Читать книгу Restart - Valuta Tomas - Страница 7
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ОглавлениеNach zwei Stunden und mit mehreren Einkaufstüten bewaffnet, kehrt Eden in das Horrorhaus zurück und schmeißt die erste Waschmaschine an. Die Night Rod in der Garage hat sie mit Sicherheit nicht vergessen. Wie könnte sie auch? Sie wird heute Nacht davon träumen, das weiß sie. Morgen, ja morgen wird sie sich diesem edlen Stück voll und ganz widmen. Sobald Ryan aus dem Haus ist, wird sie sich aufpolieren, auf das Leder schwingen und dann nach Soma fahren. Sie riecht jetzt schon den Wind. Er wird ihr während der Fahrt ins Gesicht wehen. Wie sehr sie sich da schon drauf freut.
Sie fragt sich aber dennoch, wie sie an so eine Maschine gekommen ist. So ein gutes Stück kostet eine Stange Geld. Auch wenn sie noch keine persönlichen Daten von sich im Kopf hat, weiß sie auch so, dass man beim FBI nicht genug Geld verdient. Und Ryan mit seinem Redakteur Gehalt? Mit Sicherheit bringt er auch nicht genug Geld mit nach Hause. Zusammengerechnet dürfte es ungefähr so viel sein, dass sie sich dieses Haus leisten können und vielleicht zweimal im Jahr einen Urlaub genießen. Wo hat sie aber das Geld für eine Harley Davidson her?
Skeptisch über sich selbst, wandert Eden planlos durch das Haus und landet in ihrem Puppenzimmer. Der eine Müllsack von gestern steht noch immer im Raum. Den hat sie ja wegen dieser Jill nicht mehr nach draußen bringen können. Das wird sie aber nachholen. Gleich nachdem sie ihre finanzielle Situation gecheckt hat. Merkwürdig findet sie das schon.
Sie setzt sich an den Schreibtisch, der auf der anderen Zimmerseite steht und blickt sich suchend um. Ein Computer, Scanner, Drucker und ein Telefon. Über dem Schreibtisch hängt ein Regal auf dem mehrere Ordner stehen.
»Kontoauszüge«, liest Eden laut und rupft einen Ordner mit dieser Beschriftung vom Regal. Gleichzeitig schaltet sie mit einem Knopfdruck den Computer an. Neugierig blättert sie herum und stellt schon nach wenigen Minuten etwas Merkwürdiges fest. Alle paar Wochen hat sie auf ihr Konto Einzahlungen mit unregelmäßig, aber verdächtig hohen Summen. Mal sind es zwanzigtausend Dollar, dann fünfzigtausend und hin und wieder kleine Beträge von ein paar tausend. Was zur Hölle ist das? Und von wem erhält sie das Geld? Es steht kein Name geschrieben und das Geld wurde immer bar auf das Konto eingezahlt. Von wem? Vor allem aber, warum?
»Da stimmt doch irgendetwas nicht«, murmelt sie vor sich hin und sieht aus dem Augenwinkel, dass der Computer startklar ist. Sie klickt eine geraume Zeit hin und her, stellt zwischendurch eine neue Waschmaschine an und wälzt sich weiter durch ihr Eigentum, das ihr fremd vorkommt. Sie findet mehrere Ordner, mit Dateien und kann diese sofort zuordnen. FBI. Sie hat tatsächlich FBI Dateien auf ihrem privaten Computer? Wie leichtsinnig war sie eigentlich? Und sie will tatsächlich ein Agent sein? Da ist ja ein Kindergartenkind schlauer als sie.
Kopfschüttelnd klickt sie auf eine Datei und nimmt sofort ihre vorherigen Gedanken zurück. Passwortgeschützt. Sie überlegt einige Zeit, findet aber kein passendes Wort, das ihr schlau und clever genug erscheint, dass man es als Passwort nutzen könnte. Sie versucht einige belanglose, erhält aber keinen Zugriff auf die Dateien.
