Читать книгу Der See des Teufels - Uwe Woitzig - Страница 10

Kapitel 9

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Aufatmend schloss Big Ralf die Tür. Endlich war er alleine und konnte sich überlegen, wie es mit seinem Plan weitergehen sollte. Seinem Plan?

Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass es in Wirklichkeit Theas Plan war. Thea! Der Gedanke an sie zauberte ein glückliches Lächeln auf sein Gesicht. Als er sie das erste Mal an der Bar des Hiltons in Kiew gesehen hatte, war er sofort verzaubert gewesen. Sie hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit Pamela Anderson, allerdings mit einem slawischen Einschlag. Er hatte sie zu einem Drink eingeladen und sie hatte angenommen. So hatte es begonnen.

Von da an, waren sie jeden Augenblick zusammen gewesen, den er in Kiew verbracht hatte. Und es waren viele Augenblicke gewesen im letzten Jahr, weil er für Augustus immer wieder einen Vorwand gefunden hatte, warum er angeblich dorthin musste.

Eines Morgens hatte Thea ihn gefragt, was er eigentlich in Kiew mache. Er hatte ihr von dem Ölprojekt in der Ostsee erzählt. Ihr berichtet, dass Augustus von einem riesigen Ölvorkommen in 1600m Meerestiefe erfahren und es dank seiner Logenbrüder geschafft habe, die Lizenz zu erhalten, es anzubohren und das Öl zu fördern.

Das sei in dieser Tiefe noch nie gemacht worden und sicher nicht ganz ungefährlich, aber die Gewinnspannen seien riesig und das Risiko wert. Er sei in Kiew, um das notwendige Material zu kaufen. Das heißt, den Bohrer, die Rohre und die Kabel. Die Bohrinsel lasse Augustus sich gerade von einem Ölkonzern bauen, dessen Aufsichtsratsvorsitzender ein Mitglied der Loge sei, in der Augustus Logenmeister ist.

„Und wie viel verdienst du bei dem Projekt?“ hatte Thea gefragt.

„Ich habe einen guten Lohn“, erwiderte Big Ralf.

„Und damit bist du zufrieden? Du machst die Drecksarbeit, dein Boss verdient ein paar Milliarden und speist dich mit einem lächerlichen Lohn ab? Warum holst du dir nicht ein großes Stück von dem Kuchen und setzt dich danach mit mir an einem schönen Platz dieser Welt zur Ruhe?“

Big Ralf überlegte kurz. Eine nicht uninteressante Perspektive. Zumal er Thea wirklich mochte, sogar, wenn er ehrlich zu sich war, sehr mochte, besser gesagt, liebte.

„Hmm, und wie könnte ich das anstellen?“

„Nun, ich könnte dir helfen. Ich habe gute Freunde, die arbeiten mit dem Verteidigungsministerium zusammen. Sie könnten dir etwas Sprengstoff besorgen, vielleicht sogar eine kleine Bombe. Die könntest du oberhalb des Ölfeldes im Meer versenken und deinem Boss damit drohen, sie zur Explosion zu bringen. Dann würde ein Leck entstehen und das Öl in die Ostsee schießen. Die Folgen für die Umwelt wären katastrophal. Und deren Beseitigung teuer. Sehr teuer. Vermutlich so teuer, dass nicht nur der Gewinn aus der Ölförderung, sondern das gesamte Vermögen deines Chefs dafür benötigt würde. Ich schätze, da ist er doch sicher bereit, dir den verhältnismäßig geringen Betrag von 100 Millionen Euro zu bezahlen, nur damit du die Bombe nicht zündest, meinst du nicht?“

Big Ralf schwieg und dachte nach. Das klang einfach und schlüssig. Zu einfach. Wo war der Haken?

„Was ist, wenn er mich bei der Polizei anzeigt und verhaften lässt?“

„Das wird er nicht. Wenn er das macht, wird man ihm vermutlich seine Bohrlizenz entziehen, weil den Verantwortlichen bewusst wird, wie anfällig und gefährlich das ganze Projekt ist. Er wird zähneknirschend bezahlen. Allerdings könnte es sein, dass er dir Auftragskiller hinterher schickt, aber um die kümmern sich dann meine Freunde?“

„Was sind das für Freunde?“ fragte Big Ralf.

