weltmacht schuldeten, und an die Abgaben, ohne die diese den zugesicherten Schutz nicht gewährleisten konnte.
Und Germanicus nahm seine Pflichten sehr ernst.
Seine Angehörigen begleiteten ihn auch auf der Weiterfahrt in den Osten, auf die Insel Lesbos zuerst, wo die kleine Livilla so schwer erkrankte, dass die besorgten Eltern um ihr Leben bangten. Aber die gesunde Natur des Kindes setzte sich durch, und als ihr Vater, der in dringenden Familienangelegenheiten nach Ilion weitergereist war, von dort zurückkehrte, streckte sie munter und froh gelaunt ihre rundlichen Ärmchen nach ihm aus.
Auch wenn Germanicus wenig Zeit für seine Kinder aufbringen konnte, ihre Fragen beantwortete er stets gewissenhaft.
„Vater, Vater!“ Stiefelchen rannte Germanicus freudestrahlend entgegen. „Was hast du in Ilion gemacht?“
Und Agrippina, die ihrem Bruder wie immer hinterher stolperte, interessierte vor allem, was er ihr mitgebracht hatte.
Nachdem der große Feldherr seine Frau umarmt und seinen Kindern kleine Geschenke verteilt hatte, ließ er sich erschöpft auf eine Kline fallen, nahm sein Töchterchen Agrippina auf den Schoß, bat Gaius und die anderen Kinder, sich neben ihn zu setzen, und begann, die Geschichte ihrer Gens zu erzählen, die gleichzeitig die Geschichte Roms war, ein über Jahrhunderte währender Aufstieg, der eine gewaltige Blutspur nach sich zog. Nur das Schrecklichste erzählte Germanicus seinen Kindern nicht.
Soweit ihm bekannt war, konnte kein anderes römisches Geschlecht seine Wurzeln bis auf jene Helden zurückführen, die einst das brennende Troja verlassen hatten, um nach jahrlangen Irrfahrten, denen des Odysseus nicht unähnlich, an Latiums Gestaden neue Bürgerschaften zu gründen.
Besonders Gaius sog die Worte des Vaters begierig auf, unterbrach ihn gelegentlich, weil er einiges von seinem Hauslehrer etwas anders gehört hatte, und bewahrte alles in seinem Gedächtnis auf. Er liebte diese Geschichten von Ruhm und Heldentum, von Intrige und Verrat. Sobald er allein war, studierte er vor dem Spiegel bestimmte Posen ein, sah sich als Heros und begann, sich mit den Göttern und Göttinnen so ungezwungen zu unterhalten, als wäre er ihresgleichen.
„Du musst wissen“, vertraute er sich seiner kleinen Schwester an, die ihn heimlich beobachtete und maßlos bewunderte, „dass ich auch einmal ein Gott sein werde, wenn ich groß bin. Aber das darf noch niemand wissen. Schwöre mir, dass du es keinem erzählen wirst, schwöre es beim Leben des kleinen Vogels, den dir Vater aus Ilion mitgebracht hat!“
Und Agrippina schwor, von ihr werde es niemand erfahren, lieber wolle sie sterben als etwas verraten. Gaius hatte sie fest am Arm gepackt, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.
Er zeigte sich zufrieden.
„Da du nun einen angehenden Gott vor dir hast und wir ein Geheimnis teilen, das nur uns gehört, opfere mir, wie es Brauch ist, verbeuge dich und sprich mir nach!“
Agrippina tat, wie ihr geheißen:
„Ich, Agrippina, Tochter des großen Feldherrn Germanicus, bete zu dir, Gaius, Bruder und künftiger Gott, und gelobe, deine Göttlichkeit immer anzuerkennen und zu achten.“
Gaius konnte wirklich zufrieden sein.
