Читать книгу Dantons Tod von Georg Büchner: Reclam Lektüreschlüssel XL - Uwe Jansen - Страница 10
3. Figuren Danton
ОглавлениеAbb. 2: Danton auf dem Weg zur Hinrichtung, 1794. Rötelzeichnung von Pierre-Alexandre Wille
Georg Danton ist nicht nur die Titelfigur, sondern auch eindeutig die Zentrale Figur Georg Dantonzentrale Figur des Dramas. Er ist der Revolutionär, dessen geschichtliches Handeln von Büchner im Wesentlichen so geschildert wird, wie er es seinen Quellen entnehmen konnte. Inhaltlich steht er für Mäßigung und Aussöhnung der zahlreichen, oft gegensätzlichen politischen und sozialen Gruppierungen im Frankreich seiner Zeit, er selbst entstammt dem Kleinbürgertum. Der in der Pariser Bevölkerung beliebte WerdegangAnwalt förderte mit seinen Schriften den Sturz der Monarchie und wurde anschließend Justizminister. In dieser Funktion war er an der Bildung des Revolutionstribunals beteiligt. Mit Desmoulins stand er an der Spitze der indulgents (»Gemäßigte«), wie die Dantonisten im Nationalkonvent und im Wohlfahrtsausschuss auch genannt wurden. Unter seiner Verantwortung kam es zum Gewaltexzess der Septembermorde 1792, im Jahr darauf begab er sich zunehmend in Opposition zur Politik der terreur.
In der Dramenhandlung hat Danton jedoch seine aktive Zeit hinter sich. Er beobachtet und reflektiert viel, und wenn er handelt, reagiert er bloß. »Sieh« lautet bezeichnend sein erstes gesprochenes Wort, mit dem das Drama beginnt; er befindet sich mit seiner Frau »etwas weiter weg« (I,5; S. 5). Auf die Aufforderung zum Handeln durch seine Freunde angesichts der Hinrichtung der Hébertisten antwortet er stereotyp mit der Konjugation des Hilfsverbs der Futurbildung: »Ich werde, du wirst, er wird« (I,1; S. 8). Als Philippeau ihn darauf etwas naiv zum politischen Engagement auffordert, betont Danton wieder die Distanz zum GeschehenDistanz: »Das und dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit auseinander, die Strecke ist lang« (ebd.).
Danton hat den Glauben an die Wirksamkeit eines solchen Engagements verloren. Menschen vergleicht er mit Marionetten: »Puppen sind wir von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!« (II,5; S. 43). Dabei sieht er durchaus die Konsequenzen einer solchen PassivitätPassivität, gerade in revolutionären Zeiten, aber gibt sich zumindest so, als ob er sie bereitwillig tragen wird: »ich will lieber guillotiniert werden, als guillotinieren lassen« (II,1; S. 32). Bei Äußerungen dieser Art ist jedoch stets mit einem gehörigen Anteil Ironie und Koketterie zu rechnen, worauf Lacroix hinweist: »Und glaubt kein Wort von dem was er gesagt hat. Nichts als Faulheit!« (II,1; S. 34).
Gleichwohl bäumt sich der Revolutionär auch im Drama noch einmal auf, auch wenn seine VerteidigungsredeVerteidigungsrede vor dem Revolutionstribunal (III,4) von allen Konventionen abweicht und keine Aussicht auf Erfolg hat. Auf die formale, aber auch lächerlich unsinnige Frage nach seinem Namen antwortet er pathetisch: »Die Revolution nennt meinen Namen. Meine Wohnung ist bald im Nichts und mein Namen im Pantheon der Geschichte« (III,4; S. 57). Im Anschluss zählt er seine Verdienste um die Revolution auf und rechnet dazu selbst die Septembermorde: »Ich habe im September die junge Brut der Revolution mit den zerstückten Leibern der Aristokraten geätzt« (III,4; S. 58).
An solchen Widersprüchlichkeiten wird bereits die Affinität des Büchner’schen Danton zum NihilismusNihilismus spürbar, menschliches Handeln wird für ihn buchstäblich sinnlos. Am deutlichsten wird dies in den Szenen des Wartens auf die Hinrichtung in den beiden letzten Akten. Hier wird das Leitmotiv der Ruhe wieder aufgegriffen, das bereits im ersten Auftritt anklang; dort verglich Danton Julies Schoß mit einem Grab und dieses mit der ersehnten Ruhe (I,1; S. 5 f.). Im Gefängnis wird dies dann deutlicher und radikaler: Die Ruhe sei im »Nichts«, und dieses »Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab worin es fault« (III,7; S. 67). Ist alles immer gleich sinnlos, fallen Gegensätze wie Geburt und Tod in eins: »Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel. Was wird das helfen? Wir können im Grab so gut wimmern, wie in der Wiege« (IV,3; S. 73).
Dahinter steht Dantons und auch Büchners Verständnis des griechischen Philosophen EpikurEpikur (um 300 v. Chr.). Dieser sah in der Unerschütterlichkeit der Seele das höchste Ziel menschlicher Existenz; Furcht vor den Göttern oder gar vor dem Tode seien zu verachten. Auf dem Weg zu diesem Ziel seien Selbstbeherrschung und Mäßigung wichtige Hilfen. Heute versteht man unter einem Epikuräer jedoch stark verkürzend einen reinen Genussmenschen. Für Griechen und Römer, für sinnenfreudige Sensualisten wie für strenge, auf Moral bedachte Idealisten gilt in Dantons Augen dasselbe: »Die einen waren so gut Epikureer wie die andern« (IV,5; S. 79). Ganz am Ende steht die radikal absurde Feststellung: »Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott …« (IV,5; S. 80).
Ruhe findet Danton in Ansätzen allenfalls in der innersten Privatsphäre, unter Danton und die FrauenFrauen. Noch auf die Körperlichkeit reduziert gegenüber Marion: »Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen« (I,5; S. 21). Und schließlich in Gedanken an Julie: »O Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste – ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr. Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben« (III,7; S. 67).