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Kapitel 8

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Hellweiße Haare wie Wolken aus einem anderen Reich. Hellblaue Augen wie der Himmel am frühen Morgen, ein freundliches Lächeln wie die Sonne am Abend. So sah er normalerweise aus. Doch jetzt saß ein finster blickender Petrus an seinem Schreibtisch und trommelte nervös mit seinen Fingern auf der Arbeitsplatte.

Das, was er über die sieben Zeichen der Apokalypse gelesen hatte, und die aktuellen Ereignisse auf der Erde machten ihn furchtbar nervös. Bereits im Jahr 2005 irdischer Zeitrechnung waren an den Küsten Floridas und Louisianas zigtausende von toten Walen, Delphinen und Fischen aller Art angespült worden. Außerdem hatte sich das Mittelmeer vor der italienischen Küste durch abgestorbenes Plankton blutrot gefärbt, so dass sich ein Zeichen der Apokalypse, nämlich dass sich das Meer in Blut verwandeln würde, erfüllt hatte.

Im Jahr 2010 hatte es einen verheerenden Vulkanausbruch in Island gegeben, der seine Asche über ganz Europa verteilte, die den Himmel verdunkelte und den Luftverkehr lahm legte. Gleichzeitig war Schnee in den Wüsten gefallen. Damit waren zwei weitere Zeichen der Apokalypse gesetzt.

Nach himmlischer Zeitrechnung war erst vor kurzem ein Stern explodiert, den die Menschen WR 104 getauft hatten. Er war achttausend Lichtjahre von der Erde entfernt, doch jetzt rasten seine bei der Explosion entstandenen Gammastrahlen auf die Erde zu. Sollten sie die Erde tatsächlich treffen, würden im Gebiet des Auftreffens Gammablitze entstehen, die sofort alles Leben im Umkreis von Hunderten von Kilometern vernichten werden. Anschließend würde das Plankton weltweit zerstört werden. Das Verschwinden der Basis der Nahrungskette auf der Erde würde zu einer riesigen Hungersnot führen. Damit wären zwei weitere Zeichen der Apokalypse gegeben.

Auch das sechste Zeichen war erfüllt, denn Erdbeben und Hagelschläge hatten überall auf der Welt die Erde verwüstet. Gerade erst hatten Erdbeben in Kalifornien zum Einsturz von Brücken und Häusern geführt.

Nur noch das letzte Zeichen fehlte, nämlich, dass die Stadt des Tieres komplett vernichtet werden würde. Petrus wusste, dass Luzifer das Tier war. Aber was war seine Stadt? Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen ein.

Luzifer trieb sich vermutlich seit – wieder nach menschlicher Zeitrechnung – über 20 Jahren in Ratzenburg herum. Damit war Ratzenburg zu „seiner“ Stadt, also die Stadt des Tieres geworden.

Doch wie könnte er sie komplett zerstören?

Die Explosion der Bombe, die Big Ralf auf seinem Fahrzeug transportiert hatte, würde zwar verheerend sein und fast alles Leben auslöschen. Doch viele Gebäude würden stehen bleiben und einige Menschen und viele Tiere würden ebenso überleben wie damals bei den Explosionen in den beiden japanischen Städten. Das konnte es also nicht sein.

Petrus wählte Ratzenburg in seinem PC und ließ sich die Stadtansicht aus der Vogelperspektive auf seinem Wandbildschirm zeigen. Friedlich lag die Stadt in der Abenddämmerung in einem kleinen Tal, eingebettet in mit Wäldern bedeckten Hügel. Er betätigte den Zoom und ließ sich die weitere Umgebung der Stadt zeigen.

Und da sah er ihn. Den nur ein paar Kilometer entfernten riesigen Stausee, dessen mächtige Staumauer die Ratzenburg schützenden Hügel um ein Vielfaches überragten.

Petrus trat der Schweiß auf die Stirn. Das also war es! Luzifer wollte den Damm in die Luft jagen und die Stadt überfluten, um das letzte Zeichen der Apokalypse zu setzen. In diesem Moment läutete sein goldweißes Telefon und seine Anrufmelodie, das „Halleluja“ von Händel, ertönte. Er hob den Hörer ab.

Angela meldete sich und legte sofort aufgeregt los.

„Ich probiere es andauernd, aber ich kann Michael nicht erreichen. Er ist auf einer Mission am anderen Ende des Universums. Aber Helena, seine Sekretärin, erwartet ihn heute zurück und dann wird sie uns sofort anrufen. Bitte gedulde dich noch ein wenig, Chef.“

Petrus brummte etwas Undefinierbares und legte wieder auf.

