Читать книгу Psychologie der Eigensicherung - Uwe Füllgrabe - Страница 50
3.4 Die unterschiedliche Wahrnehmung der Situation
ОглавлениеZwei Drittel der angegriffenen Polizisten meinten, dass es keine Anzeichen für den drohenden Angriff gegeben habe. Erst nachdem sie schwer verwundet worden waren, erkannten einige von ihnen, dass sie sich in einem Kampf um Leben und Tod befanden und nicht nur in einer kleineren körperlichen Streitigkeit (Pinizzotto et al., 1998).
Interessant ist hier die unterschiedliche Sichtweise von Polizist und Täter. In den meisten Situationen sahen die später verletzten Polizisten die Lage so: Ich habe es mit einem Kriminellen zu tun, der sich weigert, ins Gefängnis zu gehen. Andererseits sahen die Täter sich im Kampf um ihr Leben und ihre Freiheit.
Die unterschiedlichen Perspektiven von Polizisten und ihre Übereinstimmung oder Abweichung von denen des Kontrollierten zeigen folgende Abbildungen:
Situation I (s. S. 72) entspricht den meisten polizeilichen Interaktionen – mit gewaltfreien Bürgern, während Situation II (S. 73) ein großes Konfliktpotenzial beinhaltet.
Viele Angriffe auf Polizisten wären vorhersehbar oder vermeidbar gewesen, wenn diese einen Perspektivwechsel vorgenommen hätten und eine Situation auch aus einer anderen Sicht betrachtet oder zumindest die Möglichkeit in Erwägung gezogen hätten, dass der Interaktionspartner die Sache aus einer völlig anderen Sicht sehen könnte.
Die Studie von Pinizzotto et al. (1997) und auch die FBI-Studie von 1992 zeigen, dass z. B. Verkehrskontrollen, die häufig als Routinetätigkeit und Wiederholungstätigkeit angesehen werden, potenziell schwere Gefahren für Polizisten darstellen. Es wird nicht in die Überlegung eingeschlossen, dass jemand, der wegen einer geringfügigen Verkehrsübertretung angehalten wird, eine Bedrohung ihres Lebens darstellen würde, und zwar beim Versuch, den Polizisten zu entfliehen.
Das Versäumnis, grundsätzlich auch die Möglichkeit einzukalkulieren, dass eine Situation gefährlich werden könnte, hatte verhängnisvolle Konsequenzen. Dies zeigt die Studie von Pinizzotto et al. (1997, 1998), die gerade bei extrem erfolgsmotivierten Polizisten ein hohes Gefährdungspotenzial fand. Sie handelten gewissermaßen nach dem Motto „Erfolg geht vor Sicherheit“.
Das Bedürfnis dieser Polizisten, „Statistiken zu produzieren“, gleichgültig, ob innerlich oder äußerlich motiviert, veranlasste sie manchmal, Vereinfachungen hinsichtlich ihrer Sicherheit vorzunehmen, wie z. B. die Unterlassung, den Einsatzleiter von ihren Handlungen zu unterrichten. Auch beachteten die Polizisten nicht die örtlichen Bedingungen, wenn sie Verkehrskontrollen durchführten. An heißen Tagen waren die Polizisten auch nicht geneigt, ihre Schutzwesten zu tragen.