Читать книгу Das Erbe der Abendroths - Herbstzeit - Валентина Май - Страница 6
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ОглавлениеMotorengeräusch ertönte, dann knirschte Kies, als Dave sich gerade Kaffee eingoss. Neugierig lief er mit der gefüllten Tasse zum Fenster und spähte hinaus. Ein Taxi hielt unten vor dem Eingang. Dave erkannte in dem Fahrer Horst Rösch, der um den Wagen herumlief und vor der Frau mit honigblondem Haar einen Hartschalenkoffer hinstellte. Dave stutzte. Zuerst glaubte er zu halluzinieren, bis er ihr Profil sah, als sie den Kopf ein wenig zur Seite drehte. Ohne Zweifel, es war Jennifer von Abendroth! Dave hielt die Luft an und presste wütend den Henkel seiner Tasse. Sie trug einen beigefarbenen Trenchcoat, der über die Knie reichte. Früher war sie immer in Jeans herumgelaufen. Jetzt trug sie einen Rock. Schlanker war sie geworden. Fast zu dünn. Er hörte Stimmen unten an der Haustür. Plötzlich blickte sie auf. Dave fühlte sich ertappt, sprang zurück, und der heiße Kaffee schwappte aus der Tasse und ergoss sich über seine Finger. „Verdammter Mist!“ Er lief zur Küchenzeile, stellte die Tasse ab und ließ kaltes Wasser über die geröteten Hautstellen laufen. Sein Fluch galt weniger dem Missgeschick als der Tatsache, dass seine Exfreundin wie aus dem Nichts aufgetaucht unten im Hof stand.
Sie war zurück. Weshalb hatte Miriam nicht ein Wort gesagt? Jeder auf dem Gut hatte Jennifer zur Bestattung ihrer Mutter erwartet. Aber sie war nicht da gewesen. Überhaupt hatte sie keine Nachricht ihrer Schwestern beantwortet oder zurückgerufen, wie er von Miriam erfahren musste. Doch jetzt, wo es ums Erbe ging, besaß sie die Frechheit, hier aufzukreuzen. Es bestätigte das Bild, das er ohnehin von ihr hatte.
Verflucht! Warum war sie nicht weggeblieben? Ihre Anwesenheit würde nur Unruhe auf dem Gut stiften. Er hatte so gehofft, sie nie mehr wiederzusehen. Bei der Aussicht, ihr wieder gegenüberzutreten, wallte Wut in ihm auf. Verfluchter Mist! Wie viele Tage und Nächte hatte er damals von ihr geträumt, ihre Rückkehr herbeigesehnt und sich die Begegnung in bunten Farben ausgemalt? Hatte sich das Hirn zermartert, welche Gründe sie dazu bewogen hatten, fortzugehen. Selbstverwirklichung? Der Wunsch nach Unabhängigkeit? Oder einfach eine Art Entdeckerdrang? Wie oft hatte Jennifer sich früher über das langweilige Landleben mokiert und von fernen Ländern und deren Metropolen geschwärmt? „Hier ist doch nie was los. Ich fühle mich lebendig begraben. Aber ich will das Leben spüren! Verstehst du das denn nicht?“ Er sah sie noch vor sich, wie sie voller Entschlossenheit zu ihm gesprochen hatte. Damals waren ihm die Konsequenzen daraus nicht klar gewesen, bis sie ihn verlassen hatte.
Die Region rund um Melle war von Landwirtschaft geprägt. Viele aus ihrem Bekannten- und Freundeskreis hatten den Wunsch gehabt, aus dem einfachen Leben zwischen Kuhmist und Rübenernte auszubrechen und irgendwo neu anzufangen. Keiner von ihnen hatte es gewagt. Bis auf Jennifer. Sie war gegangen, rücksichtslos und wie besessen davon, ein besseres Leben zu führen. Sie hatte sicher nicht einen Gedanken an andere verschwendet, als sie das beschlossen hatte. Es war schlimm, was sie ihm und allen anderen angetan hatte.
Dave schloss für einen Moment die Augen. Wie er sie so sah, in ihrer eleganten Kleidung, plötzlich so nah, aber mit so vielen Jahren zwischen ihnen, kam sie ihm vor wie eine Fremde.
In den Staaten lebte sie also, wie er von Miriam erfahren hatte. Auf einer riesigen Ranch mit Personal und einer Pferdeklinik. Sie hatte offensichtlich alles erreicht, wovon sie geträumt hatte, während er seine Träume vom eigenen Gut oder Reitstall hatte längst begraben müssen.
