Читать книгу Restart - Valuta Tomas - Страница 10
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ОглавлениеAls Eden am Montag in der Golden Gate Avenue steht, schluckt sie schwer. Sie legt den Kopf in den Nacken und zählt die einzelnen Etagen dieses Gebäudes. Siebzehn an der Zahl und sie muss in den dreizehnten. Also los!
Dort angekommen, steigt ihr Puls. Sie wandert durch einen breiten Flur und steht dann vor einer Tür. Das Schild verrät ihr, dass sich hinter dieser hölzernen Blockade ihr Arbeitsplatz befindet. Gedanklich versucht sie sich vorzustellen, wie es wohl aussehen wird. Wie wird der erste Eindruck auf sie wirken? Wie werden die Kollegen auf sie zugehen? Wird sie sich wohl, oder genauso fehl am Platz fühlen, wie an Ryans Seite? Sie weiß es nicht! Sie kann es nur herausfinden, wenn sie die Tür öffnet und das Büro betritt. Schließlich hat sie sich selbst eine Aufgabe gegeben. Neve Preston und Samantha Rodriguez! Zwei Namen und ein Fall, der sie die nächsten Wochen beschäftigen wird.
Zitternd umgreift sie den Knauf, dreht ihn und öffnet die Tür einen Spalt. Sofort prallen ihr unendlich viele Stimmen und unterschiedliche Geräusche entgegen. Gleichzeitig fängt ihr Herz vor Freude an zu hüpfen.
Mit einer flüchtigen Bewegung, schließt sie die Tür hinter sich. Sie versucht sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Nervös, das ist genau der richtige Ausdruck für ihr derzeitiges Gefühlsleben. Sie kommt mit der gesamten Situation und dem Anblick keineswegs zurecht, der ihr geboten wird.
Langsam beginnen ihre Beine zu arbeiten. Ihre Füße tragen sie Schritt für Schritt durch dieses große Büro, in dem unzählige Schreibtische stehen, an denen ebenso viele Männer und Frauen sitzen und ihrer Arbeit nachgehen. Einige telefonieren, andere tippen auf der Tastatur herum. Es werden Kaffeetassen umhergetragen, gefaxt, kopiert, in Akten gelesen und bis zum erträglichen Geräuschpegel gesprochen.
Aber von einer Sekunde zur anderen wird es still. Hier und da klingelt noch ein Telefon und das piepen eines Faxgerätes ist noch zu hören, aber sämtliche Stimmen sind von einem Moment zum anderen verklungen. Eden bemerkt es sofort. Sie hebt ihren Blick, weil sie sich das erste Mal völlig eingeschüchtert fühlt.
»Sieh mal. – Sie ist wieder da. – Sie sieht verdammt gut aus. – Will sie wirklich schon wieder arbeiten? – Die schönen Haare.«
Unendlich viele Sätze prallen ihr flüsternd und gedämpft gegen den Kopf, bis etwas passiert, was sie zusammenzucken lässt. Jemand beginnt zu klatschen.
Erschrocken blickt sie in die Richtung und sieht einen Mann mittleren Alters, der sich von seinem Stuhl erhebt und klatscht. Sein Blick ist direkt auf sie gerichtet. Wie erstarrt bleibt Eden stehen und blickt ihn mit großen Augen an. Dann beginnt plötzlich das ganze Büro zu klatschen. Sämtliche Mitarbeiter in diesem Raum, klatschen Beifall und richten ihre Blicke auf Eden, die sich am liebsten in das nächste Mauseloch verkriechen will. Was soll das?? Ihr ist das absolut peinlich! Warum machen diese fremden Menschen das nur?
»Hallo Eden«, hört sie eine Stimme hinter sich. Kumpelhaft wird ihr auf die Schulter geklopft.
Erschrocken dreht sie sich etwas und sieht einen kräftigen Mann neben sich stehen, der sie stolz lächelnd begrüßt. Verwirrt schaut sie ihn an, während das Klatschkonzert anhält. Schwarze Haare, Bart und harte Gesichtszüge, die aber trotzdem freundlich wirken.
»Ich bin es, Trevor, dein Partner«, stellt er sich vor und reicht ihr die Hand. Ok, sie hat einen Partner. Trevor. Das ist ja schon mal was wert.
»Entschuldigung… ich… äh…!«, stottert Eden verlegen rum, während sich Trevors Hand wie ein Schraubstock um ihre legt.
»Kein Problem. Wir wissen hier alle von deiner Amnesie und hoffen, dass du bald wieder alles weißt«, lächelt dieser Trevor vertraut, worauf sie nur schlucken kann.
»Mrs. Stewart‼«, brüllt es plötzlich lautstark durch das Büro, woraufhin schlagartig das Klatschkonzert abrupt abstirbt. Trevor blickt in eine Richtung und macht dann eine Kopfbewegung in dieselbe.
»Chef will mit dir reden«, grinst er recht fies. Zaghaft stupst er sie mit dem Ellenbogen an, um sie in Bewegung zu setzen.
Auf dem Weg zum Ende des Großraumbüros, blickt Eden verunsichert um sich. Sämtliche Blicke, die sie begeistert begleiten, hängen ihr spürbar im Nacken.
»Warum haben die alle geklatscht?«, fragt sie wie ein Kleinkind und hört Trevor neben sich ebenso lachen.
»Weil sie dir alle ihren Respekt zollen. Du hast bei deinem letzten Einsatz großartige Arbeit geleistet und für alle ist es ein Weltwunder, dass du noch lebst. Kaum ein Mensch überlebt die Dead Rabbits«, unterrichtet er sie beiläufig, bis sie vor einer gläsernen Bürotür stehen, die einen Spalt offensteht.
»Viel Spaß!«, grinst er sarkastisch, klopft ihr erneut auf die Schulter und geht den Weg zurück, den er auf sich genommen hat, um Eden zum Chef zu bringen. Sie schluckt schwerfällig, hebt zitternd eine Hand und klopft zaghaft gegen die Scheibe.
»Kommen sie rein«, raunt eine offensichtlich mies gelaunt tiefe Stimme. Jetzt fängt Eden noch mehr zu zittern an. Was wird sie da drinnen erwarten?
Bebend betritt sie das Büro. Ihr Blick fällt sofort auf einen älteren Mann am Ende des Büros. Wie eine steife Puppe sitzt er an einem Schreibtisch und liest angestrengt in einer Akte, die auf der grünen Schreibtischunterlage vor ihm liegt.
»Schließen sie die Tür«, raunt er, ohne seinen Blick zu heben. Wie ihr gesagt wird, tut Eden das, bleibt aber dicht an der Glasscheibe stehen.
»Setzen sie sich«, grummelt der Mann weiter. Er liest noch immer in der Akte. Wie auf Knopfdruck setzt Eden sich in Bewegung und nimmt ihm gegenüber Platz. Ihr Puls rast noch immer. Sie hat das Gefühl diesen nicht unter Kontrolle zu kriegen. Was glaubt sie denn was ihr passiert? Dieser Trevor hat ihr vor nicht einmal fünf Minuten gesagt, dass sie großartige Arbeit geleistet hat. Also müsste dieser Norton dies ebenso sehen. Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht ist er sauer, dass einer seiner Agents fast in einem Sarg heimgekehrt wäre und somit bewiesen hat, dass sie unfähig ist, ihre Arbeit ordnungsgemäß zu erledigen? Was wird er ihr vorwerfen??
