Читать книгу Das Erbe der Abendroths - Winterdämmern - Валентина Май - Страница 11

7.

Оглавление

Die ersten Schneeflocken schwebten herab, als Miriam in ihren Wagen stieg. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich eine Gestalt seitlich aus dem Schatten eines Hauses schälte. Ehe sie näher darüber nachdenken konnte, wurde sie grob am Arm zurückgerissen. Sie schrie erschrocken auf, als sie im Schein der Straßenlaterne die Silhouette ihres Mannes erkannte.

„Was soll das? Was spionierst du mir nach?“, fuhr er sie an. Miriam zuckte zusammen.

Der finstere Gesichtsausdruck ließ sie frösteln. „Ich … ich habe dir nicht hinterherspioniert“, gab sie zurück und war verwundert darüber, wie fest ihre Stimme klang. Pauls Mundwinkel zogen sich nach unten. „Ich wollte noch mal mit dir reden nach heute Morgen, und dann habe … habe ich dich mit …“

„Eine bessere Ausrede ist dir nicht einfallen? Du wolltest doch nur wissen, wo ich mich mit Sybille treffe! Jetzt weißt du es. Und? Zufrieden?“

Seine Worte brachten Miriam auf. „Lass mich los!“ Sie sah auf ihren Arm hinab. Wider Erwarten ließ Paul sofort von ihr ab.

„Wie lange geht das schon mit dir und der Vogt?“, stieß sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

„Was geht dich das an?“, brüllte er zurück.

„Noch bin ich deine Frau, auch wenn du das vergessen zu haben scheinst.“

Paul vollführte mit dem Arm eine ausladende Bewegung, als wolle er sie schlagen. Erschrocken wich sie zurück.

„Du hast dich doch nie für meine Dinge interessiert!“ Pauls Brauen zogen sich bedrohlich zusammen. So unbeherrscht war er noch nie gewesen. Sie fürchtete sich und sah sich um. Niemand war zu sehen.

„Und du dich nie für meine“, gab sie zurück. Sobald sie ihre Probleme mit dem Gut anschnitt, verließ er fluchtartig das Zimmer.

„Verstehe. Du sprichst schon wieder von deinem geliebten Abendroth! Für dich zählt doch nur noch das Scheißgut. Ich kann es nicht mehr hören! Aber das willst du nicht kapieren. Das Gut mitsamt den Gäulen ist mir scheißegal!“

Miriam zitterte, als er sich mit geballten Händen vor sie hinstellte. Paul war schon oft aufgebracht gewesen, aber er hatte nie die Hand gegen sie erhoben. Doch jetzt war sie sich nicht so sicher, ob er sich beherrschen könnte. Er strahlte eine Gewaltbereitschaft aus, die ihr Angst einjagte. Miriam zwang sich, ruhig zu bleiben. „Aber das Geld von Abendroth hast du gern genommen. Hast du die Boxenmiete von meinem Konto abgehoben?“ Ihr Mann hatte nie einen Cent in einen Nagel für das Gut investiert, nicht einmal eine Reitstunde für Sina bezahlt.

„Dein Konto? Muss ich dich daran erinnern, dass ich Vollmacht habe? Ich kann genauso über das Geld verfügen wie du! Alles steckst du in diese Renovierungsarbeiten. Aber ich will endlich leben und nicht mehr an dieses Gut gefesselt sein! Ich möchte die Welt bereisen, interessante Leute kennenlernen …“

Und wo blieben sie oder die Kinder? Das war doch der Gipfel an Unverschämtheit. Wo war der verantwortungsbewusste Mann, in den sie sich verliebt und den sie geheiratet hatte? Wie wollte er sich zukünftig überhaupt sein Leben finanzieren? Ihr war in diesem Moment klar, dass Paul nicht davor zurückschrecken würde, Verfügungen zu Lasten der Gutskonten zu treffen. Das musste sie verhindern. Nicht auszudenken, wenn diese Sybille Vogt von ihrem hartverdienten Geld profitierte.

„Mit interessanten Leuten meinst du wohl Menschen des weiblichen Geschlechts?“ Ehe sie es verhindern konnte, waren ihr diese Worte über die Lippen gekommen. Miriam presste die Lippen zusammen, als Paul zornesrot anlief.