»Mist‼«, flucht sie, fährt den Computer herunter und zieht stattdessen den Ordner mit den Kontoauszügen wieder zu sich. Ihr kommt ein Gedanke, als sie sehen kann, wie viel Geld sich derzeit auf ihrem Konto befindet. Das ist eine gute Idee, eine verdammt gute! Sie wird diese Idee gleich morgen in die Tat umsetzen und da es sich um ihr eigenes Konto handelt, braucht sie sich um keinen Streit mit Ryan zu sorgen. Es ist immerhin ihr Leben und Geld!
Gegen Abend hat sie sämtliche neue Wäsche gewaschen und zum trocknen aufgehängt. Weiße Blusen, helle und dunkle Jeans, die aussehen, als wenn sie schon völlig ausgetragen wären. An den Knien zerrissen und aufgeschlitzt. Mehrere Schulterfreie weiße Unterhemden, die sie unter den Blusen tragen wird und unzählige Hosenanzüge. Die meisten in weiß, aber auch ein paar schwarze, hellgraue und sogar ein rotes Cocktailkleid. Es gefiel ihr beim ersten Anblick so sehr, dass sie gar nicht lange nachdachte und ihre Kreditkarte zog. Sie war froh, dass sie schlau genug war, zuvor noch ihre Unterschrift zu üben. Diese entnahm sie der Hochzeitsurkunde, die sie in einem Schrank neben den ganzen Hochzeitsfotos fand. Ihre Intelligenz scheint also keinen Schaden genommen zu haben. Da funktioniert offensichtlich noch alles.
Als Ryan am Abend zu Hause eintrifft, ist Eden schlagartig von seinem Dauergrinsen genervt. Wenn sie könnte, würde sie…! Egal, sie erträgt es, versucht zu sich selbst zu finden und mit ihren bisherigen Erkenntnissen klarzukommen. Nach und nach ihr Leben aufzudecken, jenes umzukrempeln und neu aufzubauen. Denn das was bisher dort stattgefunden hat, wird so nicht mehr weiter funktionieren. Schon gar nicht, mit diesen ganzen Sex-Toys. Da wird sie mit Ryan definitiv noch drüber reden müssen. Dafür kann er sich eine andere suchen, die dieses Spielchen mit ihm ausübt. Sie braucht das nicht.
Ryan stellt den beiden zwei Schachteln vom Chinesen auf den Tisch. Keiner von ihnen hatte Lust zu kochen und somit entschieden sie sich, Essen zu holen.
Mit schmerzenden Magen, weil sie den ganzen Tag über noch nichts gegessen hat, klappt Eden die Pappe auf und stutzt. Suchend stochert sie in dem Essen herum.
»Wo ist das Fleisch?«, fragt sie brummend und gräbt sich bis zum Pappboden durch.
»Fleisch?«, schluckt Ryan sein Essen herunter und schaut sie fragend an.
»Schatz, du bist Vegetarier, du isst kein Fleisch. Mungbohnenkeime und Bambussprossen sind beim Chinesen dein Leibgericht«, klärt er sie auf.
»Was???«, japst Eden entsetzt und schaut ihn mit Mondgroßen Augen geschockt an.
»Vegetarier?? Ich bin kein Vegetarier!«, schimpft sie und sucht verzweifelt in dem Karton nach einem Rind, einer Ente, oder zumindest einem Huhn. Irgendetwas muss doch da drinnen sein, verdammt nochmal.
»Doch Schatz, du hast seit zwanzig Jahren kein Fleisch mehr gegessen«, versucht Ryan Eden auf die Fleischfreie Bahn zurückzubringen. Sie schüttelt panisch den Kopf. Das kann nicht sein. Sie weiß, dass sie Fleisch liebt. Sie kann gar nicht ohne Fleisch.
»Kein Wunder, dass ich so eine Schraube locker habe. Da fehlen definitiv zu viele wichtige Vitamine‼«
Wütend pfeffert Eden ihre Stäbchen in den Karton zurück und steht vom Essenstisch auf. Als sie gleich darauf angezogen das Wohnzimmer durchquert und auf die Haustür zusteuert, ruft Ryan ihr hinterher.
