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Kapitel 4

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Der Autor fragt Ulli, was das Besondere an Andy Warhol gewesen sei. Ulli erzählt ihm, dass Andy Warhol eine ganz spezielle Marotte hatte. Er besaß eine Penissammlung, die seit seinem Tod von der Warhol-Foundation unter Verschluss gehalten wird. „Wenn ein Prominenter in die Factory kam und die Stimmung übermütig wurde, fragte Andy den Gast, ob er ein Polaroid von dessen Penis machen dürfte. In ganz kleinem Kreis und zu vorgerückter Stunde legte er ein paar dieser Polaroids auf den Tisch und ließ uns raten, welcher Penis zu wem gehörte. Andy selbst war sexuell ein Neutrum. Ein berühmter Satz von ihm lautete: ´Sex is nostalgia for sex.` Zu Deutsch etwa: Sex ist die Sehnsucht nach dem Sex, den man früher mal hatte. Wir haben Andy nie in einer intimen Situation mit einem Mann oder einer Frau gesehen. Er flirtete nicht und verhielt sich völlig asexuell. Wie ein Extraterrestrischer, der nicht weiß, was Geschlechtsverkehr ist. Es gab auch Niemanden in seinem Bekanntenkreis, der behauptete, Sex mit ihm zu haben. Für uns war er eine Sphinx ohne Körper. In dieser Zeit produzierte Andy zwei Filme mit mir. Bei einer Pressekonferenz zu unserem Film ´Cocaine Cowboys` wurde Andy gefragt, ob er den weltweiten Hype um seine Person erklären könnte. Nach einer langen Pause sagte Andy mit seiner leisen, zerbrechlichen Stimme: ´It is the Andy Warhol in you.` Ich glaube, er meinte damit ein Phänomen, das auch für Marilyn Monroe, Elvis Presley und Michael Jackson gilt: Die Masse will sehen, dass das, was ihr fehlt - Ruhm, Reichtum, Glanz - unglücklich macht. Trotz der Mitwirkung von Andy waren die beiden Filme weder kommerziell noch künstlerisch erfolgreich. Deshalb trennten sich unsere Wege, und ich zog weiter nach Hollywood. Allerdings erst, nachdem ich die milliardenschwere Exxon-Erbin Suzanna Love geheiratet hatte. Wie es dazu kam, ist eine hollywoodreife Story.“ Ulli macht eine kleine Pause und schaut gedankenverloren in den grauen Himmel, der wie ein Teppich über der Stadt lag. „Suzanna arbeitete als Putzfrau in Andys Factory. Sie hatte uns allen immer erzählt, sie sei eine Vollwaise, deren Eltern tödlich verunglückten, als sie noch ein Baby war. Als ich eine Scheinehe für eine Greencard brauchte, damit ich in den USA arbeiten konnte, bot sie mir an, mich in Las Vegas zu heiraten. Auf Anraten Andys willigte ich ein und wir flogen in die Glücksspielstadt. Der Ort war ein interessantes Symbol dafür, dass ich mit der Trauung einen Jackpot knacken würde. Aber bei unserer Ankunft in Vegas hatte ich immer noch keine Ahnung, wer Suzanna in Wirklichkeit war. Das änderte sich erst, als ihre Mutter, die Suzanna vor unserem Abflug angerufen und über ihre bevorstehende Hochzeit mit mir informiert hatte, plötzlich in unserem Hotel in der Spielerstadt auftauchte, um die Trauung zu verhindern. Andy, Sukey und ich saßen entspannt an der Hotelbar, als plötzlich eine sehr elegant und teuer gekleidete Lady auf Suzanna zustürmte und sich zornbebend vor ihr aufbaute. ´Are you totally bananas to merry this German nobody?` schrie sie Sukey an, ohne sich um meine und Andys Anwesenheit zu kümmern. Der über die feine Gesellschaft der USA bestens informierte Künstler sah sie mit weit aufgerissenen Augen völlig verblüfft an. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf und lächelte. ´I am old enough. I can do what I want`, schrie Suzanna zurück. Danach bewarfen sie sich lautstark mit all ihrem Mutter-Tochter Beziehungsmüll, der sich seit Suzannas Kindheit in ihnen aufgestaut hatte. Irgendwann regte mich ihr Gezeter so auf, dass mir schlecht wurde. Ich stand auf und legte mich auf eine Couch in der Lobby. Andy kam zu mir. „Weißt du, wer die Lady ist?“ fragte er mich. Ich schüttelte schwach den Kopf. „Das ist die berühmte Mrs. Love, über die dauernd im Boulevard berichtet wird. Mit ihrem Mann zusammen gehören ihr 51% von Exxon Oil. Sie sind eine der reichsten Familien der USA. Suzanna ist ihre Tochter und wenn sie erbt, ist sie eine Milliardärin. Wenn du sie heiratest, hast du in Las Vegas den größten Gewinn aller Zeiten erzielt.