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Gefahr am Himalaya

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Der Kaiser zuckte zusammen. Entrüstung brodelte in ihm auf. Entschlossen erhob er sich von seinem Thron.

„Befiehl den Eistrollen, so schnell wie möglich hierher zu fliegen. Sie sollen sich mit ihren Polar Jets um meine Eiswolke versammeln. Wir werden dann alle gemeinsam zum Himalaya aufbrechen. Du wirst hierbleiben, um während meiner Abwesenheit über das Königreich zu wachen.“

Der Minister senkte seinen Blick und murmelte etwas betreten.

„Ich werde mindestens eine Stunde brauchen, um alle zu benachrichtigen. Und es wird wie immer ein Weilchen dauern, bis sie endlich alle hier ankommen!“

„Beeile dich trotzdem. Ich werde oben auf sie warten.“

Harald war über Jotunns Nachricht bestürzt. Celesta hatte sich mit ihm geeinigt jeden Sommer langsam einen Teil von seinem Eis tauen zu lassen. So füllten sich die Flüsse und die Bewohner der Himalaya-Region erhielten Trinkwasservorräte für ein ganzes Jahr. Dank Celesta konnten sie auch ihre Reisfelder ausreichend bewässern. Im Winter bedeckte der Kaiser die Berge dann erneut mit Schnee und fror sie mit seinem Atem ein. Und im darauffolgenden Sommer ließ die Königin wieder die richtige Menge Eis schmelzen. Harald und Celesta waren perfekt aufeinander abgestimmt. Das Wohlergehen der Menschen und aller übrigen Lebewesen bestimmte ihr Handeln. Harald dachte wehmütig darüber nach, wie er die gutmütige Königin jedes Mal mit ausgesuchter Höflichkeit begrüßte, wenn er sie beim Fliegen in den himmlischen Sphären traf. Dabei tauschten sie sich immer über allerlei Dinge aus und doch brauchte ihre besondere Freundschaft nie viele Worte.

Vor einigen Monaten kam Helena auf den Thron, und es wurde auf einen Schlag alles anders. Jotunn hatte dem Kaiser bereits vor ein paar Monaten erzählt, dass die neue Herrscherin, früher als Ministerin für Celesta gedient hatte. Da sie aber die Krone für sich selbst begehrte, hatte sie eines Tages die legitime Königin beschuldigt, sie vergiftet zu haben. Daraufhin veranlasste sie die Festnahme Celestas und ihres gesamten Hofstaates. Anschließend sperrte sie sie mit ihren Elfen in einer Höhle ein und ernannte sich selbst noch am gleichen Tag zur neuen Wärmekönigin. Harald hatte traurig und fassungslos zugleich diese erschütternden Neuigkeiten zur Kenntnis genommen. Kurz hatte er sogar an Jotunns Bericht gezweifelt.

„Bist du sicher, dass es sich nicht um ein Missverständnis handelt? ", hatte er seinen Minister in einem skeptischen Ton gefragt.

Dieser warf ihm einen fast schon ärgerlichen Blick zu.

„Majestät, ihr müsst euch leider damit abfinden. Beim Fliegen über unsere Gletscher, habe ich erst kürzlich mehrere von Helenas Soldaten in der Luft ausgespäht. Um nicht entdeckt zu werden, habe ich mich hinter einer vorbeiziehenden Wolke versteckt und deren Gespräche belauscht. Mit überschwänglichen Worten prahlten sie von Helenas gelungener Machtergreifung und betonten dabei immer wieder, dass nur sie mit der Kraft gesegnet sei eine neue Ordnung auf der Erde zu schaffen.“

Harald runzelte die Stirn und hob seine aus Raureif bestehenden Brauen. Die Sorge vor den Auswirkungen dieses Putsches, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die Miene seines Ministers offenbarte – wie ein getreuer Spiegel seines Herrn– die gleiche Besorgnis.

„Diese Soldaten haben mich zutiefst erschreckt. Sie sind ihr fanatisch ergeben, Eure Majestät. Eine einzige Elfe aus Celestas Hofstaat war ihrer Verhaftung aufgrund längerer Abwesenheit vom Hofe ihrer Königin entgangen. Wir trafen uns bei meiner Inspektion der Schneefelder am Mont Blanc. Und wissen Sie, was sie mir verriet, bevor ich ein ohnmächtiger Zeuge ihrer willkürlichen Verhaftung wurde?“

„So sprich doch und spanne mich nicht auf die Folter“, drängte der Kaiser, ungeduldig zu erfahren, was sein Minister ihm enthüllen würde.

