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1. KAPITEL
DAMALS
ОглавлениеWenn es wahr ist, daß Jesus vor fast zweitausend Jahren für uns am Kreuz gestorben ist, um uns vor allem Bösen zu bewahren, dann galt dies nicht für unsere Gegend, ausgenommen sonntags zwischen zehn Uhr früh und zehn Uhr abends. Zumindest meiner Meinung nach.
Aber wer gab schon etwas auf meine Meinung? Ich dachte daran, wie Vater – zwei Monate nach dem Tod meiner Mutter im Kindbett – Sarah zur Frau genommen hatte und sie ihm den Sohn gebar, den er sich so sehnlich gewünscht hatte, seit ich auf die Welt gekommen war und dem kurzen Leben meiner Mutter ein jähes Ende bereitet hatte.
Damals war ich noch zu jung, um mich an die Geburt dieses ersten Sohnes zu erinnern, der auf den Namen Thomas Luke Casteel jun. getauft wurde. Später erzählte man mir, daß wir zusammen in der gleichen Wiege gelegen, darin wie Zwillinge geschaukelt, gestillt und in die Arme genommen – jedoch nicht gleichermaßen geliebt worden waren. Letzteres mußte mir allerdings niemand erst erzählen.
Ich liebte Tom mit den feuerroten Haaren und den leuchtend grünen Augen, die er von Sarah geerbt hatte. Nichts an ihm erinnerte an Vater. Er wurde allerdings später ebenso groß wie er.
Nachdem mir Großmutter am Tage vor meinem zehnten Geburtstag von meiner richtigen Mutter erzählt hatte, faßte ich den Entschluß, meinem Bruder Tom niemals den Glauben zu nehmen, daß ich, Heaven Leigh Casteel, seine leibliche Schwester sei. Ich wollte die besondere Beziehung zwischen uns, die uns fast zu einer Person verschmelzen ließ, unter allen Umständen bewahren. Seine Gedanken waren beinahe immer die gleichen wie meine, wohl deshalb, weil wir in der gleichen Wiege gelegen hatten. Sehr bald nach seiner Geburt begann unser stilles Einverständnis. Das machte uns außergewöhnlich. Es war uns wichtig, außergewöhnlich zu sein, denn wir befürchteten, daß wir es eigentlich überhaupt nicht waren.
Barfüßig war Sarah über einsachtzig groß. Eine wahre Amazone und die passende Gefährtin für einen Mann, der so groß und stark war wie mein Vater. Sarah war nie krank. Wie Großmutter (die Tom gelegentlich scherzhaft »Mutter der Weisheit« nannte) erzählte, waren Sarahs Brüste nach Toms Geburt so voll und üppig geworden, daß sie mit kaum vierzehn Jahren bereits wie ein Matrone wirkte.
»Und«, fuhr Großmutter fort, »als Sarah niedergekommen war und alles hinter sich hatte, ist sie gleich wieder aufgestanden und hat weitergearbeitet, gerade so, als hätte sie nicht soeben die qualvollsten Schmerzen erlebt, die wir Frauen nun mal klaglos ertragen müssen. Mein Gott, Sarah brachte es doch glatt fertig, zu kochen und dabei einem Neugeborenen das Trinken beizubringen.« Jawohl, dachte ich mir, es ist bestimmt hauptsächlich Sarahs unverwüstliche Gesundheit, die Vater an ihr so anziehend findet. Sonst sagte ihm Sarahs Typ wohl nicht besonders zu, aber man konnte bei ihr davon ausgehen, daß sie nicht im Kindbett sterben und ihn in tiefer, dumpfer Verzweiflung zurücklassen würde.
Ein Jahr nach Tom kam Fanny mit ihren pechschwarzen Haaren und ihren dunkelblauen Augen, die noch vor ihrem ersten Geburtstag fast ganz schwarz wurden. Unsere Fanny war ein richtiges Indianermädchen – braun wie eine Haselnuß – und nur selten mit irgend etwas zufrieden.
Vier Jahre nach Fanny kam Keith, der nach Sarahs frühverstorbenem Vater benannt wurde. Keith hatte bestimmt das hübscheste Haar: ein helles Kastanienbraun. Und man mußte ihn einfach sofort liebhaben – besonders da er ein sehr stiller Junge war, der kaum jemandem Sorgen machte, der niemals jammerte, weinte oder ständig etwas forderte, wie Fanny es die ganze Zeit über tat. Keiths blaue Augen wurden schließlich topasfarben, seine Haut machte dem weißlichen Pfirsichteint Konkurrenz, von dem die Leute behaupteten, daß ich ihn hätte. Allerdings kann ich das nicht so genau sagen, da ich nur selten in unseren trüben Spiegel blickte, der zudem mehrere Sprünge hatte.