“ Mir wurde schwarz vor Augen und ich fiel in Ohnmacht. Während sich ein von dem Barmann schleunigst herbei gerufener Arzt um mich kümmerte, ging Andy zu den beiden keifenden Frauen. Er erklärte der ihn wütend ansehenden Mrs. Love, dass ich selbstverständlich einen Ehevertrag unterzeichnen würde, den sie von ihren besten Anwälten aufsetzen lassen könnte. Dann erzählte er ihr, dass ich ein ambitionierter Regisseur sei, der einen sehr erfolgreichen Film in Deutschland gemacht habe. Außerdem habe er mit mir zwei sehr schöne Filme gedreht, die sicher sehr viel Geld verdienen würden. Mein großer internationaler Durchbruch stünde kurz bevor und ich würde in Hollywood bald eine Riesenkarriere machen. Daraufhin sah ihn Suzannas Mutter nachdenklich an. Sie beruhigte sich. Weniger wegen meiner ihr von Andy geschilderten Karriereaussichten, sondern vor allem wegen Andys Vorschlag einer klaren vertraglichen Regelung der Vermögensverhältnisse. Sie ließ sich von dem Barmann ein Telefon geben, rief einen ihrer Anwälte in Los Angeles an und beauftragte ihn, sofort einen hieb- und stichfesten Ehevertrag aufzusetzen und morgen mit der ersten Maschine und dem fertigen Vertrag herzufliegen. Inzwischen hatte der Hotelarzt mich auf mein Zimmer begleitet und mir eine Beruhigungsspritze gegeben. Ich schlief tief und fest, während Andy und die beiden Millardärinnen ihre wieder hergestellte Harmonie zunächst an der Hotelbar und danach bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages in einem Casino feierten. Als sie völlig betrunken wieder ins Hotel zurück kamen, wartete bereits der Anwalt auf sie, der gehorsam die erste Maschine genommen hatte. Andy kam mit dem Juristen und dem Vertrag in mein Zimmer und rüttelte mich wach. Verwirrt blickte ich die Beiden an. Ich hatte keine Ahnung, wer sie waren und was sie von mir wollten. Erst allmählich erinnerte ich mich an meine bevorstehende Hochzeit. Andy erklärte mir die Ehevertragsgeschichte. Der Anwalt reichte mir das Papier und ich unterschrieb, ohne auch nur ein Wort von dem Ding zu lesen. Damit war Suzannas Mutter zufrieden. Nach einem kleinen Frühstück bestellte sie zwei offene Limousinen und wir fuhren zu dem Ort der Trauung, einer kitschig aussehenden Wedding-Chapel am Rande von Las Vergas. Die alberne Zeremonie selbst fand in einem mit Plastikblumen geschmacklos dekorierten Raum und mit einem schrecklich aussehenden und völlig falsch singenden Elvis-Imitator als musikalische Untermalung schließlich doch noch statt. Ein in einem weißen Umhang gehüllter Typ mit einer Alkoholfahne ließ uns die Eheformeln nachsprechen. Anschließend unterschrieben Suzanna und ich als Eheleute eine wichtig aussehende Urkunde und Sukeys Mutter und Andy als Trauzeugen. Und das war´s dann. Weder die immer noch betrunkene Sukey noch ich, der ich unter der Wirkung des Beruhigungsmittels stand, begriffen, was da gerade ablief. Für uns war es eine nicht besonders lustige Party, mehr nicht. Aber Andy nahm unsere Trauung ernst. Er liebte diese Eheschließung. Ein Niemand aus Deutschland hatte eins der größten Vermögen der USA geheiratet. Wodurch wieder ein typisch amerikanischer Traum in Erfüllung gegangen war. In den Siebzigern des letzten Jahrhunderts schien eben einfach ALLES möglich zu sein. Im Zuge dieser neuen Freiheit und Liberalität, die die Grundfesten des amerikanischen Bürgertums zu erschüttern drohten, war mir ein sensationeller Einstieg in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gelungen. Alle Türen schienen mir durch die exzellenten Beziehungen Andy Warhols und das Geld meiner angeheirateten, sehr Einfluss reichen Familie offen zu stehen. Alles deutete auf eine Riesenkarriere hin. Meine Frau finanzierte mir einige meiner Filme, u.a. den „Boogeyman“. Aber sie behielt sich einen Großteil der erzielten Einnahmen. Also entschloss ich mich, von ihr unabhängig zu werden und nahm ein Angebot von dem Studio Lionsgate an, in Hollywood Horrorfilme für den Videomarkt zu produzieren. `Das kommt gar nicht in Frage, dass ich von dir nur noch einen Cent annehme, um damit einen Film zu produzieren. Ich spiele doch nicht die Rolle eines Gigolos, die sowieso jeder von mir erwartet`, begründete ich ebenso großspurig wie verlogen meine Ablehnung, mir weitere Filme von Sukey finanzieren zu lassen. Suzanna durchschaute mich und nahm mir diese Weigerung sehr übel. Statt mit ihr anspruchsvolle Filme zu drehen, obwohl sie nicht nur privat in der Rolle als Putzfrau, sondern auch vor der Kamera eine sehr gute Schauspielerin und zusätzlich noch