Der gute Mann schlägt die Akte vor sich zu, hebt den Kopf und blickt Eden direkt in die Augen. Sie schluckt sichtbar, weil ihr ein eiskalter und unberechenbarer Ausdruck entgegenprallt. Dieser Eisblock soll der Chef von dieser Abteilung sein? Kein Wunder, dass sie solche Panik schiebt.
Norton wandert mit seinen Augen über Edens Kopf. Flüchtig verharrt er an der kurzgeschorenen Seite. Als wenn jemand eine Aussage getroffen hätte, nickt er zaghaft. Schlagartig wechselt sein Blick in eine Art der Fürsorglichkeit.
»Wie geht es ihnen?«, fragt er in einem unbekannt ruhigen Ton. Eden nickt nur steif, was er ihr gleichmacht.
»Sie haben wirklich fantastische Arbeit geleistet und ich bin froh, dass sie diesen Einsatz einigermaßen heile überstanden haben«, lobt er sie dann doch, schmeißt ihr aber im selben Ton einen Vorwurf auf den Schoß.
»Ich bin allerdings derselben Meinung wie ihr Mann. Sie sollten noch nicht arbeiten gehen. Fahren sie nach Hause und kurieren sie sich aus. Ich möchte hier Agents haben, die hundertzehn Prozent geben. Sie haben bisher jeden Fall lösen können und ich möchte, dass es weiterhin so bleibt!« Was?? Ihr Mann? Hat er etwa mit Ryan telefoniert? Haben die beiden etwa einen Plan ausgeheckt, um Eden zuhause zu halten? Was soll das?? Sie kann wohl am besten einschätzen und entscheiden was gut für sie ist und was nicht! Warum zum Teufel mischt Ryan sich da ein??
»Mir geht es gut und ich kann ihnen versichern, dass ich zu hundert Prozent wieder einsatzfähig bin. Die fehlenden zehn Prozent, werde ich mir in den nächsten Wochen hinter dem Schreibtisch aneignen«, wirft sie Nortons Hoffnung über Bord, sie wieder nach Hause schicken zu können.
Schweigende Sekunden verstreichen heimlich still und leise. Niemand sagt etwas. Beide sehen sich an. Beide atmen, aber niemand macht eine Bewegung.
»Sie wissen, dass ich ihnen und ihrem Urteilsvermögen vertraue. Sie haben mich bisher noch nie enttäuscht.« Als wenn er seine eigene Aussage bestätigen will, nickt er und lehnt sich in den Stuhl zurück.
»Na dann, Mrs. Stewart, willkommen zurück im Team!«, begrüßt er sie. In Eden fällt eine Last der Anspannung ab, was sie lächelnd entgegennimmt, aber trotzdem noch leicht versteift nickt. Jetzt kann sie wieder arbeiten. Jetzt kann sie die Akten von Neve Preston und Samantha Rodriguez sichten. Welch eine Wohltat!
Norton beugt sich zur Seite, öffnet eine Schublade des Schreibtischs und reicht Eden etwas. Mit flackernden Lidern blickt sie auf seine Hand und sieht eine schwarze Börse. Sie weiß, was es ist. Sie weiß, was sich dort drinnen befindet.
Schwitzend und zitternd, gleitet ihre Hand über den Schreibtisch, greift zaghaft nach dem Leder und zieht es an sich. Ehrfürchtig verharrt sie einige Sekunden, bis sie sich dazu überreden kann, das Leder aufzuklappen. Als das dann aber mit wackeligen Fingern geschafft ist, blickt sie auf einen FBI Ausweis und in ihr eigenes Gesicht.
»Danke!«, flüstert sie leise. Eine Welle der Freude und des Stolzes bricht über sie herein. Bestätigend hierzu bohrt sich zeitgleich ihre Waffe mit dem Holster am hinteren Hosenbund in ihren Rücken. Jetzt ist sie vollständig! Jetzt kann sie mit Herzblut wieder arbeiten, denn alles ist da wo es sein soll!
Der Ausweis wandert in die Innentasche ihrer Jacke, die Waffe ist am Rücken und sie ist an ihrem Arbeitsplatz. Perfekter geht es also gar nicht! Jetzt muss nur noch die Erinnerung wiederkommen und sie kann wieder leben.
Norton macht eine weisende Kopfbewegung und schmeißt Eden somit wortlos aus dem Büro. Wie auf Befehl, erhebt sie sich vom Stuhl, huscht durch die Glasscheibe und atmet tief aus, als die Tür hinter ihr ins Schloss fällt. Sie spürt, wie sich ihr angespanntes Gesicht lockert und ein stolzes Lächeln über ihre Wangen wandert. Dann fällt ihre Aufmerksamkeit auf diesen Trevor, der sich von einem Schreibtisch erhebt und sie zu sich winkt.
Mit sicheren Schritten wandert sie durch die Reihen. Währenddessen wird sie von einigen Kollegen mit einem stolzen Blick begleitet. Als sie bei Trevor ankommt, reicht er ihr gleich eine Tasse.
»Willkommen zurück!«, grinst er bis zu den Ohren und setzt sich auf seine Seite des Schreibtisches. Eden trinkt einen Schluck Kaffee, setzt sich an die andere und spuckt das Getränk hustend in den Becher zurück.
»Wahnsinn, was zur Hölle ist das??«, schluckt sie angewidert. Skeptisch blickt sie zu dem dunklen Getränk herunter.
»Verdammt, wie alt ist das Zeug? Von vorgestern oder was?«, flucht sie. Trevor schaut sie etwas überfordert und zugleich fragend an.
»So trinkst du deinen Kaffee aber am liebsten. Er schmeckt dir am besten, wenn er vom Vortag ist«, berichtigt er ihre Aussage und sieht dabei zu, wie sie große Augen bekommt. Mit diesen, schaut sie in den Becher zurück.
»Memo an uns beide. Ich trinke nur noch frischen Kaffee!«, murmelt sie, steht vom Tisch auf, blickt sich suchend um und wandert direkt auf die Kaffeemaschine zu, die im hinteren Teil des Büros einen vierundzwanzig Stunden Job verrichtet.
Tage um Tage sichtet Eden alte und teilweise auch geschlossene Akten. Sie wollte bewusst nicht sofort mit den beiden Frauen anfangen. Sie will keinen Verdacht schöpfen. Sie will nicht wirken, als wenn sie irgendetwas wüsste. Langsam an die Arbeit herantasten und dann auf ihren persönlichen Schwerpunkt konzentrieren. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, oder wie geht dieser Spruch nochmal? Auch wenn es ihr ungemein unter den Fingernägeln brennt, ruft sie sich selbst zur Vernunft und trainiert ihren Kopf vorerst auf alte Fälle. Häppchen für Häppchen füttert sie ihre Gehirnwindungen und stellt nach über einer Woche fest, dass ihr Kopf auf Hochtouren arbeitet. Schlagartig kann sie sich an jeden einzelnen Fall erinnern. Sie weiß dahingehend wieder alles und hat teilweise auch wieder Bilder vor Augen. Wie wundervoll es sich anfühlt, diesen Teil ihres Lebens zurückerhalten zu haben. Es geht kaum noch besser.
