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Kapitel 3

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Auch Caspar hätte das Anlassen des schweren Motors und die Abfahrt des LKWs hören müssen, doch er war zu sehr in die Operation des schwer verletzten Hundes vertieft. Es sah wirklich böse aus. Beide Vorderläufe waren gebrochen, aber das Schlimmste waren die Risse in Herz und Lunge und die schweren inneren Blutungen.

Normalerweise hätte der Tierarzt in ihm jede Hoffnung aufgegeben und den Hund eingeschläfert. Doch Caspar war mehr als ein Tierarzt. Er war auch noch ein Schamane. Seine Mutter hatte ihn von klein an mit zu den Heilungsritualen des Medizinmannes des befreundeten Stammes genommen. Immer wieder hatte er dabei beobachten können, wie Menschen mit großen Schmerzen, die auf Bahren in die Hütte des Medizinmannes getragen werden mussten, diese nach ein paar Minuten leichtfüßig und schmerzfrei wieder verlassen konnten.

Kurz vor dem Tod seiner Mutter hatte ihm der Medizinmann ein Amulett geschenkt, das aus sieben übereinander angeordneten Tierköpfen bestand und das er seitdem an einem Lederband um seinen Hals trug.

Dieses Amulett nahm er jetzt in seine Hände. Er schloss die Augen und atmete mehrmals tief ein, bis er einen Zustand der inneren Schwerelosigkeit erreichte.

„Bitte helft mir“, betete er immer wieder.

Und tatsächlich. Plötzlich geschah es.

Vor seinem geistigen Auge sah er, wie die sieben Krafttiere des Amuletts sich von dem Anhänger lösten, zu dem OP-Tisch mit dem schwerverletzten Hund schwebten und sich um ihn herum verteilten.

Hinter seinem Kopf baute sich ein mächtiger grauer Wolf auf, über seiner Stirn schwirrte ein Kolibri und über seinem Hals schwebte eine große Biene. Eine silberne Schlange rollte sich über seinem Herzen zusammen und auf seinem Bauch saß eine weiße Ratte.

An dem anderen Ende des Tisches hatte sich eine violette Katze auf ihre Hinterpfoten gestellt und ließ zärtlich eine ihrer Vorderpfoten auf dem Schwanzansatz des Hundes ruhen.

Die Tiere schlossen wie auf ein geheimes Kommando gleichzeitig ihre Augen. Caspar sah aus jedem von ihnen einen weißen Energiestrahl zu den sieben Energiezentren des Hundes, die seine Mutter Chakren genannt hatte, hinströmen.

Der Hund wurde in eine weiße Lichtwolke gehüllt. Caspar registrierte, wie sich die keuchende Atmung des Schwerverletzten beruhigte und sein unregelmäßiger Herzschlag regelmäßig wurde. Caspar öffnete die Augen, trat an den OP-Tisch und begann mit seiner Operation. Er wusste, dass die Krafttiere den Hund stabilisieren und am Leben erhalten würden.

Fasziniert hatte Gretchen seine kurze Meditation beobachtet.

Caspar hatte ihr einmal erklärt, dass die Krafttiere des Amuletts göttliche Heilkräfte besäßen und selbst in scheinbar aussichtslosen Fällen eine Heilung durchführen könnten, vorausgesetzt, die Lebenszeit des Patienten war noch nicht abgelaufen.

Als sie Caspar zum Skalpell greifen sah, war ihr klar, dass der Hund überleben würde. Vorsichtig nahm sie das tief schlafende Kätzchen, dem Caspar eine Kreislauf stabilisierende Spritze mit einem Schlafmittel gegeben hatte, und trug es zu einem der zwölf Katzenbetten, die in einem Raum neben dem OP-Zimmer aufgestellt waren. Sieben davon waren mit schlafenden Katzen belegt. Sie alle hoben bei Gretchens Eintritt in das Zimmer aufmerksam den Kopf und sahen interessiert zu, wie sie den bewusstlosen Neuankömmling sanft in eins der noch freien Betten legte.

Gretchen bemerkte, dass alle Futternäpfe leer und die beiden Katzenklos benutzt waren. Lächelnd füllte sie sie mit neuem Futter, säuberte die beiden Kisten und schüttete frisches Katzenstreu hinein.

Als sie das Zimmer verlassen wollte, folgte ihr ein kleiner schwarzer Kater, der vor ein paar Tagen leise wimmernd im Schlosshof gelegen hatte. Er war bei einem Kampf mit einer Ratte ziemlich heftig gebissen worden, doch Caspar hatte seine Wunden versorgt. Jetzt schien es ihm wieder blendend zu gehen, denn er tänzelte wie ein Tangotänzer hinter Gretchen her und maunzte sie an.