»Wo willst du hin?«
»Fleisch essen gehen‼«, antwortet sie fluchend und knallt die Tür hinter sich zu. Bewusst lässt sie die Harley in der Garage stehen. Auch wenn es ein Traum wäre, nun bei dieser Dunkelheit damit zu fahren, hat sie sich ein Ziel für die Jungfernfahrt gesetzt und das will sie sich nicht selber verbauen. Also ab in die Kombischüssel und nach Soma fahren.
Dort angekommen parkt sie die Familienkutsche bei einem Schnellrestaurant und marschiert ohne Umwege in die Räumlichkeit. Am Tresen wird sie von der Auswahl der Menüs erschlagen. Völlig überfordert, weiß sie gar nicht so genau, was sie eigentlich essen will. Es sieht alles so verführerisch und köstlich aus.
Kurzerhand entscheidet sie sich für ein großes Menü mit Cola und Pommes. Zusätzlich bestellt sie noch drei weitere Burger. Sie weiß selber, dass sie das alles nicht essen kann, aber sie will wenigstens von jedem mehrere Male abbeißen, nur um den Geschmack zu genießen.
Stolz wie Oscar, marschiert sie einige Minuten später zu einer Tischreihe, stellt das Tablett ab und rutscht auf die Holzbank.
Wie ein Kleinkind an Weihnachten, sitzt sie mit leuchtenden Augen auf der Bank. Sie schert sich nicht um die halbwüchsigen Jugendlichen, die lautstark um sie herum turnen. Sie hat nur noch Augen für sämtliche Burger, die nur darauf warten, von ihr verzehrt zu werden. Der Duft von künstlich gepresstem Fleisch, ranzigem Fett und salzigen Pommes, lässt ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie nimmt schnell einen Schluck Cola, genießt die erfrischende und prickelnde Kälte, die ihre Speiseröhre herunterläuft und blickt wieder auf das Essen vor sich. Sie kann sich nicht entscheiden was sie zuerst essen soll. Es ist auch egal. Irgendetwas. Irgendein Burger muss zuerst dran glauben und welcher das ist, ist ihr im Moment vollkommen egal.
Sie klappt den Pappdeckel auf, greift hinein und schiebt mit Genuss den Burger Richtung Mund. Sie nimmt die Lippen auseinander, umgreift mit ihren Zähnen das pappige Brötchen, beißt ab und lässt ein kurzes aber befriedigtes Stöhnen über ihre Stimmbänder huschen, als sie mit geschlossenen Augen beginnt zu kauen. Wie herrlich dieses Fast Food doch schmeckt. Da kommen keine Mungbohnenkeime und Bambussprossen gegen an. Egal was sie jemals zuvor gegessen hat, das hier, ist im Moment das größte für sie. Unglaublich!
Eden öffnet befriedigt die Augen, kaut weiter und hat eine Frau im Blickfeld, die zwei Tische weiter sitzt und sie skeptisch anschaut. Sie scheint Eden schon die ganze Zeit zu beobachten. Ihren Gesichtszügen nach zu urteilen, kann sie Edens Freude über so einen Burger keineswegs teilen.
Die Frau blickt sie leicht angewidert an und schüttelt kaum sichtbar den Kopf. Eden will sich aber nicht aus ihrer Stimmung rausreißen lassen und schaltet um. Ihr ist es egal wie das jetzt rüberkommt, sie will einfach nur noch ihre Ruhe haben und einen Burger nach dem anderen genießen.
»Hast du ein Problem??«, pfeffert sie der Frau entgegen, die sie noch immer angewidert beobachtet. Sie ist circa Anfang dreißig und offensichtlich Südländerin. Ihre exotisch braune Haut verrät dies.
»Was gibt es denn so blöd zu glotzen??«, schmeißt ihr Eden gereizt an den Kopf. Sie fühlt sich derzeit in ihrer Privatsphäre gestört. Soll sie der guten Frau noch ein Fernglas reichen? Dann kann sie jedem Salatblatt dabei zusehen, wie es in ihrem Mund verschwindet.
Die Frau blickt Eden direkt in die Augen. Eden kann sehen, dass die Frau auf einmal von einer Welle tobender Wut erfasst wird. Sie sieht, wie sich die Kiefermuskeln der Frau bewegen. Scheinbar fühlt sie sich angegriffen oder provoziert. Soll sie ruhig, es war von Eden schließlich auch so gemeint. Sie will in Ruhe essen und keine Gaffer vor sich sitzen haben.
