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Kapitel 10

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Der alte Butler Henry sah Big Ralf verwundert an, als er ihm die Tür öffnete.

„Ich bin sein engster Vertrauter und geschäftlich seine rechte Hand gewesen“, sagte Big Ralf. „Bis zu seiner Rückkehr werde ich in seinem Sinne die Geschäfte weiter führen. Das ist sicher das Beste für uns alle. Ich gehe in sein Arbeitszimmer und setze mich an seinen Schreibtisch. Sag Maria, dass sie mir die Liste aller Anrufer bringen soll. Und du bring mir bitte eine kleines Frühstück mit zwei Eiern, Toast und Kaffee. Ich habe noch nichts gegessen.“

„Vermutlich hast du Recht. Es muss ja irgendwie weitergehen. Das Frühstück bringe ich dir gleich. Du weißt ja, wo es zu seinem Büro geht“, erwiderte Henry und schlurfte davon.

Big Ralf war etwas mulmig zumute, als er das erste Mal in seinem Leben alleine in dem riesigen, mit dunklem Holz getäfelten Arbeitszimmer von Augustus war und an dessen mächtigen Schreibtisch saß. Der schwere Lederstuhl hatte sich den Konturen des Tycoons angepasst und Ralf saß nicht besonders bequem.

„Scheint alles eine Nummer zu groß für dich zu sein“, ertönte plötzlich die vertraute Stimme neben seinem Ohr.

Erschrocken und wütend sprang Ralf auf.

„Hör auf, mich zu nerven. Sorge gefälligst dafür, dass ich mich hier zurechtfinde. Du kennst doch sicher jeden Akt. Also, gib mir eine Einweisung in die Geschäfte des Augustus Miller.“

Luzifer seufzte, aber er gehorchte. Und legte los. Gute drei Stunden lang erklärte er Big Ralf, woran Augustus gerade arbeitete. Natürlich nicht bis ins letzte Detail, aber doch genau so viel, dass Ralf das Gefühl bekam, er würde ihn wirklich in alle Geschäftsvorgänge einweihen.

Ralf war dankbar, als sie von Maria und Henry unterbrochen wurden. Das Pensum war ganz schön anstrengend. Noch nie hatte er sich so auf etwas konzentrieren müssen und ihm stand der Schweiß auf der Stirn.

Maria brachte ihm die Liste der Telefonanrufer und sah ihn fragend an, als sie sie auf dem Schreibtisch ablegte.

„Für heute und die kommenden fünf Tage iss die Sprachregelung, dat Augustus auf einer Geschäftsreise iss und erst nächste Woche wieder zurück sein wird. Dat gibt uns etwat Zeit. Aber ab nächster Woche muss ich tatsächlich einige Entscheidungen treffen, vermute ich. Oder wie sehen sie dat, Maria?“ fragte Big Ralf mit seinem schweren Ruhrpottdialekt.

„Ich sehe das auch so. Ganz dringende Entscheidungen stehen nicht an, aber nächste Woche sieht das anders aus. Da werden Sie etwas unternehmen müssen.“

„Hoffen wir, dat er bis dahin wieder zurück iss und sich dat allet ganz harmlos aufklärt“, sagte Big Ralf ohne große Überzeugung.

Maria traten Tränen in die Augen.

„Ja, hoffen wir es“, schluchzte sie leise und lief schnell aus dem Zimmer.

„Also so was, anscheinend mag sie den alten Halunken“, dachte Luzifer amüsiert. „Menschen sind doch immer wieder für Überraschungen gut.“

Laut sagte er: „Machen wir weiter mit deiner Einweisung.“

Als Henry wenig später das bestellte Frühstück brachte, war er sehr erstaunt, dass Big Ralf so erschöpft aussah.

„Geht es dir nicht gut?“ fragte er besorgt.

„Nein, nein, allet in Ordnung. Ich bin nur etwat schwach auf den Beinen, weil ich kaum geschlafen und noch nichts gegessen habe. Nach dem Frühstück wird et mir besser gehen“, erwiderte Big Ralf.

„Kann ich wirklich nichts für dich tun?“

„Danke, aber ich möchte wirklich nur wat essen.“

Kaum hatte Henry den Raum verlassen, als die Anrufmelodie von Big Ralfs Handy ertönte.

„It´s a strange, strange world we live in, Master Jack” klang durch den Raum.

Ralf warf auf einen Blick aufs Display. Thea.

Er drückte den grünen Annahmeknopf.

„Et iss jetzt etwat ungünstig, Darling. Ich sitze im Büro meines Chefs. Er iss seit heute Morgen spurlos verschwunden. Ich habe seinen Platz eingenommen und unheimlich viel zu tun. Ich rufe dich heute Abend zurück.“

Doch die Anruferin legte nicht sofort wieder auf, sondern fragte etwas.