„Anscheinend willst du entlassen werden“, raunte Gretchen ihm zu und der kleine Kater spitzte die Ohren. „Aber du musst leider warten, bis der Doktor die Operation beendet hat, damit er sich dich noch einmal anschauen kann. Er würde es mir nicht verzeihen, wenn ich dich ohne seine abschließende Kontrolle raus lassen würde.“

Der Kater schien sie tatsächlich verstanden zu haben, denn er drehte sich um und schlich zu seinem Bettchen zurück. Auch die anderen Katzen hatten sich wieder zusammengerollt und setzten ihren unterbrochenen Genesungsschlaf fort. Gretchen schloss leise die Tür. Sie beschloss, ebenfalls ins Bett zu gehen.

Als sie sich in dem winzigen Einzimmerapartment neben der Praxis ausgezogen und in das kuschelige Doppelbett mit den dicken, flauschigen Federbetten geschlüpft war, sagte sie sich, dass sie noch niemals in ihrem Leben so glücklich gewesen war wie jetzt. Nicht nur, weil sie Caspar aufrichtig liebte und von ihm ebenso geliebt wurde. Sondern auch wegen der sinnvollen Arbeit, die sie mit ihm zusammen täglich verrichtete.

Es war ein wundervolles Gefühl, wenn es ihnen gelang, die teilweise grausam verstümmelten Tiere, die sie täglich in der Stadt einsammelten, wieder heilen zu können, so dass die Wildtiere unter ihnen wieder in die Freiheit entlassen und die herrenlosen Haustiere in dem von Caspar hinter dem Schloss in einer ehemaligen Scheune eingerichteten Asyl untergebracht werden konnten. Dort bekam jedes Tier eine acht Quadratmeter große Box, die einen offenen Zugang zu einer großen, mit alten Bäumen bestandenen Wiese besaß, die als Auslauf diente.

Für die Fütterung und die Betreuung der Tiere hatte Caspar vor einigen Monaten Mary angestellt. Mary wohnte jetzt in der gemütlichen Wohnung über dem Tierasyl, die Caspar bei dem Umbau der Scheune eigentlich für sich hatte ausbauen lassen.

Sie war eine siebzehnjährige Punkerin mit bunt gefärbtem Irokesenschnitt, die eines Tages mit ihrer erkrankten Ratte zu Caspar in die Praxis gekommen war.

Als sie Caspar erzählte, wie sie von zu Hause wegen des rabiaten Stiefvaters geflohen war und seitdem auf der Straße lebte, hatte Caspar sie spontan gefragt, ob sie für ihn arbeiten und die Pflege der wieder genesenen, obdachlosen Haustiere übernehmen wolle. Geld könne er ihr keins zahlen, weil er selbst fast nichts verdiene, aber sie könne umsonst wohnen und bekäme ausreichend zu essen und zu trinken.

Mary hatte sofort zugesagt und sie hatte sich als ein absoluter Glücksfall erwiesen. Vom ersten Tag an hatte sie sich liebevoll um ihre Schützlinge gekümmert. Sie hatte jedem Tier als erstes einen Namen gegeben. Gretchen war sehr verwundert gewesen, dass die Tiere sofort zu ihr liefen, wenn Mary sie mit ihrem neuen Namen rief. Doch Caspar hatte ihr erklärt, dass man daran erkennen könne, wie sehr die Tiere Mary vertrauten.

Bei einem ihrer überraschenden Besuche hatten sie beobachtet, wie Mary schlafend am Boden vor den offenen Tierboxen lag und sich alle Hunden und Katzen des Asyls eng um sie geschart hatten, friedlich mit ihr schliefen und aufmerksam ihre Köpfe hoben, als Gretchen und Caspar eintraten.

„Schau, sie bewachen sie. Das zeigt, wie sehr sie sie lieben“, hatte ihr Caspar lächelnd erklärt, bevor er Mary sanft weckte.

Nach einigen Wochen hatte Caspar Mary gefragt, ob sie Lust hätte, an einer Versammlung der „Agenten des Lichts“ teilzunehmen. Neugierig erkundigte sie sich, wer das sei. Nachdem Caspar es ihr ausführlich erklärt hatte, hatte sie sofort begeistert zugestimmt und war noch am selben Abend mit zu der Versammlung gegangen.

Als sie während der Versammlung von den vergangenen und aktuellen Machenschaften des Augustus Miller und seiner Geschäftsfreunde sowie den geplanten Maßnahmen der Agenten zu deren Verhinderung erfuhr, war sie den „Agenten“ beigetreten. Stolz hatte Mary gelächelt, als Caspar ihr nach der Ablegung des „Agenteneides“ den kleinen geflügelten Engel mit einer Kerze, auf der „Hoffnung“ stand, und der leicht zu merkenden Agentennummer 234 angesteckt hatte.

Der See des Teufels

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