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2. Ein kurzer Forschungsüberblick

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theoria und Theorie

Die Behandlung antiker Religion muss schon aus Gründen der Wortgeschichte theorielastig sein: theoria war im Griechischen das Wort für eine Gesandtschaft zu einem Fest, zu einem Heiligtum oder zu einer Orakelstätte. Auch wenn die exakte Etymologie des Wortes unklar bleiben muss, steht außer Frage, dass es um das Anschauen einer Gottheit oder eines Rituals ging. Platon verwendete theoria als ein „In-Augenschein-Nehmen“ und entwickelte daraus die uns geläufige Bedeutung von „Theorie“. Im Rahmen dieses Buches kann die Forschungsgeschichte, die eine eigene Monographie wert wäre, nur grob skizziert werden. Viele wichtige Bücher, Ansätze und Autoren müssen ungenannt bleiben.

Frühe Neuzeit

Mit der Renaissance, der Rückwendung zur antiken Kultur, begann auch die systematische Untersuchung der Religion der Griechen und Römer. Wer sich in der Frühen Neuzeit etwa mit Cicero oder Ovid beschäftigte, las Texte, in denen durch die breite Präsenz der Mythen überall heidnisches Teufelswerk lauerte. Als guter Christenmensch rettete man sich mit zwei Argumenten, deren sich schon die Christen im Römischen Reich bedient hatten: Erstens verwies man darauf, dass die Mythen allegorisch zu deuten seien. Zweitens fand man die Kenntnis der heidnischen Religion nötig, um die begehrten Texte verstehen zu können. Mit der Aufklärung verschwand der Teufel aus dem Diskurs über die antike Religion. Die Rolle der Schurken übernahmen nun die Priester, die man als Betrüger abstempelte. Dieser aufklärerische Impetus hatte Nachwirkungen in vielen Publikationen des 19. und 20. Jahrhunderts.

Mythologie

Lange Zeit lag der Schwerpunkt der Forschung auf der Mythologie, die als Königsweg zum Verständnis der antiken Religion galt; daher konzentrierte sich das Interesse auf die Religion der Griechen. Johann Gottfried Herder forderte in seinem Reisetagebuch von 1769, die griechische Religion von der See zu lesen und zu verstehen, da die Griechen Seefahrer gewesen seien. Karl Philipp Moritz deutete in seiner 1795 erschienenen „Götterlehre“ die Mythologie als eine Sprache der Phantasie. Im frühen 19. Jahrhundert bildeten sich die Altertumswissenschaften als Fächer an den Universitäten heraus; damit wurde auch die Religion zu einem Gegenstand verstärkter Forschungstätigkeit. Georg Friedrich Creuzer, Professor für Philologie und Alte Geschichte in Heidelberg, ging in seinem Hauptwerk „Symbolik und Mythologie der alten Völker“ (Leipzig 1810–1812) von einer Urreligion aus, deren Spuren in den Mythen bewahrt seien. Der Göttinger Kollege Karl Otfried Müller argumentierte 1825 in den „Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie“ gegen Creuzer und gegen die allegorische Deutung der Mythen; als guter Altertumswissenschaftler forderte er, auch die Inschriften und die archäologischen Quellen in die Recherchen einzubeziehen.

Paradigmenwechsel im 19. Jh.

Seit dem späten 19. Jahrhundert trat ein Paradigmenwechsel ein; statt der Mythen wurden zunehmend die Rituale als Schlüssel zum Verständnis von Religion verstanden. Die Reihe der Autoren reicht von Hermann Usener („Götternamen“, 1896) über die Cambridge Ritualists – zu nennen ist vor allem Jane Harrison – bis hin zu Martin P. Nilssons monumentaler „Geschichte der griechischen Religion“, 1941/1950 in der renommierten Reihe „Handbuch der Altertumswissenschaften“ in München publiziert; Nilsson sah die Mythen nur als Ergebnis der Rituale.