Nach fast zwei Wochen hat sie dreiviertel ihrer alten Fälle gesichtet. Aufgeregt und mit rasendem Puls, schreitet sie mit schweren Schritten in das Archiv des FBIs und steht gleich einem Herren gegenüber, der das Rentenalter sichtlich schon lange überschritten hat. Er sitzt an einem alten Holzschreibtisch mit einer kleinen Tischlampe als Beleuchtung. Gesellschaft leisten ihm ein paar private Fotos auf dem Tisch, die kleine Kinder zeigen. Offensichtlich seine Enkel. Ansonsten ist dieser Teil des Gebäudes recht nüchtern. Ein Geruch von altem Gemäuer umschleicht Edens Nase und das, obwohl die Mauern mit Sicherheit nicht älter als sie selbst sein können. Trotzdem spürt sie ein beklemmendes Gefühl in sich aufsteigen.
Mit einem lauten Schluckreflex tritt sie im recht dunklen Lichtschein an den Schreibtisch und zieht somit die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich. Er blickt hoch. Seine grauen Augen blinzeln prüfend über den Rand der Lesebrille, dann huscht ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht.
»Hallo Eden. Schön dich endlich wieder hier zu sehen«, begrüßt er sie freundlich. Er reicht ihr die Hand. Eden nimmt diese und überkommt eine Gänsehaut, als sie die ledrige und recht kalte Haut spürt. Ist der gute Mann ein Vampir, oder was? Seine Körpertemperatur ist alles andere als gesund. Oder ist er eventuell schon tot und hat es selber noch nicht mitbekommen?
»Hallo«, begrüßt sie ihn ebenso freundlich und lässt den Eisklotz von Hand los.
»Welche Akte möchtest du haben?«, fragt der gute Mann. Vollkommen ruhig wartet er auf eine Antwort von der Frau sich gegenüber. Sie überlegt allerdings noch ein paar Sekunden, ob das wirklich eine so gute Idee ist. Warum zieht sie sich Akten heran, die schon geschlossen sind? Wird es vielleicht doch auffallen? Wird der gute Mann ihr gegenüber eventuell skeptisch? Wird er sie wie einen Schweizer Käse mit Fragen durchlöchern, was sie damit will? Es gibt nur eine Möglichkeit dies herauszufinden.
Somit haucht sie leise »Neve Preston und Samantha Rodriguez!«. Der ältere Herr nickt flüchtig, erhebt sich vom Stuhl und steuert in den hinteren Teil dieser Räumlichkeit.
»Das war damals echt ein heißer Fall von dir. Du hast die beiden Monatelang observiert. Als du allerdings zu den Kaninchen musstest, wurde dein Weg echt gefährlich. Die beiden Banden sind ja seit Jahren absolut verfeindet. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich es nicht so toll fand, dass Norton dich da eingeschleust hat. Aber dir kann man jeden Fall vor die Nase setzen und du löst ihn, als wenn es ein Kreuzworträtsel wäre«, hört Eden den Mann tief im Raum murmeln. Gleich darauf kommt er zwischen den unzähligen Regalen wieder hervor. In den Händen trägt er zwei große weiße Kartons.
Als er näher kommt, kann Eden beide Namen der Frauen auf der Pappe lesen. Er stellt die Kartons auf dem Schreibtisch ab und reicht ihr zwei Akten.
»Warum interessiert dich der Fall noch? Der ist doch schon lange abgeschlossen. Du hast dazu beigetragen, dass die beiden ihrer kriminellen Aktivität nicht mehr nachgehen können. Nicht sehr schön, aber wenigstens erfolgreich. Zwei Kriminelle weniger auf der Straße«, lobt er Edens damalige Arbeit, was in ihr Panik und Entsetzen aufsteigen lässt. Was?? Was hat der Mann gesagt?? Sie hat die beiden zur Strecke gebracht? Sie ist für den Tod der beiden verantwortlich?? Das kann nicht sein! Das kann absolut nicht sein‼ In ihrem Computer zuhause, steht nichts davon drin, dass sie auch nur annähernd etwas damit zu tun hatte. Was faselt der Mann da also?
Eden spürt wie die Muskeln ihres Kiefers den Dienst verweigern und hört im Kopf ihre Zähne aufeinander klappern. Innerlich zitternd, greift sie nach den Kartons. Sie hat das Gefühl, als wenn Backsteine dort drinnen wären, als sie beide leicht anhebt. Was hat er da nur gesagt? Wieso soll sie für den Tod der beiden verantwortlich sein? Diese Samantha hat sich selbst getötet und Neve wurde mit Kugeln durchsiebt. Hat sie etwa auch nur eine davon auf sie abgefeuert? War sie so tief bei den Dead Rabbits drin, dass sie solche Gangmorde tatsächlich mitmachen musste? Warum? Wofür? Das ist doch alles nur ein schlechter Scherz!
»Kann ich…?«, stottert sie zitternd und macht eine weisende Kopfbewegung nach hinten. Sie will sich an den leeren Tisch am Anfang des Raumes setzen und die Kartons wälzen. Sie muss gedanklich vorankommen. Vor allem jetzt! Jetzt nachdem der Mann ihr etwas vor die Füße geschmissen hat, was sie nicht glauben kann.
»Ach Eden«, schmunzelt der Herr vertraut und setzt sich auf den Stuhl zurück, der sich ächzend und knarrend beschwert.
»Du weißt, dass du mit meinen Akten und Beweisen alles machen kannst. Nimm sie mit nach Hause und mache damit was du willst. Du bist wirklich die einzige Person hier, der ich blind vertraue«, lächelt er und beendet dieses Thema, indem er sich über die Zeitschrift beugt, die aufgeschlagen vor ihm liegt.
Eden spürt, wie ihr der Schweiß die Achseln herunterläuft, als sie sich mechanisch umdreht und einen Fuß vor den anderen setzt. Die Worte des Mannes können keineswegs der Wahrheit entsprechen. Aber vielleicht doch! Warum sollte sie sonst ständig diese merkwürdigen Träume haben und sich so dermaßen für diesen Fall interessieren? Irgendetwas muss doch dahinter stecken. Aber muss es unbedingt das sein? Muss es wirklich die Tatsache sein, dass sie scheinbar das Leben der beiden Frauen auf dem Gewissen hat?
Kalter Schweiß steht ihr auf der Stirn, als sie das Archiv verlässt und gleich darauf das Gebäude.
Zuhause angekommen, nimmt sie die mit Backstein beladenen Kartons und bringt sie ins Haus. Ryan müsste schon lange hier sein, aber im Gegensatz zu sonst, kommt er ihr nicht grinsend und strahlend entgegen. Warum nicht? Sein Auto steht auf der Auffahrt, aber wo ist er?
»Ryan?«, ruft sie neugierig durch das Haus, erhält aber keine Antwort. Es ist irgendwie zu still im Haus. Das kennt sie nicht.
Unsicher, aber neugierig schleppt sie die beiden Kartons nach oben in ihr Horrorzimmer. Dann hört sie irgendwelche Laute von nebenan. Sie kann Ryan hören. Sie hört ihn stöhnen. Nur warum? Dieses stöhnen kennt sie von ihm. Leider zur Genüge! Aber warum lässt er diese Laute von sich, wenn sie nicht bei ihm im Bett ist? Was soll das??
Nicht wirklich wütend über diese Tatsache, die ihr innerhalb einer Sekunde in den Sinn kommt, schreitet sie mit harten Schritten zum Schlafzimmer hinüber und reißt die Tür auf. Wie vermutet liegt Ryan im Bett und lässt sich fröhlich von einer Frau reiten. Er beachtet nur sie, nimmt dann aber den Blick von ihr weg und schaut zu Eden an die Tür. Sie steht da und weiß nichts mit der Situation oder dem Anblick anzufangen. Sie ist nicht wirklich wütend über dieses Bild, trotzdem passt es ihr keineswegs.
