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Kapitel 7
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Für die Premiere seines neuen Films „Mondo Americana“ - einer Independent-Komödie über die Schattenseiten Hollywoods, wie er kurz und knapp dessen Inhalt beschreibt - kehrte Ulli Lommel im Herbst 2013 in seine ehemalige Heimat Berlin zurück. Zwischen der Erstaufführung des Films, über die nirgendwo berichtet wurde und die quasi unter Ausschluss der medialen Öffentlichkeit stattfand, und seiner Abreise findet er Zeit, sich mit dem Bus und dem Autor an seiner Seite ziellos durch Berlin fahren zu lassen und einfach irgendwo anzukommen. Sein Startpunkt der Linie 200, die er dazu benutzt, ist heute der Fernsehturm gewesen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass er das letzte Mal hier war. Im Januar 2013 feierte seine aufwendige Theater-Show „Fucking Liberty!“ mit 3D-Brillen, Live-Band, den Stars der „Volksbühne“ und einer gigantischen Micky Maus als Bühnenbild an dem renommierten und experimentierfreudigen Theater des Frank Castorf eine heftig umstrittene und sehr konträr diskutierte Premiere. Bis dahin hatte er die Stadt lange nicht besucht. Er hatte sie völlig anders in Erinnerung, wie er dem ihn heute auf seiner Fahrt begleitenden Autor erklärt. Als er 1967 von hier abreiste, um in München seine Karriere bei Fassbinder fortzusetzen, war Berlin noch geteilt. Nach der Episode mit Andy Warhol in New York landete Ulli schließlich in Hollywood. Dort war er weit weg von dem wachsenden Druck der Regierung der DDR auf ihre Bevölkerung in den 70ern und 80ern. Auch die Aufbruchsstimmung und die Protestmärsche der Massen auf den Straßen Leipzigs und Dresdens, die 1989 zur Wiedervereinigung führten, verpasste er in seiner neuen Heimat. „Den Fall der Mauer habe ich im US-Fernsehen gesehen. Zuerst dachte ich, das sei nur ein Film“, sagt er. Bevor er weiterspricht, bekommt sein von Falten durchzogenes Gesicht eine ernste Miene. „Diese Vorstellung war einfach zu unrealistisch für mich. Ich war dabei, als die Grenzanlagen gebaut wurden und sich 1961 amerikanische und sowjetische Panzer am Checkpoint Charly gefechtsbereit gegenüber standen. Ich konnte nicht glauben, dass diese Konfrontation der Supermächte vorbei sein sollte. Erst als ich mit meiner Mutter telefonierte und sie mir die Maueröffnung bestätigte, begriff ich allmählich, dass es die DDR nicht mehr gab.“ Er schüttelt ungläubig den Kopf, während der Bus über den Prachtboulevard „Unter den Linden“ und über die Friedrichstraße zum Brandenburger Tor fährt. Auf einmal fällt ihm noch etwas zum Mauerfall ein.„Als ich 18 war, wollte ich mit meinem roten MG Cabrio in den Osten. Bevor ich passieren durfte, ließ mich ein Volkspolizist zehn Stunden warten. Aus reiner Schikane, nur weil ich dieses exotische englische Auto gefahren habe. Deutsche wurden gegen Deutsche aufgehetzt, das war verrückt.“Das Sportwägelchen hat er später verkauft, um mit dem Erlös „Liebe ist kälter als der Tod“ finanzieren zu können. Wobei es auch Stimmen gibt, die behaupten, Fassbinder hätte ihn gar nicht verkauft, sondern sei ihn selbst gefahren. Wie auch immer, in dem ersten Film von Fassbinder spielte er 1969 ohne Gage die Hauptrolle, den eiskalten Gangster Bruno Straub. Der Charakter war an den Melville-Film „Der eiskalte Engel“ mit Delon in der Hauptrolle angelehnt. Deshalb wurde Uli auch als „der deutsche Alain Delon“ bezeichnet. Kennengelernt hatte er Fassbinder über Bekannte. Befreundet haben sie sich, als sie als Sitznachbarn in einem Kino bei denselben Filmszenen lachten und weinten. Es machte ihn extrem beliebt bei Fassbinder und allen anderen am Set, dass er ohne zu Zögern auf dessen Bitte für die Kosten der Fertigstellung des Films seinen Szene-Wagen verkaufte oder Fassbinder zur Verfügung stellte. Diese allgemeine Akzeptanz der Crew und vor allem des damals noch völlig unbekannten Regisseurs war ihm wichtiger als das von seinen zusammengesparten Gagen gekaufte Auto. Wenn Ulli Lommel überall auf der Welt eine Paraderolle spielt, dann ist es die des „Everybody’s Darling“. Bis heute ist sie seine beste Performance. Er bekommt dafür jede Menge Beifall. Wer einige Zeit mit dem sanften, überaus sympathischen Träumer und Geschichtenerzähler verbringt oder mit ihm zusammen gearbeitet hat, erzählt euphorisch davon. Bevor merkwürdigerweise immer leichte Zweifel und Bedenken geäußert werden. Die Sprecher der „Volksbühne“ zum Beispiel schwärmten bei Pressekonferenzen zu seinem „Fucking Liberty“, dass er trotz seines Alters so voller Energie und Ideen sei. Seine Schauspieler seien begeistert gewesen. Und der Intendant Frank Castorf, der Ulli engagiert hatte, war natürlich sowieso von ihm überzeugt. Sie alle verschwiegen geflissentlich, dass der kluge Castorf ihm einen Regieassistenten zur Seite gestellt hatte, der wie ein Luchs auf Ulli aufpasste und jede seiner versuchten Veränderungen der mit Castorf abgestimmten Dramaturgie sofort unterband. Als Ulli seine erste Fassung eines Drehbuches präsentierte, protestierte die erfahrene Schauspielerelite des renommierten Theaters sofort heftig dagegen, weil sie es für kompletten Schwachsinn hielt. Erst mithilfe des Chefdramaturgen der Volksbühne war Ullis völlig ungeeignetes Script in eine einigermaßen spielbare Form gebracht worden. Aber selbst dann hatten die zur Teilnahme an dem chaotischen Spektakel verdonnerten Akteure noch heftig gemault und ihre Mitwirkung verweigert. Bis der Intendant schließlich ein entschiedenes Machtwort sprach und sie an ihre vertraglichen Pflichten erinnerte. Klugerweise legte sich Ulli vierzehn Tage vor der Premiere mit einer angeblichen Lungenentzündung ins Bett, so dass sein Regie“assistent“, der in Wirklichkeit der tatsächliche Regisseur war, zusammen mit dem sehr guten Ensemble eigenständig das Stück so inszenieren und proben konnte, wie er es für richtig hielt. Aber selbst dann wurde es, auch dank Ullis mäßiger Performance als Conférencier der Aufführung, kein wirklicher Erfolg bei den Kritikern und Theaterbesuchern. Nach nur acht Aufführungen wurde es wieder abgesetzt, was Mr. Lommel aber nicht interessierte. Die Medien hatten über „seine“ Inszenierung berichtet und er hatte fast drei Monate lang die berüchtigten „15 Minuten des Ruhms“ gehabt, von denen Andy Warhol immer gesprochen hatte. Ein riesiges Transparent mit seinem Namen hatte während der Aufführungen über dem Dach der Volksbühne geweht und war in großen Teilen Berlins zu sehen gewesen. Damit war er völlig zufrieden.