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Kapitel 4

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Caspar war todmüde. Die antike Standuhr in der Ecke des Sprechzimmers schlug 8 Uhr, als er die Operationswunde zunähte und schließlich die Nadel aus der Hand legte.

Seine Schultern und sein ganzer Oberkörper schmerzten. Die mehr als dreistündige Operation hatte ihn auch physisch sehr angestrengt.

Caspar schälte sich mühsam aus seinem grünen Chirurgenkittel und zog sich die Latexhandschuhe von seinen verschwitzten Händen.

Als er den in einer tiefen Narkose dahindämmernden Schäferhund vorsichtig vom OP-Tisch auf die daneben stehende fahrbare Trage schob, hob der andere Hund, der sich auf die Schwelle der Tür zum OP-Raum gelegt hatte und Caspar während der vergangenen drei Stunden nicht aus den Augen gelassen hatte, seinen schönen Schäferhundkopf und sah ihn fragend an. Caspar lächelte und sagt freundlich:

„Er wird wieder. Es wird ein paar Monate dauern, bis er wieder richtig laufen kann, aber er wird wieder vollkommen gesund werden.“ Der Hund sprang auf, lief zu Caspar und schmiegte sich an ihn. Caspar kraulte ihn zwischen den Ohren.

„Was brauche ich Geld, wenn ich diese Momente der aufrichtigen Dankbarkeit erleben kann“, dachte er. “Ist so ein authentischer Moment, in dem es eine tiefe Verbindung zu einem anderen Lebewesen gibt, nicht das, wofür wir alle leben?“

Erschöpft, aber glücklich schob er die Trage mit dem schlafenden Hund in den für frisch Operierte bestimmten Ruheraum. Der Partner des Patienten war ihm auf dem Fuß gefolgt und sah ihn misstrauisch an.

„Ist schon gut, du kannst hier bleiben und warten, bis er aufwacht. Dann sieht er sofort ein vertrautes Gesicht, wenn er in ca. 3 Stunden wieder zu sich kommt. Ich bin dann auch zurück, keine Sorge. Aber du musst doch am Verhungern und Verdursten sein.“

Der Hund jaulte leise.

Caspar ging zu einem der Schränke und entnahm ihm eine große Dose Hundefutter. Dann füllte er einen Napf mit Wasser und einen anderen mit dem Inhalt der Dose und stellte beides dem ihm aufmerksam zusehenden Hund hin. Zufrieden sah er zu, wie er sofort das Wasser trank und anschließend gierig das Futter verschlang. Dann ließ er sich auf seinen Bauch sinken, legte seinen Kopf auf seine Vorderpfoten und schloss die Augen. Seine regelmäßigen Atemzüge verrieten Caspar, dass er eingeschlafen war.

„Wunderbar, wenn man so treue Freunde hat“, dachte Caspar und schloss leise die Tür.

In seinem Sprechzimmer streckte und dehnte er sich, um die Verkrampfungen seines Körpers etwas zu lösen.

Plötzlich bekam er Lust, vor dem Zubettgehen noch etwas zu joggen.

Er ging in sein an die Praxis angrenzendes Einzimmerappartement, durchquerte es und entnahm seinem Schrank einen weißen Jogginganzug. Als er sich auf das breite Doppelbett setzte, um sich die Laufschuhe anzuziehen, berührte eine Hand sanft seinen Nacken.

„Hast du es geschafft, Liebling?“ flüsterte Gretchen ihm ins Ohr.

„Ja, mithilfe der Krafttiere. Er wird wieder völlig gesund werden.“

„Das ist wundervoll, Caspar. Entschuldige, dass ich schon ins Bett gegangen bin, aber ich konnte dir doch sowieso nicht mehr helfen. Willst du noch etwas Joggen, bevor du auch kommst?“

„Ich brauche etwas frische Luft. Außerdem muss ich meine Verspannungen in der Schultermuskulatur lösen, sonst wache ich mit einem schmerzenden Körper auf. Aber ich bleibe nicht lange. Ich laufe nur bis zum Tierasyl und zurück. In ca. 30 Minuten bin ich wieder da. Kannst du mir bitte einen Balsamtee kochen?“

Gretchen küsste ihn zärtlich. „Er wird auf dem Tisch stehen. Und ich werde unser Bett warm halten für dich.“

Als Caspar in den Hof trat, blendete ihn die bereits relativ hoch am Himmel stehende Frühjahrssonne. Blinzelnd gewöhnte er seine Augen an die ungewohnte Helle, als er ein lautes Brummen hörte, das immer näher kam. Erstaunt sah er, wie Big Ralf auf einer schweren Harley Davidson in den Hof einbog und sofort zum Wohntrakt seines Onkels fuhr. Gekonnt stieg er von der Maschine ab und hob sie mühelos auf ihre Ständer. Dann eilte er wie immer leicht hinkend Stufe für Stufe die Treppe zum Büro seines Onkels hoch und läutete. Henry, der alte Butler, öffnete und ließ ihn eintreten.

Caspar runzelte die Stirn. Dann lief er los und dachte nach.

Was konnte das bedeuten, dass der LKW verschwunden war und Big Ralf mit einem Motorrad, das Caspar noch nie gesehen hatte, wieder auftauchte.

„Grübelst du schon wieder über Dinge, die dich nichts angehen?“ ertönte plötzlich eine sanfte Stimme.

„Verdammt, was willst du schon wieder? Lass mich endlich in Ruhe!“ schrie Caspar zornig. Seit Monaten hörte er diesen säuselnden Singsang, der aus einer Quelle direkt neben seinem rechten Ohr zu kommen schien und von dem er nicht die geringste Ahnung hatte, was das zu bedeuten hatte.