»Hallo Schatz«, trällert Ryan freudestrahlend. Eden presst ihren Kiefer zusammen, lockert diesen aber, als die Frau sich umdreht und sie dann in das Gesicht von Jill blickt.
»Hallo Schätzchen‼«, trällert sie in ihrer gewohnten und quietschenden Stimme. Dann streckt sie eine Hand nach ihr aus.
»Komm her, Schätzchen. Wir haben schon ohne dich angefangen. Ryan hatte keine Ahnung wann du nach Hause kommst«, quiekt ihre beste Freundin weiter und grinst noch immer wie ein Honigkuchenpferd.
Anstatt sich in Bewegung zu setzen, so wie Jill und Ryan es sich erhofft haben, macht Eden nur einen Schritt zur Seite und gibt den Blick auf die offenstehende Schlafzimmertür frei.
»Raus‼ Alle beide‼«, zischt sie stattdessen und bringt ihren Ehemann mit ihrem Blick um.
»Was??«, quietscht Jill lächelnd, weil ihr diese Aussage scheinbar etwas fremd vorkommt. Ryan schaut sie ebenso fragend an.
»Raus, habe ich gesagt‼«, wiederholt Eden wütend ihre Aussage.
»Aber…!« Ryan erhebt sich etwas aus seiner liegenden Haltung. Eden kann regelrecht dabei zusehen, wie unzählige Fragezeichen über seinem Kopf schwirren. Jill steigt stattdessen von ihm herunter und macht ein paar Schritte auf Eden zu.
»Was ist denn los, Schätzchen?«, trällert sie.
»Es ist doch Freitagabend und…!« Eden denkt nicht eine Sekunde nach und greift sich an den Rücken. Mit einer schnellen Bewegung zieht sie ihre Waffe aus dem Holster und richtet diese entsichert in das pervers geschminkte Gesicht von Jill.
»Ich wiederhole mich nur ungerne‼ Ihr sollt verschwinden‼ Alle beide‼«, faucht sie rasend und wandert mit der Waffe zwischen ihr und Ryan hin und her.
»Schatz…!«
»RAUS‼!«, brüllt Eden aus dem Bauch heraus. Sie spürt, wie sie vor Wut fast zu platzen droht.
Erschrocken über diese unbekannte Reaktion von ihr, wendet Jill sich leicht von ihr ab und rafft ihre Kleidung zusammen, während Ryan sich lediglich eine Shorts anzieht.
»Schatz, was soll das?? Du kennst das doch von uns. Seit Jahren…!«
»Halt die Klappe und verschwinde‼«, knurrt Eden und hält ihm ihre Waffe direkt vor das Gesicht.
Nach nicht enden wollenden fünf Minuten, hat Jill, in Begleitung von Ryan, das Haus verlassen, während Eden noch immer im Schlafzimmer steht und nicht glauben kann, welches Leben sie offensichtlich zuvor gelebt hat. Hat sie tatsächlich öfters einen Dreier mit ihrem Mann und ihrer besten Freundin gehabt? Und dann am besten noch mit dem verdammten Spielzeug, das so wundervoll im Kleiderschrank versteckt ist?? Wie konnte sie nur? Was hat sie dazu getrieben? Wie viel Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein hatte sie nur, dass sie diese Nummer mitgemacht hat? Sie kann sich nicht vorstellen, dass sie dies freiwillig gemacht hat. Vielleicht stellte sie irgendwann fest, dass Ryan scharf auf Jill war und das auf Gegenseitigkeit beruhte. Hat sie sich deswegen auf dieses Theater eingelassen? Um ihren Mann halten zu können? Lieber so eine Nummer mitmachen, als eine Scheidung ertragen zu müssen? Wie schwach war sie nur? Beim FBI verbringt sie offensichtlich halbe Weltwunder, aber sobald sie zu Hause ist, wird sie zur kleinen grauen Maus und verhält sich wie ein Kleinkind, nur um ihr liebstes Kuscheltier nicht verlieren zu müssen? Wie tief ist sie nur gesunken?
Durch das offenstehende Schlafzimmerfenster kann sie hören, wie Jill und Ryan sich draußen unterhalten. Sie kann kein Wort verstehen, sondern vernimmt nur die Stimmen. Sie will es auch nicht. Sie will nicht wissen, was die beiden besprechen. Sie will nur noch ihre Ruhe haben und die Wut in ihrem Körper zum Schweigen bringen. Sie weiß nicht auf wen sie am meisten wütend ist. Auf Ryan? Auf Jill? Auf sich?? Eden weiß es nicht. Sie will nur noch mit sich selbst klarkommen. Aber die Stimmen der beiden fressen sich wie Säure in ihre Ohren.
»Haltet doch endlich eure verdammten Klappen‼«, keift sie wütend, stürzt zum Schrank und holt von unten die Spielkiste heraus. Mit wenigen Schritten eilt sie an das Fenster und reißt es kraftvoll auf.
»Ey ihr beiden‼ Ihr habt eure Spielsachen vergessen‼«, brüllt sie über die ganze Straße, hebt die Kiste vom Boden, hält sie aus dem Fenster und kippt den Inhalt aus. Wie ein Regenschauer prasseln sämtliche Sextoys auf die beiden ahnungslosen Erwachsenen herunter. Entgeistert starren sie zu Eden hoch.
»Eden…!«, beginnt Ryan einen neuen Satz, kann diesen aber nicht beenden, weil seine Frau das Fenster mit einem lauten Knall zuschlägt.
Wütend auf sich und ihr altes Leben, stürmt sie zur Küche herunter und macht sich einen Kaffee. Als die Maschine ihren Job endlich erledigt hat, geht sie in ihr Horrorzimmer, knallt die Tür zu und bleibt wie angewurzelt stehen. Mit großen Augen starrt sie auf die beiden Kartons, die wartend auf dem Schreibtisch stehen. Neve Preston und Samantha Rodriguez. Große schwarze Buchstaben fressen sich in ihre Augen. Ungewollt muss Eden schwer schlucken, als ihr die Worte von dem alten Mann aus dem FBI Archiv ins Gedächtnis kommen.
»Ok ihr beiden‼«, schimpft sie gedämpft, schreitet mit wenigen Schritten auf den Schreibtisch zu und stellt die Tasse ab. Mit zitternden Händen, zündet sie sich eine Zigarette an, nimmt ein paar Züge und greift nach dem Deckel des obersten Kartons. Der Karton von Neve. Als wenn sie erwarten würde, dass dort eine hochgiftige Schlange herauskommen würde, nimmt sie das Stück Pappe vorsichtig hoch, schiebt es zaghaft zur Seite und blinzelt daran vorbei. Erleichtert atmet sie aus, als sie keine Schlange sieht. Wäre auch sehr ungewöhnlich, wenn so ein Reptil so lange in einem geschlossenen Karton überleben würde.
