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Qualitätskontrolle

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Montag, 1. Juli 2019, 10.15 Uhr

Karl Gabarek war ein kleiner, spindeldürrer Mann. Alles an ihm war durch einen jahrzehntelang praktizierten übermäßigen Tabakkonsum gezeichnet. Seine Haut war faltig und fahl, das Weiß seiner Augäpfel wirkte schmutzig und war von unzähligen rötlichen Äderchen durchzogen. Atem und Kleidung verströmten einen penetranten Geruch nach kaltem Rauch.

Gerade deutete er mit einem von Zigarettenteer gelblich verfärbten Finger auf eine etwa drei Zentimeter lange Schabe, die eilig über den grauen Steingutboden der Restaurantküche krabbelte.

Dem Eigentümer und Küchenchef des Pfalzhofes neben ihm entgleisten die Züge. Hitze stieg in den Kopf des Mannes und verwandelte ihn in einen roten Ballon. »Aber so was gab’s noch nie in meiner Küche«, setzte er zur Verteidigung an.

Gabarek blieb ruhig. Aus Erfahrung wusste er, dass es in Momenten wie diesen gut war, Gelassenheit auszustrahlen und dem Betroffenen die Zeit zu geben, sich das herannahende Unheil auszumalen. Dies löste bei seinen Kunden weit mehr aus als die strengen Worte eines Beamten.

»Sie müssen mir glauben, hier ist alles picobello. Wir halten uns penibel an den Reinigungsplan. Wir hatten noch nie Ungeziefer.«

Gabarek nickte nur und legte mitfühlend die dürre Hand mit den gelben Fingern auf den Arm des beleibten Kochs. Interessant, wie das immer nach dem gleichen Schema ablief: die Überraschung, das Nicht-wahrhaben-Wollen, das Verhandeln und schließlich die Einigung. Ein vorhersehbares, kalkulierbares Ritual.

»Ein Schabenbefall in einer gastronomischen Einrichtung ist ein nicht zu unterschätzendes Gesundheitsrisiko für die Gäste. Sie übertragen Schimmelsporen, Salmonellen und erhöhen das Risiko für Magen-Darm-Infektionen signifikant. Ihr Anfraß und ihre Ausscheidungen können Lebensmittel ungenießbar machen und Allergien auslösen«, leierte Gabarek herunter.

Der Restaurantbesitzer nickte wie ein Schuljunge, dem der Lehrer gerade eine Standpauke hält.

»Und wenn so was erst an die Öffentlichkeit kommt …«, setzte Gabarek an und ersparte sich, den Satz zu beenden. Er wusste, dass die menschliche Fantasie grausamer sein konnte als Worte. Ebenso wusste er, dass der Besitzer des Pfalzhofes bei diesem Köder anbeißen würde.

»Aber wieso würden Sie das tun? Wie sollte die Öffentlichkeit davon erfahren, wenn Sie nicht …«, stammelte der massige Mann mit der Kochschürze.

»Ich werde ganz sicherlich nichts darüber verbreiten. Ich bin ein alter Hase und bekannt für meine Diskretion.«

»Aber wie sollte dann die Öffentlichkeit …?«

»Na ja, wenn ich zurückkomme, muss ich das zu Ihrer Akte nehmen.« Er deutete dabei auf das Handy, mit dem er eben die fliehende Schabe fotografiert hatte. »Dann wird daraus ein Vorgang. Er wird protokolliert, kopiert, verteilt. Er läuft durch die Hände von Sachbearbeitern, Sekretärinnen, Vorgesetzten und meist auch ein paar Praktikanten. Und ist am Ende in unserer Online-Datenbank für jeden Mitarbeiter einsehbar.«

Wieder verkniff er sich detailliertere Ausführungen. Nur ein Narr würde nicht erkennen, dass der Vorfall spätestens eine Woche danach zum Stadtgespräch werden würde.

Der Koch bekam keine Silbe über die Lippen. Seine Gesichtsfarbe hatte sich nunmehr in eine ungesunde Blässe gewandelt. Er mahlte mit den Kiefern. Man konnte förmlich beobachten, wie in seinem Gehirn die Synapsen unter Hochdruck arbeiteten.

»Und wenn …?«, setzte er an und blickte Gabarek treuherzig ins Gesicht.

Gabarek musste sich beherrschen, nicht zu grinsen. Wie einfach es doch war, Menschen zum Denken anzuregen. Aus Erfahrung war er sich gewiss, dass es fortan nicht mehr um das »Ob«, sondern nur noch um das »Wie viel?« ging. Doch er schwieg weiter, holte ein Formular aus der Tasche und begann, es quälend langsam unter den Augen seines Gegenübers auszufüllen.

Den Hals des Kochs zierten mittlerweile faustgroße rote Flecken. Unruhig stieg er von einem Fuß auf den anderen.

Als Gabarek schließlich gut leserlich in Großbuchstaben die Worte »AKUTER SCHABENBEFALL« eintrug, räusperte sich der Mann.

»Und wenn ich Ihnen zu 100 Prozent zusage, dass ich noch heute einen Kammerjäger beauftrage? Sie dürfen auch gerne mithören, wenn ich ihn anrufe.«

Gabarek war mit sich zufrieden. Alles entwickelte sich in die richtige Richtung. Jetzt galt es nur noch, die letzte Weiche zu stellen.

»Ja, wenn erst einmal das Auto des Kammerjägers vor der Restauranttür steht … Und so eine Fachkraft soll darüber hinaus sehr teuer sein.«

Er hatte ganz bewusst das Wort »teuer« etwas gedehnt ausgesprochen.

Der Koch schien die Botschaft verstanden zu haben. »Was meinen Sie, was so was kostet?«, fragte er artig.

»Wenn man bei einem Insektenbefall alles restlos beseitigt haben will, sodass niemand mehr was davon mitbekommt, kann das gut und gerne 3.000 Euro kosten«, antwortete Gabarek gelassen und füllte weiter das Formular aus.

Der Koch entfernte sich und kam mit einem Umschlag zurück, den er neben das Formblatt legte. Gabarek öffnete ihn mit seinen gelben Fingern und den viel zu langen Fingernägeln, spähte hinein und zerknüllte den ausgefüllten Vordruck. »Da hab ich mich doch leider verschrieben«, sagte er, grinste verschlagen und drückte dem unsicher neben ihm stehendem Restaurantbesitzer die Papierkugel in die Hand.

»Das können Sie wegwerfen.« Dabei schob er das Kuvert in die speckige Aktentasche und wandte sich zur Tür.

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