Jetzt wusste er, warum es den violetten Alarm gegeben hatte. Luzifer war dabei, auf der Erde die Apokalypse einzuleiten.

Er musste unbedingt den Erzengel Michael alarmieren, der der einzige Engel des Himmels war, der es mit Luzifer aufnehmen konnte.

Seit er Luzifer aus dem Paradies vertrieben hatte, war Michael aufgetragen worden, dessen Aktivitäten genauestens zu beobachten und zu protokollieren. Besonders die von Luzifer geschlossenen Pakte mit Menschen waren von höchster Bedeutung.

Luzifer durfte zwar niemals selbständig in menschliche Schicksale oder in die Geschicke des Planeten Erde eingreifen. Doch anders sah es aus, wenn es ihm gelang, sich bei einem charakterschwachen Geschöpf als Diener zu verpflichten. Das war eine höchst gefährliche Situation. Denn nachdem er seinen angeblichen Herren ein paar ihrer albernen Wünsche erfüllt hatte, fingen die absurderweise an, ihm zu vertrauen.

Und dann war es jedes Mal ein Leichtes für Luzifer, von ihnen als Berater akzeptiert zu werden. Das nutzte er sofort schamlos und geschickt aus, um seinen Vertragspartnern und dem Planeten Erde einen möglichst großen Schaden zuzufügen.

Luzifer hasste die Menschen und die Erde nämlich wie nichts sonst im Universum. Er machte sie für seinen tiefen Fall vom Lieblingsengel zum Ausgestoßenen verantwortlich, weil Gott ihm seine Schlangennummer mit Adam und Eva nie verziehen hatte. Dabei hatte er nur zur Vervollkommnung der Menschen beitragen wollen, indem er sie vom Baum der Erkenntnis essen ließ. Noch immer sah er nicht ein, etwas Schreckliches getan zu haben. Aber wie ein zu Unrecht bestraftes Kind sagte er sich „jetzt erst Recht!“.

Die Erde hasste er, weil er sie für die gelungenste Schöpfung des Allmächtigen im Universum hielt. Nicht zufällig war dort dereinst das Paradies gewesen. Dass Gott ihn, seinen Lichtträger, daraus verjagt hatte, ließ ihn zu einer rachsüchtigen Bestie werden.

Seit ewigen Zeiten versuchte er immer wieder, SEIN Meisterwerk zu zerstören. Oder es wenigstens apokalyptisch so zu verseuchen, dass es für die verhassten Menschen unbewohnbar würde. Und jetzt schien er kurz davor zu stehen, es mit Hilfe von Augustus Miller zu schaffen.

Da er von Michael und dessen himmlischen und irdischen Helfern ständig streng überwacht wurde, bediente er sich gerne menschlicher Werkzeuge, hinter denen er sich verstecken konnte. Als Michael das herausbekommen hatte, hatte er Luzifer verpflichtet, sofort jeden neuen Pakt, den er mit einem Menschen schloss, bei ihm zu melden. Doch was „sofort“ im Verhältnis zur Ewigkeit bedeutete, war Auslegungssache. Und Luzifer pflegte „sofort“ sehr großzügig auszulegen.

Petrus musste unbedingt wissen, ob von Luzifer ein Pakt zwischen Augustus Miller und ihm angegeben worden war. Nachdem er in den letzten Stunden seine Unterlagen über das bisherige Leben von Augustus studiert hatte, war er sich sicher, dass es einen solchen geben musste.

Bei allen Pakten mit Luzifer verhalf dieser seinen vermeintlichen Herren zunächst zu einem kometenhaften irdischen Aufstieg. Er überhäufte sie mit Reichtümern und Macht, damit der unvermeidlich folgende Absturz sie umso heftiger trifft und ihre aufgeblähten Egos so zerstörte, dass sie nach ihren irdischen Leben zu seinen willigen Knechten und manchmal sogar zu neuen Dämonen wurden.

Der Aufstieg des Augustus von einem unbedeutenden Bauernsohn zu einem der reichsten und mächtigsten Männer der Erde übertraf alles, was Petrus bisher mit Luzifers Schützlingen erlebt hatte.

Seine sämtlichen Alarmglocken schrillten.

Er brauchte ihn dringend. Wo blieb Michael?

Der See des Teufels

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