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3.6 Mangelnde Wachsamkeit bei Interaktionen

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Straftäter mit langer krimineller Karriere besitzen in manchen Bereichen eine gute Menschenkenntnis: Sie erkennen recht schnell die Schwächen anderer Menschen. Dazu folgendes Beispiel:

In einem Fall hatte ein 26-Jähriger zuvor 40 Einbrüche, 6 bewaffnete Raubüberfälle, 200 Autodiebstähle und 2000 Verstöße gegen Drogengesetze begangen. Vor der Ermordung des Polizisten hatte er niemals versucht, jemanden zu töten. Sein letztes Delikt vor dem Mord war ein bewaffneter Raubüberfall gewesen.

Als der Polizist ihn zu einer Anhörung vor Gericht fahren sollte, war er daran erinnert worden, dass der Täter ein bewaffneter Räuber sei, sehr gefährlich, und dass er selbst alle möglichen Zwangsmittel benutzen sollte.

Der Täter wusste, dass er zum Gefängnis transportiert werden sollte, und hatte geplant, zu fliehen, wenn es möglich war. Er hatte einen selbst gebastelten Schlüssel für die Handschellen in seinem Mund versteckt. Er hatte auch in den vergangenen zwei Wochen mit seinen Zellengenossen eine Entwaffnungstechnik eingeübt.

Beim Verlassen des Gefängnisses sagte der Polizist, dass er den Gefangenen, wenn er „brav bleibe“, mit den Handschellen vorne (nicht auf dem Rücken) fesseln würde und ihm erlauben würde, auf dem Vordersitz zu fahren, weil es für einen Menschen mit einer derartigen Körpergröße, wie sie der Täter hatte, unbequem sei, im hinteren Sicherheitskäfig zu fahren. Der Täter versicherte dem Polizisten, dass er gehorchen würde. Auf der Fahrt zum Gefängnis hatte der Täter keine Gelegenheit zur Flucht gehabt. Auf der Fahrt dahin war der Polizist im beständigen Gespräch mit ihm gewesen und hatte dem Täter seine persönlichen Probleme mitgeteilt. Vermutlich zeigte dieses Symptom der Vertrauensseligkeit auch den Grund dafür auf, dass der Polizist dem Gefangenen beim Verlassen des Gerichts wieder nur vorne Handschellen anlegte und auf dem vorderen Beifahrersitz fahren ließ. Kurz vor Beendigung der Fahrt sah der Polizist zwei Frauen in der Nähe eines fahruntüchtigen Autos. Als der Polizist sich nach links neigte, um die Autotür zu öffnen, kam seine Dienstwaffe in Reichweite des Gefangenen. Dieser nahm sie aus dem Holster, und bei dem folgenden Kampf erschoss er den Polizisten mit dessen eigener Waffe.

Der Täter zeigte später keinerlei Gefühle für das Opfer. Er sagte, dass der Polizist ihn hätte in die Sicherheitszone auf dem Rücksitz setzen sollen und dass er nicht hätte so gesprächig sein sollen. Seiner Meinung nach hatte es der Polizist versäumt, seinen Job richtig zu tun, und er hatte ihm eine Möglichkeit gegeben, zu entkommen (FBI, 1992).

Man sieht also: Was der Polizist als freundliches Verhalten ansah, betrachtete der Täter als Schwäche, die er ausnutzen konnte. Spieltheoretisch ausgedrückt: Eine extrem kooperationsbereite Strategie (Polizist) traf auf eine extrem unkooperative Strategie (Täter) und wurde besiegt.

Psychologie der Eigensicherung

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