Читать книгу Das Erbe der Abendroths - Winterdämmern - Валентина Май - Страница 5

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Mit jedem Schritt, den sie sich von Abendroth entfernte, fühlte sie sich befreiter. Gleichzeitig schlich sich Wehmut in Miriams Gedanken. Vielleicht war dieser Ausritt ihr letzter. Die Vorstellung, das Gut aufgeben zu müssen, schmerzte sie.

Nichts währt für die Ewigkeit, waren die Worte ihrer Mutter gewesen. Deprimierende Worte, weil sie hingegen fest an Beständigkeit geglaubt hatte, wenn man sich nur darum bemühte. Das Leben hatte sie eines Besseren belehrt. Die Gefahr war zunächst durch den neuen Sponsor für einen Sommer abgewendet worden, aber die Erhaltung des Gutes verschlang Unsummen, die sie zwangen, sich nach weiteren Sponsoren umzusehen. Es bedeutete, stets um den Bestand zu kämpfen. Oft fehlte ihr die Kraft, darum zu ringen, und die Familientradition wurde zu einer Bürde. Es fühlte sich unwirklich an. Nie hatte sie sich hilfloser gefühlt. Ihr Herz hing an Abendroth, ihr Schweiß und Blut steckten in diesen Mauern. Seit Mutters Tod lastete die ganze Verantwortung auf ihren Schultern, auch wenn Jenny und Dave sie nach allen Kräften unterstützten. Manchmal wünschte sie sich, alles hinter sich zu lassen, wenigstens für eine kurze Weile. Ein Ausritt war genau das Richtige.

Der wolkenlose Himmel versprach einen sonnigen Tag. Sie sattelte ihre Fuchsstute Fairy. Ein Pferd mit ausgeglichenem Gemüt, das brav dem Reiter gehorchte und selten scheute. Ihr Schwager Dave hatte sie vor den frostharten Böden gewarnt, doch sie schlug seine Worte in den Wind. Als erfahrene Reiterin wusste sie um die Gefahren. Außerdem wollte sie sich heute nicht die Vorfreude nehmen lassen und schwang sich in den Sattel. Mit keinem anderen Pferd als mit Fairy hätte sie es gewagt, bei dieser Witterung einen Ausritt zu unternehmen.

In gemütlichem Tempo schritt die Stute den Waldweg entlang und schnaubte zufrieden.

Die Stille, die sie umgab, der Zauber reifüberzogener Büsche und Bäume war Balsam für Miriam und erinnerte sie an Großmutters märchenhafte Erzählungen über Feen, wenn sie in den Wintermonaten in der Küche des Herrenhauses vor dem Kachelofen gesessen hatten. Der Gedanke daran ließ Miriam lächeln.

Im Vorbeireiten rupfte Fairy mit dem Maul Hagebutten von einem Strauch, die wie gezuckerte Früchte aussahen.

Der Weg nach oben zum Wald war hart, aber eben, sodass sie die Stute mit leichtem Druck in ihre Flanken zum Traben aufforderte.

Wie oft hatte sie sich gewünscht, Paul würde sie auf einen ihrer Ausritte begleiten? Aber ihr Mann teilte ihre Liebe zu Pferden nicht. „Was soll ich denn mit einem überdimensionalen Säugetier zwischen meinen Beinen?“ Damit hatte er alle weiteren Fragen im Keim erstickt.

Miriam klopfte der Stute sanft auf den Hals, als sie brav den Weg bergauf trabte. Eiskristalle hingen im Fell des Tieres, und auch Miriams Wangen brannten von der kalten Luft. Dennoch fühlte sie sich zum ersten Mal seit Langem gelöst. Die Probleme schienen meilenweit entfernt zu sein.

In gemächlichem Tempo durchquerten sie den Wald und erreichten die Sommerweiden. Miriam plante sie zu umrunden, um auf dem parallel verlaufenden Feldweg den Rückweg anzutreten. Doch der Anblick der Weide verlockte sie dazu, von ihrem Vorhaben abzuweichen, um auf dem von Raureif überzogenen Grün einen Galopp zu wagen.

Aus der Ferne erkannte sie einen grünen Geländewagen, der hinter der Sommerweide parkte. Er stand genau auf der planierten Stelle, an der im vergangenen Jahr ein Teil der Weide vom Starkregen weggespült worden war. Dave hatte dort die Erde abtragen lassen und den Hang mit einer Betonmauer abgefangen. Viele in der Umgebung nutzten nun den Platz zum Parken, während sie mit ihren Hunden Gassi gingen. Vermutlich auch der Fahrer des Geländewagens.

Der Untergrund der Weide erwies sich ebenfalls als eben. Als Miriam mit der Zunge schnalzte, fiel Fairy bereitwillig in den Galopp. Miriam lachte über das ausgelassene Buckeln ihres Pferdes. Nichts konnte ihre Laune in diesem Moment trüben.

Fairy war so aufgekratzt, dass sie nur schwer von einer langsameren Gangart zu überzeugen war. Autotürenklappern weckte erneut Miriams Neugier, weshalb sie ans Ende der Wiese ritt, um einen Blick auf den Geländewagen zu werfen. Kaum hatte sie den Anfang der neuen Umzäunung erreicht, zerschnitt ein Knall die Stille. Fairy bäumte sich wiehernd auf. Im Überraschungsmoment glitt Miriam der Zügel aus der Hand. Instinktiv krallte sie sich in der Pferdemähne fest. Für einen flüchtigen Moment schien es, als würde Fairy sich beruhigen, doch auf der vereisten Grasnarbe am Hang rutschte die Stute seitlich weg, geriet erneut in Panik und vollführte einen Riesensatz. Ehe Miriam es sich versah, wurde sie aus dem Sattel geschleudert und wirbelte durch die Luft. Halt suchend ruderte sie mit den Armen, doch der Untergrund kam in rasantem Tempo auf sie zu. Aus dem Augenwinkel fing sie den Blick des Fremden mit dem Geländewagen auf, der erschrocken zu ihr emporblickte. Er war ihr seltsam vertraut. Jede Grübelei wurde durch die Furcht vor dem bevorstehenden Aufschlagen verdrängt. Miriam sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Aus der Ferne hörte sie das Trommeln der Pferdehufe, dann ein qualvolles Wiehern. Jeder andere Gedanke erstarb, als sie auf den Boden knallte und das Bewusstsein verlor.

Das Erbe der Abendroths - Winterdämmern

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