Am Ende des 19. Jahrhunderts gewann auch das so genannte „Fruchtbarkeitsparadima“ an Bedeutung. Religion wurde vor allem unter dem Aspekt der Fruchtbarkeit gedeutet, angesichts der ständig drohenden Nahrungsmittelengpässe in der antiken Welt ein wichtiger Aspekt; allerdings ist es wenig überzeugend, jedes Ritual als Fruchtbarkeitsritual zu verstehen. Als Beispiele mögen genügen: Wilhelm Mannhardts „Wald- und Feldkulte“ (1875/77) sowie John Frazers vielbändiges Werk „The Golden Bough“ (1890ff.), in dem er immer wieder Parallelen bei anderen Völkern aufzeigte. In Frankreich hob Numa Fustel de Coulanges 1864 mit seinem Hauptwerk über die antike Stadt (La cité antique) den engen Bezug zwischen Staat und Religion hervor. Émile Durkheim, der den soziologischen Zugang zur Religionsforschung etablierte, war von Fustel de Coulanges stark beeinflusst. Durkheim fragte nach der Funktion von Religion und verwies darauf, dass sie Zusammenhalt stifte.

Frühes 20. Jahrhundert

Georg Wissowa veröffentlichte 1912 im „Handbuch der Altertumswissenschaften“ in der zweiten Auflage „Religion und Kultus der Römer“, immer noch das ausführlichste Nachschlagewerk zur römischen Religion; unter dem Einfluss von Theodor Mommsen historisierte er die römische Religion und erfasste sie unter den Aspekten von Recht und Systematik. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf nannte sein zweibändiges und von großer Gelehrsamkeit zeugendes Werk „Der Glaube der Hellenen“ (1931/32); für ihn gab es einen lebendigen Glauben bei den Griechen, der seit dem Hellenismus von einer immer leerer werdenden Religion abgelöst wurde.

Jahrhundertmitte

Für eine idealistische Verklärung, besonders der griechischen Religion, stehen Walter F. Otto und Karl Kerényi, welche die – in den Quellen nur schwer nachvollziehbare – Festlichkeit der Rituale hervorhoben. 1960 erschien, abermals im „Handbuch der Altertumswissenschaften“, die „Römische Religionsgeschichte“ von Kurt Latte; der Titel legt schon den Unterschied zu Wissowa nahe; Latte ging es um eine stärkere Historisierung des Materials. In den 1960er Jahren entstand die Pariser Schule von Jean-Pierre Vernant, der historische Anthropologie und Strukturalismus vereinte. Georges Dumézil erkannte, vom Strukturalismus geprägt, in allen Gesellschaften eine dreifache Struktur von Priester, Krieger und Bauer und übertrug dieses System auf die Religion der griechisch-römischen Welt. Walter Burkert betonte die Rolle der Gewalt in der griechischen Religion; das Opferritual sah er als Sublimierung der Tötung des Tieres bei der Jagd.

Jahrhundertwende

Christiane Sourvinou-Inwood führte um 1990 das Konzept der Polisreligion ein; sie ging davon aus, dass die Kulte von der Polis durchgeführt wurden. Da die Rituale die Gesellschaft abbildeten und ihren Zusammenhalt stärkten, seien Religion und Polis nicht zu trennen. Vergleichbar für die römische Welt ist die von John Scheid vorgeschlagene Bürgerreligion oder Civitasreligion. Gegen die „Polisreligion“ wurden Einwände laut: „Polisreligion“ klammert ganze Bereiche antiker Religion aus; die Mysterienkulte und die gesamte Bandbreite der im Haus oder auf dem Land vollzogenen Rituale haben oft wenig Bezug zur Stadt; Philosophen konnten eine kritische Haltung zu den Göttern entwickeln. Auch ist innerhalb der Polis zu differenzieren. Nicht alle Bürger hatten den gleichen Anteil an den Ritualen, dazu kamen die ortsansässigen Fremden, die in der entsprechenden Stadt kein Bürgerrecht besaßen. Auch ist nicht zu vergessen, dass in der griechischen Welt zwar die Polis als Organisationsform vorherrschte, dass aber auch weite Teile im Norden und Westen Griechenlands als Stammstaaten organisiert waren.

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