Die Südländerin atmet tief ein und wirft ihren Blick auf das Tablett, das vor ihr steht. Sie betrachtet alles ganz genau und greift dann nach dem Cheeseburger. Sie wickelt ihn auseinander, schaut ihn mit einem merkwürdigen Blick an und beißt zögernd ab. Mit langsamen Bewegungen beginnen ihre Zähne dieses Nahrungsmittel zu zerkleinern und zu einem matschigen Brei zu verarbeiten.
Belustigt beobachtet Eden die Frau dabei, wie die plötzlich den Mund aufreißt und die matschigen Überreste auf das Tablett zurückspuckt. Angewidert wischt sie sich die Lippen ab. Sie hebt den Burger und inspiziert das Ding kleinlich.
»Das nennt man einen Cheeseburger‼« Eden kann sich diesen Kommentar keineswegs verkneifen. Die Frau reagiert nicht auf diese Aussage. Stattdessen klappt sie den Brötchendeckel auf. Mit zitternden Fingern matscht sie in dem Senf-Ketchup Gemisch herum und zieht etwas Grünes heraus. Skeptisch begutachtet sie diese Zutat und schlabbert mit dem guten Stück in der Luft herum. Angeekelt beobachtet sie das Teil.
»Gurke‼«, wirft ihr Eden herüber. Sie könnte sich bei dem Schauspiel vor Lachen kringeln. Wie angeekelt die Frau dieses kleine Stück Gemüse anschaut. Sie scheint sich jeden Augenblick übergeben zu müssen. Ihr Gesicht wird tatsächlich blass.
Mit einer schnellen Bewegung, schmeißt sie die Gurke auf das Tablett zurück und wischt sich die rot-gelbe Mischung von den Fingern. Sie steht vom Platz auf und steuert samt Tablett auf Eden zu. Neben ihrem Tisch bleibt sie stehen und blickt sie von oben herab äußerst wütend an. Dann holt sie Luft, spuckt mitten auf den Cheeseburger und pfeffert Eden das Tablett quer über den Tisch.
»Guten Appetit‼«, faucht sie raunend und verschwindet auch schon aus dem Schnellrestaurant. Eden blickt flüchtig auf die matschigen Überreste des Cheeseburgers. Ihr Blick wandert zu den Fenstern des Restaurants, wo sie sehen kann, dass die junge Frau zu einem schwarzen Wagen geht. Sie öffnet die Tür, blickt flüchtig hoch und dann treffen sich die Blicke der Frauen.
Ohne es kontrollieren zu können, spürt Eden plötzlich, wie ihr Herz zu rasen beginnt, als sie der Frau auf dieser Distanz direkt in die dunklen Augen blickt. Diese sind so unglaublich warm und weich, dass Eden sich auf einmal wie ertappt fühlt und merkt, dass ihr die Röte ins Gesicht schießt. Aber warum? Warum löst die fremde Frau diese Reaktion bei ihr aus? Warum eigentlich bei einer Frau? Sie ist mit einem Mann verheiratet! Warum passiert in ihrem Körper dann also etwas ungewohntes, was sie so bisher bei Ryan noch nicht empfunden hat? Sie weiß ja nicht wie sie früher auf ihren Ehemann reagiert hat, aber jetzt ist er ihr einfach zu wider. Sie ist gelangweilt und genervt von ihm. Aber diese Frau, diese fremde Frau, hat etwas an sich, was sie unglaublich interessiert und ungewöhnlich anzieht. Sie kriegt ihre Augen einfach nicht von der Südländerin und beobachtet, wie diese ihr einen recht hasserfüllten Blick zuwirft und in das Auto steigt. Sie lässt den Motor an und fährt rückwärts aus der Parklücke. Ein Lächeln brennt sich auf Edens Gesicht fest. Mit quietschen und qualmenden Reifen fährt die Frau vom Parkplatz. Es stört sie nicht, dass sie einem anderen Wagen die Vorfahrt nimmt und fast einen Unfall verursacht.
