Читать книгу Psychologie der Eigensicherung - Uwe Füllgrabe - Страница 45
3. Psychologische Fehler 3.1 War der Angriff vorhersehbar?
ОглавлениеPinizzotto et al. (1998) berichten, dass in den USA jedes Jahr mehr als 50000 Polizisten im Dienst angegriffen werden. Ein Drittel von ihnen wird verletzt, und etwa 70 Polizisten werden getötet. Die Untersuchung von 52 Polizisten, die Opfer eines Angriffs geworden waren, gibt – genau wie die Studie über getötete Polizisten (FBI, 1992; Pinizzotto & Davis, 1995) – Hinweise, warum in vergleichsweise ähnlichen Situationen einige Polizisten sterben oder verletzt werden und andere überleben.
Von den 40 Fällen geschahen 50 % als Reaktion auf einen Notruf, 20 % geschahen, während der Polizist verdächtige Personen oder Umstände untersuchte, und 18 % während Verkehrskontrollen oder Verfolgungen. 62 % der Angriffe geschahen zwischen 18.00 und 06.00 Uhr. Dies zeigt die Bedeutung der Sichtverhältnisse für ein Sicherheitstraining auf. In einigen Fällen war der Polizist bei dem Angriff auch durch Nebel, Regen, totale Dunkelheit oder nur teilweise Beleuchtung behindert. Während diese Faktoren nicht die Angriffe auslösten, behinderten sie doch die Fähigkeit des Polizisten, wirkungsvoll zu reagieren.
Sieben der 52 Polizisten dieser Studie wurden entwaffnet und ihre Dienstwaffe gegen sie gerichtet.
65 % der Täter, die einen amerikanischen Polizisten angegriffen hatten, sagten, dass der Angriff auf den Polizisten impulsiv, ungeplant oder aus der Situation heraus geschehen war. Ein Drittel der Täter sagte, dass nichts, was die Polizisten getan haben würden, die Angriffe verhindert hätte.
Als Absichten zum Zeitpunkt des Angriffs wurden genannt:
– Flucht oder Vermeidung einer Verhaftung (38 %),
– den Polizisten zu töten (19 %),
– den Polizisten zu erschrecken (14 %),
– den Polizisten zu verwunden (7 %),
– den Polizisten kampfunfähig zu machen (2 %).
Mit einer Ausnahme griff der Täter als Erster an. 31 % glaubten, dass der Polizist durch den Angriff überrascht wurde. 19 % der Täter beschrieben den Polizisten als fähig oder professionell, während eine gleiche Anzahl sagte, dass der Polizist angesichts des Angriffs unvorbereitet schien oder unentschlossen (Pinizzotto et al. 1997, 1998).
Zum Vergleich die Studie von Polizisten, die im Dienst getötet wurden (FBI, 1992): 57 % der Täter beschrieben das Verhalten des Opfers während der Konfrontation als „unvorbereitet“ oder „überrascht“. 39 % beschrieben das Verhalten des späteren Opfers als „bedrohlich“ oder „laut“.
Offensichtlich entsprach nur diese letztere Gruppe dem von Toch (1969) beschriebenen Muster der von Polizisten (ungewollt) provozierten Personen. Man kann also sagen, dass die Angriffe zumeist
a) nicht vom Polizisten provoziert wurden und
b) vom Täter nicht geplant waren,
sondern sich im Verlauf der Interaktion entwickelten (s. a. Sessar et al., 1980 für Deutschland). Darauf war aber der Polizist zumeist nicht vorbereitet. In einer Situation, in der er problemlösend handeln sollte, blieb er passiv oder handelte irrational.
In einem Fall näherte sich der Polizist einer Person, die offensichtlich stark unter Drogen stand. Er wartete nicht ab, bis die von ihm angeforderte Verstärkung kam. Aber bei der Konfrontation war er nicht in der Lage, den Täter zu kontrollieren, der Täter lief zum Streifenwagen. Der Polizist teilte über sein Sprechfunkgerät seinen Kollegen mit, dass der Täter in das Auto eindrang und nun das Gewehr des Polizisten hatte.
In diesem Fall ist besonders interessant, dass der Mörder angab, dass der Polizist viel Zeit gehabt hatte, ihn davon abzuhalten, in das Auto zu gelangen und das Gewehr an sich zu nehmen. Der Mörder behauptete, dass er nicht die Absicht gehabt habe, den Polizisten zu töten, dass sich aber zufällig ein Schuss aus dem Gewehr gelöst habe, der dann den Polizisten getötet habe.
Der Täter stellte fest, dass – wenn die Rollen vertauscht gewesen wären und er der Polizist gewesen wäre – er die Person daran gehindert hätte, in das Auto zu gelangen und das Gewehr zu bekommen, selbst wenn es bedeutet hätte, auf ihn zu schießen.
In diesem Fall benutzte der Polizist aus irgendeinem Grund seinen Dienstrevolver nicht, um den Täter davon abzuhalten, in das Auto hineinzugelangen, das Gewehr zu nehmen, auf ihn zu schießen und ihn zu töten (FBI, 1992).
Man kann aus diesem Beispiel ersehen, dass es die Passivität bzw. das zögerliche Verhalten des Polizeibeamten war, was die Situation eskalieren ließ. Man kann deshalb Grundregeln für das Verhalten in gefährlichen Situationen und gegenüber gefährlichen Personen formulieren:
• Man muss die Führung in der Situation behalten.
• Man muss problemlösend handeln.
Wer diese Grundregeln nicht beachtet, zeigt, dass er nicht „Herr der Lage“ ist. Dies wird von gewaltbereiten Personen als Schwäche und oft auch als Aufforderung zum Angriff gedeutet.
Das passive und irrationale Verhalten der Polizisten wird verursacht oder begünstigt durch falsche oder unzureichende kognitive Schemata – durch eine falsche Sicht der Dinge.