Keith entwickelte sich zu einem besonders braven Jungen, der sich an schönen Dingen erfreuen konnte. Als ein Jahr später ein neues Baby auf die Welt kam, saß er oft stundenlang neben dem zarten kleinen Mädchen, das von Anfang an kränkelte. Schön wie ein Puppe war unsere kleine Schwester. Sarah hatte mir erlaubt, daß ich ihr einen Namen geben durfte. Ich nannte sie Jane, da ich zu der Zeit eine Jane auf der Titelseite einer Zeitschrift gesehen hatte, die mir unglaublich schön vorgekommen war.
Jane hatte weiche, rotblonde Locken, große, blaugrüne Augen mit langen, dunklen Wimpern, die oft hilflos zuckten, wenn sie bedrückt in ihrer Wiege lag und Keith anguckte. Keith schaukelte manchmal die Wiege und brachte sie zum Lächeln. Ihr Lächeln war so entwaffnend; es war, als breche die Sonne hinter Regenwolken hervor.
Nachdem Jane geboren war, bestimmte sie unser Leben. Es war uns immer wieder eine willkommene Aufgabe, ein Lächeln auf ihr engelhaftes Gesicht zu zaubern. Es machte mir ein ganz besonderes Vergnügen, sie vom Weinen über ihre rätselhaften Schmerzen abzuhalten und sie zum Lachen zu bringen. Aber Fanny legte es darauf an, mir dieses – wie fast jedes andere – Vergnügen zu verderben.
»Gib sie her«, quäkte sie, rannte über den Hof direkt auf mich zu und trat mir mit ihren langen dünnen Beinen gegen das Schienbein. Dann brachte sie sich schnell in Sicherheit und schrie mir aus sicherer Entfernung zu: »Sie ist Unsere-Jane! Nicht Toms! Unsere! Alles hier gehört uns, nicht dir allein, Heaven Leigh Casteel!«
Von da an hieß Jane »Unsere-Jane«. Sie wurde so lange bei diesem Namen gerufen, bis schließlich alle vergessen hatten, daß unser Jüngstes und Liebstes früher nur einen Namen besessen hatte.
Und dann war da noch Vater.
Manchmal gab es Zeiten, da mir nichts lieber auf der Welt gewesen wäre, als meinen einsamen Vater zu lieben, der oft dumpf und vom Leben enttäuscht auf einem Stuhl hockte und Löcher in die Luft starrte. Seine Haare waren ebenholzfarben – das Erbe eines indianischen Vorfahren, der einst ein weißes Mädchen geraubt und es zu seiner Frau gemacht hatte. Seine Augen waren ebenso schwarz wie sein Haar, und seine Haut war im Sommer wie im Winter von einer tiefen Bronzefarbe. Seine glattrasierten Wangen bekamen keine dunklen Schatten, wie das bei schwarzhaarigen Männern oft der Fall ist. Er hatte schöne breite Schultern. Man konnte ihn manchmal im Hof beobachten, wie er Holz hackte, und während er die Axt schwang, das komplizierte Muskelspiel seiner starken Brust und seiner Arme sehen; Sarah, die gerade über einen Waschtrog gebeugt stand, richtete sich einmal auf und sah ihn mit so großer Liebe und so großem Verlangen an, daß es mir fast das Herz zerriß bei dem Gedanken, wie gleichgültig es ihm war, ob sie ihn liebte und bewunderte oder sich jedesmal die Augen ausweinte, wenn er erst frühmorgens nach Hause kam.
Seine düsteren, melancholischen Stimmungen brachten mich manchmal fast dazu, meine gemeinen Gedanken gegen ihn zu vergessen. In dem Frühling, als ich dreizehn Jahre alt war und schon über meine wirkliche Mutter Bescheid wußte, beobachtete ich ihn, wie er zusammengekauert im Sessel saß und in die Luft starrte, als träumte er von etwas; ich stand abseits und sehnte mich danach, die Arme nach ihm auszustrecken und seine Wangen zu berühren – ich hatte noch niemals sein Gesicht angefaßt. Was würde er tun, wenn ich es wagte? Würde er mir ins Gesicht schlagen? Mit Sicherheit würde er brüllen und schreien. Trotzdem hatte ich das große Bedürfnis, ihn zu lieben und von ihm geliebt zu werden, und die ganze Zeit über brannte das quälende Verlangen in mir, meine Liebe und Zuneigung für ihn wie ein Feuer entzünden zu dürfen.