»Beeindruckend«, murmelt Eden leise vor sich hin, dreht sich zu ihrem Essen zurück und widmet sich für die restliche Stunde dem köstlichen Fast Food.
Kurz nach Mitternacht, schleicht sie ins Schlafzimmer, hebt die Decke leicht an und rutscht vorsichtig auf ihre Seite des Ehebetts. Sie deckt sich zu, kuschelt sich gemütlich ins Kissen und erschrickt, als sie Ryans Stimme leise und verschlafen neben sich hört.
»Du riechst nach Fleisch«, grunzt er offensichtlich wütend. Eden lächelt nur.
»Das war ja auch Sinn und Zweck dieser Fressorgie«, lacht sie und schert sich nicht weiter um die Aussage ihres Mannes. Sie fühlt sich gut. Ihr Körper fühlt sich gut. So gut, dass sie schon nach wenigen Augenblicken eingeschlafen ist. Sie schläft so tief und fest, dass sie mitten in der Nacht schweißgebadet hochschreckt. Ihr Oberkörper schwimmt in ihrem eigenen Schweiß. Eden versucht regelmäßig zu atmen, gibt aber nach einigen Sekunden unterlegen auf. Sie gibt sich der unregelmäßigen Atmung hin und beginnt mit ihrem Kopf zu arbeiten. Auch wenn sie Angst hat, dass sie gleich tot ins Bett zurückfällt, weil sie keine Luft bekommt, beginnt ihr Gehirn von ganz alleine zu arbeiten. Sie hat geträumt. Das weiß sie! Nur was sie geträumt hat, weiß sie keineswegs. Sie versucht sich den Traum ins Gedächtnis zurückzurufen, aber ihre Gehirnwindungen lassen das nicht zu. Es muss irgendetwas aus ihrer Vergangenheit gewesen sein, das spürt sie. Trotzdem weiß sie nicht, was ihr Gehirn derzeit verarbeitet. Sie weiß nur, dass sie wegen zwei Wörtern aufgewacht und hochgeschreckt ist. Black Devil! Diese beiden Worte ließen sie aus dem Traum erwachen. Was soll sie aber damit? Wieso Black Devil?
»Verdammt‼«, keucht sie schwer atmend und blickt zu Ryan hinüber. Der liegt ruhig neben ihr und sägt das halbe Schlafzimmer auseinander. Herrgott, wie kann man neben so einer schnarchenden Kettensäge nur schlafen?
»Arschloch‼«, flucht sie leise über das Sägegeräusch ihres Mannes und krabbelt aus dem Bett. Sie schiebt ihren klitschnassen Körper unter die Dusche, um diesen klebrigen Film abzuwaschen. Hellwach, aber doch verschlafen, schleicht sie durchs Haus, macht sich einen Kaffee und steht im Türrahmen zu ihrem Horrorzimmer. Der letzte Beutel steht dort noch immer. Ohne Umwege steuert sie darauf zu und tritt mit aller Kraft dagegen.
»Verdammte Mistgeburten‼«, keift sie über diese ekeligen Puppen, dreht sich um und verharrt mitten in der Bewegung. Black Devil! Black Devil‼ Black Devil‼! Sie grinst! Jetzt weiß sie, wo sie diese Worte herhat und was sie damit anfangen kann.
Mit dem großen Zeh drückt sie den Knopf des Computers, schaltet ihn ein und setzt sich auf den Stuhl. Seelenruhig und Kaffee trinkend, wartet sie, bis er hochgefahren ist und bedankt sich bei ihrer unbewussten Auffassungsgabe. Ihre Night Rod hat nämlich einen kleinen Klebeschriftzug auf dem Tank, mit dem Namen Black Devil. Damit wird sie weiterkommen, das weiß sie.
Überzeugt davon, dass ihr diese beiden Worte sehr von Nutzen sein werden, ruft sie erneut die FBI Dateien auf und gibt in die Zeile des Passwortes, den Namen ihrer Maschine ein. Es dauert etwas, bis sie stolz auf sich sein kann. Zugriff. Jetzt kann sie die restliche Nacht durch ihre Arbeit wandern und versuchen, sich an irgendetwas zu erinnern.
