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Kapitel 5

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Big Ralf war todmüde. Aber mit sich und der Welt zufrieden lag er in seinem Bett und versuchte, einzuschlafen. Doch noch war er zu unruhig. Die tagelange Fahrt steckte ihm in den Knochen. Seufzend öffnete er die Schublade seines Nachttisches und griff nach seinen Schlafpillen. Dabei ertasteten seine Finger den Schlüsselbund, an dem sich auch der Schlüssel zu der Eisentür des Stollens befand.

Plötzlich hörte er eine Stimme.

„Warum willst du eigentlich noch jahrelang für Augustus den Handlanger spielen, wenn du doch mit einem Schlag ein so großes Vermögen machen könntest, das du nie wieder arbeiten musst.“

Erschrocken sprang Big Ralf aus dem Bett und blickte suchend um sich. Aber er war allein in seinem Zimmer.

„Ich glaub, ich spinn“, murmelte er und wollte sich wieder hinlegen.

„Nein, tust du nicht. Höre mir einfach genau zu. Ich werde dir alles erklären. Und wenn du es richtig begreifst, wirst du einsehen, dass ich dein Schutzengel bin, der dich für den Rest deines Lebens reich und unabhängig machen wird.“

„Beweise mir erst einmal, dass es dich gibt und ich nicht wegen Übermüdung spintisiere“, flüsterte Big Ralf.

Ein leises Lachen ertönte.

„Ganz wie du willst.“

Big Ralf fühlte sich von einer Riesenhand gefasst und wurde hochgehoben als sei er ein Baby. Entsetzt und fassungslos schwebte er mit dem Gesicht nach unten unter der Decke des Raumes. Sein Körper war vollkommen gelähmt, er konnte nicht einmal seinen kleinen Finger oder ein Augenlid bewegen. Nur die Atmung funktionierte noch.

„Reicht dir das?“ hörte er wieder die Stimme, diesmal dicht neben seinem Ohr. „Ach ja, du bist ja gelähmt und kannst nicht antworten. Na, dann wollen wir mal deine Zunge lösen.“

Big Ralf spürte, wie seine Zunge wie wild in seinem Mund herumtanzte, ohne dass er eine Chance hatte, sie zu kontrollieren. Panik erfasste ihn.

Er rechnete jede Sekunde damit, dass sich der Bann lösen und er aus drei Meter Höhe auf den gefliesten Boden seines Zimmers knallen würde. Und er konnte noch nicht einmal die Augen schließen. Diese vollkommene Hilflosigkeit war unerträglich.

„Ich denke, das reicht jetzt, um dich zu überzeugen, dass ich existiere.“

Big Ralfs Körper drehte sich um neunzig Grad und fuhr sanft wie in einem Paternoster zum Boden zurück. Die Lähmung war verschwunden und er konnte wieder aus eigener Kraft stehen.

„Wirst du mir jetzt zuhören?“, säuselte die Stimme.

Big Ralf nickte schwach. Er zitterte am ganzen Körper. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er mit einem Gegner konfrontiert, dem er hoffnungslos unterlegen war. Plötzlich konnte er nachfühlen, was in seinen Opfern vor sich gegangen sein musste, wenn er an ihnen seine körperliche Überlegenheit ausspielte und sie gnadenlos zusammenschlug. Seine Knie wurden weich und er ließ sich in einen Sessel sinken.

„Also gut. Im Grunde ist es ganz einfach: Augustus ist alt, fett und schwach geworden“, fuhr die Stimme fort, „er hat eine angeschlagene Gesundheit und sein Ende ist nah. Ich brauche einen jungen kräftigen Nachfolger, der in seinen mit mir geschlossenen Vertrag einsteigt. Und da du so etwas wie seine rechte Hand bist und er dich in fast alles eingeweiht hat, ist meine Wahl auf dich gefallen. Ich habe dich deswegen seit geraumer Zeit beobachtet und mit Freude festgestellt, dass du immer skrupelloser und grausamer geworden bist.