Wenn er mich wenigstens angesehen oder etwas gesagt hätte, um mir zu zeigen, daß er mich ein klein wenig mochte.
Aber er schaute mich nicht einmal an. Er sprach kein Wort mit mir. Ich war Luft für ihn.
Aber wenn Fanny die wackligen Stufen unserer Veranda hochstürmte und sich auf seinen Schoß setzte und dabei lauthals verkündete, wie sehr sie sich darüber freue, daß er wieder da sei, dann küßte er sie. Es gab mir einen Stich, zu sehen, wie er sie in die Arme nahm und über ihre langen, glänzend-schwarzen Haare strich. »Wie geht’s, Fanny, mein Mädchen?«
»Hast mir gefehlt, Vater! Mag nicht, wenn du weg bist. Ist nicht schön ohne dich! Bitte, Vater, bleib diesmal!«
»Liebes«, murmelte er, »schön, daß einen jemand vermißt – vielleicht geh’ ich nur darum immer wieder fort!«
Es tat weh, zu sehen, wie Vater Fannys Haare streichelte und mich überhaupt nicht beachtete – mehr noch als seine Ohrfeigen und bösen Worte, die ich bekam, wenn ich ihn hin und wieder zwang, mich zu bemerken. Ich lenkte seine Aufmerksamkeit absichtlich auf mich; mit einem riesigen Wäschekorb, in den ich gerade die Wäsche von der Wäscheleine zusammengefaltet hineingelegt hatte, stolzierte ich an ihm vorbei. Fanny grinste mich frech an. Vater würdigte mich keines Blicks und ließ sich nicht anmerken, daß er wußte, wie schwer ich schuftete – obwohl es um seine Mundwinkel zuckte. Wortlos schritt ich an ihm vorbei, als ob ich ihn zuletzt vor zwei Minuten gesehen hätte und er nicht zwei Wochen fortgewesen wäre. Es wurmte mich, daß er mich überging – obgleich ich ihn auch nicht beachtete.
Fanny rührte keine Arbeit an – die erledigten Sarah und ich. Großmutter erzählte Geschichten, und Großvater schnitzte. Vater kam und ging, ganz wie es ihm beliebte; er verkaufte Schnaps für Schwarzbrenner und manchmal brannte er seinen eigenen, was ihm, laut Sarah, das meiste Geld einbrachte. Dabei ängstigte sie sich halb zu Tode, daß man ihn dabei erwischen könnte und er im Gefängnis landen würde – die professionellen Brenner hatten nun einmal kein Verständnis für die zusätzliche Konkurrenz. Er blieb oft ein, zwei Wochen lang verschwunden. Wenn er fort war, ließ Sarah ihre Haare fettig werden und kochte lieblos und schlecht. Kaum aber trat Vater flüchtig lächelnd durch die Tür und warf ihr nur ein paar achtlose Worte hin, so kam Leben in sie; sofort wusch sie sich und zog sich ihre besten Sachen an – sie hatte die Auswahl zwischen drei nicht allzugut erhaltenen Kleidern. Ihr sehnlichster Wunsch, wenn Vater nach Hause kam, war, sich schminken und ein grünes, zu ihren Augen passendes Kleid tragen zu können. Es war leicht zu sehen, daß Sarah all ihre Träume auf den Tag gerichtet hatte, an dem sie sich das leisten konnte, und Vater sie dann endlich so lieben würde wie die arme Tote, die meine Mutter gewesen war.
Unsere Hütte stand hoch oben in den Bergen und war aus uraltem Holz gebaut. Entweder drang Kälte oder Hitze durch die zahlreichen Astlöcher. Die Hütte war niemals mit Farbe in Berührung gekommen und würde es wahrscheinlich auch nie. Sie hatte ein Blechdach, das schon lange vor meiner Geburt verrostet gewesen war. Wie abertausend Tränen war das Wasser über das helle Holz gelaufen und hatte es dunkel gefärbt. Wir sammelten das Wasser in Regenfässern, um es zum Baden und einmal in der Woche zum Haarewaschen zu gebrauchen, wozu wir es dann auf dem alten, gußeisernen Ofen mit dem Spitznamen »Old Smokey« erhitzten. Old Smokey qualmte und spie so viel beißenden Rauch, daß wir ständig husteten und tränende Augen hatten, wenn wir uns drinnen aufhielten und Tür und Fenster geschlossen waren.
Die Hütte bestand aus zwei Räumen, die durch einen zerschlissenen, ehemals roten Vorhang voneinander getrennt waren, der somit eine Art Tür zum »Schlafzimmer« bildete. Unser Ofen diente nicht allein dazu, die Hütte warm zu halten, sondern auch zum Kochen, Backen und – wie gesagt – zum Erhitzen des Badewassers. Einmal in der Woche, vor dem Gottesdienst, wurde gebadet und Haare gewaschen.