Eden sieht keine Schlange, sondern lediglich private Sachen. Ein Schlüsselbund, Portemonnaie, Zigaretten, eine Waffe und ein Holster. Darunter befindet sich ein großer durchsichtiger Plastikbeutel. Ehrfürchtig, wegen dem was sie in diesem Karton alles finden und somit erfahren wird, nimmt sie die Zigarette zwischen die Lippen, legt den Kartondeckel zur Seite und führt in Zeitlupe ihre Hand in den Karton. Erschrocken zieht sie diese plötzlich zurück. Sie hat etwas vergessen. Auch wenn die Beweise sicher nicht mehr gebraucht werden, weil der Fall abgeschlossen ist, will sie keine Fehler machen. Von daher greift sie sich in die Hosentasche und streift sich gleich darauf Handschuhe über. Ein Zug von der Zigarette und die Hand gleitet erneut in den Karton. Zuerst holt sie das uninteressanteste hervor. Die Schachtel mit dem Suchtmittel. Sie legt es beiseite und bemerkt erst nach wenigen Sekunden, dass ihre Augen auf der Schachtel kleben bleiben. Diese Neve hat dieselbe Marke geraucht, wie sie? Egal, weiter geht es. Schlüsselbund, ebenfalls nichts Besonderes. Mehrere Schlüssel und ein Autoschlüssel. Ein Wagenschlüssel, der ihrem eigenen sehr ähnlich sieht, weil er denselben silbernen Stern trägt, wie ihrer. Egal, weiter geht es. Die Waffe. Eine Walther CO2 Pistole und das dazugehörige schwarze Holster. Beides recht uninteressant. Das Portemonnaie. Eden beginnt unbewusst zu zittern, als sie das braune Leder in den Händen hält. Gleich wird sie mehr von dieser Neve erfahren. Nur ob sie das wirklich wissen will, weiß sie nicht ganz genau. Wie soll sie aber mit diesem alten Fall weiterkommen, wenn sie sich nicht Knöcheltief reinkniet? Wie soll sie Antworten erhalten, wenn sie sich ihren Fragen nicht stellt? Wie soll sie mit ihrem Gefühl weiterkommen, wenn sie zu feige ist, um so ein einfaches Stück Leder zu öffnen?
Eden atmet tief durch, schließt die Augen und klappt die eine Seite des Portemonnaies um. In Zeitlupe öffnet sie die Lider und blickt sofort in das Gesicht dieser Samantha Rodriguez. Was zum...? Eden sieht ein Foto dieser Frau hinter einem kleinen Stück Folie kleben. Was sucht diese Frau in dem Portemonnaie von Neve? Was für eine Verbindung steckt da nur bei den beiden Frauen?
Fast eine geschlagene Minute starrt Eden das Foto an und muss zugeben, dass diese Samantha verdammt gut aussieht. Auch wenn sie selber keinerlei Interesse an dem weiblichen Geschlecht hat, spürt und weiß sie unbewusst, dass diese Frau ihr auf eine gewisse Art und Weise gefährlich werden könnte. Denn diese Augen, mit denen Samantha sie durch die Folie ansieht, sind so hinreißend und fesselnd, dass Eden regelrecht dabei zusehen kann, wie sie in den Sog einer Art Sucht gezogen wird. Ihr wird blitzschnell unerträglich heiß, ihr Herz beginnt zu rasen.
Mit schnellen Bewegungen zieht sie sich ihre Jacke von den Schultern und wirft diese achtlos hinter sich. Sie zündet sich eine neue Zigarette an, setzt sich auf den Stuhl und betrachtet das Foto der jungen Frau eine ganze Zeit. Dieses Bild ist so völlig anders, als das was in der Akte von Samantha Rodriguez zu sehen ist. Dieser Ausdruck in ihren Augen brüllt regelrecht nach Liebe! Nach Liebe und tiefem Vertrauen! Ihre Augen strahlen vor Glück. Ihr Gesicht ist zu einer glücklichen Maske verzogen. Das Foto strahlt so viele unterschiedliche Gefühle aus, die Eden nicht in Worte fassen kann. Sie glaubt, noch nie so viele unterschiedliche Gefühle in menschlichen Augen gesehen zu haben, welche sie derzeit in den braunen Augen dieser jungen Frau sieht. Sie sind so voller Liebe und Zuneigung, dass Eden sich fragt, was sie in der Geldbörse von Neve zu suchen hat. Wo verdammt nochmal steckt da die Verbindung??
Eden arbeitet sich weiter durch das Leder und findet mehrere Visitenkarten, die alle auf Neves Namen ausgestellt sind. Ungewöhnlich nur, dass es zwei verschiedene Firmen sind. Bei Rodriguez T.I.R. und Richmond und Rodriguez Immobilien steht sie überall als Managerin. Schon wieder dieser Name der jungen Frau. Wo zum Teufel…?
Wütend pfeffert Eden das Portemonnaie über den Tisch. Sie kommt nicht weiter. Ihr fehlt einfach die Verbindung zwischen den beiden Frauen. Was ist da zwischen ihnen? Was lief da, dass Neve so sehr an Samanthas Leben teilgenommen hat?
»Verdammt‼«, keift sie wütend, drückt die Zigarette aus und zündet eine neue an. Wenn sie diesem Kopfstress noch weiter ausgesetzt ist, wird sie noch zur Kettenraucherin.
»Ihr macht mich wahnsinnig‼«, grummelt sie, steckt sich die Zigarette in den Mund, erhebt sich vom Stuhl und beugt sich über den Karton. Mit leicht zitternden Fingern zieht sie nach und nach die Kleidung von Neve heraus.
»Heilige Scheiße‼«, japst sie entsetzt, als sie die Garderobe sieht. Ein Hosenanzug, der ihrem ungewöhnlich gleicht. Das was sie aber als entsetzlich ansieht, sind die unzähligen Löcher und das maßlose Blut, das die weiße Bluse rot gefärbt hat. Unbewusst und ungewollt beginnt sie die einzelnen Löcher zu zählen. Elf davon befinden sich direkt am ganzen Oberkörper, jeweils zwei an beiden Armen und eins im rechten Schulterbereich. Als Eden die dazugehörige Hose aus dem Karton zieht, sieht sie, dass lediglich zwei Kugeln diese Neve am Bein getroffen haben. Da wollte jemand offensichtlich ganz sicher gehen, dass sie nicht mehr aufsteht. Ihr Oberkörper war scheinbar eine perfekte Zielscheibe.
Edens Blick wandert verunsichert ein Stück weiter nach unten und betrachtet den Teil der Bluse, der auf dem Bauch gelegen haben muss. Auf dem Bauch, wo ein Baby drin war. Dort drangen drei Kugeln ein. Wie zum Teufel hat dieses Kind das nur überlebt? Die dortigen Einschusslöcher, sehen genauso präzise aus, wie alle anderen. Aber wie kam das Baby dort lebend heraus? Hat sie sich etwa noch kleiner gemacht, als sie schon war? Wollte sie leben? Wollte sie ohne ihre Mutter leben? Was ist da nur passiert, dass dieses Kind heute lebt?? Welcher Schutzengel muss in dem Moment über sie gewacht haben?
Ängstlich stellt Eden fest, dass ihr erneut Tränen über die Wangen laufen. Warum weint sie immer, wenn sie an dieses arme Kind denken muss? Was verleitet sie dazu? Sie hat selbst keine Kinder, aber weshalb hat sie dann solch ein Mitleid, mit diesem fremden Kind? Wieso berührt diese Geschichte sie so sehr?
Sie holt sich eine neue Zigarette aus der Schachtel und schiebt Neves Karton zur Seite. Dort drinnen gibt es nichts mehr Interessantes. Jetzt kommt Samantha dran.
