Читать книгу Das Erbe der Abendroths - Herbstzeit - Валентина Май - Страница 10

6.

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Jennifer griff nach ihrem Koffer, den sie nicht einmal ausgepackt hatte, und ließ ihren Blick noch einmal durch ihr Zimmer schweifen. Sie würde nie mehr hierher zurückkehren und die Vergangenheit ein für alle Mal hinter sich lassen.

Sie lächelte müde. Miriam und die anderen waren vor einer halben Stunde auch nach Abendroth zurückgekehrt. Sie konnte Pauls aufgeregte Stimme unten hören. Sicher wetterte er über Dave und sie. Wie gut, dass sie sich nie mehr mit ihm auseinandersetzen musste. Von Rödinghaus wusste sie, dass es nur einer schriftlichen Erklärung ihrerseits bedurfte, um das Erbe nicht anzunehmen. Diese befand sich bereits im Umschlag auf dem Tisch. Jennifer hatte auch einen Brief an Miriam verfasst, der daneben lag. Eigentlich müsste sie sich jetzt befreiter fühlen. Stattdessen war sie bedrückt.

Doch bevor sie aufbrach, wollte sie wenigstens noch einmal Conquistador sehen.

Sie schlich die Treppe hinunter, um durch den Hinterausgang hinauszugehen. Der Weg führte am Wohnzimmer vorbei, dessen Tür einen Spaltbreit offen stand. Sie konnte Paul erkennen, der mit finsterer Miene im Raum hin- und herlief.

„Sie hat immer nur Prinzessin gespielt, während du dich auf diesem Scheißhof abgerackert hast. Ich habe dir immer gesagt, Miri, dass deine Mutter dir das nie danken wird. Und ich habe recht behalten.“

„Das ändert aber nichts daran, dass Jenny das Gut geerbt hat …“, antwortete ihre Schwester mit tränenerstickter Stimme.

An Miriams Stelle wäre sie ebenso enttäuscht und sauer gewesen. Das alles hatte Jennifer nicht gewollt. Wie hatte ihre Mutter ihr das Gut überschreiben können, wo Miriam ihre rechte Hand gewesen war?

„Nicht zu vergessen, dieser arrogante Keller!“ Paul schnaubte wütend. „Ein Fremder soll über das Gut bestimmen? Nur über meine Leiche. Das lassen wir uns nicht gefallen. Wir fechten das Erbe an!“ Paul redete sich in Rage. Der Knoten in Jennifers Magen wuchs.

„Vielleicht ist das Testament gar nicht echt?“, wandte Stephanie ein, die bis dahin geschwiegen hatte. Die Worte der Schwester schockierten Jennifer. Das hörte sich an, als unterstelle Stephanie ihr, das Testament zu ihren Gunsten gefälscht zu haben. Ausgerechnet Stephanie, von der sie geglaubt hatte, sie würde auf ihrer Seite stehen.

„Du meinst, sie hat Mutter dazu überredet?“ Das konnte Miriam doch nicht wirklich glauben.

„Ich weiß es nicht. Jennifer war Vaters Lieblingstochter.“

Waren die jetzt alle übergeschnappt? Was redete Stephanie da nur? Als Nesthäkchen war gerade sie die Umsorgte gewesen. Dass ihre Schwestern ihr überhaupt so etwas zutrauten, erschütterte Jennifer bis ins Mark. In den vergangenen Jahren hatte sie nie Ansprüche gestellt oder sich in die Belange des Guts eingemischt. Sie wollte das verdammte Erbe nicht! Das musste sie jetzt ein für alle Mal klarstellen.

Jennifer stürmte zur Tür und stieß sie auf. Die Köpfe ihrer Schwestern ruckten herum und auch Paul sah fragend auf. Die Feindseligkeit in ihren Augen bestärkte Jennifer darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

„Ihr könnt beruhigt sein, alles bleibt beim Alten. Miriam, du kannst Abendroth haben. Ich werde das Erbe nicht annehmen. Meine Erklärung für Rödinghaus liegt bereits oben auf dem Tisch!“, rief Jennifer in den Raum. Stille. Jennifer wirbelte herum und verließ das Haus.