Neben Old Smokey stand ein alter Küchenschrank, der Dosen für Mehl, Zucker, Kaffee und Tee enthielt. Allerdings konnten wir uns überhaupt keinen Zucker, Kaffee oder Tee leisten, doch verbrauchten wir Unmengen von Schweinespeck, um Griebenschmalz zu machen, das wir mit unserem Brot aßen. Hatten wir großes Glück, dann fanden wir reichlich Honig und wilde Beeren im Wald. Und in besonders gesegneten Zeiten besaßen wir eine Kuh, die uns Milch gab, und es waren eigentlich immer Hühner und Gänse vorhanden, die uns mit Eiern und am Sonntag mit Fleisch versorgten. Die Schweine liefen frei herum, drängten sich nachts unter unserem Haus eng aneinander und hielten uns mit ihren Alpträumen wach. Vaters Jagdhunde hatten die Hütte zu ihrem Revier erkoren, aber wie alle Bergbewohner wußten wir, wie wichtig Hunde nun mal waren, wenn es um einen beständigen Nachschub von Fleisch und Geflügel ging.
Was wir als unser Schlafzimmer bezeichneten, bestand aus einem großen Messingbett mit einer durchgelegenen, schmuddeligen Matratze. Wenn sich darauf etwas abspielte, quietschten und krachten die Federn. Jedes Geräusch hörte man peinlich laut und nahe; der Vorhang trug wenig dazu bei, irgendeinen Laut zu dämpfen.
In der Stadt und in der Schule verhöhnte man uns als Gesindel und Lumpenpack, »Hillbillies« war noch die freundlichste Bezeichnung. Unter allen Bewohnern der Berghütten gab es keine einzige Familie, die so verachtet wurde wie unsere: die Casteels – der Abschaum der Gesellschaft. Wir waren schließlich auch eine Familie, von deren Söhnen fünf wegen kleinerer und größerer Straftaten im Gefängnis gesessen hatten. Kein Wunder, daß Großmutter nachts weinte und all ihre Erwartungen auf Luke Casteel setzte, in der Hoffnung, daß er eines schönen Tages der Welt beweisen würde, daß die Casteels nicht zum allerärgsten Lumpenpack gehörten.
Also, ich habe gehört – obwohl ich es kaum glauben kann –, daß es tatsächlich Kinder gibt, die die Schule hassen. Tom und ich hingegen konnten es kaum erwarten, bis es endlich wieder Montag war und wir unserer beengten Hütte mit ihren zwei übelriechenden, engen Räumen und dem stinkenden Abort im Hof entkommen konnten.
Unsere Schule war ein rotes Ziegelgebäude und stand im Herzen von Winnerrow, dem nächstgelegenen Dorf in einem Tal in den »Willies«. Täglich liefen wir die etwa zwanzig Kilometer zur Schule, so als wäre das gar keine Entfernung. Tom ging dann immer an meiner Seite, und Fanny zuckelte hinterher. Sie war bildhübsch und wütend auf die ganze Welt, weil ihre Familie so »stinkarm« war, wie sie es sehr treffend sagte.
»Warum wohnen wir in keinem dieser hübsch bemalten Häuser, wie es die Leute in Winnerrow tun, wo sie auch richtige Badezimmer haben?« quengelte Fanny, die immer jammerte und sich über Dinge beklagte, die wir übrigen akzeptierten, um nicht ganz zu verzweifeln. »Könnt ihr euch das vorstellen? Mit ’nem Badezimmer drinnen. Hab’ sogar gehört, daß einige Häuser zwei oder gar drei haben – jedes mit fließendem Wasser, heiß und kalt, könnt ihr euch das vorstellen?«
Selten war ich einer Meinung mit Fanny, aber darin waren wir uns einig, daß es das Paradies auf Erden sein müßte, in einem geweißelten Haus mit vier oder fünf Zimmern mit Zentralheizung zu leben und nur an einem Hahn drehen zu müssen, um fließend heißes und kaltes Wasser zu bekommen – und über ein Wasserklosett verfügen zu können.
Wenn ich nur an die Zentralheizung dachte, an die Ausgußbecken und das Wasserklosett, bemerkte ich erst, wie arm wir waren. Doch wollte ich nicht daran denken und ebensowenig in Selbstmitleid darüber verfallen, daß mir die ganze Sorge für Keith und Unsere-Jane aufgebürdet worden war.