In der folgenden Nacht schlief das kleine Mädchen schlecht. Ihr war, als sei Gaius Caligula in ihr Schlafgemach eingedrungen, habe sich vor ihre Bettstatt gestellt und ihr befohlen, sich völlig zu entkleiden und ihn unter ihre Bettdecke schlüpfen zu lassen. Aber es war nicht der kleine Junge, der ihr einen Besuch abstattete, nicht der, der sie so oft liebkoste und schlug, der mit ihr redete und sie mit tagelangem Schweigen strafte, bis sie sich ihm an den Hals warf und unter Tränen um Verzeihung bat. Wofür? Das wusste sie nie. Aber es hatte sich gezeigt, dass er sie danach wieder beachtete, und nichts war schlimmer, als von ihm nicht gesehen zu werden.
Es war ein anderer, ihr unheimlicher Caligula, der nur die Züge ihres Bruders gestohlen hatte und mit seiner etwas rauen Stimme sprach. Es war ein Mann von gewaltigen Ausmaßen, der sich drohend vor ihr aufgerichtet hatte, ein Ungeheuer, das eine blutige Krone auf dem Kopf trug, mit mächtigem, hoch aufgerichtetem Geschlecht, ein Monster mit Händen, die aussahen wie Löwenpranken, die gierig nach ihr griffen und erst von ihr ließen, als ein grässlicher Schrei die nächtliche Unschuld des Feldherrnpalastes durchdrang.
Mutter Agrippina war von ihrem Lager aufgeschreckt.
„Es ist nichts, Herrin!“, meldete Antonella. „Die Kleine hat nur schlecht geträumt. Ich habe ihr gerade ein wenig Theriak gegeben. Sie schläft schon wieder. Alles in Ordnung.“
Agrippina legte sich wieder zu ihrem Gatten.
„Sie hören wohl nie auf, die Sorgen einer Mutter. Im Gegenteil. Mir scheinen sie mit dem Wachsen der Kinder nur noch größer zu werden.“ Auch Germanicus war aufgewacht.
Er legte liebevoll den Arm um die Schultern seiner Frau.
„Was hast du übrigens in Ilion erreicht? Haben dir die Manen unserer Vorfahren weitergeholfen?“, setzte sie die Unterhaltung mit ihrem Mann fort.
„Sie haben sich nicht deutlich ausgedrückt, Liebste. Nur das, was wir ohnehin wissen. Allgemeiner Rat zu Wachsamkeit. Vielleicht hätte ich doch das Orakel von Delphi befragen sollen. Vielleicht. Vielleicht. Hör zu, Agrippina!“
Germanicus nahm seine Frau noch fester in den Arm.
„Mein Gefühl sagt mir, dass uns in nächster Zeit Schlimmes bevorsteht. Doch was auch immer geschieht, versprich mir, dass du mit den Kindern sofort nach Rom zurückkehrst, sofern ich es nicht mehr kann!“ Bei diesenWorten hatte ihm fast die Stimme versagt.
„Claros“, stieß sie hervor. Es klang wie ein Hilferuf. „Lass uns den dortigen Tempel des Apoll aufsuchen und seine Priester hören. Apoll ist der Schutzgott unserer Familie. Er kann uns nichts Böses wollen. Er wird uns sagen, wie wir uns vorsehen sollen.“ Doch es schien, als glaube sie ihren eigenen Worten nicht mehr.
Agrippina bemerkte sofort die besorgte Miene, mit der ihr Mann aus Claros zurückkam.
„Und“, drängte sie ungeduldig. „Was haben sie gesagt?“ In ihren dunklen Augen zeigte sich ein kleiner Hoffnungsschimmer.
„Auch nichts Genaues“, antwortete er. „Du weißt ja, sie sprechen gern in Rätseln und überlassen es uns, diese zu lösen. Unklare Verse, die so oder anders ausgelegt werden können. Ich kann mit ihnen nichts anfangen, und wir sollten endlich aufhören, uns Sorgen zu machen. Warum geben wir nicht heute Abend ein Fest, damit wir auf andere Gedanken kommen? Wir werden alle einladen, die es gut mit uns meinen. Was hältst du davon?“
Agrippina sah ihren Mann mit großen Augen an, und als diese auf seiner Stirn winzige Schweißperlen entdeckten, gefror in ihren Adern das Blut.
