Читать книгу Dantons Tod von Georg Büchner: Reclam Lektüreschlüssel XL - Uwe Jansen - Страница 4
1. Schnelleinstieg
ОглавлениеAutor | Georg Büchner, 17. Oktober 1813 (Goddelau, Hessen-Darmstadt) – 19. Februar 1837 (Zürich) | |
Erstdruck | 1835 (redaktionell stark bearbeitet), Frankfurt a. M. | |
Uraufführung | 1902 Berlin, Freie Volksbühne im Belle Alliance Theater | |
Ort und Zeit der Dramenhandlung | Paris, Frühjahr 1794 | |
Handlungsbestimmender Konflikt | Phase der Terreur (Schreckensherrschaft) innerhalb der Französischen Revolution | |
Gruppe um Danton: Mäßigung | Gruppe um Robespierre: Radikalisierung |
»Der Dichter ist kein Lehrer der Moral«1, erklärte der 21-jährige Medizinstudent und steckbrieflich gesuchte Revolutionär kurz nach der Veröffentlichung von Dantons Tod am 28. Juli in einem Brief an seine Familie. Tatsächlich dürfen Leserinnen und Leser dieses Dramas keine vorgefertigten Keine vorgegebene LesartLehrsätze erwarten. Und das ist wohl auch gut so. Zu verschieden ist unsere Zeit von derjenigen Büchners und erst recht im Vergleich zur Französischen Revolution, zu unterschiedlich sind alle Individuen, die sich auf den komplexen Text einlassen, und zu stark sind wir vom grundsätzlichen Wert eines Pluralismus der politischen Meinungen, der Weltanschauungen, der religiösen Vorstellungen u. Ä. überzeugt. Zahlreiche konkurrierende Deutungen des Dramas (Kap. 6), die sich mitunter sogar widersprechen, belegen diese Vielfalt.
Warum Dantons Tod lesen?Warum dann Dantons Tod lesen? Büchner fährt in seinem Brief an die Familie fort: »[Der Dichter] erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht.«2 Nimmt man diese Selbstäußerung ernst, so handelt es sich bei dem Stück um eine Art Dramatische VersuchsanordnungVersuchsanordnung des jungen, politisch bewegten Naturwissenschaftlers, die gerade wegen der Vielfalt der Ergebnisse, die sie hervorzubringen vermag, zeitlos ist.
Stoff ist also die Große Revolution in Frankreich (1789–99) – Büchner wählt aber gerade nicht den triumphalen, bis heute gefeierten Beginn am 14. Juli, auch nicht die (gerade im deutschsprachigen Raum stark und kontrovers wahrgenommene) Verhaftung und Hinrichtung König Ludwigs XVI., schon gar nicht die Verfassungsgeschichte und auch nicht das (scheinbare?) Ende der Revolution mit Napoleon. Er greift vielmehr wenige Tage innerhalb der sogenannten Stoff: Zeit der SchreckensherrschaftSchreckensherrschaft heraus. Nach Ausschaltung der ultraradikalen Hébertisten am 24. März 1794, worauf zu Beginn des Dramas (I,2) Bezug genommen wird, stehen einander im Wesentlichen zwei Gruppierungen gegenüber: Die Jakobiner um Robespierre und St. Just wollen den revolutionären Prozess mit dem Ziel eines vollständigen, auch sozialen Umsturzes weiter radikalisieren. Danton und seine Mitstreiter, ursprünglich gemeinsam mit Robespierre am zentralen Wohlfahrtsausschuss beteiligt, wollen die Revolution beenden und treten für Mäßigung ein. Das Stück führt die letzten Tage dieser Auseinandersetzung bis zur Hinrichtung der Dantonisten am 5. April 1794 vor.
Es geht um Politik, um blutige Gewalt und Willkür, aber auch um Sexualität und innige Liebe bis in den Tod und nicht zuletzt um philosophische und existentielle Letzte FragenFragen nach dem Dasein Gottes und der Zerbrechlichkeit des Menschen. Büchner legte die Fragen, die ihn zeit seines kurzen Lebens unaufhörlich beschäftigten und die wohl niemandem unbekannt sind, seiner Titelfigur in den Mund: »Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?« (S. 43), Fragen, die er fast wörtlich auch bereits seiner Braut in einem Brief um die Entstehungszeit des Textes im Frühjahr 1834 stellte.3
In ihrer literarischen, aber auch politischen Radikalität BüchnersRadikalität waren die Schriften Büchners ihrer Zeit weit voraus – erst im 20. Jahrhundert begann sich die immense WirkungWirkung richtig zu entfalten. Nach der Uraufführung des Stückes im Berliner Belle Alliance Theater durch die der Arbeiterbewegung nahestehenden Freien Volksbühne im Jahr 1902 folgten in den wenigen Jahren der Weimarer Republik an die 100 verschiedene Inszenierungen auf deutschsprachigen Bühnen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Werk Büchners in beiden deutschen Staaten und darüber hinaus – wenn auch z. T. aus unterschiedlichen Gründen – hoch angesehen, es entstanden erstmals wissenschaftlich belastbare Textausgaben. Georg Büchner heuteHeute ist Büchner aus der Literatur- und Theaterwissenschaft, von den Bühnen unterschiedlichster Couleur und auch aus den Klassenzimmern nicht mehr wegzudenken – ein sichtbares Indiz hierfür ist die in der Öffentlichkeit stark beachtete jährliche Vergabe des Georg-Büchner-Preises für deutschsprachige Literatur der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der als bedeutendster Literaturpreis des Landes gilt.