„Ich weiß et noch nich, wat et für unseren Plan bedeutet, aber ich werde eine Lösung finden. Bis später, Darling.“

Big Ralf beendete das Gespräch und biss sich auf die Zunge. Verdammt. Aber es war zu spät. Luzifer hatte natürlich alles mitbekommen. Er war plötzlich hellwach. Es gab also tatsächlich einen Plan. Und eine Frau war involviert, die Big Ralf „Darling“ nannte. Sehr interessant. Jetzt galt es herauszufinden, was das für ein Plan und wer die Frau war.

Blitzschnell nahm er die Gestalt Pamelas an und stellte sich neben Big Ralf.

„Mein hübscher Junge ist mir untreu und hat eine Freundin, wer hätte das gedacht“, sagte er leise. „Ist es vielleicht eine gewisse Thea Baloha?“

Big Ralf sah ihn entgeistert an.

„Woher weißt du dat?“

„Ich habe so meine Quellen“, erwiderte Pamela und schürzte vielsagend ihre Lippen, „und sie arbeiten schnell und präzise. Oho, ich erfahre gerade, dass deine Thea eine sehr, sehr gut vernetzte Person ist.

Sie hat Verbindungen zu einflussreichen Persönlichkeiten, die alle auf meiner Liste stehen und in meinem kleinen Reich landen werden. Thea hat übrigens auch schon einen Platz an einem meiner kuscheligen Lagerfeuer gebucht, wie ich höre, denn sie führt nichts Gutes im Schilde.“

Ralf lauschte ihr völlig geschockt.

„Das Luder hat dir bestimmt erzählt, wie du zu einem großen Vermögen kommst, damit du sie ernähren und heiraten kannst. Armer Ralf. Mit der Geschichte hat sie schon drei ihr verfallene Buben zu bösen Taten verführt und sie mir in die Arme getrieben.“

Big Ralf fühlte sich, als ob ihm der Boden unter den Füßen weggezogen würde. Verzweifelt ließ er sein Gesicht auf die lederne Arbeitsplatte des Schreibtisches sinken.

„Du meinst also, sie hat mich in eine Falle gelockt?“ fragte er leise. „War unsere Beziehung von Anfang an inszeniert? Ging et ihr nur um die einhundert Millionen?“

Luzifer spitzte die Ohren. Er hatte zwar noch nicht wirklich eine Ahnung, wovon Ralf sprach, aber das würde sich gleich ändern. Denn er war quasi online mit seiner dämonischen rechten Hand, die einst auf Erden Stalin hieß und dort den besten Geheimdienst aller Zeiten aufgebaut hatte. Der mächtige Dämon hörte alles mit, recherchierte blitzschnell und berichtete ihm alles, indem er in sein linkes Ohr flüsterte.

„Natürlich, was denkst du denn. Thea ist glücklich mit einem Oberst des Tschetschenischen Geheimdienstes verheiratet, er heißt mit Vornamen Miron. In seinem Auftrag hat sie sich an dich herangemacht.“

Big Ralf sprang auf und warf dabei polternd den Stuhl um.

„Jetzt begreife ich. Miron hat dat allet inszeniert. In Wirklichkeit geht et aber nich nur um dat Geld, sondern vielmehr um die Bombe. Bestimmt haben sie mich belogen und sie hat eine ungeheure Sprengkraft, die ein Riesenloch in die Gesteinsschicht über dem Ölfeld reißen würde, so dat dat Petroleum ungehindert in die Ostsee strömen kann.“

Luzifer frohlockte.

Das war ja eine phantastische Geschichte. Eine Bombe war im Spiel, die eine gewaltige Umweltkatastrophe auslösen würde.

Herrlich! Genau sein Ding.

Gespannt lauschte er dem neuen Bericht seiner rechten Hand, während Big Ralf die Hände vors Gesicht schlug und lamentierte:

„Aber wieso hat Thea mir verschwiegen, dat sie aus Tschetschenien und nicht aus der Ukraine iss? Aber eigentlich iss dat vollkommen egal. Dat Biest hat mich von vorne bis hinten belogen.“

Luzifer verachtete das Selbstmitleid und die Gefühlsduselei der Erdlinge. Auch das war wieder so eine göttliche Gabe, die sie so vollkommen und schwach zu gleich machte. Oh, wie er diese Geschöpfe hasste, die sein Vater mehr liebte als ihn.