„Sehr mächtige Freunde. Sie arbeiten für meine Regierung. Und sie mögen mich und werden alles tun, um mich und meinen Mann zu schützen.“

„Wie meinst du das?“ fragte Big Ralf verwirrt.

„Ich meine, dass wir heiraten sollten, wenn du das Geld hast. Ich bin 28 Jahre und möchte raus aus der Ukraine. Lass uns ein Haus an der Côte d´Azur kaufen, Kinder haben und in Ruhe und Frieden unser Leben genießen. Nur einmal ein Risiko eingehen und es dann geschafft haben. Davon träumt doch jeder. Du etwa nicht?“

Thea hatte ihn herausfordernd angesehen. So herausfordernd, dass klar war, wie er sich zu entscheiden hatte. Sein Ego gab den Ausschlag.

„Selbstverständlich träume ich davon. Und ich bin sehr risikofreudig, wenn es nicht nur um das Geld, sondern auch um uns geht. Du machst mich zum glücklichsten Mann der Welt, wenn du mich heiratest. Also, gut, ich mache es. Bringe mich mit deinen Freunden zusammen.“

Schon am späten Abend hatte er Miron in einem Café am Rande des Slawy Parks getroffen. Als Miron ihm erklärte, dass die Bombe zehn Millionen Euro kosten würde, hatte er gestutzt.

„Wieso das denn? Sie wird doch gar nicht explodieren, reicht da nicht eine Attrappe?“

Miron hatte gelächelt.

„Nein, ein Dummie reicht nicht. Wer sagt dir, dass dein Boss nicht ein Tauchboot runter schickt und die Bombe untersuchen lässt. Sie muss mit ausreichend Sprengstoff geladen sein, damit die Detektoren des Bootes ihn erkennen können. Um den Wasserdruck in dieser Tiefe auszuhalten, müssen wir Speziallegierungen verwenden, die sehr teuer sind. Viel teurer als Gold.

Außerdem brauchen wir eine sehr zuverlässige Satellitenfunkverbindung, mit der die Bombe entschärft werden kann. Den Satelliten und den Empfänger programmieren zu lassen, ist ebenfalls sehr teuer.“

„Was? Die Bombe ist scharf? Wie kann sichergestellt werden, dass sie nicht versehentlich explodiert und tatsächlich eine Riesensauerei entsteht?“

„Natürlich ist sie scharf. Nur so bist du psychologisch stark genug, um gegenüber deinem gerissenen Boss glaubwürdig zu wirken. Aber zu deiner Beruhigung: Wir haben die Dicke der Gesteinsschicht über dem Ölfeld von unseren Geologen messen lassen. Auf jeden Fall werden wir der Bombe nur so viel Sprengkraft geben, dass sie diese Schicht nur ankratzen, aber kein Loch hineinreißen kann. Auch wir wollen keine Riesensauerei, wie du es treffend genannt hast.“

„Was wollt ihr eigentlich genau?“ fragte Big Ralf plötzlich misstrauisch. „Geht es euch nur um die zehn Millionen Euro?“

„Was heißt da nur? Ist es nicht ein erkleckliches Sümmchen für ein paar Stunden Arbeit?“ fragte Miron zurück.

Big Ralf lächelte. Die Sprache verstand er.

„Also gut. Besorg mir die Bombe. Ich beschaffe das Geld. Eine Frage noch: wie transportiere ich das Ding?“

„Wir werden sie in sieben Einzelteile zerlegen, die wie Rohre und Stahlplatten aussehen. Die werden zwischen dem Bohrmaterial, das du transportierst, gar nicht auffallen. Und später setzen wir alles wieder zusammen und versenken das Teil von einem Spezialschiff aus.“

Big Ralf war mit dieser Antwort zufrieden gewesen. Er konnte also bei dem Transport nicht in die Luft fliegen und eine Entdeckung durch Zollbeamte war auch sehr unwahrscheinlich.

Nachdem er später Thea alles berichtet hatte, hatte sie ihn zärtlich umarmt und sanft geküsst.

„Ich bin sehr stolz auf dich. Alles wird gut, du wirst sehen.“

Kurz darauf war er zufrieden in den Armen von Thea eingeschlafen.