Es sind erstaunlich wenige Dateien. Weniger als sie annahm. Von daher dauert es nicht lange, bis sie die alphabetisch aufgelisteten Akten durchgearbeitet hat, aber ernüchtert feststellen muss, dass diese schon alle abgeschlossen sind. Nichts deutet auf einen Funken Erinnerung hin. Nichts! Ihr Gehirn nimmt keine Information auf, mit denen sie arbeiten kann, weil schon alles unter Verschluss ist. Warum hat sie dann aber noch diese alten Kamellen auf dem Computer? Ok, die fehlenden Vitamine könnten natürlich eine Erklärung dafür sein.
Erschrocken schießt sie im Stuhl hoch und blickt mit großen Augen zum geöffneten Fenster. Das bellen eines Hundes dringt durch die Stille. Langsam steht Eden auf, tritt ans Fenster und blickt in die dunkle Nacht. Nur ein paar Laternen erhellen diese idyllische Gegend, welche keineswegs nach ihrem Geschmack ist. Sie will sich lieber in einer dreckigen Gasse wiederfinden. Sie will riechen, schmecken und spüren, wie das Leben ist. Das Leben und der Tod!
»Morgen werde ich mir Soma mal etwas genauer anschauen«, flüstert sie sich leise zu und blickt noch immer durch die Nacht, auf der Suche nach dem bellenden Hund. Weil sie diesen aber nicht ausfindig machen kann, geht sie an den Computer zurück und will ihn ausschalten, als ihre Aufmerksamkeit auf eine Datei fällt, die sie bisher noch nicht geöffnet hat. Der Ordner trägt den Namen Rottweiler. Neugierig klickt sie zweimal auf das orangene Zeichen und wühlt sich durch die Akte. Interessiert zieht sie eine Augenbraue hoch, als sie den Namen Samantha Rodriguez lesen kann. Nach und nach bauen sich die Informationen auf, danach das Verbrecherfoto. Eine junge Frau, schaut Eden mit versteinertem Blick an. Ihre Augen sprühen vor Wut und Aggressivität. Dennoch sind sie zugleich unglaublich warm und haben einen fast liebevollen Ausdruck. Welch unterschiedliche Welten sich dort in den Augen widerspiegeln. Offene schwarze Haare, ein Piercing an der rechten Augenbraue und weiche Gesichtszüge.
»Hm«, murmelt Eden. Genervt atmet sie dann aber tief durch, als sie Ryan hinter sich vermutet. Sie riecht ihn. Sie riecht den Duft eines Männerparfüms. Warum ist er wach und warum geht er ihr auf die Nerven? Kann sie noch nicht einmal mitten in der Nacht ihre Ruhe vor ihm haben?
»Was ist?«, giftet sie zischend nach hinten. Sie wartet auf eine Antwort von ihrem Mann, aber er reagiert nicht. Es ist still. So still, dass Eden nur das Surren des Computerlüfters hört. Ebenfalls hört sie ihren Herzschlag, der ungewöhnlich hart und laut schlägt.
Genervt, weil Ryan ihr nicht antwortet, dreht sie sich zu ihm um. Mitten in der Bewegung bleibt sie stehen. Hinter ihr steht niemand. Sie ist alleine im Zimmer.
»Ryan?«, ruft sie vorsichtig. Keine Antwort. Was soll das denn? Sie hat ihn doch gerochen. Sie hat sein Parfüm gerochen. Ein Männerparfüm.
Kopfschüttelnd, weil ihr diese Unterbrechung derzeit keineswegs passt, steht sie vom Stuhl auf und schleicht zum Schlafzimmer. In der Dunkelheit sieht sie Ryans Umrisse. Das laute Schnarchen verrät ihr, dass er tief und fest schläft. Wenn er aber im Land der Träume ist, warum hat sie dann ein Männerparfüm gerochen? Wird sie allmählich ganz verrückt? Hat ihr der Jahrelange Vitaminmangel so zugesetzt?