Sie könnte nicht eine Nacht länger mit ihnen unter einem Dach verbringen. Die eigene Familie war ihr fremd, die offene Feindseligkeit kaum zu ertragen. Hier war kein Platz mehr für sie und es würde auch nie einen geben. Wie konnte Mutter nur auf diese absurde Idee kommen und ihr das Gut übertragen? Jennifer verfluchte diesen Tag. Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als diesen Ort zu verlassen.

Sie wollte sich nur noch ein letztes Mal von ihrem Pferd verabschieden. Tränen liefen über ihre Wangen, als sie über die Wiesen rannte.

Jennifer hatte die Hausweide umrundet und stoppte wegen des Seitenstechens. Von ihrem Pferd war weit und breit nichts zu sehen. Hinter dem Hügel lagen weitere Wiesen. Tatsächlich sah sie Conquistador in einer Gruppe von einigen Ponys grasen. Der Anblick berührte sie tief. Sie lief auf das Gatter zu, aber er schien sie nicht zu bemerken. Früher war er ihr meist freudig entgegengaloppiert oder hatte gewiehert. Jetzt nahm er nicht einmal Notiz von ihr. Weil das Gatter verschlossen war, schlüpfte sie unter dem Elektrozaun durch, wie sie es als Kind schon getan hatte, und überquerte in gemächlichem Tempo das Grün, um keines der Pferde zu erschrecken. Als sie wenige Schritte von ihrem Pferd entfernt stand und die Hand nach ihm ausstreckte, riss er den Kopf hoch, scheute und trabte davon. Auch für ihn war sie eine Fremde. Wie konnte sie nur annehmen, dass er sich über ein Wiedersehen freute? All der Kummer brach aus Jennifer heraus. Sie kniete sich hin, vergrub das Gesicht in den Armen und weinte hemmungslos.

Nach einer Weile stupste sie etwas im Nacken. Sie hob den Kopf, wischte die Tränen fort und blickte auf das samtige Maul Conquistadors. Seine Nüstern blähten sich bei jedem Atemzug. „Weißt du jetzt, wer ich bin?“

Als hätte er sie verstanden, schnaubte er leise. Behutsam strich sie über sein Maul und weiter bis zu seiner Blesse. Zu ihrer Freude ließ er es sich gefallen. Langsam erhob sich Jennifer, umarmte den Hals des Wallachs und schmiegte ihre Wange daran. „Ich wollte dich nicht erschrecken, ich habe mich nur so gefreut, dich zu sehen“, flüsterte sie, als die Gefühle sie aufs Neue überwältigten. „Du hast mir so gefehlt.“ Conquistador knabberte leicht an ihrem Kragen. Seine Tasthaare kitzelten sie am Hals, was sie zum Lachen brachte. Sie tätschelte ihn sanft. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, sich auf den Rücken des Tieres zu schwingen und mit ihm über die Wiese zu galoppieren. „Bereit für eine kleine Runde? Bist du noch fit genug?“ Sie fasste das leise Grummeln des Tieres als Bestätigung auf. Jennifer packte in die Mähne und schwang sich auf den Pferderücken. Es fühlte sich ungewohnt und gleichzeitig vertraut an. Sie drückte ihre Schenkel in die Flanken. Conquistador fiel sofort in den Trab. Jennifer hatte fast vergessen, wie schwungvoll er vorwärtsgehen konnte. Sie krallte sich an der Mähne fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Nach einer Weile fühlte sie sich sicherer und sie wagte sogar Galopp. Begleitet von einem freudigen Quieken sprang er nach vorn. Es war, als hätte es die letzten Jahre nicht gegeben. Lachend galoppierte sie über die Wiesen, und für einen Moment blendete sie alle Sorgen aus. Als Conquistador in den Schritt fiel, wusste sie, dass sie Abschied nehmen musste. Dieses Mal für immer. Sie würde nie wieder nach Abendroth zurückkehren, Conquistador nie mehr sehen. Traurig stieg sie ab. Jennifer hasste lange Abschiede. Sie klopfte noch einmal den Hals des Pferdes, bevor sie weinend davonlief.

Das Erbe der Abendroths - Herbstzeit

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