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Aufbruch ins Ungewisse

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Der Kaiser stieg auf seine Eiswolke und begrüßte sie. Jotunn hatte sie bereits über den Hintergrund dieser Mission informiert. Der Kaiser richtete sich zu seiner vollen Größe auf und ließ seine tiefe und klare Stimme weit über die frostige Ebene vor seinem Schloss erschallen.

„Seid ihr bereit mir zu folgen? Unser Eis wird bedroht und mit ihm auch die Natur. Ruchlose Kreaturen zerstören unser Werk. Dieses Mal fliegen wir nicht nur los, um den geschmolzenen Schnee oder das Eis zu ersetzen. Dies ist eine Rettungsmission. Unser vordringliches Ziel ist der Schutz der Dorfbewohner, die zu Füßen des Gletschers leben. Mit der Kälte werden wir die Wassermassen aufhalten! Wir lassen die Verwüstung dieser Dörfer nicht zu!“

Seine Stimme wurde von Satz zu Satz lauter, der Kristall auf seinem Zepter erstrahlte in überirdischem Glanz und die Kraft seiner Worte ließen die Landschaft erbeben.

Die Eistrolle standen regungslos auf ihren Wolken. Stille senkte sich über die Umgebung des Palastes. Dann begann der erste von ihnen in seine Hände zu klatschen. Einer nach dem anderen fiel in den immer lauter donnernden Applaus ein, bis es zuletzt, wie ein Gewitter über den Türmen grollte. Der Kaiser nahm ihren Jubel in sich auf und der Kristall sendete gleißende Blitze durch den Himmel. Harald war von ihrer bedingungslosen Treue zutiefst ergriffen. Ihre runden Eisgesichter und ihre lachenden Kristallaugen leuchteten wieder voller Begeisterung! Er liebte jeden einzelnen von ihnen wie seine Kinder. Liebenswürdig und hilfsbereit verbreiteten sie stets eine heitere Stimmung um sich herum. Aber an diesem Tag war ihre gewohnte Sorglosigkeit und Heiterkeit in Anbetracht von Jotunns unheilvollen Nachrichten verflogen. Selbstverständlich hatte der Minister ihnen all das, was er seinem Herrn über Helena und ihre Soldaten erzählt hatte, ebenfalls berichtet. Es war als hätten sich die Farben der Polarlichter eingetrübt, auch die umgebenden Berge wirkten kantiger und wilder. Zum ersten Mal in ihrem Leben würden sie nicht aufbrechen die Welt zu verschönern und den Winter zu bringen. Sie zogen in eine ungewisse Zukunft und gegen einen unbekannten Gegner. Der Kaiser ließ erneut seinen Blick durch ihre Reihen schweifen. Seine Trolle hatten ihn im Laufe der vierzig Millionen Jahre, die er mit ihnen verbracht hatte, nie enttäuscht. In jeder noch so schwierigen Situation hatten sie Loyalität und Mut bewiesen.

„Wir retten die Dörfer und vertreiben Helenas Soldaten aus dem Himalaya, Eure Majestät!“ schrien sie im Chor.

Der Klang ihrer vielen Stimmen erhob sich beeindruckend bis zum Himmelsgewölbe und hallte unter den tanzenden bunten Polarlichtern wider.

„Wir werden die übliche Route über die Barentssee, Russland, Kasachstan und China zum Himalaya Gebirge fliegen. Diesen Weg kennen wir alle auswendig. Auf unserer Reise füllen wir unsere Wolken mit Schneeflockenvorräten, um dem tauenden Gletscher seine Festigkeit wiederzugeben.“

Die Trolle nickten mit einer Kopfbewegung.

„Lasst uns nun aufbrechen zur Rettung der Unschuldigen!“ rief er ihnen mit kräftiger Stimme zu.

Harald gab ihnen zum Start ein Handzeichen und so eilten sie alle hinter ihm her auf ihren Eiswolken durch den hell erleuchteten Himmel. Gemeinsam glichen sie einem Kometen mit seinem Silberschweif in der mit Sternen übersäten endlosen Nacht. Bald verblassten die unruhigen Nordlichter und eine dicke Wolkenschicht bildete sich. Der Kaiser und seine Trolle flogen in höhere und kältere Himmelssphären. Immer wieder tauchten Sie in die eisigen Wolken ein und füllten ihre Polar Jets mit einem riesigen Vorrat an Schneeflocken. Schneller als der Wind sausten sie dabei durch die Luft über Gebiete, die sie einst so oft im Winterzauber verwandelt hatten. Der Anblick dieser Landschaften, die der Kaiser so gut kannte, beflügelte ihn mit neuer Energie. Nach der Rede, die er für seine Trolle gehalten hatte, fühlte er sich wie durch ein Wunder stark und unbesiegbar. Die quälenden Sorgen, die ihn im Thronsaal geplagt hatten, waren von ihm abgefallen wie eine schwere Last. Er fürchtete sich weder vor Helena noch vor ihren Soldaten. Die Kraft, die ihn all die Jahre lang in die entlegensten Ecken des Planeten gebracht hatte, erwachte erneut in ihm mit vollem Schwung. Nach einiger Zeit steuerte der Kaiser steil zur Erde hinab. Mit einem Lächeln auf den Lippen erkannte er den Kreml und die goldenen Kuppeln der Kathedralen. Wehmütig erinnerte er sich an jene Epoche, in der die Menschen diese eindrucksvolle und heute so berühmte Befestigungsanlage errichtet hatten. Es wäre ihm ein Vergnügen gewesen, Moskau sofort wieder in einen dicken Schneemantel einzuhüllen. Risi flog neben ihm und schaute zuversichtlich auf die Metropole.

„Bald werden wir diese Stadt und viele andere, so wie früher, wieder mit unserem Schnee beglücken. Da bin ich mir ganz sicher“, sprach Risi mit einem verträumten Gesichtsausdruck. Im Morgengrauen kamen in der Ferne die himmelhohen Gipfel des Himalaya zum Vorschein. Die sonst mit schönen Erinnerungen verbundenen Bergketten wirkten im ersten Licht des Tages wie schartige Zähne im Gebiss eines Riesen und beschworen seine Befürchtungen wieder herauf. Kam er nicht schon zu spät? Würde er die Dorfbewohner noch vor den Fluten der schmelzenden Eismassen retten können? Harald und seine Trolle kamen über einem Berg an, auf dem sich das Eis bereits verflüssigte.

„Eure Majestät, schaut hierher!“

Erik, einer seiner Trolle, zeigte nach rechts. Riesige Ströme schossen aus dem Gletscher. Sie rasten den Berg hinunter und rissen Pflanzen, Bäume und alles, was sich ihnen in den Weg stellte um. Unten lag das Dorf, das Jotunn erwähnt hatte. Das tosende Wasser sauste in schwindelerregendem Tempo dorthin.

Hüter des Klimas

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