Murmelnd setzt sie sich wieder an den Schreibtisch zurück und liest sich nach und nach die Straftaten dieser Rodriguez durch. Alles nur kleine Sachen. Raub, Einbruch, die üblichen Lappalien. Interessant wird es aber, als sie liest, dass die gute Frau zehn Jahre für mehrere Verbrechen gesessen hat, die sich erst nach einem bestimmten Zeitraum angehäuft haben. Plötzlich scheint die Frau einen brutaleren Weg eingeschlagen zu haben. Fast im wöchentlichen Rhythmus kommt eine neue Straftat hinzu, was Eden sehr auffällig vorkommt. Warum hat diese Rodriguez nur alle paar Monate zugeschlagen und plötzlich von einem Tag zum anderen, diese ganzen Sachen gemacht? Wurde sie süchtig danach?
Eden liest sich die Akte bis zum Ende durch und muss ernüchternd feststellen, dass sie mit dieser nichts mehr anfangen kann. Rodriguez ist tot! Selbstmord! Was??
Steif schreckt Eden im Stuhl hoch und schaut sich diese Samantha genauer an. Selbstmord? Wieso Selbstmord? Was hat sie dazu getrieben? Sie kam mit fast zweiundzwanzig ins Gefängnis, verbrachte dort zehn Jahre ihres Lebens, kommt frei und bringt sich fast dreißig Stunden später selber um? Da stimmt doch was nicht! Das kann doch nicht sein!! Sie hatte doch noch ihr ganzes Leben vor sich! Wieso baut sie so ein Vorstrafenregister auf, hält all die Jahre im Knast durch und bringt sich dann auf freiem Fuß um? Hätte sie das nicht ihren Mithäftlingen überlassen können? An diesem Braten ist definitiv was faul.
Eden scrollt die Akte weiter durch, arbeitet sich durch die Reiter und kommt zu den Verbindungen, die jede Person im Leben hatte und für spätere Fälle oder Akten gespeichert werden.
»Five Dogs?«, flüstert sie murmelnd und lehnt sich weit zum Bildschirm vor. Nach und nach nimmt ihr Gehirn mehrere Informationen auf. Tätowierung, Matt, Laura, Bewährung, Dead Rabbits! Dead Rabbits? Dead Rabbits?? Sofort wandert ihre Hand über ihren Arsch. Sie fühlt die Tätowierung nicht, weiß aber, dass sie da ist. Dort prangt ein zuckersüßes Kaninchen. Dead Rabbits! Sie war (nach Ryans Aussage) selber zwei Jahre ein Kaninchen. Nur warum? Warum wurde sie in diese Gang geschleust? Und was haben die Dead Rabbits mit den Five Dogs zu tun? Wo steckt da die Verbindung?
Eden klickt wieder auf den ersten Reiter zurück und betrachtet das Foto dieser Rodriguez erneut.
»Ich liebe dich Neve!! Ich habe dich von der ersten Sekunde an geliebt und ich werde dich bis in die Ewigkeit lieben!«
Erschrocken dreht sich Eden um, als sie eine weibliche Stimme dicht hinter sich hört. So dicht, als wenn jemand ihr im Nacken sitzen würde. Hektisch blickt sie sich im dunklen Zimmer um, sieht aber nichts. Keinen Menschen, keinen Geist, nichts.
»Hallo?«, flüstert sie leise, aber keineswegs verängstigt. Eher angespannt! Sie steht vom Stuhl auf und geht zur Tür.
»Ryan?«, ruft sie gedämpft durch den Flur, hört als Antwort aber lediglich ein regelmäßiges Schnarchen. Mit einem Ruck dreht sie sich um, tritt an das Fenster und durchsucht erneut die dunkle Nacht. Dieses Mal aber auf der Suche nach einer Person. Nichts! Sie hört und sieht rein gar nichts. Es herrscht Totenstille.
»Was zur Hölle…?«. Murmelnd zieht sie den Kopf vom Fenster weg und tritt wieder an den Computer. Sie blickt wieder in das Gesicht dieser Rodriguez und versucht sich die Worte ins Gedächtnis zu rufen, die auf unheimliche Art und Weise, durch das Zimmer getragen wurden. Irgendwie kam es ihr auch vor, als wenn die Stimme in ihrem Kopf gewesen wäre. Das kann aber nicht sein, weil es eine völlig fremde Stimme war. Zugegeben, sie kennt sich selbst noch nicht. Aber ihre eigene Stimme kann sie schon erkennen. So bescheuert ist sie dann doch nicht geworden.