Und gestern Abend, als du aus purer Lust am Töten den Hund überfahren hast, wurde mir endgültig klar, dass du wirklich der ideale Kandidat bist und die Zeit gekommen ist, dich an Augustus Stelle einzusetzen. Deshalb frage ich dich jetzt: Bist du bereit, mir die Treue zu schwören und einen Vertrag zu unterschreiben, in dem ich mich verpflichte, dir deine sämtlichen Wünsche auf Erden zu erfüllen. Als Gegenleistung verlange ich nichts weiter, als dass du nach deinem Tod mein Diener wirst. Da du nicht an ein Leben nach dem Tod glaubst, ist es ein sehr gutes Geschäft für dich.“

„Aber wer zum Teufel bist du?“, brach es aus Big Ralf heraus.

Ein höhnisches Lachen ertönte.

„Willst du mich wirklich kennen lernen? Bist du dir da ganz sicher?“

Big Ralf nickte.

Ein gewaltiger Donnerschlag ließ das Zimmer erbeben. Eine weiße Rauchwolke stieg aus dem Fußboden und füllte sekundenschnell den ganzen Raum mit Schwefelgestank.

Big Ralf tränten die Augen und er bekam einen Hustenanfall.

Plötzlich löste sich der Rauch auf. Es war totenstill. Auch draußen. Nicht ein einziges Geräusch war mehr zu hören. Kein Motor. Kein Vogel. Keine Menschenstimme. Nichts. Vorsichtig hob Big Ralf den Kopf.

Was er sah, ließ ihn das Blut in den Adern gefrieren. Aus dem Boden ringelte sich eine ungeheuer große, schwarze Schlange mit einem roten Löwenkopf, dessen grüne Katzenaugen ihn mitleidlos anstarrten. Plötzlich brüllte der Löwe und sein stinkender Atem raubte Big Ralf fast die Sinne. Der Schlangenkörper schnellte auf ihn zu und Big Ralf entleerte seine Blase.

„Na, gefalle ich dir?“ fragte mit der vertrauten Stimme der Löwe, dessen mächtiger Kopf jetzt direkt vor Big Ralfs angstverzerrtem Gesicht schwebte. „Aber vielleicht willst du noch eine andere meiner Gestalten kennen lernen?“

Diesmal blitzte es, bevor der Donner losging. Big Ralf schlug geblendet die Hände vors Gesicht. Vorsichtig blinzelte er durch einen Fingerspalt. Im Zimmer stand ein gehörnter Dämon in einer Feuerwolke, der ihn höhnisch angrinste. Big Ralf entleerte seinen Darm und schiss sich in die Hose.

„Oh sieh an, das ist also der furchtlose Big Ralf“, höhnte die Stimme. „Nun, dann will ich dich wieder etwas beruhigen.“

Diesmal geschah alles gleichzeitig. Blitz, Donner, Rauchwolke.

Nachdem sich der Rauch etwas verzogen hatte, öffnete Big Ralf wieder misstrauisch seine Augen. Im Zimmer stand eine atemberaubend schöne Blondine in einem eng anliegenden schwarzen Kleid. Sie glich Pamela Anderson, seinem großen Idol, wie ein Ei dem anderen.

Big Ralf nahm die Hände vom Gesicht und sah sie völlig verblüfft an.

Mit der Anmut einer Tänzerin schritt sie grazil auf ihn zu und nahm sein Gesicht sanft in ihre Hände.

„Gefalle ich dir jetzt besser, mein hübscher Junge?“, fragte sie verführerisch, aber mit der ihm inzwischen so wohlvertrauten Stimme.

„Sag mir, wer du bist. Bitte.“ stöhnte Big Ralf.

Nicht nur der Schwefelgeruch, sondern auch sein eigener Gestank war unerträglich für ihn. Er wollte nur noch raus aus diesem Zimmer.

„Oh, ich habe viele Namen. Ich bin der, den sie in alten Zeiten bêl dabâbi, den Ankläger und Verleumder, nannten. Ein anderer Name für mich war sâdiru, der Verfolger und Bedränger. Eins eurer Völker, die Hebräer, nannten mich den Gegner und Widersacher. In ihrer Sprache hieß das Satan. Eure Vorfahren, die Germanen, riefen mich tiuval, was ebenfalls Ankläger bedeutet. Aus tiuval wurde Teufel, der Name, den ihr heute benutzt. Sie nannten mich auch Hel, die Göttin der Unterwelt. Von Hel leitet sich das Wort „Hell“ ab, was in eurer Sprache zu „Hölle“ wurde.