Sicher wäre er nicht so zufrieden gewesen, wenn er das Gespräch mit angehört hätte, dass Miron zur gleichen Zeit mit seinem Vorgesetzten Oberst Kulosnow führte.

„Er hat angebissen und will die Bombe. Thea hat einen wunderbaren Job gemacht, wir sollten ihr einen Orden verleihen.“

„Den wird sie bekommen. Aber erst, wenn unser Plan wirklich funktioniert hat. Hat dieser Ralf dich eigentlich nicht gefragt, was für Sprengstoff wir benutzen?“ fragte der Oberst.

„Nein, das schien ihm nicht wichtig zu sein.“

„So, so, der Hellste ist er Gott sei Dank nicht. Aber sicher würde es auch einen etwas einfältigen Menschen wie ihn interessieren, dass die Explosion der Bombe nicht nur die Ostsee mit Öl verseuchen wird, sondern auch mit radioaktiver Strahlung. Und dank ihrer gewaltigen Sprengkraft wird auch noch die russische Gaspipeline komplett zerstören, die über dem Ölfeld verläuft und durch die das Gas der verdammten Russen von Russland nach Deutschland geleitet wird.

Momentan gibt es einen Leitungsstrang mit einer jährlichen Kapazität von 27,5 Mrd. Kubikmetern Erdgas. Aber sie haben gerade mit dem Bau eines zweiten, gleich großen Leitungsstranges begonnen, der die Kapazität verdoppeln soll.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der für den Bau verantwortlichen Gesellschaft geht inzwischen von fast 9 Milliarden Euro Gesamtkosten aus, aber wenn sie dann 55 Mrd. Kubikmeter Gas jährlich durch die Leitungen pumpen können, haben sie diese Kosten in wenigen Jahren wieder zurück und verdienen dann gigantische Beträge.

Wenn wir das Ding in die Luft jagen, wird das ein mindestens zweist stelliger Milliardenverlust für unsere Freunde in Moskau, der sich aus den verlorenen Baukosten und entgangenen Gewinnen errechnet. Selbst wenn sie die Lieferungen über die alte Überland-Pipeline wieder aufnehmen, wird es teuer für sie. Die Transitstaaten werden ihre Gebühren und Gasanteile drastisch erhöhen, wenn die Ostsee-Alternative wegfällt.

Aber ein immer noch viel zu geringer Preis, für die Ermordung und Abschlachtung unserer zahllosen Frauen und Kinder in Grosny, Schali und Urus-Martan. Hat der gute Big Ralf eigentlich eine Ahnung, dass Thea eine Tschetschenin ist?“

„Nein, natürlich nicht. Er denkt, sie sei Ukrainerin und ich ihr Landsmann.“

„Das sollte auch so bleiben. Er ist ein Werkzeug, das nicht alles wissen muss. Im Gegenteil, je weniger er weiß, umso besser. Schließlich wird er irgendwann der Hauptschuldige sein. Er wird verhaftet, angeklagt und als Erpresser und Mörder verurteilt werden. Denn auch die über dem Ölfeld im Bau befindliche Bohrinsel und die darauf tätigen Arbeiter wird unsere Bombe eliminieren. Schließlich hat das Ding mehr als die geballte Sprengkraft der beiden Atombomben, die Hiroshima und Nagasaki auslöschten. Es ist ein genialer Plan. Bei der Riesenumweltkatastrophe wird niemand auf die Idee kommen, dass der Tschetschenische Geheimdienst seine Finger im Spiel hatte, weil er die russische Gasleitung zerstören wollte.“

Von all dem hatte Big Ralf nicht die geringste Ahnung. Er saß an seinem Tisch, trank seinen Morgenespresso und dachte darüber nach, ob er nicht in den Wohntrakt von Augustus umziehen sollte. Schließlich hatte ihm Caspar gerade bestätigt, dass Luzifer seinen ersten Befehl ausgeführt hatte und Augustus spurlos verschwunden war.

Vermutlich saß der gerade in Ketten an einem der Lagerfeuer in dieser gruseligen Landschaft und ließ die Peitschenhiebe eines Dämons über sich ergehen. Big Ralf schauderte bei dieser Vorstellung und er empfand so etwas wie Mitleid. Schließlich hatte Augustus ihm nie etwas Böses getan.

