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Kapitel 1

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Die in die Jahre gekommenen Kneipe im Keller eines prachtvollen Jugendstilhauses am Beethovenplatz in München bestand lediglich aus einem großen Raum, der durch eine schmale Wandleiste optisch in zwei Hälften geteilt wurde. Das einem englischen Pub nachempfundene Ambiente wurde dominiert von einem klotzigen Mahagonieschrank, der die Rückfront einer langgezogenen Theke bildete, vor der dreibeinige, mit braunem Leder bezogene Barhocker aufgereiht waren. Um dieses protzige, aber aus der Zeit gefallene Mobiliar herum waren wahllos schlichte Holztische mit zerschlissenen Sesseln und Couchen arrangiert, die diverse Besitzer im Laufe der Jahre vom Trödel zusammengekauft hatten und die nicht so recht zu der ursprünglich eleganten Einrichtung passten. Die angestaubte Schenke hatte bessere Zeiten gesehen. Sie war in den 80ern des letzten Jahrhunderts zeitweise sogar die beste Bar der Stadt gewesen. Nach diversen Pleiten von zum Teil sehr zwielichtigen Betreibern aus Münchens Halbwelt war sie von einem Münchner Original ein wenig renoviert und wieder eröffnet worden. Der ambitionierte neue Wirt Xaver Feuchtel wollte das Nachtlokal zu einem Treffpunkt von Künstlern aus aller Welt machen und hatte sie nach Feuchtwangers Haus in Los Angeles großspurig „Aurora Bar“ genannt. Aber der erhoffte Erfolg war ausgeblieben. Auch heute Abend gab es außer dem frustriert hinter seinem Tresen lümmelnden Xaver nur zwei Gäste, die sich an einem Tisch im hinteren Teil der Bar niedergelassen hatten und bisher nur zwei Bier bestellt hatten.¨Was für ein beschissener Umsatz! Dafür lohnt es nicht, das Licht einzuschalten“, dachte Xaver frustriert. „Heute könnte der miese Besuch allerdings am fürchterlichen Wetter liegen¨, tröstete er sich. An diesem eiskalten Dezemberabend fegte in der Tat ein heftiger Schneesturm durch die fast menschenleeren Straßenschluchten der Stadt. Selbst die ausgehfreudigen Münchner waren deshalb froh, wenn sie daheim vor der Glotze sitzen und sich ihren abendlichen Drink in ihrer warmen und trockenen Stube genehmigen konnten.

Xaver warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf eine halbleere Flasche „Jura“-Whisky, die er gestern in Angriff genommen hatte. Er seufzte. Dann beschloss er, sie heute Abend genüsslich auszutrinken und dabei diverse Monte-Christo-Zigarren zu paffen. In dem Moment öffnete sich die Tür der Bar und Xaver schaute hoffnungsvoll in ihre Richtung. Aber er wurde enttäuscht. Nur ein hagerer, alter Mann, der mit einem schwarzen Mantel und einem tief in die Stirn gezogenen Cowboyhut bekleidet war, betrat die schummrig beleuchtete Kneipe. Er blieb im Türrahmen stehen und versuchte, seine Augen an das Halbdunkel des Raumes zu gewöhnen. Eine dichte Wolke aus Schneeflocken umwehte ihn. Seine auffällige Kopfbedeckung und die Schultern seines Mantels waren mit einer dünnen weißen Schicht bedeckt. Mit raschen Bewegungen fegte sich der neue Gast das bisschen Schnee von seiner Kleidung. Der leicht angewiderte Ausdruck in seinem zerknitterten Indianergesicht verriet die Empörung einer beleidigten Diva über die Zumutung, dass er in einem solchen Wetter die wenigen Schritte vom Taxi zur Bar hatte machen müssen. „Aaahhh, der Herrrrr Lommel. Was für eine Ehre, dass er sich trotz des fürchterlichen Wetters zu meinem bescheidenen Etablissement herbemüht hat. Sei er herzlich willkommen“, begrüßte ihn Xaver gespreizt, der den neuen Gast sofort erkannt hatte. Das gewinnende Lächeln eines Kindes glättete die faltige Miene des Neuankömmlings und zerstäubte jeden Unmut in seinem Gesicht. Nur seine Augen blieben kalt und wachsam. Sie lachten nicht mit, als er Xavers Gruß lässig mit einem kurzen Tippen an seine Hutkrempe erwiderte. Unbeholfen fingerte er mit seinen klammen Fingern an den Knöpfen seines eleganten Kaschmirmantels. Xaver hätte es nicht verwundert, wenn ein Patronengurt mit zwei daran hängenden Revolvern unter dem Mantel zum Vorschein gekommen wäre. Er wurde nicht gänzlich enttäuscht. Zwar trug Ulli Lommel keine Colts. Aber seine zerrissenen Designerjeans, seine handgefertigten Cowboystiefel, sein lilafarbenes Seidenhemd und sein rotes Halstuch verstärkten wie die Waffen es gemacht hätten den Eindruck eines Kuhhirten aus dem Wilden Westen der USA. Mit seiner Kostümierung und seinem gekonnt inszenierten Auftritt hatte er tatsächlich kurzfristig das Bild des frei umherziehenden Wanderarbeiters hervorgerufen, der das Symbol für die USA in der Welt war. Ein ziemlicher Widerspruch. Ulli Lommel kleidete sich zwar wie eine Mischung aus einem jungen Rodeoreiter aus Texas und einem Londoner Punk Kid. Aber er bewegte sich wie ein alter Mann, als er mit kleinen Schritten langsam den Raum durchquerte.Xaver beobachtete ihn und überlegte, an welchen Romanhelden ihn Ulli erinnerte. Aber es fiel ihm nicht ein.„Bring mir bitte ein Glas frisch gepressten Orangensaft mit einem Schuss Wodka an den Tisch dahinten“, rief das Objekt seiner Gedanken dem Herrn der Getränke zu. Lommel sprach in einem leicht heiseren, aber fein modulierten Singsang, der dem geübten Ohr eine professionelle Sprachausbildung verriet. Ohne dessen Antwort abzuwarten, lief er an Xaver vorbei und begrüßte die beiden anderen Gäste, die bei seinem Eintritt aufgestanden waren und ihn fasziniert beobachteten. Er zog seinen Mantel aus, faltete ihn zusammen und drapierte ihn sorgfältig über einen freien Sessel. Ohne seinen Hut abzunehmen ließ er sich auf die breite Couch neben dem Tisch fallen. Mit einer lässigen Handbewegung forderte er seine beiden Gesprächspartner auf, sich ebenfalls zu setzen. Xaver mixte den gewünschten Cocktail und trug ihn gemessenen Schrittes, der seiner durch das tägliche Trinken und die vielen Frustrationsessen wegen des schwachen Umsatzes seiner Bar gewaltig gewachsenen Körperfülle geschuldet war, zu dem Tisch mit den drei Männern. Mit einer leichten Verbeugung servierte er den Cocktail seinem neuen Gast, der sich ohne ihn eines Blickes zu würdigen mit einem Kopfnicken bedankte. Behäbig schlurfte der korpulente Chef des Hauses wieder hinter seinen Tresen zurück. Er öffnete eine Schublade, zog einen Stapel eng beschriebener Seiten hervor, die ihm ein befreundeter Verleger heute vorbei gebracht hatte. Dann begann er das Manuskript mit dem Titel „Ulli im Glück“ zu lesen, das sich mit dem Schauspieler, Regisseur und Geheimnis umwitterten Phänomen Ulli Lommel befasste.

Ulli im Glück

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