Die herrlichen Griechenstädte entlang der Küste Kleinasiens, Ephesos etwa oder Milet, wurden nur kurz gestreift. Der Sommer stand vor der Tür. Unbarmherzig brannte die Sonne auf die verdorrende Landschaft herab, und nur der Aufenthalt auf dem Meer brachte angenehme Kühlung. Es drängte Germanicus, die Insel Rhodos zu erreichen, wo er nicht nur einen luftigen Sommeraufenthalt, sondern offensichtlich auch eine Art Zuflucht zu finden hoffte. Ist eine Insel nicht von allen Seiten vom Wasser umgeben und damit besonders sicher? Der nebst Princeps Tiberius mächtigste Mann der Welt, der ganze Heerscharen befehligt hatte, schien sich zu fürchten. Was hatte ihm Apoll ausrichten lassen? Wovor sollte er sich in Acht nehmen?
Inzwischen flirrte auch auf Rhodos der Sommer. Die Sonne glühte auf dem weißen Stein, und nur gelegentlich erfrischten eine leichte Brise oder ein heftiges Sommergewitter die hitzeschwangere Luft und die Gemüter. Die See war stürmisch, als man Germanicus meldete, eine kleine römische Flotte sei nördlich der Insel in Seenot geraten, auch mehrere Kriegsschiffe gehörten dazu. Ihr Kommandant sei Gnaeus Calpurnius Piso, Prokonsul und der neue Statthalter Syriens, der demnächst sein Amt antreten solle. Er, Germanicus, möge doch bitte Hilfe schicken.
Piso? Wer war Piso? Was hatte er mit der kaiserlichen Familie zu tun? Und aus welchem Grund verstummten alle, sobald sein Name fiel? Hochmütig und herrschsüchtig, hieß es, sei er. Ein schwieriger Mensch, der, wie man hörte, schon viele Römer verleumdet und ihnen geschadet habe. Der keine Skrupel kenne, wenn es ihm nur zum Vorteil gereiche.
Agrippina nahm ihren Mann beiseite und flüsterte ihm etwas zu. Sie war blass geworden, fast durchsichtig, auf ihrer Stirn pochte eine winzige Ader, und ihre Mimik verriet große Angst. Immer heftiger redete sie auf Germanicus ein, zog ihn an sich, wenn er sich kopfschüttelnd entfernen wollte, bis er sich endlich befreien konnte und Anweisung gab, den Gestrandeten zu Hilfe zu eilen.
Es war das Schiff des Prokonsuls, das auf eine Sandbank gelaufen war und mit Mann und Maus unterzugehen drohte. Ohne große Mühe gelang es Germanicus’ Leuten, die Trireme wieder ins Fahrwasser zu ziehen. Piso und seine Gattin Munacia Plancina stiegen auf kleine Boote um und wurden sicher an Land gebracht. Wie es Brauch war, speisten sie noch am Abend des selbigen Tages an der Tafel von Germanicus und Agrippina.
Gastfreundlich hatte der Vertreter des Kaiserhauses die völlig durchnässten Schiffbrüchigen bei sich aufgenommen, hatte ihnen seine Bäder zur Verfügung gestellt und ihnen kostbare Kleider bringen lassen, denn die ihren waren vom Salzwasser völlig verdorben und hingen wie Lumpen an ihren Körpern hinab. Feinfühlig, wie es seine Art war, hatte er die zuverlässigsten seiner Diener beauftragt, sich um die Gäste zu kümmern und ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Er hatte davon abgesehen, sie jetzt schon zu begrüßen, stellte er sich doch vor, wie unangenehm es ihm selbst gewesen wäre, jemanden in einem derartigen Aufzug gegenüber treten zu müssen.