Im gleichen Augenblick hob er die Hand. Miriam duckte sich instinktiv und wartete auf den Schlag. Doch im letzten Moment schien er sich wieder in der Gewalt zu haben.

„Was weißt du schon? Ich möchte endlich etwas erleben, fern von allen Zwängen und Verpflichtungen, die du uns auferlegt hast.“ Pauls Ausbruch schockierte sie. Für ihn war sie also nur eine Fessel und die Kinder ein Klotz am Bein.

„Kannst du das auch den Kindern erklären?“

Für einen Moment schnappte er nach Luft. „Willst du mich etwa mit den Kindern erpressen, bei dir zu bleiben?“

Tränen schossen in Miriams Augen. „Nichts liegt mir ferner“, flüsterte sie. „Hier geht es nur um uns. Aber sie werden Fragen stellen! Und dann? Was sagst du ihnen?“

„Das lass mal meine Sorge sein!“ Nach diesen Worten wandte er sich um und eilte davon. Miriam sah ihm hinterher. Das war es dann wohl.

Auf der Rückfahrt nach Abendroth nahm ihr der dichte Schneefall die Sicht. Der ganze Kummer brach aus ihr heraus. Was sollte jetzt werden? Als die Tränen unaufhaltsam aus ihren Augen flossen, hielt sie auf einem Parkplatz. Den Kopf aufs Lenkrad gelegt, wurde sie von Schluchzern geschüttelt. Erst nach einer langen Weile waren die Tränen versiegt. Alles im Leben hat ein Ende, selbst das größte Glück, hörte sie im Geist ihre Mutter sagen. Worte, die sie jetzt nur wenig zu trösten vermochten. Miriam fühlte sich taub und erschöpft. Paul hatte es geschafft, ihr Leben in ein Trümmerfeld zu verwandeln. Die Affäre bestand sicher schon eine Weile, so vertraut wie die beiden miteinander umgegangen waren. Sie lachte bitter auf. Und sie hatte nichts gemerkt. Herrgott, wie blöd war sie gewesen, ihm blind zu vertrauen!

Trotz seiner Schuld warf sie sich vor, sein abweisendes Verhalten fehlinterpretiert und das Desinteresse am Gut unterschätzt zu haben. All das hätte ihr zu denken geben müssen. Aber nein, stattdessen hatte sie immer wieder versucht, sein Verhalten zu entschuldigen. Weil sie es nicht wahrhaben wollte. Und er hatte ihre Gutmütigkeit und Toleranz jahrelang ausgenutzt. Wut mischte sich in ihre Enttäuschung.

Während sie hart auf dem Gut geschuftet hatte, war ihr Mann seinen Vergnügungen mit dem blutjungen Ding nachgegangen.

Miriam schniefte und fluchte. Sie trommelte mit den Fäusten aufs Lenkrad und brüllte ihren Schmerz und Frust hinaus. Entschlossen wischte sie, nachdem sie sich beruhigt hatte, die letzten Tränenspuren aus dem Gesicht. Es half ihr nicht, im Mitleid zu versinken. Das war nie ihre Art gewesen. Sie musste jetzt für ihre Kinder da sein. Zutiefst bereute sie nun ihren Streit mit Jennifer, ihre Gefühle, sich ausgegrenzt zu fühlen. Ohne Dave und Jennifer würde sie die Arbeit auf Abendroth nicht bewältigen können. Irgendwie musste alles weitergehen.

Als sie den Motor wieder startete, war der Schneefall zum handfesten Schneetreiben mutiert. Das konnte ja heiter werden. Langsam fuhr sie vom Parkplatz. Ihre Hände umklammerten das Lenkrad, bis das Weiß ihrer Knöchel hervortrat, denn in fast jeder Kurve rutschte der Wagen seitlich weg. Der Wind hatte den frischen Pulverschnee zu beiden Seiten der Straße aufgetürmt. Sie versuchte sich aufs Fahren zu konzentrieren, aber es fiel ihr schwer. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, und ihr Herz pochte schwer.