„Helena war nie besonders hübsch. Kaum hatte sie jedoch Celestas Festnahme befohlen, setzte schlagartig eine grauenhafte Verwandlung bei ihr ein. Es war, als ob ihre innere Hässlichkeit nach außen gedrungen wäre, bis sie die Gestalt eines Ungeheuers annahm. Ich selbst habe einmal ihre Fratze kurz zwischen zwei Wolken erblickt. Glauben Sie mir, das, was ich flüchtig von ihr erhaschte, hat mir gereicht. Zitternd vor Schreck stand ich auf meinem Polar Jet. Helena hat leider keine Lehre aus dieser Strafe gezogen. Anstatt Celesta und ihren Elfen die Freiheit wiederzugeben und sich zu entschuldigen für all das unnötige Leid, das sie ihnen angetan hatte, nährte sie weiterhin ihren unverständlichen Hass gegen sie. Helena gab alleine Celesta die Schuld an ihrem Schicksal.“

Haralds sonst so strahlend helle Augen trübten sich vor Kummer. Jotunns Schilderungen ließen keinen Spielraum für Hoffnung. Der Minister spürte die Niedergeschlagenheit seines Herrschers. Dennoch vermochte er nicht zu schweigen, denn er hielt es für wichtig, ihm alle Begebenheiten, die er erlebt hatte, mitzuteilen.

„Ach, wenn Sie nur diese arme Elfe gesehen hätten, mit der ich gesprochen habe! Sie hoffte bis zum Schluss, dass Helena nach ihrer furchtbaren Metamorphose einsichtig werden würde und träumte sogar von Celestas Freilassung. Wir verabschiedeten uns voneinander. Als ich mit meiner Wolke umkehrte, sah ich in der Ferne, wie sich Helenas Soldaten auf sie stürzten und sie gefangen nahmen. Alles in mir drängte mich dazu die Unschuldige zu befreien. Aber schon bei dem Versuch, wäre ich von diesen Finsterlingen zum Schmelzen gebracht worden.“

Die Schultern des Eiskaisers sanken noch weiter herab.

„Wie sehen Helenas Soldaten überhaupt aus?“

„Diejenigen, die ich entdeckt habe, sind verglichen mit unseren Trollen kleiner und von Kopf bis Fuß rot. Sie tragen Helme und Uniformen übersäht von Rußflecken, als würden sie in feurigen Höhlen leben. Ihre Gesichter sind seltsam leer und einförmig. Sie scheinen über keine individuellen Merkmale zu verfügen und wirken dadurch wie ein Ameisenvolk.“ Jotunn verstummte erschöpft von der Macht der düsteren Erinnerungen, die wieder in ihm hochstiegen. Nur mit Mühe gelang es Harald für eine Weile Helena aus seinen Gedanken zu vertreiben. Voller Nostalgie dachte er an seine letzte Begegnung mit Celesta im Himmel. Ein Blumenkranz umrahmte ihr anmutiges Antlitz. Mit ihren fein verzierten Flügeln, die in den Farben des Regenbogens strahlten, flatterte sie wie ein riesiger Schmetterling voller Grazie durch die Wolken. Ihre Elfen, deutlich kleiner als sie, umgaben sie wie ein Schwarm kleiner Vögel. Celesta begrüßte Harald wie immer mit einem leichten Wink ihrer Hand. Rücksichtsvoll legte sie auch an jenem Tag großen Wert darauf, ihm nicht zu nahe zu kommen. Er sollte keinesfalls ihretwegen schmelzen.

Der Kaiser seinerseits verhielt sich ihr gegenüber genauso respektvoll. Das Wohlergehen der Menschen und aller übrigen Lebewesen auf der Erde stand im Mittelpunkt ihrer täglichen Arbeit. Aber wie würde der Eiskaiser sich weiterhin für die unverzichtbare Harmonie der Jahreszeiten einsetzen können ohne das bisherige Gleichgewicht und auch noch gegen eine ihm feindlich gesinnte Wärmekönigin?


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