Er hatte noch mit niemandem über dieses merkwürdige Phänomen gesprochen. Nur Gretchen hatte ihn ein paar Mal erwischt als er scheinbar Selbstgespräche führte und ihn fragend angesehen.

Aber sie war viel zu feinfühlig, um ihn direkt zu fragen.

Sie wartete, bis er es ihr freiwillig erzählen würde.

Doch er hatte keine Ahnung, was er ihr sagen sollte, und so hatte er bisher geschwiegen. Er wusste, dass er die Stimme nicht halluzinierte. Sie war real. Aber momentan war er einfach zu übermüdet und absolut nicht in Stimmung, um mit dieser mysteriösen Erscheinung über seine Gedanken zu plaudern.

„Verschwinde und lass mich in Ruhe, wer oder was auch immer du bist!“ fauchte er wütend.

Ein überhebliches Lachen ertönte.

„Jungchen, sei einfach nur froh und dankbar, dass ich dir meine kostbare Zeit widme. Aber ich denke, es ist soweit, dass ich dir ein Angebot mache, das dich interessieren könnte.“

„Bist du vollkommen verrückt geworden? Wer bist du denn, dass du es wagst, so mit mir zu reden? Ach, vermutlich bist du einer dieser durch geknallten Wissenschaftler meines Onkels, der mich mit einer neu entwickelten Schallkanone oder so was Ähnlichem bearbeitet. Richte meinem Onkel aus, dass ich an keinem seiner Angebote interessiert bin, verdammt noch mal.“

Caspar spurtete los, um möglichst viel Abstand zwischen sich und die vermeintliche Quelle der Stimme zu bringen.

„Es irrt der Mensch, solang er strebt“, hat einer eurer großen Dichter geschrieben. Der hat übrigens sein Hauptwerk mir gewidmet. Hat mir geschmeichelt, weil er mich darin ganz gut getroffen hat.“

Die Stimme war nach wie vor klar und deutlich zu vernehmen. Obwohl Caspar inzwischen im 100-Meter-Tempo rannte, veränderte sich ihre Lautstärke nicht im Geringsten. Sie war gespenstisch klar zu verstehen.

„Nein, ich bin nicht irgendein Angestellter deines Onkels. Ich bin überhaupt Niemandes Angestellter. Ich herrsche. Und als Herrscher meines Reiches mache ich dir folgendes Angebot …“

„Genug jetzt!“ brüllte Caspar.

Inzwischen war er bei der Scheune angelangt und hatte seinen Spurt beendet. Er stützte seine Hände auf seine Oberschenkel und blieb gebückt und schwer atmend stehen, um für den Rückweg neue Kräfte zu sammeln und sich von der Stimme abzulenken.

„Was ist genug?“ fragte Mary, die plötzlich neben ihm stand. „Mit wem redest du? Hier ist doch weit und breit niemand. Muss ich mir Sorgen um dich machen?“

Caspar drehte sich zu ihr um und blickte in ihre klugen Augen.

„Grüß dich, Mary. Nein, nein, musst du nicht, mir geht es gut. Ich versuche gerade eine neue Atemtechnik und dabei muss ich zwischendurch brüllen, um mein Zwerchfell zu entlasten“, log er geschickt. Mary sah ihn zweifelnd an, aber dann lächelte sie.

„Na, dann bin ich ja beruhigt. Aber es ist sehr gut, dass du hier bist. Komm bitte kurz zu mir herein, ich muss mit dir reden. Es ist wichtig.“

Sie drehte sich um und ging zurück in die Scheune. Caspar folgte ihr. Als sie das Gebäude betraten, setzte sofort ein Höllenlärm ein. Jeder der 54 Hunde, die gerade ihr Frühstück in den an beiden Seiten der Scheune befindlichen Boxen fraßen, begrüßte Caspar mit fröhlichem Gebell. Die 16 Katzen, die derzeit das Asyl bewohnten, maunzten und miauten begeistert mit.

Mary lächelte.

„Dein Fanclub rastet jedes Mal aus, wenn er dich sieht.“

Caspar strahlte sie an.

„Und ich genieße es. Diese aufrichtige Dankbarkeit und Liebe, die sie in ihren Augen haben. Wundervoll.“

Sie stiegen die steile Holzstiege zu Marys Wohnung hoch und allmählich verebbte der Lärm. Wenig später saß Caspar an Marys Küchentisch. Während sie ihm einen Tee kochte, erzählte sie ihm alles, was sie in der Nacht von ihren Agenten erfahren hatte.

„Was meinst du welche Teufelei hinter diesem heimlichen Lastwagentransport steckt. Was ist das für eine Ladung und warum wurde sie in einem stillgelegten Stollen versteckt?“

Caspar zuckte ratlos mit den Schultern.

„Ich habe keine Ahnung. Mein Onkel redet seit unserem letzten Streit wegen seines Nauro-Projektes nicht mehr mit mir. Haben unsere Agenten nicht versucht, an Bord des Lkws zu schleichen und festzustellen, was er geladen hat?“

„Doch, haben sie. Aber vergeblich. Der Stollen ist mit einer dicken Eisentür verschlossen, die anscheinend nur ein Experte ohne passenden Schlüssel öffnen kann. Dein Onkel hat bestimmt einen. Meinst du, du kannst ihn uns besorgen?“

„Das wird schwierig, aber ich werde es versuchen. Ich werde später zum Mittagessen zu ihm gehen. Das ist alles sehr, sehr mysteriös …“

Der See des Teufels

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