Ernüchternd muss sie aber schon nach ein paar Minuten feststellen, dass sich in diesem Karton absolut nichts befindet, was ihre Neugierde oder Aufmerksamkeit erregen könnte. Diese Samantha trug nur ihre Kleidung am Leib, mehr nicht. Kein Schlüssel, kein Portemonnaie, keine Zigaretten, nichts. Lediglich eine schwarze Nerd Brille liegt auf dem sauberen Kleiderhaufen. Eden nimmt diese, betrachtet sie und holt aus Neves Karton ihren Geldbeutel heraus. Sie hält die Brille neben das Foto von Samantha und schmunzelt unbewusst.
»Wow«, flüstert sie intuitiv und kann ihr Herz laut schlagen hören.
Eden schiebt dann auch diesen Karton zur Seite und macht es sich auf dem Stuhl bequemer. Sie zieht Neves Akte heran und schlägt das dünne Stück Pappe um. Sofort erschlägt sie ein gewaltiger Schock. Entsetzt starrt sie auf die Fotos, die ihr regelrecht entgegenspringen. Zitternd greift sie nach einem.
»Oh mein Gott‼«, haucht sie leise und wagt den Anblick nicht zu glauben. Sie sieht diese Neve auf der Straße neben einem silbernen Mercedes liegen. Ihr Körper ist mit Schusswunden übersät, ihr Blut hat sich in die Kleidung gefressen. Die Augen geöffnet, liegt ein scheinbar glücklicher Ausdruck auf ihrem Gesicht. Der Boden unter ihrem Körper hat sich ihrem Blut angenommen und weist eine große Lache auf. Was Eden aber erschrecken lässt, ist die Tatsache, dass sich diese Samantha mit auf dem Foto befindet. Ihr linker Arm ist ausgestreckt und liegt unter Neves Nacken. Ihre rechte Schläfe weist ein Einschlussloch auf. Dicht liegt sie neben Neve und hat ebenso einen friedvollen Ausdruck auf dem Gesicht. Auch ihre Augen stehen offen. Beide Gesichter sind zueinander gedreht, was fast den Anschein hat, als wenn sie sich im letzten Augenblick ihres Lebens noch einmal ansehen wollten.
Unkontrolliert rutscht Eden die Akte aus der Hand. Ohne zu wissen warum, beginnt sie zu weinen. Sie vergräbt ihr Gesicht in den Händen und weint. Dieses Bild der beiden Frauen frisst sich in ihren Kopf. Jetzt weiß sie, wo die Verbindung zwischen ihnen bestand. Die beiden waren ein Paar! Sie haben sich geliebt! Neve wurde getötet! Ihr ungeborenes Baby wurde getötet! Und Samantha richtete sich selbst, weil sie weder ohne Neve, noch ohne das Kind leben wollte! Wie tief muss die Liebe zwischen den beiden gewesen sein, dass Samantha sich nach dreißig Stunden Freiheit selbst tötet? Wie kann man so selbstlos sein und alles für einen anderen Menschen aufgeben?? Sogar das eigene Leben?? Was für eine tiefe Liebe verband sie? Eden kann sich keineswegs vorstellen, dass solch eine mächtige Liebe und so tiefgehende Gefühle tatsächlich existieren. Wie kann man sich selbst richten, weil man die Liebe seines Lebens verloren hat?
»Das ist absolut unmöglich‼«, schluchzt Eden und rupft eine weitere Zigarette aus der Schachtel. Kraftlos hievt sie sich aus dem Stuhl, tritt an das Fenster und kriegt ihre Finger nicht unter Kontrolle. Sie zittern so stark, dass die Zigarette in ihrer Hand, wie ein betrunkenes Glühwürmchen aussieht. Mittlerweile ist es Abend geworden. Der Mond steht hoch am Himmel. Aber sie hat es nicht mitbekommen. Sie war so sehr mit den Kartons beschäftigt, dass sie die wechselnde Tageszeit nicht beachtete. Es ist auch egal. Das was sie bisher, in Bezug auf die beiden Frauen herausgefunden hat, zerreißt sie innerlich. Die beiden scheinen in vollkommen anderen Welten gelebt zu haben und doch waren sie Eins. Samantha schlug schon früh und recht jung eine kriminelle Laufbahn ein, während Neve dem Gesetz treu war. Was passierte aber, dass ihre Wege sich kreuzten? Was geschah, dass eine Liebe zwischen ihnen entstand? Und was ereignete sich, dass Neve das Gesetz hinter sich ließ und ebenfalls kriminell wurde? Welche seelische Verbindung entstand zwischen ihnen, dass Samantha sich, ohne über die Folgen nachzudenken, selbst richtete?
Eden wischt sich die Tränen weg und tritt an den Schreibtisch zurück. Sie zieht die Akte erneut zu sich und versucht nun, mit dem Verstand einer FBI Agentin, diese weiter zu sichten. Sie spürt schon nach wenigen Minuten, dass es ihr wahrlich schwer fällt, aber da muss sie durch.
Ebenfalls muss sie die Tatsache verarbeiten, dass der gute Mann aus dem Archiv Recht behielt. In sämtlichen Berichten steht geschrieben, dass Eden insgesamt vier Kugeln auf Neve abgefeuert hat. Ein gewisser Leon trug seinen Teil auch dazu bei, aber die tödlichen und ausschlaggebenden Kugeln, feuerte sie ab.
»Nein‼ Nein, nein, nein, das kann nicht sein‼ Niemals‼ Was zum Teufel habe ich da nur gemacht??«, flucht Eden und schleudert die Akte quer durch ihr Horrorzimmer. Warum geht ihr das alles so nahe?? Sie vertritt das Gesetz‼ Warum überkommt sie das Gefühl, sich selbst für ihre Tat zu hassen? Sie hat Kriminelle zur Strecke gebracht! Das ist ihr Job! Warum glaubt sie aber, bei diesen beiden einen großen Fehler gemacht zu haben?? Einen Fehler, der sie für den Rest ihres Lebens verfolgen wird?? Und warum fühlt sie ein so tiefes Mitleid mit diesen Frauen und ihrer maßlosen Liebe?? Was stimmt nicht mit ihr??
Ohne genau zu wissen weshalb, befindet sich Eden am nächsten Tag auf dem San Francisco National Friedhof. Ihr Körper zittert, ihre Augen füllen sich mit salziger Flüssigkeit. Sie kann kaum die Worte erkennen, die ihre Pupillen aufnehmen.
Neve Preston
*22.07.1971
+ 07.06.2013
In maßloser und ewiger Liebe – Sam
Ängstlich wandern ihre Augen einen halben Meter zur Seite. Sie sieht weitere Worte.
Samantha Rodriguez
*14.04.1982
+ 07.06.2013
In maßloser und ewiger Liebe – Neve
Sie blickt auf jeden Grabstein und versucht einen Unterschied zwischen den Fotos zu erkennen, die dort mit eingearbeitet wurden. Aber es gibt keinen. Beide sind identisch. In beiden Grabsteinen wurde dasselbe Foto gesetzt. Es zeigt, wie diese Neve und Sam offensichtlich auf einem Kissen liegen und schlafen. Das Foto wurde bis kurz unter der Schulterpartie gedruckt, aber jeder Mensch kann die Position erkennen. Wie ein schützender Engel, liegt Neve eng umschlungen hinter Sam und hält sie fest im Arm. Beide Augenpaare sind geschlossen. Dennoch kann man nur durch diese kleine Geste erkennen, wie viel Liebe und Macht diese Position ausdrückt. Sam hält im Schlaf unbewusst eine Hand von Neve fest, während Neve sie im Arm hält und offensichtlich nicht loslassen will. Sie hält ihre Liebe fest! Mit allem was sie hat und empfindet‼
Edens Augen wandern zwischen den Grabsteinen hin und her. Es fällt ihr schwer zu atmen, ihre Luftröhre hat sich zu einem dünnen und schmalen Tunnel verengt. Es dringt kaum Luft ein, was ihr somit das Atmen ermöglichen würde.