Susanne hatte recht gehabt. Es ging Paul gar nicht um ihre Schwester und ihren Schwager, sondern er hatte nur einen Vorwand gesucht, um sich von ihr zu trennen und ihr dafür noch Schuldgefühle einzureden. Erst jetzt hatte sie sein wahres Gesicht erkannt. Zu spät. Die schönsten Jahre ihres Lebens waren an ihr vorbeigezogen. Sie hatte ihrem Mann vertraut, ihm stets zur Seite gestanden und zwei Kinder geschenkt, und was tat er? Sollte er doch ein freies Leben nach seinem Geschmack führen. Mit seiner Geliebten! Aber nicht auf ihre Kosten oder zu Lasten der Kinder. Dafür würde sie sorgen. Gleich morgen Früh würde sie in Rödinghaus’ Anwaltskanzlei anrufen und um einen Termin bei dessen Tochter Christina bitten. Ihre Schulfreundin arbeitete schon seit zwei Jahren in der väterlichen Kanzlei. Es war Miriam wichtig, eine Vertrauensperson zu finden, die sie in einem womöglich bevorstehenden Rosenkrieg mit Paul vertrat. Ihr Mann würde sicher um jeden Cent kämpfen, dessen war sie sich gewiss.

Allein die Vorstellung verursachte ihr Übelkeit.

Es war bitter, nach fünfzehn Jahren vor den Scherben ihrer Ehe zu stehen. Die immer stärker werdende Wut auf Paul ließ sie das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten, bis der Motor aufheulte. Weil die Reifen nicht auf dem vereisten Untergrund griffen, geriet der Wagen ins Rutschen. Miriam lenkte vorsichtig gegen, damit er nicht in eine der Schneewehen glitt. Das war alles Pauls Schuld! Ganz ruhig, Miriam!

Sie atmete auf, als sie den Wagen rechtzeitig abfangen konnte und wieder unter Kontrolle brachte. Zum Glück kam ihr kein Fahrzeug entgegen. Sie drosselte das Tempo, und der Wagen kroch die Straße weiter entlang.

Kurz vor Melle legte das Wetter noch einmal zu. Die Scheibenwischer kapitulierten bei der Menge an weißer Pracht. Miriam beugte sich weit über das Lenkrad, um besser sehen zu können. „Verdammter Paul! Verdammtes Wetter!“, schimpfte sie laut. Im Licht der Scheinwerferkegel erkannte sie einen Anstieg. Der Allradantrieb half ihr, ihn zu nehmen. Genauso steil, wie es bergauf ging, fiel der Hang leider auch ab. Der Wagen geriet erneut ins Rutschen und stellte sich quer. Miriam gab alles, um ihn wieder kontrollieren zu können und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, ihr möge bei den Versuchen niemand entgegenkommen.

Wie aus dem Nichts tauchten unerwartet Scheinwerfer auf. Im gleichen Moment brach das Heck ihres Wagens aus, und sie näherte sich gefährlich dem Abhang. Erschrocken riss Miriam das Lenkrad zu hastig herum. Sie schrie auf, als ihr Wagen ins Trudeln geriet. Dann drehte er sich um die eigene Achse, rutschte seitlich und wurde schließlich durch einen Schneeberg gestoppt. Es war dem Anschnallgurt zu verdanken, dass Miriam unversehrt blieb. In Panik hatte sie den Fuß von Kupplung und Gas genommen, dass der Motor erstarb. Nur die Scheibenwischer fuhren im gleichen Rhythmus über das Glas. Miriam fühlte sich durch das Geschehene benommen und sank keuchend mit dem Kopf auf das Lenkrad. In ihrem Kopf rotierten die Bilder, und sie durchlebte die Szene noch einmal. Sie zitterte am ganzen Körper, und das Blut sackte in ihre Beine. Ein Schutzengel musste seine Flügel über ihr ausgebreitet und damit vor Schlimmerem bewahrt haben. Was hätte nicht alles geschehen können? Bei dem Gedanken fröstelte sie. Und das alles nur wegen eines Mannes, der es nicht wert war.

Ihre Befürchtungen, der Wagen könnte nicht mehr anspringen, bewahrheiteten sich zum Glück nicht.

Vorsichtig und in unzähligen Versuchen bugsierte sie den Wagen aus dem Schneehaufen hinaus. Zwar war ihr Wagen nicht unbeschadet geblieben durch den Aufprall, aber immerhin noch fahrtüchtig. Langsam tuckerte sie Eggendorf entgegen, noch immer aufgewühlt von den Geschehnissen.

Das Erbe der Abendroths - Winterdämmern

Подняться наверх