Aber dann dachte er daran, dass Augustus ihm bei seinen so genannten „nassen Jobs“ immer gesagt hatte, wo gehobelt wird fallen Späne. Jeder dieser Aufträge hatte einen geschäftlichen Vorteil gebracht und Ralf hatte jedes Mal die Notwendigkeit eingesehen.

Nur bei diesem Hit in Afrika, bei dem er mit einer verkommenen Wildererbande losgezogen war, um dem unverschämten Ranger, der Augustus ausgeknockt hatte, eine Lektion zu erteilen, war es eine persönliche Angelegenheit gewesen.

„Niemand schlägt Augustus Miller“, hatte der damals rasend vor Wut gebrüllt, „du fliegst sofort in den Kongo und machst das diesem Hans Hauser klar.“

„Endgültig klar oder nur begreiflich“, hatte Big Ralf in der dafür zwischen ihnen festgelegten Terminologie gefragt.

„Endgültig klar! Der Bursche ist zu weit gegangen. Niemals darf er in meine Familie einheiraten. Er hat keinen Respekt vor mir. Aber pass auf, dass meiner Schwester und ihrem Kind nichts passiert.“

Doch dann war alles außer Kontrolle geraten. Er hatte nicht bemerkt, dass der Anführer der drei Wilderer sturzbesoffen war und auch noch Drogen genommen hatte. Als plötzlich Hans Hauser mit einem Gewehr in der Hand vor ihnen stand, war der im Tran Dahintorkelnde zu Tode erschrocken, hatte in seinem Wahn einen Zombie gesehen, voller Panik seine Uzi hochgerissen und mehrere Salven auf den Ranger abgefeuert.

Dabei hatte er nicht nur ihn, sondern auch die hinter ihm auf einer Lichtung friedlich ihre Bananen essende Gorillafamilie und die Schwester von Augustus tödlich getroffen. Den blutbesudelten, bewusstlosen Caspar, den er unter einem getöteten Gorilla-Weibchen liegen sah, hatte Big Ralf ebenfalls für tot gehalten.

Als er Augustus nach seiner Rückkehr am nächsten Abend sehr kleinlaut und bedrückt von dem Desaster berichtet hatte, war der ganz bleich geworden. Er hatte sich in seinen Sessel sinken lassen, sein Gesicht in seine Hände vergraben und leise in sich hinein geschluchzt. Minutenlang.

Big Ralf war es sehr unbehaglich zumute gewesen. Aber er wagte es nicht, sich zu rühren. Schließlich hatte sich Augustus abrupt erhoben, war zu seinem Barschrank gegangen und hatte zwei Gläser mit Scotch gefüllt. Eins davon hatte er Big Ralf gereicht.

„Auch Michael Corleone wurde in dem Film „Der Pate“ vergeben, und der hatte den Mord an seinem Bruder sogar befohlen. Bei mir war es ein Unfall. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Lass uns nie mehr darüber reden. Prost.“

Sie hatten wirklich nie mehr darüber gesprochen. Selbst, als dieser Missionar anrief und erzählte, dass Caspar überlebt hätte und zu ihm gebracht worden wäre, hatte Augustus nur gesagt:

„Nimm unseren Jet, flieg in den Kongo und hole ihn. Er wird bei mir aufwachsen. Das bin ich ihr schuldig.“

Und jetzt hatte es also Augustus selbst erwischt.

Vielleicht stimmte es doch, dass man immer das erntet, was man sät.

Big Ralf dachte angestrengt nach, was das Verschwinden seines Chefs für seinen Plan bedeutete. Wer würde über die Erpressung entscheiden, wenn Augustus verschwunden blieb? Wer würde überhaupt die Geschäfte weiter führen? Aber hatte er nicht Luzifer befohlen, ihn an Stelle von Augustus einzusetzen? Also er selbst?

Aber wie sollte er das machen?

Einfach ins Haupthaus gehen, sich an den Schreibtisch von Augustus setzen und alle Anrufe entgegen nehmen?

Vielleicht gar keine so schlechte Idee, denn natürlich waren Augustus´ Sekretärin Maria und der alte Henry bereits völlig überfordert.

Schnell erhob er sich, zog sich seinen dunklen Anzug mit einem blauen Hemd und einer roten Krawatte an und hinkte über den Hof zum Trakt von Augustus.

Der See des Teufels

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