»Was zum Teufel hast du Miststück hier zu suchen?», hört sie vage eine Stimme neben sich hauchen. Ein kurzes Klicken folgt. Kaltes Metall drückt sich gegen ihre rechte Schläfe. Anstatt überrascht oder verängstigt zu reagieren, bleibt Eden ruhig. Sie schließt die Augen, atmet tief ein und öffnet langsam ihre Lider.
»Eine Bewegung und du bist die Erste, die Bekanntschaft mit meinen Kugeln aus diesem Magazin macht«, antwortet sie ruhig und senkt den Kopf. Sie blickt auf ihre eigene Waffe, die in der linken Hand einen festen Sitz hat und nach rechts weist. In genau diese Richtung dreht sie ihren Kopf und blickt in das Gesicht einer Frau Anfang dreißig. Ein vor Wut platzendes und zorniges Gesicht. Blonde, perfekt gestylte Haare umranden das versteinerte Gesicht, das Edens ganze Aufmerksamkeit erlangt. Das dazugehörige Augenpaar gleitet langsam nach unten und erfasst die Waffe, die auf sie gerichtet ist. Sie ist nicht sofort zu erkennen, weil Eden ihre Arme vor der Brust verschränkt hat. Nur der Lauf lugt etwas hervor. Die, vor Wut sprühenden Augen, gleiten wieder hoch und funkeln Eden an.
»Laura‼ Was soll das??«, keift plötzlich eine Männerstimme in diese Situation. Ein farbiger Mann tritt neben die Frau und schaut sie fragend an.
»Sie ist es Matt‼ Dieses verdammte Miststück hat Neve getötet‼«, faucht diese Laura und drückt Eden den Lauf ihrer Waffe kräftiger gegen die Schläfe.
»Bist du dir sicher?«, fragt dieser Matt, obwohl Eden in seinen Augen erkennen kann, dass er im selben Augenblick auf Angriff umschaltet.
»Glaube mir Matt, diese verdammte Visage werde ich nie wieder in meinem Leben vergessen‼«, zischt Laura. Eden wandert mit ihren Augen zwischen den beiden hin und her und registriert in Sekunden gleich mehrere Dinge. Diese Laura trägt in der anderen Hand einen Strauß Blumen. Hinter ihr läuft diese farbige Frau, die Eden auf dem Basketballplatz sah, als der Hund auf sie zulief. Von ihr hat sie die Information, dass Neve auf diesem Friedhof begraben ist. Sie schiebt einen Kinderbuggy vor sich, wo Eden sofort dieses kleine farbige Kind erkennen kann. Und dieser Matt hält einen kleinen Jungen an der Hand, der leicht verängstigt zwischen den Erwachsenen wild hin und her blickt. Er schaut zu Matt hoch und zupft an seinem Ärmel.
»Daddy, bitte sage Mommy, dass sie damit aufhören soll! Sie macht mir Angst!«, bettelt der Kleine. Verwirrt arbeitet Eden mit ihren Gedanken, kommt aber nicht weiter, weil der Junge sich umdreht und zu der farbigen Frau nach hinten blickt.
»Mum‼ Bitte, Mommy soll damit aufhören‼« Eden kommt keineswegs mit dieser Konstellation klar und eilt ihren Gedanken verzweifelt hinterher. Dieser Junge ist der Sohn von Matt und dieser Laura, oder von der anderen Frau?
Blitzschnell blickt sie zwischen allen hin und her und kann lediglich eine genetische Ähnlichkeit zwischen der farbigen Frau und Matt erkennen. Diese Laura trägt an dem Aussehen des Jungen keineswegs bei. Weshalb hat er sie dann aber Mommy genannt? Welche Verbindung hängt hier in der Luft?
Plötzlich bricht dieser Hund von neulich zwischen ihre Gedanken. Mit wuchtigen Schritten rast er auf sie zu. Das kennt sie schon. Sie weiß also wie sie das Kalb aufhalten kann. Noch immer mit der Waffe an der Schläfe, zischt sie ein kurzes »Stop!« und fixiert den Pointer. Schwanzwedelnd bremst dieser sofort ab.
»Sitz‼«, keift Eden unberührt von der tödlichen Gefahr, die an ihrem Kopf platziert ist. Aus dem Augenwinkel sieht sie, wie der Hund reagiert und sich auf den Boden setzt. Sein Schwanz wedelt noch immer wie ein Propeller und fegt den Sand auf dem Asphalt von einer Seite zur anderen.
»Ich fasse es nicht.«, stottert die farbige Frau. Mit offenem Mund blickt sie zu dem Hund, danach starrt sie Eden fassungslos an. Es fehlen nur noch ein paar Schritte, bis sie bei allen angekommen ist. Scheinbar haben in diesem Moment alle Anwesenden vergessen, weshalb diese Lage entstanden ist, denn alle blicken zu dem Pointer.
»Wie haben sie das gemacht??«, fragt die farbige Frau.
»Ich habe ihm einen Befehl gegeben. Sollten sie auch mal probieren. Wie man sieht, gehorcht er ja«, wettert Eden patzig, weil ihr die Frage und der derzeitige Zustand langsam zu dämlich werden.
»Marley hört auf niemanden. Nur auf sein Frauchen Neve, aber die ist, wie sie ja mittlerweile festgestellt haben, tot«, patzt die Frau in derselben Tonlage zurück und blickt zu dem Hund herunter. Dessen Rute wedelt noch immer wild auf dem Boden herum.
»Kann mir bitte jemand mal erklären, was hier los ist?«, stellt sie eine berechtigte Frage und kehrt zur Ausgangsposition zurück. Und die ist noch immer die Waffe an Edens Schläfe.
»Diese Schlampe hier hat Neve getötet, Jessica!«, beantwortet Laura die Frage und fixiert Eden. Jessica heißt die farbige Frau also? Diese wirft ihre groß gewordenen Augen sofort zu der ihr bekannten Frau.
»Sie hat Leon und seinen Kollegen damals zu diesem Restaurant gefahren. Ich konnte sie ganz genau sehen, bevor ich in Deckung gegangen bin. Sie hat ebenfalls auf Neve geschossen! Sie ist ein Rabbit‼«, erklärt Laura die Situation. Im Bruchteil einer Sekunde versucht Eden sich an diese Situation zu erinnern, findet aber keinerlei Erinnerung von ihrem alten Leben und diesem Mord. Sie blickt zu dieser Jessica und kann zusehen, wie deren Augen hasserfüllt werden. Ihr Blick versteinert sich. Insgeheim hat sie Eden mit Sicherheit schon bei den letzten Worten von Laura getötet. Ohne nachzufragen, ob sie sich sicher sei. Die Kiefermuskeln bewegen sich hart, ihre Hände ballen sich zu Fäusten.
»Was zur Hölle suchen sie hier?«, zischt sie.
Anstatt diese Frage zu beantworten, blickt Eden zu Laura. Sie fixiert sie scharf.
»Nimm die Waffe herunter und ich beantworte jede eurer Fragen‼«
»Vergiss es‼!«, faucht Laura.
»Nimm sie runter!«, warnt Eden sie erneut.