„Verdammt, wat mache ich jetzt mit den Einzelteilen der Bombe auf meinem LKW? Wenn sie beim Entladen entdeckt werden, wandere ich für viele Jahre in den Knast“, stöhnte Big Ralf verzweifelt. „Du musst mir helfen, sie verschwinden zu lassen.“

Luzifers Begeisterung erreichte ihren Höhepunkt. Die Bombe war hier. Sie war auf dem LKW, mit dem Big Ralf letzte Nacht angekommen war. Das wurde ja immer besser. Er musste unbedingt mit Augustus reden. Aber was sollte er mit Big Ralf machen?

Stalin sprach leise in sein Ohr. Pamela lächelte teuflisch.

„Hast du gewusst, dass Thea und Miron die Bombe über dem Ölfeld zur Explosion bringen wollen? Sie wollen dir einen Code geben, der angeblich die Bombe entschärft, sie aber in Wirklichkeit zündet. Nach der erfolgten Übergabe des erpressten Geldes sollst du den Code eingeben, der den Satelliten veranlasst, ein Funksignal zu senden, das die Bombe hochgehen lassen wird.

Ihr eigentliches Ziel ist aber gar nicht das Ölfeld. Über dem Ölvorkommen verläuft nämlich die russische Erdgaspipeline, die Erdgas nach Europa transportiert. Um die geht es ihnen. Die wollen sie in die Luft jagen. Und wenn die Ostsee nicht nur durch das Öl, sondern auch noch radioaktiv kontaminiert ist, kann sie nie wieder repariert werden. Der Schaden für ihren Erzfeind Russland wäre astronomisch. Ein diabolischer Plan, könnte direkt von mir sein“, erklärte Pamela mit Bewunderung in ihrer Stimme.

„Du bringst mir auf der Stelle Thea und Miron her!“ brüllte Big Ralf außer sich vor Wut.

„Gar nichts werde ich tun, mein hübscher Junge. Du hast mir nämlich nichts zu befehlen.“

Big Ralf sah Pamela fassungslos an.

„Aber unser Vertrag …“

„… war ein Witz. Nicht das Papier wert, auf dem er geschrieben wurde. Ich habe ihn nämlich nicht mit meinem vollen Namen unterschrieben, deshalb ist er null und nichtig.“

„Du, du …“ stammelte Big Ralf.

„Oho, willst du mir etwa einen neuen Namen geben?“ unterbrach ihn Pamela höhnisch. „Versuch es gar nicht erst.

Es gibt nichts, was mich nicht schon jemand vor dir geheißen hätte. Aber genug gescherzt. Deine Zeit ist um. Du gehst jetzt auf der Stelle dorthin, wo dich mein treuer Assistent Afolon schon erwartet. Er wird dir gefallen. Er ist nämlich genauso mitleidlos wie du.“

Pamela schnippte mit dem Finger und die holzgetäfelte Wand teilte sich wie ein Theatervorhang. Doch statt einer Bühne war wieder die düstere Höllenlandschaft zu sehen, die Big Ralf einen Schauer des Entsetzens über den Rücken laufen ließ.

Noch viel entsetzlicher aber war der Anblick eines hünenhaften Dämons, der hinter der jetzt offenen Wand stand und ihn mit seinen kalten Augen ansah wie die Schlange das Kaninchen.

Sein muskulöser Gorillakörper war mit einem scharlachroten Fell bedeckt und sein mächtiger Stierkopf mit züngelnden Schlangen als Hörnern von einer Feuerwolke umgeben. Er drehte seinen grässlichen Schädel und sah Pamela fragend an. Auf einen leichten Wink von ihr sprang er auf den vor Entsetzen zur Salzsäule erstarrten Big Ralf zu, packte ihn mit seinen mächtigen Pranken und hob ihn hoch wie eine Spielzeugpuppe.

Big Ralf stieß einen fürchterlichen Schrei aus, der durchs ganze Schloss hallte. Der Dämon machte einen schnellen Schritt durch die Wandöffnung, nahm einen kurzen Anlauf und hob wie ein startendes Flugzeug vom Boden ab. Dann flog er mit dem in seiner Faust zappelnden Opfer immer kleiner werdend über die lodernden Feuer auf den fernen Horizont zu.

Pamela schnippte mit den Fingern.

Als Henry und Maria gefolgt von einigen Gärtnern kurz darauf die Tür aufrissen, sah das holzgetäfelte Arbeitszimmer von Augustus aufgeräumt und ordentlich aus wie immer.

Nur auf seinem Schreibtisch stand noch das Silbertablett mit dem von Henry servierten Frühstück, von dem der spurlos verschwundene Big Ralf gerade mal einen Bissen Rührei zu sich genommen hatte.

Der See des Teufels

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