Ihren Zopf hatte sie gegen eine modische Kurzhaarfrisur getauscht. Wie würde sie sich bei einem Wiedersehen geben? Die Kluft zwischen ihnen war groß. Sicher war es unmöglich, Jennifer auf dem Gut aus dem Weg zu gehen. So konnte er nur hoffen, dass sie so schnell wie möglich wieder verschwand.
Er kehrte ans Fenster zurück und sah, wie sie den Koffer hinter sich herzerrte, während das Taxi die Auffahrt zurückfuhr. Sie war allein gekommen.
Miriam hatte nie ein Wort darüber fallen lassen, ob Jennifer gebunden war. Was interessierte ihn das, wo er doch mit Melanie glücklich war? Melanie und Jennifer hatten sich schon als Kinder nicht ausstehen können. Die temperamentvolle Von-Abendroth-Tochter und die verschlossene Melanie Heilmann waren ständig aneinander gerasselt, wenn es um das Thema Pferde ging. Früher war er davon überzeugt gewesen, dass die wenig erfolgreiche Melanie neidisch auf die ehrgeizige Jennifer gewesen war, die fast jeden Pokal gewonnen hatte. Erst später, nach Jennifers Abreise, hatte Melanie ihm die wahren Gründe für die Zwistigkeiten gestanden. Von Jennifers Missgunst und Wutanfällen, wenn sie ein Turnier verloren hatte. So hatte er seine Exfreundin nicht erlebt, auch wenn er oft das Gefühl hatte, dass sie nur an sich dachte.
Dave schloss für einen Moment die Augen. Wie hatte er sich damals nur in sie verlieben können?
Sobald sie sich jetzt begegnen würden, würde er sie zwar höflich, aber distanziert begrüßen. Das hatte er von seiner Mutter gelernt. Maureen Keller hatte nie die Fassung verloren, nicht einmal dann, als ihr Vater gestorben war. Etwas, das ihr auf dem englischen und strengen Mädchenpensionat früher eingebläut worden war. Nie hatte er ein lautes Wort aus ihrem Mund gehört, selbst wenn alles um sie herum getobt hatte. Eine Eigenschaft, die seinen aufbrausenden Vater oft zur Weißglut gebracht hatte. Vor dem Tod von Daves Mutter war das Familienleben mit dem despotischen Vater schwierig genug, danach nicht mehr auszuhalten gewesen. Nie konnte er es seinem Vater recht machen, gleichgültig, was er anpackte. Um seinem ständig miesgelaunten und unbeherrschten Vater aus dem Weg zu gehen, hatte Dave Elsbeths Angebot, als Verwalter auf Gut Abendroth zu arbeiten, angenommen.
Vor der letzten Fütterung gönnte er sich immer einen Kaffee. Früher gehörte es zu Jennifers und Miriams Aufgaben, die Pferde zu versorgen, wenn sie mit den Hausaufgaben fertig waren. Damals gab es nur dreißig Zuchttiere. Viel hatte sich seitdem auf dem Gut verändert. Allein in den vergangenen fünf Jahren hatte Elsbeth die Anzahl der Zuchtstuten verdoppelt, weil sie sich durch den Verkauf Profit versprach. Für die Pferde der Turniersponsoren war sogar ein neuer Stall gebaut worden. Miriam hatte schon früher immer davon geträumt, das Gut zu einem der renommiertesten Zuchtställe zu machen.
Daves Finger brannten immer noch und erinnerten ihn an einen Spruch, den sein Vater oft von sich gegeben hatte. „Verbrenn’ dir nicht die Finger an der kleinen Abendroth“, hatte er ihn vor Jennifer gewarnt. „Für sie bist du nur ein Spielzeug. Die vom Gut fühlten sich immer als was ganz Besonderes.“
Er hatte die Warnung des Vaters lachend in den Wind geschlagen und war eines Besseren belehrt worden. Egal, das war Schnee von gestern. Er hatte sein Glück bei Melanie gefunden. Eine kluge Frau, die seine Liebe zu Pferden teilte.
Arbeiten half am besten gegen Grübeln. Er wollte nach Lord sehen, den er zärtlich „Dicker“ nannte. Dave machte sich in den letzten Tagen Sorgen um den Hengst, der unerklärlich müde wirkte. Er griff nach seinem Parka, der an der Garderobe hing, schlüpfte in die schlammbesudelten Stiefel und eilte nach unten zu den Stallungen.