»Niemals‼«
»Nimm sie runter‼«
»Ich denke nicht dran‼« Im Bruchteil einer Sekunde zieht Eden den Abzug ihrer Waffe. Ein lauter Knall stürzt über den Friedhof. Die abgefeuerte Kugel prallt einen halben Meter neben Laura auf dem Asphalt ab. Erschrocken zuckt diese zusammen, während Matt einen Schritt auf Eden zumacht. Der kleine Junge kreischt wie ein kleines Mädchen, während Jessica an ihren Rücken greift, die Hand aber nicht weiter bewegt.
»NIMM SIE RUNTER‼!«, brüllt Eden und blickt blitzschnell zu dem Jungen.
»Oder willst du, dass dein Junge dein Gehirn vom Asphalt kratzt??«, keift sie weiter. Sie will Laura somit von ihrer Ernsthaftigkeit überzeugen.
Mit einem flüchtigen Blick zu Damon, zerquetscht Laura fast den Griff ihrer Waffe. Sie überlegt eine geraume Zeit. Widerwillig bewegt sich nach einigen Sekunden ihr rechter Daumen. Ganz langsam hebt er sich ein kleines Stück, drückt einen kleinen Hebel an der Waffe und sichert diese somit. In Zeitlupe senkt Laura die Waffe, bringt Eden mit ihrem Blick aber noch immer um.
»Sehr schön‼«, grinst Eden irgendwie krankhaft, hebt ihren rechten Arm und holt ihre eigene Waffe vor. Sie sichert sie ebenfalls und steckt sie mit langsamen Bewegungen in das Holster am Rücken.
»Ich gehe davon aus, dass wir aufgrund der Anwesenheit von zwei Kleinkindern normal miteinander reden können und der Friedhofsgärtner heute keine weitere Arbeit erhalten wird, oder??«, wirft sie in die Runde. Sie will die Situation unter Kontrolle kriegen. Niemand antwortet. Sie wird von allen genauestens beobachtet.
»Sie haben Recht«, nickt sie Laura bestätigend zu.
»Ich war ein Rabbit. Aber ich arbeite beim FBI und war dort zwei Jahre Undercover eingeschleust. Ich sollte Informationen über diese Gang sammeln und die Rivalitäten zwischen denen und einer gewissen Bande dokumentieren. Diese Bande dürfte ihnen bekannt sein. Sie nennen sich Five Dogs«, grinst Eden ironisch und wandert mit ihrem Blick blitzschnell zwischen allen hin und her. Kein zucken der Augenbrauen, oder eine andere Regung zeigt die Überraschung der Frauen und dem Mann. Alle haben sich gut unter Kontrolle und betrachten Eden nüchtern. Sie weiß genau, dass Laura und Matt zu den Five Dogs gehören. Denn das konnte sie aus Neves Akte unter -Kontakte- lesen.
»Wie erwähnt, war ich zwei Jahre ein Rabbit, aber leider habe ich keinerlei Erinnerung mehr daran. Auch kann ich mich nicht daran erinnern, Neve Preston getötet zu haben.«
»Bullshit‼!«, zischt Laura ohne Luft zu holen und macht einen Schritt auf sie zu.
»Dieses Gemetzel vergisst niemand‼ Neve wurde von euch durchlöchert‼ Sie wurde regelrecht hingerichtet«, keift sie weiter. Eden blickt sie aus dem Augenwinkel scharf an.
»Du verstehst es nicht, oder??«, lacht sie gehässig. Sie dreht sich vollständig zu ihr um und präsentiert ihre linke Kopfhälfte. Mittlerweile sind die Haare dort schon gut nachgewachsen, aber die große Narbe ist noch immer deutlich zu sehen.
»Ich bin aus irgendwelchen Gründen bei den Rabbits aufgeflogen. Die hatten daraufhin nichts Besseres zu tun, als mehrmals auf mich zu schießen.« Demonstrativ klopft sie gegen ihren Kopf. Alle können einen kleinen metallischen, aber dumpfen Ton hören.
»Eine Kugel zerfetzte meinen Schädel. Ich erlitt Verletzungen am Gehirn, die mir sämtliche Erinnerungen genommen haben. Ich habe Amnesie und kann mich somit in keinster Weise an etwas erinnern, was vor dem Krankenhausaufenthalt in meinem Leben passiert ist«, erklärt sie sich weiter und blickt blitzschnell zwischen allen hin und her. Niemand scheint ihr die Worte abzunehmen, sie wird noch immer scharf von allen angestarrt.
»Und was machst du dann hier? Hier bei Sam und Neve? Du bist für deren Tod verantwortlich! Wenn du Miststück Neve nicht getötet hättest, würde Sam noch leben. Dann hätte Precious ihre Mütter noch‼«, keift Jessica und zeigt auf das kleine farbige Kind, das regungslos im Kinderbuggy sitzt. Mit großen und neugierigen Augen verfolgt sie die Situation. Ihr Blick ist vollständig auf Eden gerichtet. Er scheint ein klein wenig Freude auszudrücken, aber Eden kann es nicht richtig einschätzen. Dafür ist die derzeitige Sachlage einfach zu brenzlig.
Sie blickt zu Jessica und kehrt zu der gestellten Frage zurück.
»Ich versuche einfach irgendetwas aus meinem Leben zurückzugewinnen. Nach dem Attentat auf mich, entstand ein großes Loch in meiner Erinnerung und dieses will ich füllen. Bei meinen ersten Versuchen, stieß ich auf die Akte von Samantha Rodriguez und Neve Preston. Aus unerklärlichen Gründen, fühle ich mich den beiden sehr verbunden. Ich versuche lediglich zu verstehen, weshalb das so ist«, erklärt sie sich und sieht dabei zu, wie Lauras Augen einmal aufblitzen.
»Du fühlst dich den beiden verbunden?? Du solltest dich zum Teufel scheren‼ Du hast absolut keine Ahnung, welchen zwei wundervollen Menschen du das Leben genommen hast‼ Du weißt nicht, wie sehr die beiden sich geliebt haben‼ Du wirst nie erfahren, wie es für Precious sein wird, ohne ihre Mütter aufzuwachsen! Also sieh zu, dass du Land gewinnst und verschwinde von hier‼ Und zu deiner eigenen Sicherheit solltest du nie wieder in meiner Nähe auftauchen‼ Nur aus Respekt vor dem Todestag der beiden, jage ich dir im Moment keine Kugel in deinen verfuckten Schädel‼ Beim nächsten Mal werde ich aber nicht eine Sekunde zögern, dass verspreche ich dir‼«, warnt Laura Eden.
Eden blickt zu den beiden Grabsteinen zurück. Sie spürt einen dicken Kloß in ihrem Hals wachsen.
»Sie haben sich sehr geliebt, oder?«, flüstert sie offensichtlich mitfühlend.
»Nein, die beiden waren Eins! Sie waren eine Seele! Nichts und Niemand hätte sie je trennen können‼ Sam hat sich nur aus Liebe zu Neve getötet. Sie hätte nicht einen Tag ohne sie oder das Kind leben können. Für sie hätte nichts mehr einen Sinn ergeben«, erklärt Matt ruhig, was Eden eine Gänsehaut beschert. Sie blickt auf das Foto zurück und schluckt. Dann dreht sie sich in Lauras Richtung und schaut sie direkt an.
»Es tut mir von Herzen leid, was ich getan habe. Aber ich habe daran keinerlei Erinnerung mehr. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen‼«, entschuldigt sie sich für eine Tat, für die, die alte Eden verantwortlich ist.