Als ich nämlich alt genug war und Großmutter schon zu gebrechlich, um mitzuhelfen – Fanny weigerte sich nämlich rundweg, irgend etwas zu tun, auch als sie schon drei, vier und fünf Jahre alt war –, brachte mir Sarah bei, wie man Babys wickelt, füttert und sie in einer kleinen Metallwanne badet. Sarah zeigte mir tausend Dinge. Mit acht Jahren konnte ich Brot backen, Schmalz in der Pfanne erhitzen und Mehl mit Wasser verrühren, bevor ich es mit dem heißen Fett vermischte. Sie lehrte mich Fenster putzen, Boden schrubben und wie man die schmutzige Wäsche auf dem Waschbrett sauber bekam. Auch Tom brachte sie bei, mir zu helfen, so gut es ging, auch wenn die anderen Jungen ihn als »Waschlappen« verspotteten, weil er »Frauenarbeit« tat. Er hätte sich gewiß mehr dagegen aufgelehnt, wenn er mich nicht so geliebt hätte.
Wenn Vater die Nacht zu Hause verbrachte, war Sarah bei ihrer Arbeit munter wie ein Zeisig, sie summte vor sich hin und warf ihm verstohlene Blicke zu, als wäre er ein Verehrer und nicht ihr Ehemann. Der Handel mit dem illegalen Schnaps hatte ihn vollkommen ausgelaugt. Jederzeit konnte irgendwo auf dem einsamen Highway ein Steuerbeamter auf Luke Casteel lauern, um ihn zu seinen Brüdern ins Gefängnis zu werfen.
Ich war wieder mal draußen im Hof beim Wäschewaschen, während Fanny seilhüpfte und Vater Tom den Ball zuwarf, damit er ihn mit dem Schläger – Toms einziges Spielzeug und das Erbe aus Vaters Kindheit – zurückschlagen konnte.
Keith und Unsere-Jane hingen an meinem Rocksaum und wollten mir helfen, die Wäsche aufzuhängen – aber beide reichten nicht bis zur Wäscheleine.
»Fanny, warum hilfst du Heavenly nicht?« fragte Tom ärgerlich und warf mir dabei einen besorgten Blick zu.
»Will nicht!« war Fannys Antwort.
»Vater, warum sagst du Fanny nicht, sie soll Heavenly helfen?«
Vater warf den Ball so fest, daß er Tom beinahe getroffen hätte. Dabei holte Tom mit dem Schläger weit aus, verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. »Kümmer dich nicht um Weiberarbeit«, sagte Vater und lachte barsch. Er ging auf die Hütte zu, gerade rechtzeitig, denn Sarah rief, daß das Essen fertig sei: »Essen kommen!«
Schmerzgeplagt erhob Großmutter sich von ihrem Schaukelstuhl, und auch Großvater kämpfte sich von seinem hoch. »Alt zu werden ist schlimmer, als ich dachte«, stöhnte Großmutter, als sie endlich aufrecht stand. Sie wollte noch rechtzeitig, bevor alles aufgegessen war, an den Tisch kommen. Unsere-Jane stürzte auf sie zu, um sich von Großmutter an der Hand führen zu lassen. Das war so ziemlich das einzige, was Großmutter noch tun konnte. Sie stöhnte wieder. »Sterben ist wohl doch nicht so schlimm.«
»Aufhören!« fuhr Vater sie an. »Ich komm’ nach Hause, um mir’s gutgehen zu lassen und nicht um ein Gejammer über Krankheit und Tod zu hören.« Nur wenige Minuten waren vergangen – Großmutter und Großvater hatten es sich gerade in ihren Stühlen bequem gemacht –, als Vater schon Sarahs stundenlang vorbereitete Mahlzeit verschlungen hatte, in den Hof eilte, auf den kleinen Lieferwagen sprang und sich auf und davon machte, Gott weiß wohin.
Leise weinend stand Sarah an der Tür. Sie trug ein »neues« Kleid, daß sie aufgetrennt und anders zusammengenäht hatte, mit neuen Taschen und Ärmeln, aus Stoffresten zurechtgestückelt. Ihr frischgewaschenes Haar schimmerte im Mondschein in einem warmen roten Glanz und duftete nach dem letzten Fliederwasser, das sie besaß. Es war alles umsonst gewesen, denn die Mädchen in »Shirley’s Place« hatten echtes französisches Parfüm, richtiges Make-up und nicht nur Puder, wie Sarah ihn auf ihre glänzende Nase getupft hatte. Ich war fest entschlossen, weder eine zweite Sarah noch eine zweite Angel aus Atlanta zu werden. Ich nicht. Niemals.