Als Piso dann nach einer Ewigkeit, wie es schien, aus den für ihn vorbereiteten Räumen in den Empfangssaal kam, sah sich Germanicus einem Mann gegenüber, dem die Unzufriedenheit ins Gesicht geschrieben stand. Er kannte Piso nicht, noch nicht, hatte aber den Eindruck, dass dieser sich umso besser an ihn erinnerte. Nie hatte er diesen Menschen bei einem der zahlreichen Empfänge im Kaiserhaus bemerkt, nie etwas von ihm gehört, und er fragte sich, weshalb sein Onkel ausgerechnet einem weitgehend Unbekannten die Verantwortung für eine Provinz übertragen hatte, die zu den schwierigsten des ganzen Reiches gehörte. Aber er hatte keine Zeit, jetzt darüber nachzudenken.
Steif und mit mürrischer Miene bedankte sich Piso für die Hilfe und die Gastfreundschaft, notgedrungen, weil es der Anstand verlangte. Er werde Germanicus Familienidylle nicht lange stören, versicherte er mit leicht ironischem Unterton. Es sei ohnehin nicht seine Sache, nach griechischer Art zu leben. Er schätze das orientalische Getue nicht. Er sei Römer, und als solcher habe er für Recht und Ordnung zu sorgen. So laute übrigens auch sein Auftrag, den er vom Princeps persönlich erhalten habe. Verächtlich sah er an Germanicus hinab, der nach Art eines griechischen Hausherrn nur mit dem luftigen Chiton bekleidet war.
In einiger Entfernung saßen Plancina und Agrippina, angestrengt um eine Unterhaltung bemüht. Die Herrin des Hauses hatte, wie es sich für eine Gastgeberin gehört, wenn auch eine wider Willen, wie unschwer zu erkennen war, ein kostbares, aber schlichtes Gewand angelegt und sich auch bei der Auswahl des Schmucks strengste Zurückhaltung auferlegt. Dabei war ihre Schatzkiste reich gefüllt. Nicht nur ihre Mutter hatte ihr vor der Verbannung herrliches Geschmeide geschenkt. Wann immer Germanicus von seinen Reisen zurückkehrte, überraschte er seine Frau mit prächtigen Ringen, Ohrgehängen, Armspangen oder Halsbändern, denn er wusste, welch große Freude sie an diesen Dingen empfand, mochte sie stets auch beteuern, ihr eigentlicher Schmuck seien ihre Kinder. Er genoss es, wenn der Lüster kostbarer Perlen mit dem Glanz ihrer Augen wetteiferte, wenn sich das Licht der Kandelaber in Rubinen und Smaragden brach oder die Sonne das Gold an ihren Armen strahlen ließ, bis es die Farbe ihres rötlichen Haares annahm. Und es erfüllte ihn mit besonderem Stolz, wenn die Blicke anderer Männer seiner Frau folgten.
Plancina, Agrippinas schweigsames Gegenüber, war weit davon entfernt, schön zu sein. Sie war klein und untersetzt, fast rundlich, und als Agrippina sie neben Piso gesehen hatte, einem Bären von einem Mann, der sogar Germanicus um Haupteslänge überragte, hatte sie sich über das ungleiche Paar gewundert. Nach Art der römischen Matrone hatte Plancina das matte Haar zu einem kunstlosen Knoten geschlungen. Ihr Gesicht war grau und wirkte angestrengt, was auf die gerade überstandene Gefahr zurückzuführen war. Aber sie hatte sich mit Hilfe von Agrippinas Zofe herausgeputzt wie einer der Pfauen im Palastgarten. Ein dicker, mit funkelnden Steinen besetzter Goldreifen umschloss ihren Hals so fest, dass man den Eindruck hatte, seine Trägerin liefe Gefahr, gleich zu ersticken, und die wulstigen Armbänder saßen so eng, dass das Fleisch darüberquoll. Schwere Gehänge zogen die ohnehin großen Ohren noch in die Länge.
Das purpurrote Seidengewand, das sie aus Agrippinas Fundus gewählt hatte, war über den Schultern gerafft und wurde von funkelnden Spangen gehalten.