»Neve! Wer ist Neve?«, flüstert sie leise und wandert mit ihren Augen auf dem Verbrecherfoto dieser Sam umher. Pore für Pore begutachtet sie das Bild, findet aber nichts, was auffällig ist.
»Neve‼«, nuschelt sie weiter. Dann fällt ihr etwas ein. Sie klickt zu den Verbindungen zurück und ist sichtlich stolz auf sich, dass sie sich unbewusst wieder eine wichtige Information gemerkt hat. Neve Preston! Da ist er! Dieser Name! Diese Samantha hatte also eine Verbindung zu Neve Preston. Ok und wer ist das?
Neugierig und interessiert, klickt Eden auf den Namen und sieht der Technik dabei zu, wie eine neue Akte geöffnet wird. Sie fällt aus allen Wolken, als sie plötzlich eine Polizistin vor sich sieht. Eine junge Frau in Polizeiuniform, grinst sie mit einem stolzen, aber ernsten Ausdruck an. Dieses Foto wurde offensichtlich kurz nach der Academy aufgenommen. Denn (wie Eden lesen kann), wurde die gute Frau zweiundvierzig. Auf dem Foto ist sie aber sichtlich jünger.
Ok, eine Polizistin also. Und wo steckt da die Verbindung zwischen ihr und Samantha Rodriguez?
Immer wieder klickt Eden zwischen den beiden Akten hin und her und versucht eine Verbindung zwischen den beiden Frauen aufzubauen. Sie scheitert aber kläglich. Nichts deutet daraufhin, dass sie etwas gemeinsam hatten. Das was Eden allerdings bei dieser Neve gegen den Strich geht, ist die Tatsache, dass in der Akte vermerkt ist, dass sie vom Polizeidienst unehrenhaft entlassen worden ist und kriminell wurde. Wie zur Hölle kann man zum Verbrecher werden, wenn man jahrelang das Gesetz vertreten und kriminelle Menschen ins Gefängnis verfrachtet hat? Was treibt einen Menschen dazu, so einen gravierenden Turn im Leben zu machen? Was ist da nur passiert? Was ist mit dieser Neve passiert?
Eden wälzt sich weiter durch die Akte und sucht noch immer nach einer Verbindung zwischen Neve Preston und Samantha Rodriguez. Fast eine halbe Stunde klickt sie hin und her, bis es ihr auffällt. Nur eine winzig kleine Notiz! Ein Datum und eine Uhrzeit, mehr nicht. Der Todeszeitpunkt! Beide sind am selben Abend und offensichtlich zum gleichen Zeitpunkt gestorben. Aber warum? Wieso sterben zwei Menschen am selben Ort und zur selben Zeit? Gibt es da vielleicht eine tiefere Verbindung zwischen den beiden Frauen, als diese Akte hergibt?
Diese Neve wurde erschossen. Soweit ist Eden durch die Akte dann doch gekommen. Neve wurde nicht nur erschossen, ihr Körper wurde regelrecht durchsiebt. Insgesamt drangen achtzehn Kugeln in ihr Fleisch und nahmen ihr das Leben. Das muss ein ziemlich heftiger Anblick für die auftauchende Polizei und Sanitäter gewesen sein.
Diese Rodriguez wurde allerdings durch einen Kopfschuss getötet. Nein, sie tötete sich selbst. Nur warum? Wo liegt die Verbindung zwischen dem Sieb und dem Loch im Kopf?
»Verdammt‼«, keift Eden und stampft wie ein Kleinkind mit einem Fuß auf. Es passt ihr keineswegs, dass sie nicht weiterkommt. Die Akte gibt einfach zu wenig her. Sie will endlich wissen, was da bei diesen beiden Frauen lief. Das bedeutet, dass sie in die FBI Zentrale muss, um die vollständige Akte zu sichten. Wiederrum bedeutet das, dass sie schnell wieder gesund werden muss, damit sie arbeiten gehen kann. Das wird also ihr nächstes Ziel sein. Gesund werden und arbeiten gehen.