eine sehr talentierte Drehbuchautorin war, produzierte ich ab sofort Massen von trashigen Horrorfilmen für den gerade aufkommenden Videomarkt. Ich wollte an dem Boom profitieren und schnell mein eigenes Geld verdienen. Sukeys Idee von Filmen jenseits des Mainstream erschien mir unrealistisch. Schließlich hatte ich in München erlebt, wie schwer es war, mit Fassbinders künstlerisch wertvollen Filmen finanziell über die Runden zu kommen. Aber ehrlich gesagt war der Hauptgrund für meinen Entschluss, Videos zu drehen, dass es mit gewaltig stank, von ihr mit einem Almosen abgefunden zu werden, während sie den Löwenanteil der erzielten Einnahmen kassierte. Doch diese von mir mit der Handkamera ohne Drehbuch in wenigen Tagen herunter gedrehten Machwerke waren so geschmacklos, dass sie selbst in der damals noch anspruchslosen US-Videoszene gnadenlos verrissen wurden. Das war mir egal, denn meine Einnahmen stimmten, weil ich einen guten Vertrag hatte. Durch die Vorschüsse meines Studios, die ich bei der Ablieferung eines fertigen Videos erhielt, hatte ich zum ersten Mal so etwas wie ein festes Einkommen. Zum ersten Mal hatte ich viel Geld in den Händen und ließ es krachen. Ich warf es mit vollen Händen zum Fenster hinaus und verprasste es mit meinen Hauptdarstellerinnen, die ich alle zu meinen Geliebten machte und von Kopf bis Fuß neu einkleidete. Drogen und Nutten waren auch im Spiel. Suzanna beschimpfte mich heftig wegen meines aus den Fugen geratenen Lebens. Wir stritten jedes Mal, wenn ich spät abends betrunken und/oder high nach Hause kam. Als sie eines Tages begriff, dass ich gerade meinen kleinen wirtschaftlichen Erfolg in einem eigenen Universum feierte, in dem es für sie keinen Platz gab, reichte es ihr. ´Du bist nichts als ein angstbesetzter Spießer, der Angst hat, pleite zu gehen. Für ein paar Dollars verkaufst du dein Talent. Aber was heißt denn Talent? Zu Recht misstraust du dir, weil du tief innen weißt, dass du in Wirklichkeit als Regisseur völlig talentfrei bist. Du hattest einfach nur Glück, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Fassbinder und Andy zu treffen. Und mich. Schließlich habe ich das Drehbuch zu dem Kassenerfolg ´The Boogeyman` geschrieben, den du größenwahnsinnigerweise als deinen Film bezeichnest. Ebenso wie ´Zärtlichkeit der Wölfe`, den in Wirklichkeit Raab und Fassbinder gemacht haben`, schrie sie mich eines Abends außer sich vor Wut und Enttäuschung an. ´Ich habe geglaubt, du bist ein mutiger künstlerischer Rebell, der eigene Wege jenseits des Mainstreams gehen will. In Wirklichkeit bist du nichts als ein angepasstes feiges Arschloch, das gierig hinter Ruhm und Dollars her hechelt und nicht davor zurück schreckt, sich mit fremden Federn zu schmücken. Dabei spielst du auch noch die Rolle des dauernd sanft lächelnden Everybody´s Darling. Du bist eine leere Hose, Ulli, du kotzt mich an. Ich werde dich verlassen und ausziehen.` Am nächsten Tag ließ sie während meiner Abwesenheit eine Umzugsfirma kommen, die ihre Sachen zusammenpackte und einlud. Als ich in der Nacht schwankend nach Hause kam, war ihr persönlicher Besitz ausgeräumt und mit ihr verschwunden. Meine Klamotten, meine Kamera, meine vielen Kartons mit meinen Fotoalben, Videos und Filmspulen hatte sie zurückgelassen. Selbst in meinem Rausch begriff ich, dass sie ernst gemacht und mich wirklich verlassen hatte. Ich hatte ihre Erwartungen, in mir einen erfolgreichen Underground-Filmemacher gefunden zu haben, mit dem sie kreative Filme drehen wollte, nicht erfüllt. Sie hatte nicht verstanden, dass ich mich sowieso nur eine begrenzte Zeit vor einen Wagen spannen ließ. Dann scherte ich aus und ging meine eigenen Wege. Auch wenn es mich eine gesicherte Existenz an der Seite einer milliardenschweren und auch noch sehr schönen Frau wie Sukey kosten würde. Der Reiz des Neuen war größer als die Sicherheit. Ich ging zu unserer Bar, öffnete eine Flasche Whisky, füllte mir ein Glas bis zum Rand und nahm einen kräftigen Schluck auf ihr Wohl. Dabei wünschte ich ihr gedanklich nur das Beste für ihre Zukunft, in der ich keine Rolle mehr spielte. Mit dem nächsten Schluck bedankte mich bei ihr für unseren erfolgreichsten Film ´The Boogeyman`, den sie geschrieben, finanziert und in dem sie sehr talentiert eine Hauptrolle gespielt hatte.“

Ulli im Glück

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