Ich selbst aber stelle mich mit meinem einzig wahren Namen vor: ich bin Luzifer, der dereinst der Träger des Lichts gewesen ist. Doch genug geschwätzt. Wirst du den Vertrag jetzt unterzeichnen?“

Big Ralf überlegte fieberhaft.

„Was passiert, wenn ich mich weigere?“

Pamela lächelte sanft. Sie sah sich kurz um und ihr Blick fiel auf die ausgebleichten Schädel der gehörnten Jagdtrophäen, die eine Wand von Big Ralfs Schlafzimmer bedeckten.

Ein maliziöses Lächeln umspielte ihre vollen Lippen und sie schnippte mit den Fingern.

Entsetzt sah Big Ralf zu, wie aus den weißen Schädelknochen die dazugehörigen Tierköpfe wuchsen. Hirsche, Rehböcke und Gämsen hingen an der Wand und blickten ihn an.

Wieder schnippte Pamela mit den Fingern. Aus der Wand sprang die ganze Herde hervor, schoss auf Big Ralf zu und durch ihn hindurch, aber ohne ihn zu verletzen. Wo ihre Köpfe gewesen waren, befanden sich jetzt große Löcher in der Wand, die die Silhouetten der durch sie hindurch gebrochenen Tierkörper formten. Durch diese Öffnungen sah Big Ralf eine düstere Höllenlandschaft. Unter einem roten Himmel mit schwarzen Wolken loderten in einer bizarren Felslandschaft unendlich viele Lagerfeuer, an denen aneinander gekettete Menschen saßen, hinter denen Peitschen schwingende Dämonen standen.

„Dort willst du doch nicht wirklich hin, oder?“ zischte Pamela drohend. Ihr schönes Gesicht verwandelte sich für Bruchteile von Sekunden in einen Schlangenkopf, der sofort wieder verschwand. Das geschah so schnell, dass Big Ralf nicht wusste, ob er nicht halluziniert hatte.

Pamela lächelte den völlig verwirrten Big Ralf freundlich an und schnippte erneut mit den Fingern. Die Löcher schlossen sich. An der unversehrten Wand hingen wieder die ausgebleichten Schädel mit ihrem Gehörn.

Big Ralf stöhnte leise. Er hatte keine Wahl. Das war ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte.

„Also, gut. Zeig mir den Vertrag. Ich will ihn lesen.“

Pamela deutete auf ein Blatt Papier auf seinem Schreibtisch.

Big Ralf stand auf. Angeekelt spürte er die Feuchtigkeit in seiner Hose. Pamela schnippte erneut mit den Fingern. Sofort war er wieder trocken und sauber.

Erleichtert setzte er sich an seinen Schreibtisch und begann zu lesen.

Der Vertrag bestand nur aus einem Satz.

„Während der Lebenszeit des Vertragspartners zu A auf Erden wird der Vertragspartner zu B ihm ein treuer Diener sein und ihm jeden seiner irdischen Wünsche erfüllen. Nach seiner Lebenszeit wird der Vertragspartner zu A dem Vertragspartner zu B ein treuer Diener sein und ihm alle seine Wünsche erfüllen.“ Darunter stand: Vertragspartner zu A: Ralf Schneider. Vertragspartner zu B: Luzifer.

Big Ralf erinnerte sich plötzlich, dass er bei einem seiner seltenen Schulbesuche aufgeschnappt hatte, dass ein gewisser Doktor Hand, Faust oder so ähnlich auch einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte.

„Wenn ein Studierter so einen Vertrag unterschreibt, warum sollte ich es nicht auch tun?“, dachte er.

„Du musst mit deinem Blut unterschreiben, sonst gilt unser Pakt nicht“, flüsterte die hinter ihm stehende Pamela ihm ins Ohr.

Blitzschnell kratzte sie ihn mit ihren spitzen Fingernägeln so heftig am Arm entlang, dass blutige Striemen zurückblieben. Mechanisch tupfte Big Ralf das aus den Kratzern heraustretende Blut mit seinem Zeigefinger ab. Er schrieb damit ein großes R unter den Text. Die Blondine lächelte zufrieden. Sie schnippte erneut und auf dem Blatt erschien ein großes rotes L.

„Damit ist der Pakt geschlossen. Du hast eine weise Entscheidung getroffen. Und jetzt lass mich wissen, was ich als erstes für dich tun soll.“

Big Ralf überlegte nicht lange und sagte es ihr.

Der See des Teufels

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