Steif, ohne Worte oder auch nur Blicke zu wechseln, saßen sich die beiden Frauen gegenüber, und Plancina verzog selbst dann keine Miene, als die Ammen die Kinder brachten, um den Eltern eine gute Nacht zu wünschen.
Germanicus nahm die kleine Agrippina auf den Arm, küsste das Kind auf die Stirn und fuhr Caligula liebevoll durch die dichten Locken. Dann wandte er sich wieder freudlos dem designierten syrischen Statthalter zu. Was mochte Tiberius bewogen haben, ihm ausgerechnet diesen Piso auf den Hals zu hetzen, diesen unsympathischen Kerl? Hätte er vielleicht doch auf seine Frau hören und ihn Poseidon überlassen sollen, der ja schon so begierig nach ihm gegriffen hatte? Erschrocken über sich selbst, verwarf er den Gedanken und beschloss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Schließlich hatte der ungebetene Gast angekündigt, nicht lange stören zu wollen. Morgen sähe die Welt bestimmt schon anders aus. Tatsächlich reisten die unangenehmen Gäste bereits am nächsten Tag ab, und Germanicus’ Familie atmete auf.
„Was ist griechische Lebensart?“
Nicht einmal der altkluge Gaius konnte sich darunter etwas vorstellen, aber das Gespräch mit dem versteckten Tadel des Prokonsuls, bei dem er gestern Zeuge gewesen war, ging ihm nicht aus dem Sinn.
„Hat Piso gemeint, dass er uns nicht mag? Weißt du was, Vater, ich mag ihn auch nicht“, stellte der Junge fest, „und wenn ich groß bin, werde ich gegen ihn kämpfen.“ Dabei vollführte er einige Schwertstreiche gegen einen unsichtbaren Feind.
So sehr er selbst über Pisos Erscheinen besorgt war, musste Germanicus doch lachen.
„Du bist tapfer, mein kleiner Sohn, aber das wissen wir ja. Griechische Lebensart, ja, wie soll man das einem Kind erklären?“
„Ich bin kein Kind mehr!“, protestierte Gaius.
„Schon gut, Junge“, besänftigte ihn der Vater. „Siehst du, die Götter haben den Menschen nicht nur dazu erschaffen, andere zu unterwerfen und zu töten. Sie haben uns, den Römern, vor allem den Auftrag erteilt, andere glücklich zu machen, so glücklich, wie wir es selbst sind. Recht und Ordnung sind gewiss Teil dieses Glücks, ohne sie kann eine Gesellschaft nicht funktionieren. Aber es gibt noch mehr, was das Leben ausmacht. Und auch das haben uns die Götter gezeigt. Anders als wir Römer, die wir uns von Anfang an damit beschäftigt haben, anderen Völkern unseren Frieden zu bringen, die berühmte pax Romana, haben sie sich auch geistig beschäftigt. Sie haben die Musik erfunden, na ja, nicht gerade erfunden, aber doch verfeinert. Sie haben aus scheinbar toten Steinen lebendige Kunstwerke geschaffen, Statuen, die uns Menschen manchmal zum Verwechseln ähnlich sind, und Bilder, haben herrliche Gebäude errichtet, wohlklingende Verse verfasst und Dramen geschrieben, mit denen sie Götter und Helden verehrten, damit diese immer in Erinnerung blieben. Und wir, die Römer, natürlich nicht alle, haben ihre Kunst dankbar bei uns aufgenommen. Wir schmücken unsere Häuser mit ihren Standbildern und verschönern mit ihren Gedichten und Geschichten unseren Alltag. Und wenn wir uns in ihrem Land aufhalten, dürfen wir uns sogar so ungezwungen kleiden wie sie. Und das, mein lieber Sohn, ist ganz im Sinne der Götter, die wollen, dass wir uns auch am Leben freuen. Wer es nicht tut, bekommt stumpfe Augen und einen schiefen Mund.“
„Wie Piso?“, wollte Gaius wissen.
„Wie Piso“, bestätigte sein Vater lachend und fuhr dem Kleinen durch das wuschelige Haar.